„Schlammblut!", schrie Draco.
Ich war überrascht und geschockt. Wieso nannte er mich so? Naja, er hatte mich schon öfter hart beschimpft, aber nach letzter Nacht? Nach all dieses Nächten?
Seine sogenannten Freunde – man sollte er sagen Gorillas oder Bodyguards vielleicht? – Crabbe und Goyle lachten. Draco lachte nicht, aber das machte es nicht besser.
Ohne ein Wort zu sagen, drehte ich mich um und rannte zur nächsten Tür, die ich finden konnte. Es war das leere Klassenzimmer von Professor Flitwick. Ron und Harry folgten mir.
„Hermine", sagte Ron in dem Versuch mich zu trösten, „er ist nur ein dummer Slytherin. Was erwartest du da?"
Dass er es nicht tut. Dass er anstatt mich zu beschimpfen umarmt.
Doch ich sagte nichts. Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nichts sagen können. Ich hatte einen Kloß im Hals.
Ich dachte an letzte Nacht und brach auf dem Boden zusammen, wo ich heulend liegen blieb. Ich dachte an seine Hände in meinen Haaren, an meinem Gesicht, auf meinen Hüften. Seine warmen, weichen Lippen aus meinen. Sein Körper an den meinen gepresst und die kalte Wand in meinem Rücken.
Ich schluchzte. Harry setzte sich neben mich und nahm mich in die Arme. Ich lehnte mich an seine Schulter und ließ den Tränen freien Lauf. Ron blieb stehen, und ich wusste, dass er sich unwohl fühlte und nicht wusste, was er tun sollte.
„Hey, alles wird wieder gut. Das ist nur Malfoy, okay? Nur Malfoy."
Nein!, dachte ich. Er ist nicht einfach ‚nur Malfoy'. Ich wollte Harry anschreien, aber natürlich konnte ich das nicht laut aussprechen. Seit die beiden sich vor fünf Jahren zum ersten Mal gesehen hatten, hassten sie sich. Und Ron … Ron konnte Malfoy auch nicht leiden. Es war einfach unmöglich, den beiden zu offenbaren, wie ich wirklich fühlte.
Langsam begannen meine Tränen zu versiegen. Harry stand auf und half mir dann hoch.
„Ist alles wieder in Ordnung?", fragte Ron und schaute auf irgendeinen Punkt hinter mir.
Nein, nichts war in Ordnung.
Dennoch nickte ich. Wir gingen zurück zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum. Nur Ginny war da. Sie saß auf dem Boden vor dem Kamin und las. Als wir reinkamen sah sie hoch und lächelte. Aber als sie mich sah, gefror ihr Lächeln.
Verdammt, sehe ich so schlimm aus?
Ginny klappte ihr Buch zu. „Was ist passiert?", fragte sie.
Eine Stimme in meinem Kopf flüsterte: „Du kannst ihr alles erzählen…"
Harry antwortete: „Malfoy ist passiert."
Ron war jetzt wirklich sauer. „Er hat sie Schlammblut genannt! Schon wieder! Dieses kleine Stück Dreck! Wie kann er es wagen?!" Seine Ohren liefen knallrot an.
„Ron", sagte ich. „Komm mal wieder runter."
Er schaute mich an. In seinem Blick lag etwas … Sorge? Irgendwie traurig. Ich setzte mich neben Ginny und begann erneut zu weinen und Ron schrie: „Runterkommen? Wie könnte ich, wenn er dich so schlimm beleidigt?!"
Ginny wusste schon, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. „Ähm Jungs", sagte sie, „das ist jetzt nicht böse gemeint, aber geht einfach, ja?"
Ron und Harry tauschten einen Blick. Dann nickte Harry und ging die Treppen hoch in den Jungenschlafsaal. Ron zögerte einen Augenblick, dann warf er mir einen letzten Blick zu und presste die Lippen zusammen. Aber schließlich drehte er sich um und folgte Harry.
Ginny sagte ernst: „Hermine! Ich sehe, dass es dir schrecklich geht! Was ist passiert?"
„Er-e-e-er wollte Harry verhexen. Ich weiß nicht, warum. Aber ich kam genau in diesem Augenblick dazu und bemerkte es. Also hab' ich ihn entwaffnet." Ich schluchzte. „Ich wollte doch nur Harry helfen. Er ist mein bester Freund. Und Dra- oh, ähm Malfoy hat mich angesehen. Mit diesem Blick. Es war einfach schrecklich. Eine Mischung aus Wut und Trauer und noch etwas. Enttäuschung. Und dann schrie er es."
Ich spürte, wie mir die Tränen in Strömen über die Wangen liefen. Ginny gab mir ein Taschentuch.
Nachdenklich schaute sie mich an. „Mhh", machte sie. „Ich weiß, dass Malfoy dich auch früher schon Schlammblut genannt hat. Damals hast du ihn geschlagen. Oder einfach ignoriert. Also: Was ist dieses Mal anders?"
Ich schaute hoch und in ihre Augen. Ich wollte ihr alles erzählen, aber wieder brachte ich keinen Ton heraus. Und dann weiteten sich ihre Augen in Erkenntnis. „Oh", sagte sie leise und dann „OH MEIN GOTT!"
Sie schlang ihre Arme um mich. Wir saßen lange Zeit so da. Schließlich fragte sie: „Seit wann?"
„Seit ein paar Wochen. Naja, seit drei."
„Wie?!"
„I-ich habe schon lange Gefühle für ihn. Ich hab's nie jemandem gesagt. Wem auch? Und dann habe ich ihn in einem Korridor getroffen. Er war allein und ich ebenfalls. Er kam mir ziemlich nah, weißt du. Ich wollte weg, doch ich konnte mich nicht bewegen. Erst dachte ich, er will mir erneut Beleidigungen an den Kopf schmeißen, wie sonst auch. Aber er tat's nicht. Er kam immer näher und plötzlich hatte er mein Gesicht in die Hände genommen und mich geküsst. Ich wollte ihn von mir weg stoßen, aber um ehrlich zu sein, war es genau das, was ich schon so lange wollte."
Ich konnte mich genau an den Kuss erinnern. Er war kurz gewesen. Kurz, aber zärtlich. Und natürlich hatte ich ihn erwidert. Ich schaute Ginny an, die mich erwartungsvoll anstarrte. „Und dann?", wollte sie wissen.
„Naja", erzählte ich weiter. „Er ist dann ohne ein Wort zu sagen weiter gelaufen. In Zaubertränke hat er mir ein Bild gemalt, vom Kerker und von uns zwei, wie wir uns küssen. Beim Rausgehen zischte er leise ‚halb 1'. Also haben wir uns um halb 1 im Kerker getroffen."
Ich legte mich auf den Boden und schluchzte unkontrollierbar.
Ginny streichelte mir über den Kopf. „Wann trefft ihr euch das nächste Mal?"
„Eigentlich heute Nacht. Aber ich bin mir nicht so ganz sicher, ob ich ihn wirklich sehen will."
Ginny schüttelte mich. „Was? Natürlich willst du!"
Ja, natürlich wollte ich. Aber andererseits hatte er mir sehr wehgetan.
Ginny schüttelte mich immer noch. „Du musst ihn treffen! Du musst mit ihm sprechen!"
Sprechen? Ich wollte nicht mit ihm sprechen. Viel mehr wollte ich ihn küssen. Oder ihn schlagen. Oder auch beides. Ich war so sauer auf ihn, aber ich liebte ihn. Das wurde mir erst in diesem Moment bewusst. Schlagartig hörte ich auf zu weinen. „Ginny", sagte ich geschockt.
„Was ist los?"
„Oh Gott Ginny, ich glaube, ich liebe ihn." Erschrocken setzte ich mich auf. Auch Ginny erstarrte, aber dann grinste sie. „Dann musst du erst recht gehen!"
Ich grinste ebenfalls und nickte. Dann standen wir auf. „Aber erst Mal brauch' ich ein bisschen Schlaf." Ich umarmte sie. „Danke, Ginny. Ich erzähl die morgen alles. Gute Nacht."
Wir gingen beide in unsere Schlafsäle. Ich schlüpfte in mein Bett. Natürlich konnte ich nicht schlafen. Ich machte mir viel zu viele Gedanken. Was wäre wenn?
Und dann war es Viertel nach zwölf. Ich stand auf, ganz leise, um Lavender und die anderen nicht zu wecken.
Ich lief barfuß durch die leeren Korridore und hoffte Filch würde mich nicht erwischen. Es war kalt. Wenn Harry und Ron nur wüssten, was ich gerade tat. Und die beiden dachten tatsächlich, ich wäre die Bravste von uns. Hahaha.
Ich erreichte den Kerker, wo es noch kälter war. Draco stand an eine Wand gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Als er mich sah lächelte er und sagte: „Ich hab befürchtet, du kommst nicht."
Ich zog die Nase kraus und blieb stehen. „Wieso?", fragte ich nur.
Sein Lächeln erlosch und wich einem traurigen Gesicht. „Es tut mir so unendlich leid", sagte er leise.
Ich wollte zu ihm rennen und ihn umarmen. Er sah so traurig und zerbrechlich aus. Mir gegenüber zeigte er auch seine verletzliche Seite. Aber ich zwang mich, stehen zu bleiben.
Er seufzte. „Hey, sagte er. Sei nicht sauer. Hab ich dich jemals nicht beleidigt? Niemand weiß von uns. Was sollte ich den machen?"
Ich schaute auf meine Füße, hörte aber wie er näher kam. „Wieso Schlammblut?", fragte ich.
„Es, es tut mir leid. Wirklich. Es war das Erste, was mir einfiel."
Er nahm mich sanft in dem Arm. Ich war schon lange nicht mehr böse auf ihn. Wie konnte ich auch? „Du schaust mich an und denkst ‚Schlammblut'? Vielen Dank!", sagte ich sarkastisch und versuchte (nicht wirklich) mich loszureißen. Draco spürte, dass wieder alles gut war und hielt mich umso fester. Ich schaute zu ihm hoch und er lächelte mich an. Es war dieses unglaublich seltene Lächeln, das er stets nur mir gab. Er senkte den Kopf und küsste mich. Ich schmolz in seinen Armen nur so dahin. Seine Lippen waren kühler als sonst. Ich fühlte dieses wunderbare Kribbeln in meinem Bauch. Er legte die Arme um meine Taille und ganz automatisch schlang ich meine um seinen Nacken. Ich musste lächeln, es fühlte sich so verdammt gut an. Ich hatte die Augen geschlossen, aber ich spürte, wie er ebenfalls lächelte.
Dann löste er sich von mir. „Ich muss dir was sagen", sagte er ernst.
Oh Gott. Was war denn?
Er lachte. „Schau nicht so erschreckt. Ich liebe dich."
Mir klappte das Kinn herunter. Aber ich fing mich gleich wieder, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft. „Ich liebe dich auch", erwiderte ich.
„Weißt du was?", sagte er. „Wir sollten es den anderen sagen. Du solltest es Harry und Ron sagen. Ich will mich nicht länger hier unten verstecken."
„Okay, lass es uns offiziell machen", grinste ich. Dann küsste ich ihn hart und fordernd. Er erwiderte meinen Kuss ebenso stürmisch. Er zog mich in irgendeinen Raum, ich hatte keinen Ahnung welcher es war, aber es lag ein großer Teppich darin, auf den Draco mich jetzt legte. Er nahm mein Gesicht in die Hände und küsste mich. Nicht so zärtlich wie sonst, sondern voller Leidenschaft und Verlangen. Sein Kuss zeigte mir, dass er genauso fühlte wie ich, dass er mich genauso begehrte, wie ich ihn. Langsam glitt seine rechte Hand nach unten. Kurz bevor sie meine Brust erreichte, fragte er: „Ist das okay für dich?"
Ich grinste. „Mehr als okay."
Das Letzte, an das ich mich erinnere war, wie wir einander die Klamotten vom Leib rissen.
