Wenn er die Augen schloss, sah er es ganz deutlich vor sich. Ein Feuer, heller als alle Feuer, die die Welt bislang gesehen hatte. Zerbrechende Eier. Schreiende Drachen. Ein Ritter, groß, standhaft. Er hob das Schwert, kämpfte mit Feuer, zwei mächtige Drachen hinter sich.
Sein Herz durchbrach beinah seine Brust, Schweißperlen traten auf seine Stirn, sein Atem geriet völlig aus dem Takt. Eine Hand rüttelte ihn, eine bekannte Stimme schrie ihn an.
»Rheagar? Verdammt noch mal, mach die Augen auf!«
Er tat es. Vertrauend darauf, dass er dieser Stimme trauen konnte, sie ihn nie in die Irre führen würde.
Brandon sah ihn kopfschüttelnd an, die Mimik irgendwo zwischen Wut und amüsierter Ungläubigkeit. »Dieser Ort ist nicht gut für dich. Ich weiß nicht, warum du immer und immer wieder hier her willst, aber du solltest es lassen. Und ich auch. Keine Ahnung, warum ich mich von dir jedes Mal wieder dazu überreden lasse.« Er begann, sich eine Decke auf der Erde zurechtzulegen, ohne mit dem Wüten aufzuhören: »Du hast es ja bequem, ein paar Tagesritte und Hoheit liegt wieder im gemütlichen Bett. Ich darf mich jedes Mal den verdammten Königsweg hoch und runter quälen.«
Das tat er immer. Am ersten Tag in Sommerhall schimpfte Brandon darauf, wie albern ihre Treffen seien, am zweiten ließen sie die Welt um sich herum sein, wie sie wollte, am dritten sagte Brandon zu, auch beim nächsten Ausflug wieder dabei zu sein.
»Und ist nicht jede Stunde Freiheit die Mühen wert?«
»Tja, damit ist es bald vorbei, fürchte ich.« Ernst und besorgt hob Brandon die Schulter, setzte sich neben Rhaegar auf seine Decke und stützte sich mit den Händen nach hinten ab. »Mein Vater ist ein großer Mann mit Voraussicht und Urteilsvermögen.«
»Aber ...?«
»Im Moment zweifle ich an dem, was ich weiß. Er will, dass ich Catelyn Tully heirate.«
»Gutes Haus, hübsches Mädchen, jung, gebildet. Was willst du mehr?«
Brandon verzog spöttisch das Gesicht. »Das fragst du?«
»Ernsthaft die kleine Staublin? Du weißt doch ...«
Mit einem tiefen Seufzen hob Brandon die Arme. »Ich weiß, dass ich zum Wohle meines Hauses heiraten muss und ich werde es auch tun. Keine Sorge. Zumindest dann, wenn mir kein Ausweg einfällt.«
Rhaegar lachte leise. Sein Maester hatte ihm diese eine von vielen Pflichten eingetrichert, als er noch an der Mutterbrust gehangen hatte. Ebenso war es Brandon ergangen. Sie nahmen es hin, bis aus unbedeutenden Worten Ernst wurde. Tief einatmend lehnte Rhaegar den Kopf gegen den kalten Rest einer Säule, die einst mit ihren Geschwistern die goldene Kuppel Sommerhalls getragen hatte. »Du bist nicht der Einzige. Ich kann das überbieten«, murmelte er und schloss die Augen. »Cersai Lennister. Ich bete zu allen Göttern, die zur Verfügung stehen, dass dieser Kelch an mir vorüber geht.«
»Die alten und die neuen Götter zusammen können deinen Vater nicht von etwas abbringen, das er erst einmal beschlossen hat.«
Das wusste niemand besser als Rhaegar. Unbehaglich setzte er sich aufrechter hin. »Varys sagt, der Vorschlag kam von Tywin Lennister. Es ist nicht die Idee eines Vaters.«
»Varys.« Brandon spuckte das Wort aus. Gerade so als hätte es wie eine schleimige Kröte in seiner Kehle gehockt. »Ich trau dem Kerl nicht.«
Rhaegar legte die Stirn in Falten. Daraus hatte Brandon noch nie einen Hehl gemacht und dafür gab es sicher mehr Gründe als ein Mensch Finger an einer Hand zählte. Doch bislang hatte Varys sich Rhaegar gegenüber immer als loyal und vor allem als einzige zuverlässige Informationsquelle erwiesen. »Ich höre ihm zu«, erwiderte er lächelnd. Ob er ihm traute, wusste er selbst nicht so genau. Spielte auch keine Rolle. Er brauchte ihn. »Warum kommst du nicht endlich nach Königsmund?«
»Das weißt du doch genau.« Brandon richtete sich auf und fuhr sich über die Stirn. Ein untrügliches Zeichen, dass ihm das Thema Unbehagen bereitete. Seit ihrer Kindheit beobachtete Rhaegar es immer wieder an dem vermutlich einzigen echten Freund, den er hatte. Es gab viele, die seine Gunst suchten. Sich in seinem Licht sonnten. Doch Brandon war der Einzige, der ihm auch unschöne Wahrheiten ins Gesicht sagte und das war es, was für Rhaegar einen Freund ausmachte. Dessen Lippen sich weiter bewegten, ohne dass Rhaegar die Worte verstand, die sie hervorbrachten.
»Hörst du mir zu?«
»Entschuldige, ich war im Gedanken.« Ein Prinz bittet niemanden um Entschuldigung. Du bist ein Targaryen. Du hast nicht Recht, du bist das Recht. Es gab nicht viel, das Aerys Targaryen seinen Sohn gelehrt hatte, doch dieser Satz verfolgte Rhaegar immer wieder. Er räusperte sich und schüttelte den Kopf. »Irgendwann«, flüsterte er der einsetzenden Dämmerung entgegen, »sind unsere Väter nur noch eine Erinnerung und wir herrschen über das Reich. Ich als König, du als mein Wächter des Nordens. Wir können eine bessere Welt schaffen.«
Brandon nickte. »Beten wir, dass es nicht zu spät sein wird. Der Winter naht.«