Es war vorbei. Sie nahm ihren zitternden Arm vom Brustkorb des Mannes. Sanft wie im Schlafe hob und senkte sich sein Körper. Mit blutiger Hand strich sie ihm über die blanke, starke Brust. Er lebte. Das war alles, woran die Frau denken konnte. Ihr lautes, kraftloses Keuchen wurde abermals von dem bestialischen Gebrüll des Erzdämons übertönt. Scharf zerrte der Wind an der kleinen Gestalt, als das Monster einen weiteren Kreis über sie hinweg zog, einen Flammenschwall in Richtung eines Spähturmes spie und ihn so einriss. Die roten, scharfen Augen der Frau fixierten den Drachen. Ihr blieb nun nur noch eine Aufgabe. Sie erhob sich langsam, brach jedoch sogleich wieder in die Knie. Aus dem Keuchen wurde ein Gurgeln. In wenigen Sekunden färbte sich das zuvor gräuliche Hemd tiefrot. Unter die Brust und auf den Mund presste die Weißhaarige ihre Hände, versuchte krampfhaft ein husten zu unterdrücken. Schwer tropfte ihr Lebenssaft auf den schwarzen Grund. Doch davon konnte sich die Frau nicht aufhalten lassen. Der Tod wäre Befreiung. Aber ihr stünde niemals ewige Ruhe bevor. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie das Auge des schlafenden Mannes zuckte. Es war Zeit. Gewaltsam rappelte sie sich auf ihre zitternden Beine, setzte langsam einen Fuß vor dem anderen. Taumelnd schleppte sie sich zur Mitte des Turmes. Mehr und mehr verschwamm und verdunkelte sich ihre Sicht. Blut über Blut strömte beinahe aus ihrer Wunde. Doch ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein der Bestie hoch oben am Himmel. Der Blick des Erzdämonen traf sie. Laut brüllte er und änderte die Flugbahn in ihre Richtung. Die Weißhaarige spürte es. Ein letztes Mal durchströmten diese ungehaltenen Kräfte ihren Körper. Sie fokussierte alle Macht in ihre Hand und streckte sie dem Erzdämon entgegen. Sie waren die letzten, in deren Händen nun das Schicksal alles Lebens lag. Und sie würde ihn nicht siegen lassen. Natürlich wusste Tri, dass sie nicht sein erstes Ziel sein würde. Einer war noch übrig. Er sollte die Verderbnis beenden, dafür sorgte die Weißhaarige.
„Tri!", hörte die Frau eine Männerstimme nach ihr rufen.
Sie schielte über ihre Schulter hinweg, sah, wie der zuvor schwer verletzte Mann wieder auf die Beine kam. Wild peitschte ihm das dunkelblonde Haar über die Augenklappe.
„Tri!", rief er erneut und wollte zu ihr. Jedoch schlang sich Gestein um seine Füße und er konnte keinen Schritt gehen.
Rötlich schlängelten sich die Energien um ihren erhobenen Arm. Der Erzdämon kam näher. Verdorbenes Feuer preschte zwischen den riesigen Stoßzähnen hervor.
„Du bist gabst mir ein Leben...", sprach sie laut. Beinahe drohte ihre Stimme zu versagen. Von ihrem Kinn tropfte Blut. „... und ich gebe dir meines."
Flammen überzogen den Platz, bis die Frau in diesen verschwand.
„Amell!"
Das Mädchen zuckte zusammen und wandte ihren Kopf zur Tür. Bereits ein wenig ungeduldig schien ein Templer auf sie zu warten.
„Anija Amell!" Stieß der Mann erneut mit fester Stimme hervor. Zügig stand die Schülerin von ihrem Bett auf und trat auf ihn zu.
„J-Ja?" Nervös griff sie sich in den weichen Saum ihrer Robe und blickte demütig zu dem deutlich größeren Templer in voller Rüstung auf. Wie immer viel ihr das matte, blaue Haar voluminös aufgedreht über die Schultern.
„Es ist Zeit." Das Mädchen nickte zögerlich und schielte kurz hinter sich. Einige ihrer Zimmergenossinnen starrten sie an. Argwohn, Zweifel standen in ihren Gesichtern geschrieben, in manchen von ihnen gar ein wenig Sorge.
Der Templer trat zur Seite, sodass Anija durch die Tür gehen konnte. Schweren Herzens schluckte sie den Kloß im Hals hinunter und ging voran, der Mann dicht auf ihren Fersen. Leise hallten ihre Schritte von den steinernen Wänden des Turmes wieder. Ihr Weg führte sie durch die Schülerbibliothek. Viele der Schüler sahen kurz von ihren Lektüren auf. In einer Ecke flüsterten zwei junge Frauen untereinander.
„Siehst du! Ich hab dir gesagt, dass sie heute zu der Läuterung geht!"
„Unfassbar! Warum die? Sie ist doch noch viel zu jung! Und ungeschickt! Sie schafft es kaum ein kleines Feuer in ihrer Hand unter Kontrolle zu halten!"
Anija senkte den Kopf.
„Du vergisst: Sie ist Irvings Lieblingsschülerin." Raunte ein älterer Magier seinem Schüler zu. „In ihr muss weitaus mehr stecken, als sie zu offenbaren wagt."
Erleichtert atmete die Amell auf, als sie die Treppe zum oberen Stockwerk nahmen und das Getuschel hinter sich ließen. Es gab viele Schüler die dem Mädchen fern blieben und einen kleinen Argwohn gegen sie hegten. Weniger durch ihre Art, eher durch ihre Stellung. Jowan sagte immer, sie seien einfach neidisch, dass der Erste Verzauberer ausgerechnet sie zu seiner Schülerin nahm. Aber Anija wusste es besser. Mit gesenktem Kopf versuchte sie ihr Gesicht etwas hinter ihrem Haar zu verstecken. Selbst einige Magier starrten ihr nach, konnten ebenso wenig, wie ihre Schüler glauben, dass die Amell vor dieser wichtigen Prüfung stand. Keiner konnte es glauben.
Gerade als die Blauhaarige und der Templer an der Kirche vorbei waren, stolperte ein junger Mann, ebenfalls in den blauen Roben der Schüler gekleidet, auf den Gang.
„Anija!" Das Mädchen blieb augenblicklich stehen und wandte sich um. Ihre gelblichen Augen erhellten sich ein wenig.
„Jowan!" Sie wollte direkt zu ihm, doch hielt der Templer sie zurück und drängte sie vorwärts.
„Weitergehen!" Ertönte es scharf unter dem Helm.
„Ich wünsche dir viel Glück!" Rief der junge Mann dem Mädchen nach. Sie schenkte ihm ein gezwungenes Lächeln.
Mit jeder weiteren Stufe, die Anija nun hinter sich ließ, krampfte sich ihr Magen mehr und mehr zusammen. Vor ihr lag die Kammer der Läuterung, der Ort ihrer Prüfung. Das Mädchen wusste nicht, was sie dort erwarten würde. Sie wusste nur, dass sie die Kammer entweder als Magierin, oder aber als Leiche wieder verlassen würde. Kurz atmete sie durch, ehe sie in den obersten Stockwerk des Turmes trat. Ihr Blick schweifte durch die weite Halle. Eine handvoll Templer erwarteten das Mädchen bereits, darunter ihr Kommandant Greagoir und der Erste Verzauberer Irving. Mit einem warmen Lächeln empfing der alte Mann seine Schülerin. Anija neigte zur Begrüßung den Kopf leicht.
„Die Magie soll dem Menschen dienen und ihn niemals beherrschen." Greagoir trat ihr gegenüber. „So sprach die Prophetin Andraste, als sie ihren Feldzug gegen das Reich von Tevinter führte."
Deutlich eingeschüchtert blickte sie zu dem Templer-Kommandanten auf. Auch Greagoir war mit der Zeit ins Alter gekommen. Noch vage erinnerte sich Anija an Tage, an denen das Haar des Mannes frischer war. Vor allem nicht grau. Aber sein kühler Blick war stets geblieben.
„Jeder Schüler des Zirkels muss eine Prüfung durchlaufen, die wir die Läuterung nennen. Erst dann kann derjenige ein vollwertiges Mitglied des Zirkels werden und sich als Magier bezeichnen." Der Templer holte kurz Luft.
„Heute findet deine Läuterung statt." Widerwillig kamen ihm diese Worte über die Lippen. Anija war klar, dass sie Irving diesen großen Schritt für sich zu verdanken hatte. Ginge es nach Greagoir, wäre es nicht die Läuterung, welcher sie sich nun unterziehen müsse.
Leise ertönte ihre heisere Stimme. „W-Was geschieht, wenn ich die Läuterung nicht bestehe?"
„Dann werden meine Templer dich erschlagen." Antwortete der Mann in Rüstung kalt. Die Schülerin schluckte schwer. Er deutete zur Seite. Ein kleines Podest, darauf eine Schale mit leuchtender Flüssigkeit stand mitten im Raum. Irving führte sie näher heran.
„Lyrium..." Murmelte Anija und Irving nickte.
Greagoir ergriff wieder das Wort. „Deine Aufgabe besteht darin, dich im Nichts einem Dämon zu stellen und ihn zu besiegen. Wenn du das schaffst, dann ist die Prüfung bestanden."
Entsetzt fuhr sie zu dem Templer herum.
„E-Ein Dämon?! I-Ich soll einen Dämon besiegen?!"
„Wenn du es nicht kannst, dann wird er von dir Besitz ergreifen und wir müssen dich erschlagen."
Die Blauhaarige fiel beinahe aus allen Wolken. Nicht ohne Grund war die Läuterung ein Geheimnis. Nun kannte sie ihn. Der Erste Verzauberer wandte sich behutsam an seine Schülerin.
„Du brauchst dich nicht fürchten. Denke immer daran: Das Nichts ist nicht unsere Welt, sie ist nicht in der Form real, wie unsere. Einzig dein Wille dort ist es!" Anija nickte aufmerksam.
Greagoir verzog leicht das Gesicht und hob eine Hand. „Das Mädchen muss die Prüfung allein bestehen. Du bist bereit."
Er schob sie bestimmend ein wenig auf das Podest zu. Unsicher schaute sie sich ein letztes Mal um. Alle beobachteten sie. Nervös griff die Schülerin an den Anhänger ihrer Kette und trat vor die Schale. Vorsichtig tauchte sie eine Hand in die leuchtende Essenz und spürte sogleich dessen Wirkung. Prüfend begutachtete sie ihre glühende Hand. Dann wurde ihr langsam schwarz vor Augen. Als letztes spürte sie, wie jemand sie aufzufangen schien.
Nachdem der Kommandant seinem Templer die Klinge reichte, seufzte dieser schwer.
"Ich hoffe wirklich, dass sie bereit ist." Ein wenig Ärger verlieh seiner Aussage Nachdruck. Es war nicht direkt unter seinem vollen Bart erkennbar, doch presste Irving seine Lippen zusammen.
"Sie ist es. Vertrau mir." Erneut seufzte Greagoir. Magier waren mindestens genauso stur, wie die Kirche.
"Wenn nicht, kann ich weder für deine Sicherheit, noch für die aller in diesem Turm garantieren."
