„Del Mar", gellte ein Schrei über das Feld. „Verdammt noch mal, kneif Deinen Schwanz ein und konzentrier Dich auf die Arbeit ! Auf den letzten hundert Metern hat kein Rind auch nur einen Grashalm gesehen !"
Ennis fuhr zusammen und blickte unter seiner Hutkrempe hervor. Sein Vorarbeiter stand keine fünf Meter von ihm entfernt auf dem Heuwagen und blickte ihn zornig an. Ennis nickte ihm kurz zu und fuhr, ohne ein Wort zu sagen, mit seiner Arbeit fort.
Er wusste nicht mehr, das wievielte Mal er diese Woche zusammen geschissen worden war – und es war ihm auch herzlich egal. Er hatte seit drei Wochen ganz andere Probleme, die ihn weder schlafen noch arbeiten ließen.
Er seufzte. „Fuckin' Twist", dachte er und wieder sah er Jacks Gesicht vor sich. Enttäuschung, Trauer, Wut und eine herzzerreißende Hoffnungslosigkeit, als er ihm gesagt hatte, dass er nicht mit ihm zusammen leben kann. In dem Moment, in dem er die Worte ausgesprochen hatte, bereute er sie auch schon zutiefst, aber es war zu spät. Er hatte Jack einen Dolchstoß verpasst und konnte nichts weiter tun als ihm zuzusehen, wie er vom Hof fuhr.
Sein Magen zog sich zusammen und wieder verspürte er diese undefinierbaren Schmerzen in seiner linken Brusthälfte. Ob er doch mal zum Arzt gehen musste? Er lachte trocken auf. Nein, ein Arzt konnte ihm auch nicht helfen. Mit Whiskey hatte er in den letzten Wochen versucht, die Schmerzen in den Griff zu bekommen und merkte, dass das auch nicht mehr funktionierte.
Nachts wurde er von Alpträumen verfolgt. Darin sah er Jack immer wieder vom Hof fahren, er wollte ihm hinter her rufen, aber sein Mund war verklebt und kein Wort kam aus ihm heraus. Er versuchte, Jack hinterherzulaufen und merkte, dass seine Füße am Boden angepflockt waren. So stand er nur da, hilflos, und sah zu, wie sein Leben davon fuhr. Im selben Moment kamen Krähen vom Himmel herunter und rissen ihm das Herz heraus. Das war der Zeitpunkt, in dem er aus dem Schlaf hochfuhr, nass geschwitzt. Manchmal hatte er das Gefühl, geschrieen zu haben aber immer öfter wachte er auf und Tränen liefen über seine Wangen.
Sein Vorarbeiter hatte ihn diese Woche bereits zum zweiten Mal in sein Büro zitiert und ihm unmissverständlich klar gemacht, dass seine Uhr abläuft, wenn er weiter so viele Fehler macht. „Und Del Mar", hatte er hinzugefügt, „sieh zu, dass Du das Problem mit Deiner besseren Hälfte in den Griff bekommst. Du läufst rum wie nen verprügelter Hund. Bei der Miene, die du ziehst, geben meine Kühe bald saure Milch." Er lachte meckernd auf. „So sind sie, die Weiber. Ohne geht's nicht und mit noch viel weniger."
Ennis sah ihn nur kurz an, nickte und ging wortlos raus. „Weiber", dachte er, „Wenn es doch nur so einfach wäre. Wenn Du wüsstest, dass mein Weib nen Schwanz zwischen den Beinen hat, dann würdest Du mich schneller vom Hof jagen als ich gucken könnte."
Aber in einem Punkt hatte sein Boss Recht, er konnte nicht so weiter leben wie bisher. Sein Alkoholkonsum überschritt das Erträglich, er ließ sich gehen. Immer öfter überkam ihn die Frage, wofür sich sein täglicher, einsamer Kampf eigentlich lohnt. Was war es, was er wollte?
An diesem Abend saß er auf der Veranda seines Hauses und sah in die Abenddämmerung. In drei Tagen würde er Jack wieder sehen. Das Treffen war schon seit Monaten geplant. Er dachte an Jack und an ihr Wiedersehen. Bei dem Gedanken an Jack durchfuhr ihn ein Kribbeln. Er spürte Jacks Begrüßungskuss, seine Umarmung und entspannte. Er nahm einen tiefen Schluck aus seiner Whiskeyflasche und lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Er stellte sich vor, Jack würde neben ihm sitzen und mit ihm den Sonnenuntergang anschauen. Sie würden sich unterhalten – was so viel bedeutete, dass Jack hauptsächlich sprach und Ennis zuhörte, zugegeben. Sie würden gemeinsam trinken, rauchen, sich die Ärgernisse der letzten Wochen anvertrauen, Jack würde über L.D. Newsome fluchen und Ennis damit zum Lachen bringen. Später am Abend würden sie ins Bett gehen und sich leidenschaftlich lieben, wieder und immer wieder.
Ennis seufzte und öffnete die Augen. Neben ihm saß niemand. Er war so allein wie eh und je und es kotzte ihn an – mehr als jemals zuvor in seinem Leben.
