1. Kapitel - 10 Monate zuvor
"Verehrte Damen und Herren an Gleis 7. Aufgrund erhöhten Schneeaufkommens verspätet sich der Expresszug nach New York City vermutlich um drei bis vier Stunden. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten."
Die Stimme des Bahnangestellten flog über die Köpfe der Menge hinweg, die sich in regem Treiben und einem Gewirr aus einer Vielzahl an eigenen Stimmen, durch die Hallen der Union Station in Toronto drängte. Es hatte tatsächlich den ganzen Tag geschneit, verließ man den Bahnhof, so watete man sehr wahrscheinlich in metertiefer, weißer Anmut, die die grauen Straßen Torontos bedeckte und ein Durchkommen mit einem Auto unmöglich machte. Und genau das war der Anlass dafür, dass das Innere des Bahnhofs vollkommen überfüllt war. Wohin das Auge reichte, tummelten sich Menschen, die sich in den Kopf gesetzt hatten, über Weihnachten ihre Verwandten in Kanada oder in den USA zu besuchen. Von überall her blitzen Plakate und Werbetafeln mit fröhlichen Gesichtern, die einem ein frohes Fest wünschten oder die Menschenmassen mit Sprüchen wie "Weihnachten ist das Fest der Liebe" noch weiter animierten, in die Züge zu drängen wie Ferngesteuerte.
Es war mitten in der Nacht, soeben hatte die alte Bahnhofsuhr ein Uhr geschlagen und es war bizarr, um diese Uhrzeit noch so viele Kinder zu sehen, die auf dem Arm ihrer Eltern getragen oder unbarmherzig an der Hand durch die Menge gezerrt wurden. Eben drang eine weitere Durchsage aus den Lautsprechern.
"Verehrte Damen und Herren an Gleis 5. Wegen des Schneesturms wird der Zug nach Anchorage bis auf weiteres gestrichen. Ersatzzüge stehen erst bereit, wenn sich die Lage verbessert hat. Wir entschuldigen uns vielmals."
Eine ganze Familie, die aus dem entfernten Florida gekommen war, um ihre Verwandten in Alaska zu besuchen, stöhnte entnervt auf. Sie konnten kaum glauben, was man ihnen antat, in dem man sie weitere Stunden hier gefangen hielt. Nicht, dass die Union Station gerade klein gewesen wäre, aber Sitzplätze gab es keine mehr, die Reisenden saßen bereits auf dem Boden oder schliefen auf ihrem Gepäck, verzweifelt und wütend über die Wetterverhältnisse in diesem Jahr.
Ein junges Paar ganz in ihrer Nähe schenkte sich einen mitleidigen Blick. Die schwangere Frau saß auf einer Bank, einem Sitzplatz, den sie bereits vor mehr als drei Stunden ergattert hatte. Sie war zusammengepfercht zwischen einem Mann, der einen langen Pelzmantel trug und sich unheimlich breit machte und einer alten Oma, die vor wenigen Minuten noch gestrickt hatte. Nun war sie zu müde geworden und ihr Kopf war nach hinten gekippt. Sie schlief und schnarchte und verlor dabei beinah ihr künstliches Gebiss. Die schwangere Frau fuhr beruhigend über ihren runden Bauch. Sie war im achten Monat und betete zu Gott, dass der Stress, dem sie ausgesetzt war, nicht eine Frühgeburt hervorrief. Ihr Freund stand tapfer auf den Beinen, blickte liebevoll zu ihr hinab. Sie hatte ihm schon einige Male angeboten, sich an ihrer statt zu setzen, aber er hatte nur abgelehnt und mit einem heldenhaften, aber schmerzverzerrtem Lächeln erklärt, sie bräuchte die Ruhe eher als er.
Nur ungefähr zwei Meter von ihnen entfernt stand ein Mädchen, gerade erst siebzehn, das aus Chester kam, einer kleinen, englischen Stadt am Fluss Dee. Sie war bereits fünf Tage unterwegs, weil sie Flugangst hatte. Sie war mit einem Schiffskapitän gereist, der ein guter Freund ihrer Ziehmutter war und zufällig eine Lieferung für South Carolina gehabt hatte. Zuerst war sie in Charleston an Land gegangen, danach mit dem Bus nach Columbia gefahren. Von dort aus hatte sie einen Zug erwischt, der sie nach Boston brachte. Von dort aus war es weiter Richtung New York gegangen und schließlich hierher, nach Toronto. Ihr Ziel war Anchorage, wo sie ein Jahr lang bei einer Gastfamilie untergebracht war. Sie hatte sich für einen Austausch beworben und war prompt genommen worden. Dumm nur, dass es bei ihrer Abreise in Nordirland noch keineswegs nach Schnee ausgesehen hatte, jetzt allerdings ganz Kanada im Schnee versank. Sie seufzte innerlich auf. Sie würde wohl noch eine kleine Ewigkeit warten müssen.
Jetzt folgte eine Durchsage auf die nächste.
"Der Zug nach Ottawa fällt bis auf weiteres aus."
"Wir bitten Sie, die Verspätung des Zuges nach Jamestown zu entschuldigen."
"Meine Damen und Herren an Gleis 9. Wir heißen Sie herzlich willkommen in Toronto."
Einige Reisende stöhnten auf. Ein Zug, der es tatsächlich geschafft hatte, bei diesem Wetter durchzukommen, bedeutete noch mehr Andrang hier am Bahnhof. Dann allerdings gab es auch eine gute Nachricht. In wenigen Minuten würde ein Zug Richtung Quebec abfahrtsbereit sein. Vielen der Reisenden war das die Erlösung. Egal, ob das in Richtung ihres Reiseziels lag oder nicht, Hauptsache sie kamen in Bewegung. Sitzplätze wurden schlagartig frei, die Menschen drängelten sich Richtung Ausgang, andere drängelten gegen den Strom Richtung Gleis 11, von dem es bald nach Quebec gehen würde. Die zusammengerottete Menge schien sich langsam aufzulösen.
Inmitten von all diesem Gedränge stand ein junger Mann, der nicht hierher passte.
Wenn man es nicht an seinem wölfischen, silbernen Augen erkannte, dann erkannte man es an seiner gelassenen Haltung, mit der er bereits seit mehreren Stunden an der Wand gelehnt stand, eine Broschüre über Restaurants in und um Toronto studierte und sich von all dem Wirbel aus Hektik, Gefluche und Verzweiflung nicht im geringsten beeindrucken ließ.
Zumindest sah es so aus. In Wahrheit war er sehr wohl beeindruckt. Er war aus Alaska gekommen und hatte noch nie so viele Menschen auf einen Schlag gesehen. Es waren so viele, dass er unter ihnen gar nicht auffiel. Er war hoch gewachsen, mit langen Beinen und breiten Schulten. Auf dem Kopf trug er kurzes, schwarzes Haar, seine Haut war blass und wenn er seinen schwarzen Mantel ausziehen würde, so würde er der Welt die verschnörkelten, mystischen Muster präsentieren, die seinen Körper vom Haaransatz im Nacken, über die Schultern bis hin zu seinen Unterarmen und Unterschenkeln reichten.
Sie waren nicht sehr intensiv und erst recht nicht so ausgeprägt wie bei den älteren Generationen, aber dennoch erfüllten sie ihren Zweck: Sie zeichneten ihn aus als Mitglied des Stamms. Als einen Vampir, der das Gefühl hatte, Boston niemals zu erreichen, wenn der Zug nach New York erst in ein paar Stunden losfuhr. Allerdings machten ein paar Stunden weniger oder mehr auch nichts mehr aus - er würde zu spät kommen und es würde ihm peinlich sein. Denn immerhin war er nicht auf dem Weg zu bloß einem Familientreffen oder einem geschäftlichen Meeting. Nein, er war auf dem Weg in ein neues Leben.
Vor wenigen Tagen war er angeschrieben worden vom Orden, der sich dem Kampf gegen die Rogues verschrieben hatten. Er hatte nicht mal eine Sekunde lang darüber nachgedacht, er hatte sofort all seine Sachen gepackt, hatte seinen trostlosen, Dunklen Hafen in Fairbanks zurückgelassen und sich postwendend auf den Weg nach Boston gemacht. Er konnte ohnehin nur mit den Nachtzügen fahren, weil ihn die Sonne schön knusprig grillen würde, sodass er mehr als nur langsam vorankam. Und jetzt noch eine Verspätung hinnehmen zu müssen, bedeutete, dass er vermutlich ganze vierundzwanzig Stunden würde warten müssen, bevor der nächste Zug nach New York ging. Welch rosige Aussichten.
Plötzlich hatte er das Gefühl, dass der Bahnhof wie leergefegt war. Etliche Sitzbänke waren nun frei. Auf dem Boden saßen nur noch die, die dort eingeschlafen waren und nicht mitbekommen hatten, dass sich eine Fluchtmöglichkeit aus der weißen Hölle um Toronto bot. Für den jungen Vampir war das keinerlei Alternative. Er war auf dem Weg nach Boston und er würde sicherlich keinen Umweg dorthin machen, selbst wenn das hieß, dass er noch zwei Tage hier festsaß. Er würde einfach Gideon, das Organisationstalent des Ordens, anrufen und ihm erklären, dass er hier mit Problemen zu tun hatte, die seine Fähigkeiten als angehenden Krieger bei weitem überstiegen. Seufzend ließ er die langweilige Broschüre in der Westentasche seines Mantels verschwinden. Er würde ohnehin niemals in ein Restaurant gehen können, weil sein Organismus schlicht und einfach nicht auf menschliche Nahrung eingestellt war.
Vorsichtig näherte er sich einer der Sitzbänke. Sie war noch vollkommen unbesetzt. Davor lud er sein Gepäck, einen großen Koffer und eine Reisetasche von schlichter dunkler Schönheit ab. Dann überprüfte er den Sitz seines schwarzen Hemds, des ebenso schwarzen Schals und seiner dunkelblauen Jeans, ehe er sich langsam und fließend auf die Bank gleiten ließ. Er konnte einen leisen Seufzer der Erleichterung nicht länger zurückhalten. Es tat unheimlich gut nach so langer Zeit des Stehens endlich wieder sitzen zu können. Er lehnte sich so bequem wie möglich zurück, verschränkte die langen Beine und ebenso die muskulösen Armen hinter seinem Kopf. Schlafen wollte er nicht, aber es sprach nichts dagegen, ein wenig auszuspannen.
Kaum, dass er es sich halbwegs gemütlich gemacht hatte, fielen ihm auch schon zwei junge Frauen auf, die in der kurzen Schlange eines Kiosks standen, ihm verstohlene Blicke zuwarfen und aufgedreht kicherten, als er ihnen zuzwinkerte. Als sie sich wieder nach ihm umdrehten, schenkte er ihnen ein aufrichtiges Lächeln. Sie waren beide sehr hübsch, das musste er zugeben, aber ernsthaft interessiert an ihnen war er nicht. Bevor er in Anchorage in den Zug gestiegen war, hatte er genügend Blut für mindestens eine Woche zu sich genommen. Also würde er die beiden in Ruhe lassen. Er war schließlich auf dem Weg, nach Boston, um den Rogues persönlich den Krieg zu erklären, nicht um selbst einer zu werden. Andererseits…wann hatte er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen? Oder mit zwei? Er schüttelte amüsiert den Kopf. Die Vorstellung von Sex auf dem widerlichen Bahnhofsklo hatte rein gar nichts Verlockendes an sich. Er wollte den beiden Frauen gerade einen mentalen Befehl schicken, der sie dazu bringen sollte, sich von ihm abzuwenden, als sie es auf einmal von allein taten. Fernes Fußgetrappel war zu hören, anscheinend war gerade ein weiterer Zug angekommen. Und plötzlich saß das Mädchen auf dem Platz neben ihm.
Sie war allerhöchstens siebzehn und reiste anscheinend mutterseelenallein - was nicht ganz ungefährlich war um diese Uhrzeit. Ein unsicheres Lächeln stand auf ihrem Gesicht, als sie ihn kurz ansah, musterte, wie er nun bemerkte. Abwartend hob er eine dunkle Augenbraue und tat dasselbe wie sie. Das Mädchen schien nicht sehr groß zu sein, einssechzig vielleicht, ihr rotbraunes Haar steckte in einem kurzen Zopf, aus dem sich eine vereinzelte Strähne gelöst hatte, ihre meerblauen Augen strahlten etwas aus, das er unter dem Namen "Einsamkeit" kennen gelernt hatte, ihr Gesicht war blass und sie wirkte durchgefroren. Und das, obwohl sie eine dicke, braune Jacke trug, die bis nach oben zugeknöpft war.
"Ich will mich nicht aufdrängen", sagte sie schüchtern - augenblicklich röteten sich ihre Wangen, sie traute sich nicht einmal, ihm in die Augen zu schauen. Sie war sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass die Bank sehr groß war und die restlichen Meter noch frei waren, dennoch hatte sie sich ausgerechnet so nahe zu ihm gesetzt. "Aber ich habe gerade eben einen Zug ankommen gehört und deswegen werden gleich alle Sitzplätze wieder belegt sein."
"Ist schon in Ordnung", gab er freundlich zurück. Er las noch etwas Anderes in ihrem Blick: Sie fürchtete sich ein wenig. Allein in einem fremden Land, allein unter Fremden, allein mitten in der Nacht. Na, da war sie ja gerade an den richtigen geraten. Sie schien ihm aus irgendeinem Grund zu trauen. Wie konnte sie auch wissen, dass er ein Vampir war?
Natürlich würde er ihr nichts tun. Wenn er sich dem Orden verschrieb, dann verschrieb er sich auch dem Versprechen, die Menschen zu beschützen. Sie sah nun wieder weg, mit einem hochroten Kopf. Er kam nicht umher, amüsant zu lächeln. Sie erinnerte ihn an sich selbst. Früher war er selbst unsicher gewesen, hatte Angst gehabt, sich allein gefühlt und trotzdem bei jedem zwischenmenschlichen Annäherungsversuch das Gefühl gehabt, sich zu blamieren. Wie oft hatte er sich früher im Nachhinein geschämt, wenn er zuvor ein Mädchen angesprochen hatte - oder auch nur einen anderen Vampir, um nach der Uhrzeit zu fragen. Das alles hatte sich geändert, nachdem Rogues seinen Dunklen Hafen angefallen hatte. Nur wenige hatten überlebt, sein Vater und er selbst waren während des Angriffs selbst auf der Jagd und hatten ein heilloses Chaos vorgefunden. An diesem Tag war er ein anderer Mann geworden. Er war erwachsen geworden.
Er ließ den Blick ein weiteres Mal durch die Menge schweifen, schaute nach, ob er die beiden von eben noch einmal finden würde, aber sie waren schon gegangen. Er sah viele seltsame Gestalten und skurrile Menschen hier. In der einen Ecke verkaufte ein Dealer gerade Drogen an ein paar Punks, gleich daneben beschimpfte ein Mann seine Frau durchs Münztelefon. Seine Wut strahlte hinüber zu dem Vampir, der den sauren Geschmack von Zorn und Enttäuschung auf der Zunge spürte. Wahrscheinlich hatte sein Kumpel dort drüben gerade erfahren, dass seine Frau ihn betrogen hatte. Er seufzte innerlich ein und roch plötzlich etwas, das ihm den Atem raubte.
Es war Blut.
Jemand hier blutete. Nicht stark, aber immerhin leicht. Und es roch wahnsinnig gut. Er war überrascht von dieser umwerfenden Mischung aus Himbeeren und Tulpen. Er sog den Duft tiefer in sich hinein, weidete sich an ihm, versuchte, ihn nicht wieder gehen zu lassen. Er spürte, wie seine Fänge länger wurden. Um Gottes Willen, er durfte sich doch nicht einfach so verwandeln - nicht hier in aller Öffentlichkeit. Am Besten, er verschwand auf die Toilette und wartete bis dieser Ansturm der Empfindungen wieder vorbei war. Er wollte schon aufstehen, als sein Blick bei zwei riesigen Männern hängen blieb, die mit schnellen Schritten und glühenden Blicken die Menge durchstreiften. Sie strahlten Feindseligkeit ab wie ein Hitzestrahler. Kein Zweifel, was sie waren, als einer schräg grinste, den anderen in die Seite stieß und ihn auf etwas aufmerksam machte. Der andere nickte und sie beschleunigten ihre Schritte noch. Sie lächelten beide und selbst auf die Entfernung von gut fünfzig Metern sah er die Spitzen ihrer Fangzähne, die aus ihren Mundwinkel ragten.
Er erkannte auch, auf wen sie zukamen.
Das Mädchen.
Er sah sie geschockt an. Und dann roch er wieder diesen unglaublichen Duft. Er musste von ihr kommen.
"Blutest du?", fragte er sie grob. Er konnte kaum klar denken, geschweige denn deutlich reden. Seine Fänge wuchsen unaufhaltsam weiter, nicht nur wegen ihrer unvergleichlichen Duftnote, sondern nun auch vor Kampfeslust. Eine kleine Bewährungsprobe vor der offiziellen Aufnahme in den Orden würde ihm sicherlich nicht schaden. Und so hatte er endlich eine sinnvolle Beschäftigung. Dumm nur, dass er dabei kein Publikum gebrauchen konnte.
Das Mädchen wandte sich ihm zu. Ihr Kopf glühte nun feuerrot, sie war zutiefst beschämt und er glaubt, zu wissen, warum. Trotz dem Ernst der Lage musste er schräg grinsen und flüsterte: "Ich meine damit nicht, ob du deine Tage hast, ich wollte wissen, ob du verletzt bist", klärte er sie auf. Über ihr Gesicht huschte ein erleichterter Schatten.
"Ich weiß nicht genau. Wieso fragen Sie?", fragte sie und begann, ihre Arme nach Wunden zu untersuchen.
"Weil belegte Sitzplätze gleich dein kleinstes Problem sein dürften", murmelte er angespannt. Er musste sie hier raus holen.
"Ah, doch hier", sagte sie jetzt gedehnt und zeigte ihm ihren Unterarm, wo sie sich einen Kratzer zugezogenen hatte, der übel blutete, selbst wenn er nur ganz klein war. Sie sah ihn verwirrt an und folgte seinem Blick, als er noch immer auf die beiden Kerle fixiert war. "Scheiße! Sind das Rogues?", fragte sie in heller Panik.
Er wandte sich ihr zu, er spürte, dass sich seine Augen bereits mit bernsteinfarbener Kampfeslust zu füllen begonnen hatten. "Bist du eine Stammesgefährtin?", fragte er perplex zurück. Eine andere Erklärung gab es nicht dafür, dass sie wusste, was Rogues waren und obendrein noch so unwiderstehlich roch.
"Sind Sie ein Vampir?!", stellte sie die dritte Frage, ihre Augen weit, gefangen zwischen Hoffnung und Panik.
"Komm mit, Kleine", sagte er, nahm ihre Hand und sie wehrte sich nicht.
Ihre beiden Verfolger sprachen leise miteinander, während er sie mit schnellen Schritten Richtung Toiletten davon führte. Er musste sie irgendwo hinbringen, wo niemand zusah. Wenn sie eine Stammesgefährtin war, dann sollte sie wohl auch wissen, dass der sicherste Weg, einen Rogue loszuwerden, der war, ihn ins Jenseits zu befördern. Allerdings wusste davon der Rest der Union Station herzlich wenig. Er musste sie dort erledigen, wo es niemand mitbekam. Er war zwar in der Unterzahl, doch die anderen waren kaum bei Bewusstsein, besessen davon, das Mädchen in die Finger zu kriegen. Und vielleicht hatte er ja Hilfe.
"Was ist deine Gabe?", fragte er atemlos, als er sie um die Gruppe Punks herum bugsierte. Sie atmete schwer hinter ihm, die dicke Jacke erleichterte ihr es sicherlich nicht unbedingt.
"Ich hab keine", japste sie.
Na fein, dachte er, die sportlichste scheint sie nicht gerade zu sein. "Quatsch", gab er zurück, wobei er einen vorsichtigen Blick über die Schulter riskierte. Die beiden Rogues verfielen in einen leichten Trab. "Jede Stammesgefährtin hat eine besondere Gabe." Es waren nur noch dreißig Meter den Gang entlang. Sie mussten jetzt rennen, wenn sie eine Chance haben wollte.
"Ich hab keine", wiederholte sie keuchend.
Er hörte die schweren Stiefel des blutsaugenden Abschaums immer näher kommen. "Doch, das hast du", entschied er, "du kannst rennen. Und zwar schnell, bevor einer von denen die Zähne in dich schlägt und dich aussaugt." Er sagte es absichtlich so drastisch, um ihr noch mehr Angst zu machen. Vielleicht konnte er sie damit dazu bewegen, schneller zu laufen. Es wirkte Wunder. Das Mädchen gab sich einen Ruck, trat dermaßen in die Sporen, dass sie ihn beinah überholte. Natürlich hätte er ohne sie noch schneller unterwegs sein können, allein mit der Gabe, sich mit einer Geschwindigkeit bewegen zu können, die es für das menschliche Auge unmöglich machte, ihr zu folgen. Aber das hätte ihm gar nichts genutzt. Er musste sie als Köder benutzen, damit er sichergehen konnte, dass sie ihm auch folgten. Noch einmal sah er sich nach den beiden miesen Kerlen um. Sie waren etwas zurückgeschlagen, ließen sich aber nicht von ihrem Ziel abbringen. Gut so, dachte der junge Vampir aus Alaska. Wenn sie ihnen weiter folgten, dann liefen sie in ihr Verderben und kämen nicht auf die verstörende Idee, die Menschen hier am Bahnhof anzufallen.
"Los, hier rein!", sagte er laut, bog scharf rechts in den Gang zu den Toiletten ein und riss sie mit sich. Zumindest hatte er gedacht, dass es der Gang zu den Toiletten sei. Sie waren eins zu früh abgebogen. Nun standen sie vor einer Sackgasse, die kaum zwei Meter lang war und stank wie eine Kloake. Auf dem Boden lagen geleerte Bierflaschen herum und in einer Ecke lag wochenaltes Erbrochenes. Er hielt scharf den Atem an, während das Mädchen mit dem Brechreiz kämpfte. Kein schöner Ort für einen Kampf mit den Rogues, aber besser als nichts. Ob sie auf dem Klo starben oder hier, war auch egal.
Es dauerte keine zwei Sekunden, bis die beiden Blutjunkies hineingestolpert kamen. Der Vampir drängte sich vor das Mädchen, seine rechte Hand ruhte auf dem Knauf seines Titandolches. Der Orden hatte ihm geraten, Titan mitzunehmen, für den Fall, dass er angegriffen wurde. Und das sollte sich nun hoffentlich bezahlt machen. Noch bevor der erste Bastard wusste, was da auf ihn zukam, ließ er den Dolch durch die Luft fliegen. Er traf den Rogue genau zwischen den Augen, er schrie auf vor Schmerz und der Vampir hoffte inständig, das er keine ungebetene Aufmerksam auf sich zog. Der verwundete Rogue begann, zu rauchen und zu zischen, etwas, das er in Alaska noch nie zuvor gesehen hatte. Wie faszinierend das Schauspiel auch war, bei dem sich der Rogue allmählich in Schleim und dann in Asche verwandelte, es blieb keine Zeit, zuzuschauen. Er war froh, dass es einer weniger war, aber ihm war klar, dass der härteste Teil noch vor ihm lag. Er hörte das Mädchen hinter sich weinen und würgen und wusste, dass er alles daran setzen musste, sie zu schützen.
"Gut, dass du ihn ausgeräuchert hast", grunzte der Rogue. Er schien riesig zu sein, aber nicht größer als der aus Alaska. Beiden waren die Fangzähne vollständig ausgefahren, zwei Augenpaare sprühten bernsteinfarbenes Feuer, zwei verwandelte Bestien standen sich fauchend gegenüber. Beide gleichgroß, beide unbewaffnet - zumindest hoffte er das. "Jetzt hab ich die Frau für mich allein. Danke."
"Vergiss es, Arschloch!", zischte der Vampir zwischen den Zähnen hindurch und stürzte sich in blinder Wut auf den übrigen Rogue. Der kam hart an der Wand auf, prallte ab und riss seinen Angreifer mit sich nach unten auf den Boden, in eine Pfütze die verdächtig nach Urin roch. Doch das war jetzt ganz egal. Zu allem Pech lag der Rogue oben und hatte seinen wilden Blick auf das Mädchen geheftet. "Vergiss es", wiederholte der andere, als ein brennender Schmerz durch seinen Kopf fuhr. Er holte aus und schlug mit der Faust so kräftig gegen die Schläfe des anderen, dass er wieder zur Besinnung kam und sich fuchsteufelswild zu ihm umwandte. Einen Moment lang sah er so aus, als wollte er zurückschlagen. Doch dann schnellte der Kopf des Rogues nach vorn und er schlug die Zähne in den Hals des Vampirs aus Alaska.
Tosende Schmerzen durchzuckten ihn. Er schlug weiter auf den Rogue ein, auch wenn ihn das herzlich wenig kümmerte. Er war damit beschäftigt, unbarmherzig an der Wunde zu saugen. Er merkte, dass er rasch an Blut verlor, konnte kaum noch klar sehen, wurde schwächer, aber auch zorniger. Wieder holte er aus, aber der Rogue parierte den Schlag. "Erst sauge ich dich aus und dann kümmere ich mich um deine Freundin", grunzte dieses Monster mit stinkendem Atem nah an seinem Ohr. Näher, als es ihm eigentlich lieb war.
"Lauf weg!", rief er nun dem Mädchen zu. "Verdammt, lauf weg so weit du kannst!" Aber sie blieb. Sie blieb und starrte betroffen auf die Szene, die sich ihr bot. Sie weinte nun, hielt den Blick fest auf ihn gerichtet. Und plötzlich stand da etwas in ihrem Blick, das nicht mit ihrer Schüchternheit zu tun hatte. Sie war entschlossen, ihm zu helfen, wenn sie auch noch nicht wusste, wie. Sie schien so konzentriert zu sein, dass es sie schon anstrengte. Ihr Zopf hatte sich vollkommen aufgelöst und noch immer starrten ihre klaren, blauen Augen die seinen an. Bis sie auf einmal den Blick auf den Rogue richtete.
Im selben Moment wurde dieser ganz still, hörte sogar auf zu atmen. Und er selbst auch, wie er nun feststellte. Sein Blut lief nicht mehr, es war wie eingefroren. Der Rogue war so starr wie Stein. Es war ihm ein leichtes, unter ihm heraus zu kriechen. Als er auf den Beinen stand, bemerkte er, dass es ganz still geworden war, keine Menschen mehr zu hören, keine Züge, kein gar nichts. Er sah das Mädchen an und war erstaunt. Sie sagte nichts, starrte immer noch den Rogue an, der gerade an einer nicht vorhandenen Wunde zu saugen schien.
"Was hast du gemacht?", fragte er, obwohl er eine Vermutung hatte.
"Ich weiß nicht", sagte sie apathisch, ohne die Konzentration ihrer Gedanken zu drosseln.
"Aber ich", sagte er, "du hast gerade die Zeit angehalten."
"Nein", sagte sie ungläubig, "das kann nicht sein." Er wusste, dass er die Gelegenheit nutzen sollte, um den Dolch aufzuheben und dem elenden Leben des Rogue ein Ende zu machen, doch er war zu gebannt von dem Mädchen und ihrer unfassbaren Gabe.
Wie nützlich sie im Kampf gegen die Blutsucht sein könnte.
Er war wie gelähmt, obwohl er von diesem Stopp der Zeit verschont geblieben war. Sie konnte es kontrollieren, erkannte er. Und wenn sie sich erst einmal mit einem Stammesvampir im Blut verbunden hatte, dann konnte sie ihre Gabe sogar beherrschen. Oh Gott, was dachte er denn da. Sie war siebzehn Jahre alt und hatte ihm gerade das Leben gerettet. Vor ihm lag noch immer ein blutrünstiger, zum Rogue mutierter Vampir, der auf seinen Gnadenstoß wartete. Er bückte sich, hob die Klinge auf und rammt sie dem anderen bis zum Anschlag in den Rücken.
Einen Wimpernschlag lang geschah nichts. Dann kehrte all der ohrenbetäubende Lärm zurück. Seine Wunde blutete erneut. Der Rogue schrie in seinem Todeskrampf, dampfte und verwandelte sich genauso schnell wie sein widerwärtiger Kumpan. Auch der Schmerz in seinem Hals kam zu ihm zurück, aber ansonsten fühlte er sich wieder gut. Er wartete, bis der Rogue sich vollkommen aufgelöst hatte. Dann hob er den Dolch auf, reinigte die blutige Klinge an seinem Mantelsaum. Er würde ihn hier zurück lassen müssen, das wusste er. Er steckte den Dolch nun in seine Hosentasche, schälte sich den Mantel vom Körper und band den Schal neu um seinen Hals. Der Rogue hatte ihn nur beißen können, da dieses Stück Stoff verrutscht war. Nun wickelte er ihn als eine Art Verband. Bei seinem Gepäck hatte er einen Erste Hilfe Koffer. Er würde sich damit aushelfen können. Und wenn das nichts half, würde er sich doch noch einen Menschen an seinen Mund holen. Aber er würde sich hüten, dieses unschuldige Mädchen anzurühren.
Er drehte sich zu ihr, erfüllt von aufrichtiger Dankbarkeit. Doch sie stand nicht mehr. Sie war zusammengebrochen. Lag auf dem Boden und weinte noch mehr. Vorsichtig näherte er sich ihr und ging in die Hocke. Sie war so tapfer gewesen. Still bewunderte er sie. Wäre sie nicht gewesen, wäre er gerade gestorben. Andererseits wäre auch sie ohne ihn den Rogues in die Hände gefallen. Sie hatten sich also gegenseitig gerettet. Das sagte ihm, dass er noch viel lernen musste, wenn er sich als Rekrut beim Orden beweisen wollte.
"Bist du in Ordnung?", fragte er sie sanft. Er sah, wie sie nickte und dann mit tränennassem Gesicht zu ihm hochsah.
"Es tut mir Leid. Wegen mir hätten diese Kerle Sie beinahe getötet", schluchzte sie.
"Unsinn", sagte er und streichelte zärtlich ihre Wange, "wegen dir ist dieses Schwein Geschichte. Du hast die ganzen Menschen hier davor bewahrt, ausgesaugt zu werden." Sie war eine kleine Heldin.
Noch immer war sie nicht überzeugt, aber das war ihm jetzt egal. Er half ihr auf die Beine und legte ihr den Arm um die Hüfte, damit sie sich an ihm abstützen konnte, während er sich zurück zu seinem Gepäck bewegte. Es stand noch genauso dort, wie sie es zurückgelassen hatten. Als sie angekommen waren, ließ er sie auf die Bank gleiten. Dann suchte er in seinem Koffer nach seiner kleinen, ledernen Tasche, die seine behelfsmäßige Erste Hilfe Ausrüstung enthielt. "Komm mit", sagte er, als er gefunden hatte, wonach er gesucht hatte. Sie nickte schwach und er griff ihr wieder unter die Arme. Zusammen bahnten sie sich ihren Weg zu den Toiletten, diesmal nahmen sie auch die richtige Abzweigung. Angestoßen durch seinen mentalen Befehl, ließ das Drehkreuz die beiden durch, ohne dass sie einen Dollar Gebühr bezahlen mussten.
Es war niemand hier, also schlüpfte er mit ihr aufs Damenklo. Er ging davon aus, dass es dort angenehmer war als nebenan. Auch hier war es zum Glück leer. Er setzte sie behutsam auf die Anrichte, in der zwei Waschbecken eingelassen waren und erhaschte dabei einen Blick auf sein Spiegelbild. Er sah leicht mitgenommen aus, sein Haar verwuschelt, seine Fänge verschwunden und seine Augen wieder silbrig leuchtend wie immer. "Darf ich deine Jacke öffnen, ich will sehen, ob dir etwas fehlt", sagte er vorsichtig, wollte nicht, dass sie dachte, er würde die Situation ausnutzen wollen, um sie zu berühren. Ihr war nämlich sicherlich nicht entgangen, dass er die Tür verriegelt hatte. Wieder nickte sie nur. Ihre Augen waren halbgeschlossen, ihr Atem ging flach. Hoffentlich war sie nur erschöpft.
So erging es vielen Stammesgefährtinnen, nachdem sie ihre Gabe eingesetzt hatten. Sie fühlten sich dann müde und ausgelaugt, völlig am Ende ihrer Kräfte. Ihr fehlte nichts bis auf den Kratzer an ihrem Unterarm, der bereits wieder aufgehört hatte zu bluten. Nichts desto trotz nahm er sein Desinfektionsgel und reinigte sorgfältig ihre Wunde. Dabei starrte sie schuldbewusst auf seinen Hals.
"Sie verlieren viel Blut", stellte sie besorgt fest.
"Mach dir darum keine Gedanken. Ich komm schon klar. Ich besorge mir nachher einen kleinen Snack und dann wird's mir besser gehen", erwiderte er grinsend. Er war sich nicht sicher, ob sie verstand, was er damit meinte, aber ihr Blick war finster.
"Sie können von mir trinken, wenn Sie wollen. Das schulde ich Ihnen, jetzt, wo sie mein Leben gerettet haben", bot sie ihm entschlossen an. Sie war eine Stammesgefährtin, das stand ganz außer Frage, auch wenn er ihr Mal noch nicht gesehen hatte. Und er würde sich hüten, von ihr zu trinken.
"Wie heißt du?", fragte er sie nun, wo er seinen Schal von seinem blutverschmierten Hals schälte. Sie sah ihm ohne den leisesten Ekel dabei zu. Vielmehr war sie wie hypnotisiert von den beiden feinen Einstichen, wo der Rogue seine Zähne in seinen Hals gebohrt hatte.
"Liana", sagte das Mädchen und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Spiegel. "Ich komme aus England. Ich glaube, das hört man auch, oder?" Er nickte und betrachtete nun ausgiebig seine Verletzung. Sie sah gar nicht so schlimm aus, wie er vermutet hatte. Das Blut, das er vor wenigen Tagen zu sich genommen hatte, pochte noch immer stark durch seine Venen, ließ seine Wunden schneller heilen. Neue, straffe Haut spannte sich bereits darüber.
"Ja, ich hab deinen Akzent bemerkt. Klingt wie der von jemandem, den ich kenne." Gideon, dachte er grinsend. Er drehte das Wasser auf und reinigte seine schmutzige Haut.
"Wie heißen Sie?", fragte das Mädchen nun neugierig. Sie war zwar erschöpft, aber noch nicht müde genug, um jetzt einfach ruhig zu sein und zu schlafen. Vielleicht hatte sie auch Angst, in seiner Gegenwart zu schlafen.
"Kade", antwortete er. "Ich bin auf dem Weg nach Boston."
"Was ehrlich? Daher komme ich gerade", erkannte sie mit funkelnden Augen, was Kade ein neues Lächeln entlockte.
"Ich hoffe, dir hat's da gefallen. Ich werde den Rest meines Lebens dort verbringen", erinnerte er sich selbst. Kühle Vorfreude schüttelte ihn bei dem Gedanken daran, dass er bald mit dem Orden auf der Straße sein und Rogues töten würde.
"Es war ganz nett dort. Ich war nicht lange da. Kade…brauchen Sie nun Blut oder nicht?", fragte sie noch einmal unsicher.
Kade sah sie mit aufrichtiger Bewunderung an. Aber er schüttelte den Kopf. "Nein, ich glaube nicht. Aber ich möchte, dass du mir etwas versprichst. Biete dich niemandem mehr so offenherzig an wie mir gerade, ja? Es ist nicht jeder so freundlich, es abzulehnen." Plötzlicher Beschützerinstinkt stieg in ihm auf.
"Warum nicht?", wollte Liana wissen. Die großen blauen Augen des Mädchens sagten ihm, dass sie es wirklich nicht wusste.
"Weil du eine Stammesgefährtin bist", sagte er kurz und bündig.
Liana schien es nicht zu verstehen. "Ich bin zwar bei einer alten Stammesgefährtin aufgewachsen. Aber das…warum soll ich mich keinem Vampir anbieten, wenn er doch meine Hilfe braucht?"
Kade war verwirrt. Sie wusste bescheid über das Vampirvolk und wusste, dass sie eine Stammesgefährtin war. Aber sie wusste nicht, was das bedeutete? "Weil du diesen Vampir unauflöslich an dich bindest. Er ist dann dein Gefährte. Du wirst dich seiner immer bewusst sein, wirst immer wissen, wo er ist, egal, wie weit ihr voneinander entfernt sein. Wenn du im Gegenzug regelmäßig sein Blut zu dir nimmst, wirst du so gut wie unsterblich sein. Und dieser Bund ist keine Hochzeit. Du kannst dich nicht scheiden lassen. Ihr werdet so lange miteinander verbunden sein, bis einer von euch das zeitliche segnet." Es war eine Schnelllektion in Sachen Vampirtradition. Vielleicht erwähnte er lieber nichts von den anderen Gefühlen, die eine Blutsverbindung mit sich brachte.
"Die Frau, die mich aufgezogen hatte, war aber alt", sagte Liana dreist, aber überlegt.
"Dann ist ihr Gefährte gestorben. Vielleicht hat sie dir nichts davon erzählt, um dich vor demselben Schicksal zu bewahren."
"Ich wusste ja, dass Vampire nur mit Stammesgefährtinnen Kinder kriegen können, aber von einer Blutsverbindung hab ich noch nie was gehört… Haben Sie eine Gefährtin, Kade?"
Kade lachte trocken auf. "Bei Gott, nein! Und die kann ich im Moment auch überhaupt nicht gebrauchen!"
Liana wollte nicht nachfragen und Kade war auch nicht böse drum. Wenn sie schon nichts von der Blutsverbindung wusste, dann wusste sie wahrscheinlich auch nichts vom Orden. Es entstand eine Stille zwischen den beiden, die er nutzte, um auf die Uhr zu sehen. Halb zwei. Noch immer dauerte es ewig, bis er weiterreisen konnte. Aber auch Liana musste noch warten.
"Wo fährst du eigentlich hin?", fragte er sie.
"Anchorage. Ich mache ein Austauschjahr dort", erklärte sie stolz und mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen.
"So ein Zufall…", grinste Kade, "genau da komme ich gerade her. Hör mal, ich werde einen Teufel tun und dir Vorschriften machen, so wie es einige Idioten aus der Agentur gerne tun, in dem sie Stammesgefährtinnen dazu zwingen, in einem Dunklen Hafen zu leben. Aber tu mir einen Gefallen und melde dich beim Dunklen Hafen in Fairbanks, wenn du angekommen bist. Sag ihnen, dass du eine Freundin von mir bist. Du musst nicht dort bleiben, aber lass sie wissen, dass du in der Gegend bist, damit sie ein Auge auf dich haben, ja? Ich gebe dir die Adresse…" Wieder stieg der Beschützerinstinkt in ihm hoch, den Kade selten zuvor gekannt hatte.
"Kade?", fragte Liana, nun wieder unsicher. "Was genau ist ein Dunkler Hafen?" Es war ihr peinlich.
"Oh mein Gott", lachte Kade, wahrhaftig amüsiert. "Hat man dir denn gar nichts erklärt?"
"Doch. Dass es Vampire gibt. Gute und Rogues. Aber Sie sind der erste, den ich je getroffen habe."
Irgendwie freute es Kade, das zu hören. Er setzte sich neben sie auf die Anrichte und begann, zu erklären.
