Disclaimer & Kommentar:

1. Die Charaktere gehören MIKE LEIGH und ich denke, damit kann ich leben. ;) Die Liedtexte zu Beginn der einzelnen Kapitel gehören, wie jedes Mal darunter ergänzt, den genialen Halbgöttern "Böhsen Onkelz" und das wird immer so bleiben! Gebt noch mal eine Tour, verdammt!

2. Ich erwarte keinerlei Reviews, da ich mal annehme, dass kaum einer den Film MEANTIME aus den 80er kennt. Der Film wurde ja nie für den deutschen Sprachraum synchronisiert und dürfte deswegen keinen großen Bekanntschaftsgrad in diesen Sprachgefilden gefunden haben. Schade, wie ich finde, da das Lebensportrait der „unteren" Arbeiterschicht im Südlondon der 80er Jahre einfach nur großartig gezeichnet ist!

3. Und natürlich will ich ganz ehrlich sein, dass man mich einfach fängt, wenn man Gary Oldman und Tim Roth in einen Film steckt. Hey, was soll ich machen! grin


Ich zeige dir, was es heißt, allein zu sein.
Ich trinke Tränen, schwarzen Wein.
...
Ich suche nach dem Weg aus der Leere,
Die mein Leben bestimmt.
Ich lass es Tränen regnen...
...
Ich schenk' dir mein gefrorenen Herz.
Ich will, dass du es für mich wärmst...

- Bin ich nur glücklich, wenn es schmerzt -
- - Onkelz - -

„Wir sind morgen Nachmittag zurück, hörst du Colin?" Colin sah auf und in das abwartende Gesicht seines Vaters.
„Yeah." Ihm war es relativ egal, wann sie zurück waren.
„Wenn du Hunger kriegst, mach dir 'ne Scheibe Brot, okay? "
Er sah zu seiner Mutter, die den letzten Knopf ihres Mantels eben geschlossen hatte.
„Yeah."
„Bis dann, Kojak." Mark – grinsend.
„Nenn' mich nicht so", erwiderte Colin und lächelte einwenig. Irgendwie war das zu einem Spiel von ihnen geworden. Mark nannte ihn immer noch 'Kojak', obwohl Colin inzwischen wieder so etwas, wie eine Frisur hatte – einen ca. 4mm langen Igelschnitt, den er mit Hilfe von Coxy aller 2 Wochen erneuerte. Er mochte dieses Ritual. Und er mochte das Spiel mit Mark.
Seine Gedanken kamen wieder in die Gegenwart zurück, als sein Vater und seine Mutter eben die Wohnung verließen. Mark ging als Letzter und bevor er die Tür ranzog, zwinkerte er Colin noch mal zu, dann war auch er verschwunden.
Colin atmete einmal tief durch. Er wusste nicht, ob es ein Seufzen war, oder vielleicht wirklich nur tiefes Durchatmen. Er warf sich auf die alte Couch, schaltete den Fernseher ein und folgte uninteressiert dem Programm. Seine Gedanken waren überall und nirgendwo. Seine Familie war über Nacht zu Tante Barbara gefahren. Sie hatte wohl irgendwelche Probleme. Colin hatte nicht mitfahren wollen. Er wollte nichts Falsches machen, wenn es Tante Barbara sowieso schon schlecht ging und er tat doch immer irgendwas Falsches. Ständig schrie jemand seinen Namen, ständig hatte er irgendwas verbockt. Colin seufzte. Ja, diesmal war es wirklich ein Seufzen.
Sein Vater hatte ihn zum Mitfahren überreden wollen, aber Mark hatte für ihn das Wort ergriffen.
„Lass ihn Frank, er wird die Bude schon nich' abfackeln!" Sein Vater hatte bitter geseufzt, irgendwas gemurmelt und dann schließlich genervt ab gewunken.
Und so durfte er heute Nachtmittag, dank Mark, zuhause bleiben. Die ganze Nacht und voraussichtlich bis zum Nachmittag war er jetzt allein. Colin konnte sich nicht erinnern, jemals allein in der Wohnung gewesen zu sein. Irgendwie komisch, aber irgendwie auch cool.
Es klingelte und Colin zuckte etwas zusammen. Er wartete einen Moment ab. Es klingelte wieder. Hatte seine Familie etwas vergessen? Naja, aber dann würden sie doch den Schlüssel nehmen, oder! Natürlich nicht, wenn sie den Schlüssel vergessen hätten. Es folgte ein Dauerklingeln, das auf einen genervten Wartenden hindeutete.
Colin stand auf, öffnete die Tür und zu seiner Überraschung begrüßten ihn die Worte:
„Oi, Col."
„Coxy", er stockte einen winzigen Moment, „Oi."
Der Skinhead lächelte, sich halb auf Colins Kosten amüsierend, halb – na ja, irgendwie war's süß...
„Ich hab' deine Sippe grad an der Bahn gesehen. Du bist allein?"
„Yeah."
„Kann ich dann reinkommen?"
„Oh, äh, yeah."
Colin trat einen Schritt zurück und ließ Coxy rein, der die Tür wieder zuzog und ihm dann ins Kinderzimmer folgte.
Colin setzte sich aufs Bett. Er war ziemlich müde. Trotzdem war es schön, Coxy hier zu haben. Komisch irgendwie, aber trotzdem angenehm. Gähnend rutschte Colin etwas nach unten, den Kopf an die Wand gelehnt. Er beobachtete, wie Coxy neben ihn trat und sich dann plötzlich aufs Bett schmiss. Colin entfuhr ein kleiner Schmerzschrei, als sein rechter Arm unter Coxys Rücken eingeklemmt wurde.„Was tust du da!" Er versuchte seinen Arm unter Coxy vorzuziehen.
„Neben dir liegen", grinste der und dachte nicht daran, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
„Es tut weh." Colin versuchte mit aller Kraft, sich zu befreien.
„Schmerz..." Er hielt inne. Coxys Stimme hatte ganz komisch, so müde geklungen. Er vergaß für einen Moment seinen Arm, als er Coxy von der Seite ansah. Irgendwas in seinem Blick sah so...gläsern aus und erst jetzt fiel Colin auf, dass seine Augen etwas geschwollen waren.
„Deine Augen."
Ein schiefes Lächeln flog über Coxys Gesicht.
„Was ist damit?" Colin zwinkerte ein paar Mal verlegen und schwieg.
„Eh!"
Er zuckte erneut unter der Lautstärke.
Coxy seufzte; er hatte nicht vorgehabt aggressiv zu klingen. Er machte ein Hohlkreuz, damit Colin endlich seinen, schon einschlafenden, Arm befreien konnte.
„Tut mir leid, okay?"
„Yeah." Es klang nicht wirklich überzeugend.
„Ach fuck, es war einfach 'n Scheißtag, okay!"
„Du hast geweint, stimmt's?" Coxy sah Colin an, öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Die lauten Szenen von daheim schoben sich tückischer Weise genau jetzt vor seine Augen. Tausend Worte wollten gleichzeitig aus ihm heraus, aber stattdessen, war alles, was er sagte:
„Yeah." Und es klang heiser und er hasste sich für dieses kraftlose Gekeuche. Für eine Weile verstummten sie.
Dann richtete sich Coxy ganz plötzlich auf und die Worte rutschen ihm einfach raus:
„Kann ich heut' Nacht hier bleiben?"
„Was?" Colin sah ihn an – sein Gesicht perplexer als sonst und Coxy muss trotz aller Scheiße der letzten Stunden grinsen.
„Yeah, du hast schon verstanden, Col. Ich muss heut' Nacht wo unterkommen."
„Was ist mit deinem Zuhause?"Coxy gab einen Laut voll bitterer Verachtung von sich.
„Zuhause? So 'ne verdammte Scheiße!" Er hielt einen Moment inne und ließ sich mit einem harten Seufzen zurück auf das Bett fallen. Das wackelte gefährlich.
„Sag' einfach ja", sagte er mit deutlich sanfterer sah ihn an und nickte.
„Ja."
Coxy machte ein Geräusch, dass halb wie Lachen, halb wie Erleichterung klang.
„Danke, Kamerad." Er setzte sich, um seine grüne Jacke auszuziehen, warf sie auf Marks Bett und ließ seinen Kopf wieder auf das Kissen sinken.
Dann wurde es still im Raum. Sie schwiegen – Colin und Coxy.
Colin versuchte sich darüber klar zu werden, was er von dieser Situation zu halten hatte.
Es war nicht unangenehm, dass Coxy so dicht neben ihm lag. Eigentlich ganz im Gegenteil.Die Wärme von Coxys Körper fühlte sich gut an.
Colin schloss die Augen und schwieg.
Coxy dachte darüber nach, wie er sagen sollte, dass er vor Verzweiflung geheult hatte. Geflennt wie ein Kleinkind, weil der Schmerz in ihm sich angefühlt hatte, als würde er seinen gottverdammten Schädel zerschmettern. War er gekommen, um Colin vollzulabern mit seiner Scheißfamilie und dem Hass, den in dieser kranken Wohnung jeder auf jeden hatte? Hass, wo eigentlich Liebe sein sollte...
War er deswegen gekommen? Coxy wusste es eigentlich selber nicht. Vielleicht war er auch einfach gekommen, um nicht alleine zu sein...um jemanden bei sich zu haben, der einfach da war, ohne Fragen über Dinge zu stellen, über die Coxy einfach nicht reden wollte – weil es zu weh tat. Er wollte nicht diesen Schmerz in seiner Brust spüren, der bei jedem Wort der Erklärung auf sein Brustbein schlug, härter als in jeder Schlägerei seines verschissenen Lebens.Vielleicht war es die Wärme von Colins Körper, die den Schmerz ein wenig überdeckte – wenigstens jetzt. Und vielleicht war er deswegen gekommen. Coxy schloss die Augen und ohne dass er gemerkt hatte, wie müde er wohl gewesen war, schlief er ein.
Colin bemerkte das erst nach einigen Minuten, als er das tiefe Atmen realisierte. Er gab sich große Mühe, Coxy nicht zu wecken, als er die an die wandgedrückte Decke zu ihnen zog und versuchte, dieses widerspenstige Ding über sie Beide zu legen. Er hantierte ein ganzes Stück herum, aber sie war einfach zu schmal für 2 Mann. Er dachte einen Moment nach und rückte dann dichter an Coxy, bis dessen Arm sanft gegen seine Brust drückte. Das gefiel ihm auch – irgendwie.
Als er es endlich geschafft hatte, dass die Decke über sie Beide reichte, lag er still. Aber Colins Augen blieben offen, denn er starrte Coxy an. Der Schlaf hatte seine Gesichtszüge ganz weich gemacht und beinah konnte man der Illusion unterliegen, er wäre glücklich. Colin wusste nicht, was genau mit Coxy los war – aber dass das nicht wahr war, das wusste er. Trotzdem war es schön, für einen Moment diese Lüge zu glauben. Er wollte nicht, das Coxy litt. Es tat ihm irgendwie selbst weh. Ganz vorsichtig drehte er sich auf den Rücken und rutschte etwas nach unten, bis er den Kopf so schief legen konnte, dass seine Stirn auf Coxys Schulter lag. Dann schloss auch Colin die Augen und schlief ebenfalls ein.


It's goin' on :)