Why did I allow that man to teach me love?
von Michelle Mercy
Valjean redet Javert von der Brücke, im Gegenzug überzeugt Javert Valjean, ihn auf einer Reise durch Frankreich zu begleiten, Slash, wäre es ein Film, wäre es ein Road movie, kein Teil von „Another bridge, another destiny"
Die Jungs gehören wie üblich Hugo und einander, der Rest gehört Hugo mit ein paar Ausnahmen.
Für Shila, wie immer meine wundervolle Beta,
mit der ich 2006 durch Frankreich reiste auf der gleichen Strecke, die die Jungs zurücklegen,
und
Für Trompe-la-Morte, Sythar und GabriellaYu
fürs Animieren in drei Sprachen, schnell weiterzuschreiben.
Prolog
Jean Valjean atmete tief ein und aus, um wieder zu Atem zu kommen, und verlangsamte seinen Schritt. Die Vision oder die Vorahnung, oder wie auch immer man es nennen wollte, war richtig gewesen. Er war mehr als froh, daß er diesem Impuls nachgegeben hatte. Er hätte sich niemals verzeihen können, wäre er zuhause geblieben, um dann aus einer Zeitung zu erfahren, was geschehen sein mochte.
Jetzt jedoch mußte er behutsam vorgehen. Valjean erinnerte sich nur zu gut, wie gefährlich es war, jemanden zu erschrecken, der sich in dieser Situation befand. In Toulon hatte sich ein junger Mann von einem Felsen gestürzt, weil er es nicht mehr ausgehalten hatte. Eine Viertelstunde hatten die Wärter auf ihn eingeredet, und er war trotzdem gesprungen. Das sollte, das durfte keinesfalls passieren.
Aber was sagte man in so einer Situation? Valjean wählte das Nächstliegende. „Tun Sie das nicht."
Javert war so in seine Gedanken versunken gewesen, daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und in die Tiefe gestürzt wäre. „Gehen Sie weg", sagte er, ohne sich umzublicken. „Das geht Sie nichts an."
„Da bin ich entschieden anderer Meinung." Valjean bewegte sich langsam auf die Brüstung der Brücke zu, die Javert bereits überklettert hatte.
„Das ist nicht Ihre Angelegenheit", widersprach Javert erneut.
„Es ist sehr wohl meine Angelegenheit, wenn Sie sich meinetwegen da hinunter stürzen wollen."
„Sie bilden sich zuviel ein."
Gut, er redete. Erleichterung machte sich in Valjean breit. Es machte ihm Hoffnung, daß Javert mit ihm sprach. Hätte er einfach nur geschwiegen, wäre Valjean wesentlich beunruhigter gewesen. So jedoch bestand Hoffnung, ihn zu überzeugen, nicht zu springen, oder wenigstens den Zeitpunkt des Sprunges abschätzen zu können, um notfalls hinterher zu springen. „Weswegen stehen Sie denn sonst dort?" Bring ihn dazu weiterzureden, beschwor Valjean sich selbst.
„Es ist sinnlos."
„Was ist sinnlos? Es mir zu erklären?"
„Alles."
„Und deswegen wollen Sie springen?" Oh, Gott, laß mich die richtigen Worte finden, flehte Valjean lautlos. „Ist das nicht etwas feige?"
„Was?" Javert wandte den Kopf, so daß Valjean sein Gesicht sehen konnte, ein Anblick, der ihn erschreckte. Noch nie in all den Jahren ihrer Bekanntschaft hatte er gesehen, daß Javerts Haare wirr ins Gesicht hingen und in den Augen ein Ausdruck von tiefer Verzweiflung und Angst lag.
„Nun, ja", fuhr Valjean fort und macht vorsichtig einen Schritt weiter auf die Brüstung zu, „da hinunterzuspringen hat etwas von davonlaufen, oder?"
„Sie sind mit Abstand der Letzte, mit dem ich über ‚davonlaufen' diskutieren werde."
„Sie würden mit einem echten Experten sprechen", erwiderte Valjean mit dem Anflug eines Lächelns.
„Ich bin in meinem ganzen Leben niemals feige gewesen." Da war wieder ein Hauch von Stolz in Javerts Stimme, der vorher nicht dort gewesen war.
„Ich fände es mutiger, sich dem Leben zu stellen."
„Sagt ausgerechnet der Mann, der seit fünfunddreißig Jahren auf die eine oder andere Weise versucht zu fliehen." Javert stieß ein kurzes, humorloses Lachen aus.
Valjean fühlte sich auf einmal unglaublich müde. Erst die Barrikade, dann die Kanalisation und der Weg zu dieser Brücke hatten ihn erschöpft. Sein Rücken schmerzte, das Bein, das er nachzog, machte sich stärker als gewohnt bemerkbar, und seine Augen brannten von zuwenig Schlaf. Er machte drei weitere Schritte auf Javert zu und erklärte mit seiner entschlossensten M. le maire-Stimme: „Sie werden nicht springen, Javert."
„Bleiben Sie, wo Sie sind, und verschwenden Sie nicht Ihre falsche Autorität an mich. Das wirkt bei mir schon lange nicht mehr."
„Und wenn ich trotzdem näher komme?" fragte Valjean und hoffte inständig, daß er nicht zuviel riskiert hatte. „Wollen Sie dann springen?"
„Ja."
„Aber das wollen Sie ja sowieso." Noch zwei weitere Schritte, und Valjean hatte die Brüstung erreicht. Mit einem Seufzer der Erleichterung stützte er sich auf den Stein. Das war deutlich besser. „Oder haben Sie Ihre Meinung geändert?"
Javert starrte Valjean ungläubig an, als könne er nicht fassen, daß der Ältere jetzt nur durch die Brüstung und vielleicht einen Schritt von ihm getrennt war. „Ganz sicher nicht. Also gehen Sie endlich, damit ich es zu Ende bringen kann."
Plötzlich wußte Valjean, was er tun mußte. Er hatte die ganze Zeit nur improvisiert, doch jetzt sah er den Weg deutlich vor sich, mit dem er Javert von dieser Brücke bekommen konnte – auf der richtigen Seite. „Wenn Sie so fest entschlossen sind, sehe ich ein, daß ich Sie nicht abhalten kann. Da wird all mein Gerede nichts nützen. Tun Sie also, was Sie tun müssen, ich werde Ihnen zusehen."
„Wie bitte?" Wäre Javert in einer besseren Verfassung gewesen, hätte er wahrscheinlich durchschaut, was Valjean vorhatte. So jedoch war er vollkommen fassungslos. „Sie wollen zusehen?"
„Falls Sie wirklich vorhaben, sich dort hinabzustürzen, werden Sie dies unter meinen Augen tun müssen. Ich werde Ihnen nicht gestatten, hier einsam und allein zu sterben."
„Sie werden… Sagen Sie, haben Sie jetzt den Verstand verloren, Valjean?"
„Ich war selten klarer als jetzt."
Javerts Blick sprühte vor lauter Zorn fast Funken, als er Valjean anstarrte. Valjean starrte unverwandt zurück. Minutenlang bohrten sich Javerts eisblaue Augen förmlich in Valjeans Blick. Dieser zeigte keinerlei Ansätze, den Blick zu senken, sondern erwiderte ihn vielmehr voller Anteilnahme.
Es fiel kein Wort, das einzige Geräusch, was zu hören war, bestand in dem Gegurgel und Gemurmel des Flusses unter ihnen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Javert einen kleinen Seufzer ausstieß. „Ich kann das nicht, wenn Sie hier stehen und mich anstarren."
Valjean atmete hörbar aus. „Sie wissen gar nicht, wie froh ich bin, das zu hören."
Javert stieg über die Brüstung zurück auf die eigentliche Brücke. „Es gibt andere Brücken", sagte er bitter.
„Sicher gibt es die", es gelang Valjean nur mühsam, das Zittern in seiner Stimme unter Kontrolle zu bringen, als das Adrenalin aufhörte zu fließen, „nur werde ich nicht zulassen, daß Sie eine davon in dieser Weise benutzen. Ich werde sein, wo Sie sind."
Javert stöhnte gequält auf. „Das ist ein Grund mehr zu springen."
„Dann bleiben nur zwei Möglichkeiten", begann Valjean sehr langsam und bedächtig. „Entweder ich stelle mich selbst an der nächsten Polizeistation…"
„Das wiederum werde ich nicht zulassen", unterbrach Javert.
„Aber Sie wollten sich das Leben nehmen, weil Sie nicht mit der Entscheidung leben können, mich zu verhaften oder mich laufen zu lassen. Wenn ich mich selber stelle, müssen Sie diese Entscheidung nicht treffen."
„Sie glauben, ich habe deswegen da oben gestanden?" Javert schüttelte den Kopf, weniger als Verneinung denn als Zeichen seines Unglaubens, daß jemand so naiv sein konnte. „Sie haben meine Welt so sehr erschüttert, daß alles, woran ich geglaubt habe, in tausend Scherben zerbrochen ist. Sollten Sie ein solches Opfer bringen – für mich ein solches Opfer bringen - würde das alles noch viel schlimmer machen."
Valjean nickte. Er verstand, daß Javert mit einem solchen Opfer eines Diebes würde unmöglich weiterleben können. Die Erleichterung, daß Javert es nicht anzunehmen bereit war, wurde jedoch weiterhin von Sorge getrübt, wie es weitergehen sollte.
„Sie sagten, zwei Möglichkeiten…" Javert klang unschlüssig.
Danke, dachte Valjean still und antwortete laut: „Sie versprechen mir, solchen Unsinn zukünftig zu lassen. Keine Brücken mehr, keine sonstigen Versuche, Ihr Leben zu beenden."
„Was hinderte mich daran, ein solches Versprechen zu brechen?"
„Haben Sie denn schon einmal ein Versprechen gebrochen?"
Javert starrte ihn wortlos an.
„Auf Ihr Wort konnte man sich immer verlassen", sagte Valjean und lächelte über die weitere moralische Fessel, die er Javert gerade angelegt hatte.
„Warum ist es Ihnen so wichtig, ob ich lebe oder nicht?" Javert klang neugierig. „Ich meine, abgesehen von der Tatsache, daß Sie offenbar vorhaben, eine solche Vielzahl von guten Taten zu vollbringen, daß ein Heiliger vor Neid erblassen würde."
„Werden Sie nicht albern", sagte Valjean und blickte bescheiden zu Boden. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß jemand, daß Sie Ihr Leben meinetwegen beenden wollen. Ich habe Sie sicher nicht auf der Barrikade gehen lassen, damit Sie hier enden." Er streckte seine rechte Hand aus. „Geben Sie mir Ihr Wort."
Javert blickte auf die Hand herunter, in der gleichen Weise, wie er es vor so vielen Jahren in Montreuil-sur-mer getan hatte. Auch diesmal wollte er sie nicht ergreifen, wieder fühlte er sich unterlegen gegenüber diesem unbegreiflichen Mann. Doch er wußte auch, daß er keine Wahl hatte, und dieses Mal nahm er die ausgestreckte Hand und drückte sie. „Sie haben es."
„Gut", sagte Valjean und strahlte wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum. Er hielt die Hand einen Moment länger fest als notwendig. „Was werden Sie jetzt tun?" fragte er, nachdem er die Hand losgelassen hatte.
„Nach Hause gehen und überlegen, was ich mit diesem Leben anfangen soll, daß Sie mir gerade aufgezwungen haben, denke ich," antwortete Javert, wandte sich um und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen, mit schnellen Schritten in der Juninacht.
AN: So weit, so konventionell…
