Prolog

Es war keine Vollmondnacht. Sie war weder sternenklar, noch so pechschwarz, dass man die Hand vor Augen nicht gesehen hätte. Tatsächlich war sie furchtbar unromantisch, ohne jede Dramatik – so vollkommen langweilig, dass sie wohl jedem höheren Anlass unangemessen war.

Ein Mädchen stand auf dem Friedhof von Little Witting und sah mit einem ironischen Grinsen zum Himmel empor, die Hände in den Taschen des altmodischen Kleides vergraben, das sie trug. Vor ihr brannten zwei Windlichter auf einem Grab, um für besseres Licht zu sorgen.

Der Wind schien seltsam in jener Nacht – verspielt beinahe. Er fuhr in die Lichter hinein, brachte sie zum flackern. Ihr Schein strich über den Grabstein, über die darin eingegrabenen Buchstaben.

Severus Tobias Snape

Dem Mädchen wurden die schwarzen Locken aus dem Gesicht gepustet, dann verzog sich der Wind und brachte das Laubwerk der nahen Bäume zum rascheln. Es war die Nacht der Geister... Halloween und dafür erstaunlich mild.

Ein Schauder durchlief das Mädchen und ließ sie wieder nach unten blicken, auf die Erde. Es schien Bewegung in den Friedhof zu kommen. Kleine Erdklümpchen bewegten sich zur Seite, kullerten davon. Die Erde an sich begann sich zu Bewegung, etwas drang von unten hervor. Eine Hand bohrte sich durch die Erde. Dünne Finger, die nach Luft griffen, voller Schürfwunden und Kratzer.

Das Mädchen lächelte, trat einen Schritt vor und griff nach der Hand und dem dürren Arm daran, zog daran.

Nach und nach kam eine Gestalt ans Licht. Als der Kopf durch brach, riss der Junge, der sich dort aus seinem eigenen Grab bohrte, den Mund auf, inhalierte die Nachtluft mit einem beißenden, kratzenden Geräusch. Er spuckte Erde aus, stemmte sich gegen den Boden und zog sich dann ganz aus dem Grab hervor. Alles an ihm bebte, keuchte, während er sich auf den Boden fallen ließ, einfach nur atmete.

Das Mädchen ließ ihn erst atmen, dann trat sie näher an ihn heran und wischte ihm mit beiden Händen über die Augen, sodass er etwas sehen konnte.

Das Keuchen nahm zu, der Junge erstarrte für einen kurzen Moment, dann blinzelte er und sah zu dem Mädchen empor.

„Miss Imogen." Seine Stimme klang rau und noch einmal spuckte er Erde. Er fasste sich mit einer Hand an den Hals und schloss die Augen. „Ich muss sagen, das ist eine...Überraschung."

„So kann man es natürlich ausdrücken." Sie lachte leise, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und sah dann empor zu den paar Sternen, die hinter Wolkenfetzen hervor blitzten. „Ich brauche deine Hilfe, Sev."

„Es hätte mich auch sehr verwundert, wenn Sie mich nur erweckt hätten, um Smalltalk zu betreiben."

„Immer noch der Alte, wie ich sehe. Die Zeit konnte dir wirklich nichts anhaben."

„Schwerlich – im Tod entwickelt man sich selten weiter."

Snape drehte sich auf die Seite und betrachtete den Grabstein. Man sah ein Schaudern durch seinen Körper laufen. „Merlin..."

„Unheimlich, hm?" Das Mädchen zuckte mit den Achseln. Das Lächeln lag immer noch auf ihrem Gesicht. „Natürlich bist du der erste, den man zurück geholt hast, was dir helfen könnte, ein Buch zu schreiben. Nicht, dass ich diese Tatsache verstehe – es ist so furchtbar einfach."

„Für euch, Miss Imogen." Snape hustete noch einmal, rappelte sich dann langsam auf, bewegte die Glieder langsam und methodisch. Seine Stirn runzelte sich und er betrachtete die Hände, die er vor seine Augen hielt. „Ich fühle mich anders."

„Das hat seine Gründe, Sev." Sie lachte leise, als sie seinen Blick bemerkte. Ihr Kopf legte sich schräg und etwas blitzte in den Augen auf. Es war ein Schimmer, ein Licht, das durch die Nacht glitt und ihr etwas seltsames unmenschliches gab. „Möchtest du wissen, welche?"

Kapitel Eins: Godric's Hollow

Es war still geworden, seit die Kinder alle in Hogwarts waren. Harry sah von seinem Buch auf und ließ seinen Blick über die Regale streichen. Er sah die Quidditschbücher von James – vollkommen unordentlich überall verteilt. Weder Harry noch Ginny hatten sie angerührt, es so gelassen, als ob James jederzeit wieder kommen würde. Doch gerade dies würde er nun wohl nicht tun – nicht einmal zu Weinachten würde er kommen. Seit einem halben Jahr war er aus Hogwarts draußen und nun ein Jahr lang unterwegs, alle möglichen magischen Orte auf der ganzen Welt ab zu klappern. Er schrieb natürlich regelmäßig, aber im Moment war es ihm am Wichtigsten, die Welt kennen zu lernen und sich auf seine Ausbildung vor zu bereiten. Magischer Diplomat oder etwas in der Art. Harry fand es erschreckend, dass sie bald gemeinsam zur Arbeit gehen würden. Er und sein Ältester.

Merlin, wie alt er geworden war....

Der Mann stützte seinen Kopf auf eine Hand und schmunzelte über sich selbst. Das war nun wirklich kein Grund, sich irgendwie seltsam zu fühlen. Die Menschen wurden nun einmal älter, aber....sein Sohn war nun erwachsen und bereiste die Welt. Albus würde auch dieses Jahr seinen Abschluss machen...es war ein schmerzvoller Gedanke. Noch drei Jahre, dann wäre auch Lily mit allem durch. Was sollten er und Ginny dann mit ihrer Zeit anfangen? Er wusste es wirklich nicht. Er hatte sich so daran gewöhnt ein Vater zu sein, dass ihm bereits während der Schulzeit alles unnatürlich und leer vorkam. Vielleicht würde er doch noch Nevilles Angebot annehmen und Lehrer für VgddK werden. Dann hätte er wieder Kinder um sich. Wäre ein Professor....ja, vielleicht wäre das nicht das schlechteste.

Es klopfte an der Tür. Harry blinzelte, setzte sich die Brille auf die Nase und blickte dann auf die magische Uhr, die an der Wand hing. Sein erster Blick glitt zu dem Zeiger von James. Mittagessen.

Die Zeiger von den Menschen, die auf dieser Seite des Amazonas lebten, waren alle auf 'mitten in Nacht – eindeutige Schlafenszeit!'. Er runzelte die Stirn, legte das Buch zur Seite und stand auf.

Wer würde ihn um diese Zeit aufsuchen? Mitglieder des Ordens vielleicht, wenn es wirkliche Probleme gab.

Er kratzte sich an seinem Arm. Es war, als hätte er immer noch die Wunde von jenem Abend vor drei Wochen dort. Natürlich hatte er sie geheilt, aber der Übergriff hielt ihn nachts immer noch wach, darüber wundernd, wie er sich selbst so hatte vergessen können. Es lag daran, dass es so lange keine wirkliche Gefahr mehr gegeben hatte und er hatte nicht erwartet, sie innerhalb eines Mädchens zu finden, die nicht viel älter als seine eigene Tochter war.

Noch immer wusste er nicht, wohin das Mädchen damals verschwunden war – und was sie damit beabsichtigt hatte, ihn mit einem Messer an zu greifen.

Harry seufzte leise und öffnete die Tür. Vielleicht hätte er es damals jemandem erzählen sollen, aber es erschien ihm selbst so unwirklich. Das Mädchen hatte etwas an sich gehabt, das sie ihm im Nachhinein wie eine Illusion erscheinen ließ. Und er hatte gewusst, wie im Ministerium geredet werden würde: Harry Potter konnte nicht damit leben, dass es keine Gefahr mehr gab. Nun dachte er sich kleine Mädchen aus, die ihn mit Messern verfolgten.

Und mitten in der Nacht vor seiner Tür standen.

Harry sah in das von schwarzen Locken umrahmte Gesicht und griff an seine Seite, um den Zauberstab heraus zu ziehen und auf sie gerichtet zu halten.

Das Mädchen lächelte ihn weiterhin an, den Kopf leicht schief gelegt. Sie trug dasselbe Kleid wie bei ihrer letzten Begegnung: dunkelbrauner Tweedstoff mit Taschen an der Vorderseite und großen Knöpfen; darunter eine Bluse und Strumpfhosen. Es war ein Outfit, das darauf ausgelegt war, sie süß wirken zu lassen. Der Effekt endete, wenn sie einem ein Messer in den Arm rammte.

In ihren Augen blitzte etwas und Harry erinnerte sich wieder an ihre letzte Begegnung, an jedes Wort, das gewechselt worden war. Das merkwürdige Selbstbewusstsein bei den Spinnereien, die sie vorgetragen hatte, hatte ihn damals schon zutiefst verwirrt, aus der Bahn geworfen und nun stand sie da und sah ihn mit demselben Selbstbewusstsein an – der Erkenntnis, dass er ihr nichts tun würde, vollkommen egal, wie ihr letztes Zusammenkommen verlaufen war.

„Sag mir einen guten Grund, warum ich dich nicht auf der Stelle ins nächste Jahrhundert hexen sollte."

„Weil ich Gryffindor dann Punkte abziehen müsste, Mr. Potter. Sehr viele Punkte."

Ein schwarzhaariger Junge mit Hakennase, über und über mit Erde und Dreck bedeckt, trat an dem Mädchen vorbei und betrat dann das Haus, sich mit einem eindeutigen schnarrenden Lachen umsehend. „Wirklich gemütlich, Potter. Habe nichts anderes von Ihnen erwartet."

Harry starrte dem Jungen nach, der Dreckspuren auf seinem Boden hinter ließ und sich mit dieser typischen, snapeschen Arroganz umsah. Er sah...so unglaublich echt aus. Bewegte sich wie er, sprach wie er, sah aus wie er....allerdings war er unglaublich jung.

„Du sagtest, ich sollte einen Bürgen besorgen und da hast du ihn. Können wir nun reden, Har' oder muss ich noch jemanden zurück holen?" Das Mädchen grinste ihn wieder auf diese ganz typische Art an, dann trat sie um ihn herum und ließ sich auf die Couch fallen, auf der Harry bis eben noch gesessen hatte.

„Das ist unmöglich." Harry fasste sich wieder und erhob seinen Zauberstab. Er war wütend, so wütend wie er schon lange nicht mehr gewesen war. Was erlaubte sich dieses Mädchen? Merlin, ihre fantastischen Geschichten waren eine Sache, aber dass sie ihn angriff und nun mit seiner Vergangenheit spielte, das war zuviel. „Noch nie wurde jemand zurück geholt. Snape war kein fünfzehnjähriger, als er gestorben ist. Und du wirst noch die jüngste Gefangene in ganz Askaban, wenn du nicht sofort mit diesem"

„Sie sieht aus wie Lily." Die Stimme von Snape unterbrach ihn wieder, schaffte es, ihn mit dieser Ähnlichkeit aus dem Takt zu bringen und nun mit der Trauer, die darin lag, immer noch frisch wirkte. „Außer die Augen natürlich. Der Junge hat sie." Der Junge – der nicht Snape war, wie Harry sich wieder sagte – hielt ein magisches Bild der Familie hoch und stellte es dann wieder auf einen Nachttisch. „Es fühlt sich nicht an, als wäre so viel Zeit vergangen. So viel...Geschichte, die ich verpasst habe. Ich nehme an, von dem älteren Jungen ist noch Kleidung oben? Es war nicht meine Absicht noch länger vollkommen unbekleidet durch die Gegend zu laufen."

Er sah mit großen Augen zu, wie Snape – der falsche Snape – einen Zauberstab hob. Er sagte nichts, aber auch der richtige Snape war in der Lage gewesen, wortlos zu zaubern. Innerhalb von Augenblicken war er sauber, wie blank geschrubbt und vollkommen nackt, wie bei der Geburt. Harry konnte seinen Arm sehen – dort wo beim richtigen Snape das dunkle Mal gewesen war, war bei diesem Junge eine große rosige, vernarbte Stelle. Mit einem weiteren Flick des Zauberstabes konnte Harry ein Geräusch von oben hören und dann kamen alte Sachen von James die Treppe hinunter geflogen. Muggelkleidung. Eine Stoffhose und ein Hemd. Der Junge begann sich an zu ziehen, ohne weiter auf Harry oder das Mädchen zu achten.

Harry schüttelte den Kopf und sah dann wieder das Mädchen an, das ihn mit einem leichten Schmunzeln ansah. Sie wirkte amüsiert und entspannt. „Du kannst nicht annehmen, dass IRGENDJEMAND dir das abnimmt! Was bist du? Vollkommen verrückt?"

„Sie haben Sie weder aus dem Haus geworfen, noch sie mit einer Körperklemme belegt, Mr. Potter." Der Junge hatte sich fertig angezogen und betrachtete sich selbst im Spiegel. Seine Hand fuhr über die eigenen Gesichtszüge, über die Hakennase und das viel zu spitze Kinn. „Ein seltsames Verhalten für jemanden mit ihrer Geschichte. Ich denke, das könnte daran liegen, dass Sie – trotz der Tatsache, dass Sie jahrelang versucht haben, mir das Gegenteil zu beweisen – eigentlich ein recht fähiger Zauberer sind und vor allen Dingen jemand, mit einem gewissen Gespür. Vielleicht ist es auch einfach die Familienähnlichkeit. Erinnert Sie Sie an jemanden, Potter?"

Harry ließ den Zauberstab immer noch nicht sinken, aber sein Blick huschte zwischen dem Snape-Jungen und dem Mädchen hin und her. Und dann...

Er ließ den Stab sinken, starrte Imogen an, während seine eigenen Augen größer wurden. Ja, da war etwas... Warum war es ihm bis jetzt noch nie aufgefallen? Das war der Grund, aus dem er sich so seltsam verhielt, aus dem er das Mädchen noch nicht einmal ansatzweise angegriffen hatte, nicht einmal, als sie ihn mit diesem Messer attackiert hatte.

Harry ließ sich auf einen Sessel fallen, plötzlich müde und sich eine Hand über die Augen legend. Vielleicht schlief er noch, war auf der Couch zusammen gesackt und träumte nun davon, von den Geistern der Vergangenheit eingeholt zu werden.

„Sirius." Das Wort klang hohl und ohne jedes Gefühl. Wie viel Zeit verstrich wusste Harry nicht zu sagen. Er saß einfach nur dort und wartete darauf, dass diese Gespenster verschwanden, ihn in Ruhe sein Leben leben ließen, das gerade so angenehm geworden war.

Irgendwann schien es dem Mädchen langweilig zu werden. „Sirius war ein Black, nicht wahr?"

„DER Black.", spezifizierte Snape. Seine Stimme klang genauso, wie Harry sie in Erinnerung hatte, sobald es um Sirius ging. „Einer der berüchtigten Gryffindorschen Herumtreiber, bester Freund von James Potter und der Pate von diesem speziellen Exemplar hier. Potter, wenn Sie vorhaben, schlafen zu gehen, wäre es nur höflich, wenn Sie zuvor auf Miss Imogens Wünsche eingehen würden, welcher Art auch immer diese sein mögen."

Harry lachte leise in sich hinein. Die ganze Situation war so furchtbar abstrus. Er öffnete seine Augen wieder und blinzelte zu Snape hinüber. War es wirklich Snape? Sein ehemaliger Professor? Er war nun älter, als der Mann damals gewesen war. Und dieser Snape sah jünger aus, als er damals gewesen war. Er sah aus wie einer von den Kerlen, die Lily anschleppen würde – nicht sonderlich gut aussehend und etwas zu dunkel aus Harrys Vaterstandpunkt aus.

„Du weißt es nicht?", fragte er und lachte dann wieder, hielt sich eine Hand vor den Mund, da er es nicht unterdrücken konnte. Snape sah ihn mit gerunzelter Stirn an, offensichtlich nicht sehr erfreut über sein Verhalten. „Also ehrlich: Du hast keine Ahnung, was sie von mir will, möchtest aber, dass ich es ihr gebe, obwohl sie mich mit einem Messer angegriffen hat? Nicht sehr Snapehaft, das."

Snape legte den Kopf schief und sah Imogen dann an. „Ein Messer? Soll das heißen, ich bin an ihn gebunden?"

„Nur an sein Blut." Der Lockenkopf winkte ab, als wäre das eine Kleinigkeit, über die man nicht länger nachdenken müsste. „In Hogwarts laufen ja anscheinen genug rum, die das in den Venen haben."

„Hogwarts?"

„Ich sagte doch bereits: Es gibt Gründe dafür, dass du dich so 'anders' fühlst. Jünger. Da ich ohnehin alles Fleisch neu wachsen lassen musste, habe ich es so wachsen lassen, wie ich es wollte. So kannst du mich begleiten."

„Begleiten..." Harry lachte noch einmal, vor allem bei dem Anblick von Snapes leicht entgleisten Gesichtszügen. Was war hier bitte schön los? Wenn das ein Traum war, dann nun wirklich einer, der langsam zu bizarr wurde. Ein verjüngerter, widererstandener Snape, ein Mädchen dass eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Sirius hatte und die Tatsache, dass dieses Snape irgendwie an ihn – oder sein Blut – gebunden hatte. Was nur sollte er mit dem allen anfangen? Was wollte ihm sein Unterbewusstsein sagen?

„Potter!" Snape schnippste vor seinem Gesicht und sah ihn auf diese Art an, die sagte, dass er nichts von ihm erwartete und dennoch ahnte, enttäuscht zu werden. „Wirklich, wie lange war ich tot? Es sollte doch nun wirklich ausgereicht haben, um Sie so weit wachsen zu lassen, dass Sie eine größere Aufmerksamkeitsspanne haben, als ein Schmetterling auf der Durchreise. Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit."

„Eigentlich schon.", warf Imogen ein. „Ich bin diejenige, die etwas von ihm will. Du solltest keine größeren Verpflichtungen haben, die auf dich warten. Immerhin habe ich dich erst vor einer Stunde aus deinem Grab buddeln lassen."

Snape verzog das Gesicht. „Nichts desto weniger ist es eine Verschwendung von Zeit, sich mit Gryffindors herum zu ärgern. Beschleunigen wir die Sache, was meinen Sie, Mr Potter?"

Plötzlich war da ein leichtes Glänzen in seinen Augen, das Harry ganz und gar nicht gefiel. Vor allen Dingen nicht in Verbindung mit diesem halben Lächeln, das sich auf dem Gesicht des Tränkemeisters ausbreitete. „So wie ich Sie kenne haben Sie bereits wieder alles verlernt, was ich Ihnen mühsam eingetrichtert habe, nicht wahr, Mr Potter?"

Und dann spürte er es. Wie lange war es her, dass Harry einem Leglimentiker begegnet war oder auch nur ansatzweise daran hatte denken müssen, Okklumentik zu trainieren? Es hatte zu den Dingen gehört, die er dankbar verlernt hatte, unendlich erleichtert, dass es keinen Grund mehr gab, es zu beherrschen.

Etwas drang in seinen Geist ein. Es fühlte sich so ähnlich an, wie bei Snape damals, aber...kälter. Es war auch sanfter – man spürte, dass es kein Kampf werden sollte, dass es nichts war, was ihn heraus fordern sollte, ihn lehren sollte.

Das Wühlen an sich spürte er nicht, aber ein leichter Zug war da und dann drang die richtige Erinnerung nach oben, diejenige, die Snape sehen wollte.

Er stand auf der Straße, in der Nähe des Ministeriums. Etwas klebte an seinen Händen. Ein Sekret von einem verbotenen Trank, der auf ihn geschleudert worden war, während einer Festnahme, von der er gerade zurück kehrte. Er hatte etwas gehört und sich danach umgedreht, den Zauberstab in seinem Ärmel versteckt, da er sich in Muggellondon befand.

Das war interessant, Harry. Beinahe beeindruckend."

Imogen stand da, die Hände in den vorderen Taschen ihres Tweedkleides und lächelte ihn an, auf eine Art, der etwas fehlte, was er nicht genau bestimmen konnte.

Entschuldigung." Er zwang sich ebenfalls zu lächeln, während er unauffällig den Zauberstab sinken ließ und sein Blick über die Gänge glitten, auf der Suche nach etwas, das auf einen Hinterhalt hindeuten mochte. „Kenne ich dich?"

Ich fürchte nein, Har'. So wie ich das sehe, hast du noch nie von mir gehört, was allerdings auch vollkommen unerheblich ist. Ich bleibe gerne im Schatten des Unbekannten." Nun strahlte sie beinahe. Harry konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie zu...alt aussah. Zu erwachsen dafür, dass er sie ohne Zögern in einen Jahrgang mit Lily oder Albus steckte. „Ich muss nach Hogwarts, ohne dass Fragen gestellt werden. Als Schülerin hätte ich am besten Zugang zu allem. Wenn ich recht informiert bin, kennst du die Schulleiterin sehr gut – es wäre also am effizientesten, wenn du deine Beziehungen spielen lassen würdest, so dass ich dort angenommen werde."

Bitte?" Harry lachte und sah dann weiter einfach nur dieses Mädchen an, einen Moment lang vollkommen fassungslos. „Warum?"

Weil großes Unheil auf uns zukommt, Har'. Man könnte sagen, ich habe bestimmte Familienprobleme und wenn ich sie nicht rechtzeitig aus dem Weg räume, haben wir einen neuen Weltuntergang auf uns zu kommen. Voldis Abschiedsgeschenk, wenn man so möchte."

Diesmal lachte er nicht, sah sie einfach nur an und schüttelte den Kopf. Etwas an ihr ließ ihn nicht sofort weggehen. Etwas an ihr fesselte ihn. Die Erinnerung war nun überlappt mit Sirius Bild, das er in ihren Gesichtszügen wieder fand, aber damals hatte er einfach die Verbindung nicht gesehen.

Du möchtest also, dass ich dich in Hogwarts einschleuse, damit du den Weltuntergang verhinderst?" Tatsächlich war er ein wenig amüsiert bei dem Gedanken.

Sie legte den Kopf schief und blinzelte einmal. Einen Augenblick lang schien sie nach zu denken, dann zuckte sie mit den Schultern. „Möglicherweise nicht den Weltuntergang. Einfach nur etwas schlimmes. Schmerzen. Leid. Etwas, das die Toten in ihren Gräbern zum Zittern bringen wird."

Harry schüttelte den Kopf und sah sie dann weiterhin mit einem sehr milden Gesichtsausdruck an. Vielleicht gehörte das Mädchen eigentlich nach Sankt Mungos. Sie wäre nicht die erste, die von dort weggelaufen wäre. Das Problem war, dass jeder sein Gesicht aus Zeitungen oder Geschichtsbüchern kannte. Manchmal dachten die Menschen, sie hätten eine lebenslange Freundschaft mit ihm, vor allen Dingen, wenn sie etwas instabil waren. Deswegen fand er es auch nicht schlimm, von ihr als Har angeredet zu werden.

Kind, dir ist bewusst, dass ich dich nicht kenne oder? Du kommst her, erzählst mir eine wilde Geschichte und willst, dass ich dich in Hogwarts einschleuse. Was glaubst du, wie ich darauf reagiere?"

Das Problem ist, dass du mich nicht kennst?"

Als Harry nickte, überlegte sie noch einen Moment länger, dann zuckte sie die Achseln. „Das heißt also, wenn ich einen Bürgen habe, dem du vertraust und der meine Sache vertritt, wirst du mich unterstützen?"

Ja.", antwortete er dann. Warum auch nicht? Es war nicht so, als würde sie jemanden finden oder als ob sie Hermine oder Ron oder einem der anderen etwas derartiges aufschwätzen könnte. „Sicherlich."

Das Mädchen sah ihn an und dann lächelte sie. Im nächsten Moment hatte sie ihm ein kleinen Messer in den Arm gerammt, dass sie bis zu diesem Moment in einer Tasche versteckt hatte. Sie lachte ihn an, während er vollkommen geschockt auf seinen Arm starrte, auf das vor Blut starrende Messer in ihrer Hand.

Wir sehen uns, Har'." Sie winkte ihm zu und verschwand dann in der Gasse auf ihrer Linken. Im nächsten Moment folgte er ihr, aber sie war schon verschwunden.

Snape warf einen Blick zu Imogen. In seinen Augen lag etwas, das Harry ganz und gar nicht gefiel.

„Ich dachte, es hätte keiner der anderen überlebt."

Imogen zuckte mit den Achseln, schlang dann die Arme um sich. Für einen Moment sah sie endlich wie ein normales kleines Mädchen aus. Verloren, verlassen und so, als würde sie frieren.

„Plötzlich war es da. Ich habe es gespürt wie eine Erschütterung im Gefüge. Einer ist noch da. Und er ist stark."

Der Junge nickte, das Gesicht vollkommen unlesbar. Dann sah er Harry wieder an, der immer noch keuchte. Es war so ungewohnt, jemanden in seinen Kopf zu haben. So lange her, dass er diese Machtlosigkeit gespürt hatte. Aber das hieß nicht, dass es wirklich Snape sein musste. Auch wenn es....Harry glaubte nicht mehr, dass er sich in einem Traum befand. Dieses Gefühl war zu echt gewesen. Er griff nach seinem Zauberstab. Mochten die beiden aussehen, wie sie wollten, er würde sie nun fest nehmen, es wurde wirklich Zeit.

Der Junge sah ihn wieder an, über die zu große hinweg und verzog die Lippen. „Wirklich Potter...reaktionsschnell wie immer. Sieh mich an!"

Harry blinzelte, zögerte noch einen weiteren Moment, einen Moment, der es Snape möglich machte, sein Gesicht mit einer Hand zu packen. Harry spürte, wie er in seine Augen hinein gezogen wurde. Es war ähnlich wie umgedrehte Legilmentik. Er hatte keine Ahnung, wie das möglich war, aber er spürte, wie er in den Kopf des Jungen hinein gezogen wurde und dann waren da Erinnerungen...so viele Erinnerungen. Er spürte die Führung von Snape, dass er nur zu sehen bekam, was er sehen sollte, aber es war ihm gleich. Er sah seine Mutter in unglaublich vielen verschiedenen Facetten, sah sie als kleines Mädchen und später auf einem Ball mit James, sah sie über ein Tränkebuch gebeugt, auf eine Haarsträhne kauend.....und dann sah er sich Dumbledore gegenüber, oben auf dem Turm und er spürte, wie er die Hand hob und den Unverzeilichen ausstieß. Und dann spürte er, wie er starb.

Harry keuchte und wich zurück, sobald der eiserne Griff um seinen Geist sich löste, torkelte an die nächste Wand. Er presste seine Hand auf den Hals. Warum nur hatte er das Gefühl nicht mehr atmen zu können? Erde und Stein lagen auf ihm, das spürte er immer noch. Spürte, wie er erwachte, obwohl dem nicht so sein sollte, wie alles plötzlich ins Sein gerissen wurde, wo vorher nichts gewesen war, nicht einmal Schwärze...er spürte, wie er gegen seinen eigenen Sarg schlug, ihn dann mit Magie sprengte...wie er sich durch die Erde nach oben bohrte, kurz vorm Ersticken.

Selbst die Erinnerung an diese Erinnerung brauchte Zeit, ehe sie ihn aus seinen Klauen entließ.

Langsam ließ er die Hand sinken und starrte den Jungen an. Harry war sich unangenehm des Schweißes bewusst, der seinen Rücken hinunter lief und ihm die Haare am Kopf fest klebte.

„Guten Abend, Professor.", sagte er schließlich.

Snape nickte. „Guten Abend, Mr. Potter."


Disclaimer und Anmerkungen: Mir gehört weder das Harry Potter Universum, noch die aus den Büchern bekannten Charaktere. Mit dieser Geschichte wird kein Geld verdient, etc etc....

Vielen Dank für das Lesen des ersten Kapitels von 'Spiegellande'. Wer ein Review da lässt, darf sich einen Keks nehmen. ^-^

Ich wollte schon seit etwas längerer Zeit eine Geschichte über einen wider auferstandenen, verjüngten Snape schreiben. Im Prinzip die ganze Zeitreisesache, nur umgekehrt. Und ich wollte meine eigene Interpretation von Harrys Kindern mit einfließen lassen, insbesondere von Albus und Lily, die dann im nächsten Kapitel auftauchen werden.

Hoffe, euch gefällt, was ich aus ihnen gemacht habe. ^.-