Freya - Inghean ó na crann

Prolog

Der Wind pfiff um das Haus, rüttelte an den grünen Fensterläden und heulte schaurig. Es war aus grauen Natursteinen gebaut, wie die kniehohe Mauer, die es umgab und strotzte den Böen der See, die über das Land hinwegfegten. Die Luft war feucht und schmeckte salzig nach Meer. Das Haus war von einem wilden Garten umwuchert und sah so ursprünglich aus, als wäre es ein Teil der Klippe und aus dieser gewachsen.
Plötzlich flog die ebenfalls grüne Tür des Hauses auf und eine junge Frau trat heraus. Sofort erfasste sie der Wind, riss an ihrem smaragdgrünen Leinenkleid und griff nach ihrem roten Haar. Doch sie huschte unbeirrt durch den ganzen Garten und pflückte Zweige von den Büschen, deren eigentümlicher Geruch vom Wind getragen wurde. Jedem Busch, dem sie einen Trieb entnahm und in dem großen Binsenkorb über ihrem Arm sammelte, warf sie ein stilles „Tapadh leat!" zu. Als es donnerte, sah die Frau zum Himmel. „Tha an t-uisge ann", murmelte sie leise für sich und eilte zurück ins Haus. Kaum hatte sie die Tür hinter sich zugezogen, rissen draußen die Wolken auf und der Regen prasselte auf die Erde nieder. Sie schüttelte ihr Haar, lächelte und stellte dann den Korb mit den Trieben auf die Küchenzeile, die einen Großteil des kleinen Raums einnahm. Dieser Raum glich einer kleinen Küche, mit vielen Schränken, der Arbeitsfläche, einem winzigen Esstisch und einer Feuerstelle. Es gingen zwei weitere Räume davon ab. Die Frau zog sich eine Schürze über, entfachte ein Feuer in der Feuerstelle, welche sich in der Mitte des Raumes befand. Dann zupfte sie am Tisch die Blätter von den Trieben und zerrieb sie in einer steinernen Reibschale. Während sie vor sich hinarbeitete, sang die Frau mit heller Stimme:

Chì mi gun dàil an t-àite san d'rugadh mi
Cuirear orm fàilte sa cehànain a thuigeas mi
Gheibh mi ann aoidh agus gràdh nuair a ruigeam
Nach reicinn air tunnachan òir.

Chì mi na coilltean, chì mi na doìreachan
Chì mi ann màghan bàna is toraiche
Chì mi na féidh air làr nan coireachan
Falaicht' an trusgan de cheò.

Beanntaichean àrda is àillidh leacainnean.
Sluagh ann an còmhnuidh is còire cleachdainnean
‚S aotrom mo cheum a'leum g'am faicinn
Is fanaidh mi tacan le deòin.

Der letzte Ton des Liedes war gerade wehmütig im Heulen des Sturms versunken, da klopfte es an der Tür. Die Frau fuhr zusammen, legte die Schürze ab und öffnete die Tür. „Luna!", rief sie aus, „Dè tha a'dol?" „Ich…", begann das blonde, vom Regen völlig durchnässte Mädchen, doch die Rothaarige unterbrach sie. „Thig a-staigh!", forderte sie die andere auf und zog sie zu sich ins Haus. Erst nachdem sie das Mädchen vor dem Feuer verfrachtet, in eine Decke gehüllt und mit heißem Ingwerwasser versorgt hatte, fragte sie: „Ciamar a tha thu? Dè tha a'dol?"
„Es geht los. Sie stehen vor Hogwarts Toren", sagte das Mädchen ruhig. „An e'n fhirinn a th' aquad?", der Blick der Rothaarigen hatte sich verfinstert. „Selbstverständlich", murmelte Luna „Und mich hat gewiss niemand mit einem Blubberzauber belegt!"
„Was kann ich tun?", fragte die junge Frau schlicht. „Freya", flüsterte die Jüngere, „Du musst mitkommen, wir brauchen dich! Dich und deine Kräfte!" „Ich komme und zwar nicht allein. Das habe ich dir doch versprochen!"
„Tapadh leat", versuchte Luna sich verträumt zu bedanken. „Ich trommle nur noch die anderen zusammen, dann brechen wir auf." „Ich kann nicht auf euch warten, Harry braucht mich jetzt. Er muss das verschollene Diadem von Ravenclaw finden und zwar so schnell wie möglich!" „Wir kommen nach, sobald es geht", versprach Freya. Sie brachte Luna zur Tür. „Deagh dhùrachd!", wünschte sie ihr, „Und pass gut auf dich auf!" „Mir geschieht nichts", sinnierte Luna und verschwand nach einer innigen Umarmung im Regen. Freya sah ihrer kleinen Freundin noch kurz hinterher, dann drehte sie sich abrupt um.
Freya eilte ins Zimmer nebenan und nahm einen verschnörkelten Handspiegel aus einer großen schwarzen Truhe, die am Fußende des hölzernen Betts stand. Sie legte ihn in der Küche auf den Tisch und sagte deutlich „Aonaibh ri cheile! Es geht los…" Das Glas des Spiegels strahlte blau bei diesen Worten und erlosch nur langsam wieder. Freya brachte ihn zurück ins Schlafzimmer, dann murmelte sie einige Worte und stand wie von Zauberhand komplett neu gekleidet mit einer großen ledernen Tasche dort.
Sie trug nun statt des Kleides eine braune, eng anliegende Lederhose und eine lange, dunkelgrüne Tunika, die aus Ranken gewebt und mit Efeu geschmückt war.
Nur den Bruchteil einer Sekunde später, klopfte es erneut an der Tür, gleich mehrfach und äußerst energisch. Ohne zu zögern traten nacheinander drei Frauen ein, die ebenso ungewöhnlich und schön aussahen wie Freya. Eine war blass wie Schnee, mit tiefschwarzem Haar und violett glühenden Augen, die andere hatte goldig glänzendes Haar und kirschrote Augen und die letzte silbrig-weiß funkelndes Haar, ebenfalls äußerst helle Haut und kristallblaue Augen. Sie alle trugen ähnliche Hosen und Tuniken wie Freya, nur in anderen Farbschattierungen. „Menglada, Meredith, Rhia – schön, dass ihr gekommen seid!"
„Es ist also wirklich soweit?", fragte die schwarzhaarige Menglada. „Ich fürchte schon", flüsterte Freya. „Zeit, um Rache zu nehmen!", zischte Meredith und stampfte mit dem Fuß auf. Funken stoben unter ihren Sohlen hervor. Menglada legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Lasst uns keine Zeit mehr verlieren", drängte Rhia mit vor Sorge
Getrübten Kristallaugen.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln verließen die Frauen das Haus. Freya wollte die Tür verriegeln, doch Menglada schnaubte nur. „Wenn sie wirklich hereinwollen, wird sie das nicht aufhalten." „Trotzdem", nuschelte Freya, „So habe ich ein besseres Gefühl!" Menglada schüttelte den Kopf und schloss zu den anderen auf. Freya folgte ihr, nachdem sie noch einmal wehmütig die Hand auf die vertraute Tür gepresst hatte.
Ein Blitz zuckte über den Himmel, als sich die Frauen im Garten im Kreis aufstellten, an den Händen fassten und gen Himmel sangen:

Ó oíche go hoích, mo thuras
An bealach fada romham
Ó lá go lá mo thuras
Na sceálta na mbeidh a choích!

Freya umschloss mit der Hand einen hölzernen Fünfstern, den sie an einem Lederband um den Hals trug und murmelte leise: „A Dhia, thois cpbhair!", dann disapparierten die Frauen und ließen nichts zurück als ein paar aufgewirbelte Blättern.