Teil 1

„Mrs. Tilney! Mrs. Tilney!" Fünf kleine Mädchen rannten wie ein Wirbelwind in das Wohnzimmer neben der Eingangstür des Pfarrhauses, auf der Suche nach der Frau von Henry Tilney. Im Verlauf von drei Monaten hatten die kleinen Mädchen von Woodston eine Vorliebe für Catherine entwickelt, liefen ihr nach dem sonntäglichen Gottesdienst hinterher und klammerten sich an ihren Armen, Fingern und Beinen fest. Sie fanden, dass sich die junge Mrs. Tilney hervorragend als Freundin und Spielgefährtin eignete, denn sie war immer bereit, ihre Puppen zu bewundern und mit ihnen über ihre Spiele zu sprechen.

„Hallo, Sarah, Fanny, Mary! Jane und Patty! Hallo Mädels!" rief Catherine. „Seid ihr heute bereit für eine Geschichte?"

„Oh ja bitte, Mrs. Tilney!" riefen Sarah und Fanny einmütig grinsend. Das waren die fünfjährigen Zwillinge, zusammen mit der dreijährigen Jane, von Mrs. Charles Browning, die gerade zusammen mit Mrs. Robert Jones das Wohnzimmer betrat, der Mutter der vierjährigen Mary und der dreijährigen Patty.

Catherine sah auf und begrüßte sie mit einem Lächeln. „Guten Tag, Mrs. Browning, Mrs. Jones. Wie geht es Ihnen heute?"

„Oh, liebe Mrs. Tilney, wir sind heute bei bester Gesundheit", antwortete Mrs. Jones und ihre Augen funkelten. „Wir können Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich wir sind, dass Sie unsere Mädchen zum Geschichtenerzählen eingeladen haben! Seit Sonntag haben sie von nichts anderem gesprochen, versichere ich Ihnen."

„Meine Mädchen haben auch schon ungeduldig darauf gewartet, heute zu kommen", stimmte Mrs. Browning zu. „Sie haben ständig auf den Kalender geschaut und darauf gewartet, dass Donnerstag ist! Sie finden Gefallen an Ihnen, Mrs. Tilney! Oh, fast hätte ich vergessen zu fragen – wie geht es Mr. Tilney?"

„Ihm geht es gut, Ma'am", antwortete Catherine. „Er war gezwungen, heute morgen in aller Frühe nach Northanger zu reiten. Ich erwarte ihn am frühen Abend zurück, hoffentlich noch vor dem Abendessen." Sie hielt inne. „Ich mache mir Sorgen wegen des Wetters. Glauben Sie, dass es nach Regen aussieht?"

„Möglich, meine Liebe", sagte Mrs. Browning. „Wir haben uns am Morgen auch schon Sorgen gemacht, wollten aber die Mädchen nicht enttäuschen. Aber es macht uns nichts aus. Zu unseren Häusern ist es nicht sehr weit und die Straßen werden nicht sehr schlammig. Unsere Kutsche wird keine Probleme haben. Aber ich hoffe in Ihrem Interesse, dass Mr. Tilney rechtzeitig nach Hause kommt."

Während dieses Wortwechsels bildeten die Mädchen einen Halbkreis um einen Ohrensessel und schwatzten geräuschvoll. Catherine bot den Müttern Sitzplätze auf der anderen Seite des Raumes an, wo sie arbeiten und aufpassen konnten, ohne die Geschichte zu stören. Dann nahm sie ein neues Exemplar von Grimms Märchen zu Hand und begann zu lesen.

Catherine begann mit der klassischen Geschichte vom Aschenputtel. Die Mädchen hörten konzentriert zu, beugte sich in gespannter Erwartung vor und die Gefühle, die ihre Gesichter ausdrückten, veränderten sich mit den Irrungen und Wirrungen der Handlung. Catherines romantische Empfindungen führten dazu, dass sie voller Gefühl und Ergriffenheit vorlas, so dass die Mädchen gefesselt und nicht in der Lage waren, ihre Aufmerksamkeit abzuwenden.

... Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau. ...

... Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an und gaben ihm hölzerne Schuhe. ...

... Da brachte das Mädchen die Schüssel der Stiefmutter, freute sich und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: „Nein, Aschenputtel, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen: du wirst nur ausgelacht." ...

... Es tanzte, bis es Abend war, da wollte es nach Haus gehen. Der Königssohn aber sprach: „Ich gehe mit und begleite dich", denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. ...

Catherine musste die Geschichte kurz unterbrechen, um eine Lampe anzuzünden, die in der Nähe stand, und darum zu bitten, dass das Feuer geschürt würde. Dunkle Wolken bedeckten den Himmel und der Wind begann zu heulen. Die Mädchen sahen sie an und warteten auf die Fortsetzung der Geschichte, waren sich aber der plötzlichen Kälte gar nicht bewusst. Nur die kleine Patty schauderte spürbar und griff nach der nächsten Decke.

„Mei o mei, es beginnt zu stürmen", bemerkte Mrs. Jones. „Diese Wolken sind so Unheil verkündend."

Nun war Catherine an der Reihe zu zittern. „Ich frage mich, wo Henry ist?" sinnierte sie.

Ein dunkler Regen begann wild gegen die Glasscheiben der Fenster zu prasseln.