Der Spiegel sieht mich nicht – Vermouth's Geheimnis

Mit einem befriedigenden „Knall" fiel die Tür hinter Vermouth ins Schloss.
„Endlich Zuhause", stöhnte sie.
Wie immer führte sie ihr Weg als erstes ins Badezimmer.
„Who am I?", flüsterte sie, als sie in den Spiegel sah.
Nur hier, in der Sicherheit ihres Zuhauses, wagte sie es, alle Verkleidungen, alle Masken fallen zu lassen und ganz sie selbst zu sein.
Langsam begann die Rückverwandlung:
Die blonde Perücke wurde zur Seite geworfen und darunter kamen kurz, hellbraune Haare zum Vorschein.
Die getönten Kontaktlinsen versanken in der Kochsalzlösung, sodass die grau-grüne Originalaugenfarbe zu sehen war.
Gurgelnd verschwanden Wasser und Make-Up im Abfluss.
Als letztes fielen die Kleider und Polster zu Boden.
Vermouth sah sich selbst im Spiegel:
Ein zierlicher Mann mit einem sehr feminin wirkenden Gesicht.
Er räusperte sich, den ganzen Tag mit hoher Frauenstimme sprechen zu müssen strapazierte seine Stimmbänder stark.
Nachdem er sich bequeme Kleider angezogen hatte, legte er sich aufs Sofa und versuchte sich zu entspannen.
Aber es gelang ihm nicht.
Gerade heute musste Vermouth wieder an die Menschen denken, die sowohl sein wahres Gesicht als auch seine Maske kannten.
Er hatte damit angefangen sich als Frau zu verkleiden, kurz bevor er sein Schauspiel-Debüt gegeben hatte.
Es war mehr aus Spaß geschehen, doch dann hatte Vermouth festgestellt, das er als Frau sehr überzeugend war und bevor er sich versah, hatte sich das ganze zu einem Selbstläufer entwickelt, den er nicht mehr stoppen konnte – oder wollte.
Natürlich hatten seine Eltern davon gewusst, aber die waren schon lange tot.
Früher oder später wäre er sicher aufgeflogen, als Person des öffentlichen Lebens, als gefeierte Schauspielerin erst recht, aber dann war er bei Toichi Koruba in die Lehre gegangen und das hatte alles verändert.
Toichi Koruba hatte zwar seine Maske durchschaut, hatte ihm aber gleichzeitig das nötige Können und Selbstvertrauen gegeben, alle zu täuschen.
Auch Toichi Koruba war tot, vor acht Jahren gestorben, und damit gab es nur noch zwei lebende Menschen, die seine wahre Gestalt kannten.
Der eine war Anokata.
Die andere war Sherry.
Wie immer, wenn er an Sherry dachte, quälten ihn ein ganzer Haufen widersprüchlicher Gefühle.
Sherry…
Ihm war die Wissenschaftlerin nie besonders aufgefallen, bis sie durch einen dummen Zufall sein Geheimnis entdeckt hatte.
Danach hatte er sie bewusst eingeschüchtert, bis sie panische Angst vor ihm hatte und versprach, niemand etwas zu erzählen.
Erst viel zu spät war ihm klar geworden, dass er sich eigentlich ihre Zuneigung, ihre Liebe wünschte.
Aber sie liebte einen anderen.
Und er begann sie zu hassen.
Nichts brennt so sehr wie unerwiderte Liebe. Und zwischen Liebe und Hass ist dann nur noch ein schmaler Grat.
Dann verriet Sherry die Organisation und er hatte einen Grund sie zu töten.
Aber wollte er das wirklich?