Titel: Spielkameraden
Inhalt: Dexter findet einen Spielkameraden.
Altersfreigabe: ab 12 Jahren
Teil: 1/4
Disclaimer: Alle in dieser Story verwendeten Charaktere und Grundkonzepte sind Eigentum der jeweiligen Rechteinhaber. Sie werden einzig und allein zu Unterhaltungszwecken genutzt. Eine Copyright-Verletzung ist weder beabsichtigt noch impliziert. Spoiler: 1.03 Popping Cherry, 10.7 Cirle of Friends
Hauptcharakter(e)/Paar(e): Dexter Morgan, Jeremy Downs
Kommentar: Ihr erinnert euch an Jeremy Downs, den jungen Mörder und möglichen Spielkameraden, auf den Dexter aufmerksam wurde? Ich hatte mich schon auf einen interessanten Spannungsbogen mit ihm gefreut, als Jeremy am Ende von ‚Circle of Friends' Selbstmord begeht. Hier ist meine Version der Geschichte, in der Dexter ihn noch rechtzeitig im Untersuchungsgefängnis besucht.Spielkameraden Kapitel 1
Als Polizeibeamter kam ich leicht ins Untersuchungsgefängnis. Ich war aufgeregt wie ein Mädchen vor dem großen Abschlussball, zumindest glaubte ich, etwas Annährendes für meine Verhältnisse – ruhig, ruhig– zu empfinden.
Er sah mich an, als hätte die Queen von England ihn persönlich mit ihrem Besuch beehrt. Ich lächelte und erlaubte mir einen Scherz: „Ich habe doch meine Lockenwickler rausgenommen", sagte ich und fasste mir ins Haar.
Jeremy hatte keine Reaktion für mich übrig.
Seine Augen waren rot umrandet. Er sah aus, als wäre er wie ein Tier im Käfig unruhig hin- und hergetigert. Er wirkte verstört. Plötzlich hatte ich das Gefühl, gerade rechtzeitig gekommen sein, bevor er etwas Dummes getan hatte.
Aber das war auch kein Wunder. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wäre ich auf 10 Quadratmetern eingesperrt mit einer Pritsche, die sich als Bett bezeichnet und einer Toilettenschüssel, bei der mich jeder beim Pinkeln beobachten könnte. Ich wartete nur auf den Tag, an dem ich hier enden würde. Hinter Schloss und Riegel wie andere Mörder auch. Ich hätte es verdient. Nichtsdestotrotz tat ich alles, um das zu verhindern.
„Jeremy, ich bin hier, um dir zu helfen." Ich streckte meine Hand nach seinem Arm aus, aber er zuckte zurück.
Unwirsch antwortete er mir: „Ich bin im Gefängnis. Danke für nichts."
Ich schluckte mein Aufkeimen von Zorn herunter. Warum war ich sonst hier? Um in meiner Mittagspause Snacks zu verkaufen? Frische Hot Dogs, Bier, wer von euch Knackis hat noch nicht?
Ich blickte mich nach dem Wärter um. Er war weg. Eine Viertelstunde hatte er uns gegeben. Ich bedeutete Jeremy, sich auf die Pritsche zu setzen. Etwas zögerlich folgte er meinem Beispiel. Jeremys Blick ging zu Boden und meine Wut verrauchte im Nichts. Was ich vor mir sah, war ein Häufchen Elend, ein Spiegelbild meiner Selbst in einem Paralleluniversum. Ich hätte ebenso gut in diesem Untersuchungsgefängnis landen können, wäre Harry, mein Adoptivvater, und sein Codex nicht gewesen.
„Orange steht dir nicht", sagte ich diesmal fast liebevoll, in Anspielung auf seine Häftlingskleidung. „Hör zu, ich werde mit deinem Anwalt reden und sehen, was sich machen lässt."
„Vier Jahre", krächzte Jeremy aufgebracht, „Ich kriege mindestens vier Jahre. Mindestens. Nichts wird sich je ändern." So viele Jahre hatte Jeremy Downs im Jugendgefängnis absitzen müssen, und dabei hatte man damals auf Totschlag, nicht auf Mord plädiert, weil der Gerichtsmediziner der Meinung war, die Messerstiche seien aus dem Affekt geschehen. Selbst ein Blinder mit Krückstock hätte gesehen, dass zu viele Hauptarterien durchtrennt worden waren, als das alle Zufälle gewesen wären.
Er unterdrückte Tränen, doch seine Nase lief, die er mit dem Handrücken rieb.
„Das kriegen wir hin, Jeremy." Ausgerechnet ich sollte mich jetzt in Psychologie versuchen, sensibel sein, auf menschliche Emotionen eingehen. Halt, Stopp, der Junge tickte genauso wie ich. Deshalb war ich hier. Ein Treffen unter Kollegen.
Jeremy hatte mindestens zwei Menschen getötet, beinahe Nummer drei im Flamingo Park, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre. Präzise hatte er jede wichtige Ader getroffen. Seine Opfer waren schnell verblutet. Gerade neunzehn Jahre alt und schon ein Perfektionist. Mit dem Messer war der Junge ein richtiger Künstler.
Kaltblütig.
Emotionslos wie ich.
„Erinnerst du dich, was ich dir gesagt habe?", fragte ich ihn. „Ich bin leer, doch ich habe einen Weg gefunden, dass es sich nicht bodenlos anfühlt. Je mehr ich mich gegen die innere Leere wehre, desto stärker wird sie. Ich spüre, wenn sie sich aufbäumt, wie Migräne, und mindestens genauso unausweichlich. Ich kann noch so sehr dagegen ankämpfen, ich bleibe... ein schwarzes Loch. Eine Fassade, die keiner durchschaut."
Endlich sah Jeremy auf. Er biss sich auf die Unterlippe. Stumm kullerten Tränen über seine Wangen. „Ich kann nicht anders."
Mein Date hatte mir weiche Knie beschert.
Leider findet man Spielkameraden meines Kalibers nicht in Kleinanzeigen. Serienmörder sucht Gleichgesinnten zum Austausch. Morden ist nicht wie Lesen. Es gibt Buchclubs, keine Mordclubs. Bisher hatte ich einen Spielkameraden, eine verwandte Seele gesucht und was serviert bekommen? Einen Möchtegern-Kühllasterkiller namens Neil Perry. Der Meister selbst hielt sich weiterhin bedeckt.
Mir wurde klar, dass ich soeben einen Schüler bekommen hatte. Ich wusste nicht, ob ich sein Harry sein konnte, ob ich dazu fähig war, jemanden zu leiten. Ich konnte ihn ja nicht einmal richtig trösten.
„Ich werde dir helfen, wie Harry mir geholfen hat", versprach ich ihm. „Wenn du wie Lieschen Müller durch das Leben gehen willst, musst du dich auch so benehmen. Und bei deinem anderen Problem kann ich dir auch behilflich sein." Vorerst wollte ich für mich behalten, dass ich ein Serienmörder mit einer langen Liste auf dem Kerbholz beziehungsweise mit vielen Blutproben war.
Jeremy blickte mich mit leichtem Stirnrunzeln an, aber meine Erklärung würde warten müssen, der Gefängniswärter stand bei Fuß. Die Zeit war wie im Flug vergangen.
Ich erinnerte Jeremy dezent an meinen Glückskeksrat, Gefühle vorzutäuschen. Bevor ich ging, versprach ich, wiederzukommen.
~ * ~ * ~
Zurück im Labor schaute ich mir in die Videoaufzeichnung von Jeremys Verhör an. Seine rötlich blonden Haare hingen ihm in den Augen, was vielleicht gar nicht schlecht war. Er sagte kein Sterbenswörtchen, bis sein idiotischer Anwalt eintraf, der sich Zeit gelassen hatte. Er gab seinem Mandanten den Rat zu schweigen und so verließ der befragende Polizist das Verhörzimmer unverrichteter Dinge.
Wenn Jeremy clever war, würde er sich eine glaubwürdige Geschichte ausdenken.
Dabei konnte ich ihm sicher auch dienlich sein, allerdings war mir bewusst, dass ich keine Strafe würde abwenden können. Der Highschoolschüler war tot und die Beweise zeigten eindeutig auf Jeremy. Ich könnte sie fälschen oder verschwinden lassen, aber widersprach das nicht Harrys Codex?
Ich wünschte, Harry würde noch leben. Ich wünschte, ich könnte mit ihm reden.
Jeremy Downs Akte wies eine beträchtliche Anzahl von Diebstählen auf. Ich fragte mich, was mit seiner gewalttätigen Seite war, von der bis zum ersten Mord (Totschlag) in der Polizeiakte nichts zu lesen war. Ich erinnerte mich an den Jungen, den ich nach Jeremy ausgefragt hatte. Er hielt mich für einen Freier. Jeremy hing im Park ab und kam immer mit einer Handvoll Dollar zurück. Das musste seine Masche sein: Sich als Stricher auszugeben, um dann seine Opfer auszurauben. Ich glaubte nicht, dass Jeremy ein Stricher war, nachdem er mir gestanden hatte, dass er vergewaltigt worden war. Dagegen sprach seine Mordlust.
In einer Spielhalle hatte ich ihm gestellt und überwältigt, nachdem ich seinen zweiten Mordanschlag vereiltet hatte. Beinahe hätte ich ihn getötet, wie jeden anderen Kriminellen, der durchs Raster der Gerechtigkeit gefallen ist. Jeremys erste Mordopfer war sein Vergewaltiger gewesen, reimte ich mir zusammen.
Selbstjustiz in seiner grausamen Perfektion. Er war mir sofort sympathisch.
Was jeder schon mal am Stammtisch für einen Vergewaltiger oder Mörder gefordert hat, war meine dunkle Passion, mein Codex. Und es sollte auch Jeremys werden.
„Hey, wer ist das? Sieht dir ein bisschen ähnlich." Deb war plötzlich hinter mir aufgetaucht, ohne dass ich es bemerkt hatte.
„Der Mord an der Highschool. Das ist unser Täter", antwortete ich knapp und schlug die Mappe vor ihren Augen zu.
„Donut?", fragte Deb.
„Donut ist immer gut."
