Hitomi
Hitomi, ein kleines schmächtiges Mädchen von etwa 10 Jahren saß am Fenster ihres Zimmers und blickte auf die Straße vor ihr, als die Stimme ihrer Mutter sie unsanft aus ihrem Tagtraum riss. „Hitomi, wo bleibst du? Wir kommen zu spät zum Bahnhof, wenn du dich nicht beeilst."Darauf folgte die wütende Stimme ihrer Schwester Valerie: „Wenn du nicht sofort deinen Hintern zum Auto bewegst, dann und das schwör ich dir, lassen wir dich hier!" Hitomi rutschte langsam vom Fenstersims, griff nach ihrer Jacke und ihrem Rucksack und verließ gemächlich ihr Zimmer. Hitomis Familie machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Wie jedes Jahr würden sie von London King´s Cross aus mit dem Zug nach Hastings fahren, um dort Großmutter Vandom zu besuchen. Der einzige Unterschied bestand heuer darin, dass die fünfköpfige Familie diesmal nicht während der Ferien, sondern zu Ferienende fuhr. Für Hitomi und ihre zwei älteren Schwestern Valerie und Leonie hätte eigentlich genau an diesem Tag die Schule wieder begonnen, doch auf Ersuch ihrer Eltern, blieb ihnen der Schulanfang erspart. Nun, genaugenommen würde er nur hinausgezögert, in drei Tagen wären auch für die drei Schwestern die „ach- so- kurzen"Ferien zu Ende. Doch was zu dem gegebenen Zeitpunkt noch niemand ahnen konnte - Diese Reise würde für Hitomi ein ganz besonderer Auftakt ins neue Schuljahr werden. Ja, diese Reise würde das Leben des kleinen Mädchens auf außergewöhnliche Art und Weise für immer verändern.
Ein kräftiger Windstoß fand seinen Weg durch das leicht geöffnete Autofenster in dem Moment, als Hitomis Vater den Wagen aus der Einfahrt fuhr, und zersauste die schwarzen Haare des Mädchens. Hitomi saß völlig reglos am Fenster und schaute hinaus. Sie lauschte den Gesprächen ihrer älteren Schwestern und machte sich selbst ihre eigenen Gedanken darüber, obgleich sie sich nie daran beteiligte. Sie war schon immer etwas schweigsam gewesen, ganz im Gegensatz zu Leonie und Valerie, die beide sehr quirlige und laute Mädchen waren. Außerdem sah Hitomi so gar nicht wie der Rest ihrer Familie aus. Sie hatte weder blondes noch braunes Haar, wie die anderen. Tatsächlich wurden ihre Eltern schon oft gefragt, von wem ihr jüngstes Kind nun eigentlich die rabenschwarzen Haare geerbt hatte. Die Antwort auf diese Frage hatte ihnen einst Großmutter Vandom verraten. Ihrer Ansicht nach konnten „diese"Haare nur von Ururgroßmutter Notburga stammen. Da allerdings niemand, außer Großmutter selbst mehr wusste, wie Notburga ausgesehen hatte, musste die Familie ganz einfach auf die Richtigkeit dieser Erklärung vertrauen. Dazu kam, dass Hitomis Augenfarbe sich vollkommen von den Augenfarben ihrer Eltern und Geschwister unterschied. Diese „Teufelsaugen", wie die alte, verwirrte und mittlerweile verstorbene Großtante der Familie sie einst genannt hatte, wirkten tatsächlich bei näherer Betrachtung etwas unheimlich. Hatten doch Hitomis Eltern beide grüne Augen, so verwunderte es jeden, der dies beobachtete, dass das Mädchen selbst bersteinfarbene Katzenaugen besaß. Hitomi selbst, störte dies nicht im geringsten. Im Gegenteil, es gefiel ihr sogar ziemlich gut, wirkte sie doch sonst eher blass und kränklich und nach ihrem Geschmack fast ein bisschen zu normal.
Der Wagen hielt an und weckte die träumende Hitomi, die während der Fahrt eingeschlafen war. Nur widerwillig öffnete sie ihre Augen. Ihr erster Blick fiel auf den Parkplatz, auf die vielen Menschen die umhereilten und auf das Bahnhofsgelände, das sich, halb vom riesigen Bahnhofsgebäude verdeckt, vor ihr erstreckte. Sie schlüpfte umständlich in ihre Jacke, hängte sich den Rucksack um und stieg fröstelnd aus dem Auto. Die Familie machte sich gemeinsam auf den Weg zum Bahnsteig zehn, wo die Eltern ihre Töchter für ein paar Minuten alleine ließen, um die Fahrkarten und ein paar Snacks zu besorgen. Als diese verschwunden waren, machten sich Hitomi, Leonie und Valerie auf die Suche nach einem Sitzplatz. Sie setzten sich schließlich auf eine grüne Bank, die sich etwas abseits befand und ihnen freie Sicht auf Gleis neun bot. Die Mädchen saßen schweigend nebeneinander, wobei Valerie und Leonie aufmerksam das rege Treiben auf den Bahnsteigen beobachteten, während ihre jüngere Schwester, den Kopf auf den eingezogenen Knien liegen, ausdruckslos gen Bahnhofsboden starrte. „Ich glaub mich knutscht´n Elch!"Das dritte Mal in Folge, wurde Hitomi aus ihren Gedanken gerissen. Neugierig blickte das Mädchen ihre Schwester Valerie an, die soeben laut ausgerufen hatte und offensichtlich ganz aus dem Häuschen war. Auch Leonie wandte sich fragend und zugleich ein bisschen erschrocken zu ihrer älteren Schwester um. Was war denn bloß so unglaublich, dass es Valerie derart in Erstauen versetzte? Doch anstatt einer Erklärung, deutete diese bloß mit dem Zeigefinger in Richtung Gleiß neun. Gespannt verfolgten die Mädchen das Deuten Valeries und sahen, dass sie auf die Absperrung zwischen Bahnsteig neun und zehn wies. Erst jetzt begriffen sie, dass es eine Gruppe seltsam gekleideter Menschen war, die Valeries Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben musste. Das Außergewöhnliche an diesen Menschen waren zweifellos die feuerroten Haare, die jede dieser sechs Personen mehr oder minder besaß. Einzig ein Junge unterschied sich von ihnen. Er war gekleidet wie sie, doch hatte er schwarzes Haar und außerdem stand er etwas abseits von ihnen, er gehörte offensichtlich nicht dieser Familie an. Ohne ihren Blick von diesen Menschen abzuwenden meinte Leonie fassungslos: „Ich hab noch nie solch unglaublich rote Haare gesehen, ihr etwa?" Während Hitomi nur nickte fiel Valeries Antwort anders aus als erwartet: „Nein hab' ich nicht, aber es sind ja auch nicht die Haare, die ich meine. Da ist gerade einer von denen in dieser Backsteinmauer, ich meine diese Absperrung zwischen Gleiß neun und zehn, verschwunden."Leonie wollte gerade die Hand heben, um ihrer Schwester höhnisch den Vogel zu zeigen, als einer der sechs Rothaarigen anfing, geradewegs auf die massive Mauer zuzulaufen, um keine drei Sekunden später in dieser zu verschwinden. Es wirkte beinahe so, als hätte ihn diese Mauer förmlich mit Haut und Haaren verschluckt. Jetzt war es an Leonie erschrocken aufzuschreien. Hitomi konnte sehen, wie ihre Schwester unbewusst ihre Kinnlade sinken ließ und musste unweigerlich darüber lächeln. Auch sie beobachtete daraufhin schweigend, wie alle diese Personen, einschließlich des schwarzhaarigen Jungen, nach und nach in der Absperrung verschwanden. Als auch der Letzte von ihnen sich buchstäblich mit dieser Backsteinmauer vereinigt hatte, konnte Hitomi ihre Schwestern leise schlucken hören, da diese offenbar während des seltsamen Vorganges vollkommen darauf vergessen hatten. Doch musste sie sich eingestehen, dass sie nicht minder erstaunt und vielleicht sogar ein wenig erschrocken war. Die Erste, die sich aus ihrer Erstarrung wieder aufrichtete, war Valerie. Sie erhob sich und blickte ihre Schwestern auffordernd an. Die beiden standen wortlos auf und folgten ihr, wie selbstverständlich, in Richtung Absperrung. Nur langsam näherten sich die drei dieser eigentlich völlig harmlos ausschauenden Mauer und selbst als sie vor ihr standen, war alles, wider ihren Erwartungen, vollkommen normal. Niemand schien das Verschwinden dieser Menschen bemerkt zu haben und wenn es doch jemand bemerkt haben sollte, so schien es denjenigen ganz und gar nicht zu interessieren. Die drei Schwestern standen nun keine zwei Schritte mehr von dieser Absperrung entfernt, sie hatten einen Halbkreis um ihn gebildet und ihr Anblick musste wohl etwas seltsam aussehen, wie sie da so standen und auf die Backsteine starrten. Vielleicht sogar ein bisschen diabolisch dachte Hitomi erfreut und belustigt zugleich. Schon seit sie noch ganz klein gewesen war hatte sich nämlich in ihr ein unerklärliches Interesse an Esoterischem entwickelt, wogegen sich ihre Eltern jedoch immer aufzulehnen versucht hatten. Valerie brach das Schweigen. Sie war die Älteste und übernahm nun die Aufgabe, sich den Ort des Geschehens genauer anzusehen. „Also, entweder haben wir vorhin alle fantasiert, oder ich werde jetzt gleich in dieser Absperrung verschwinden!", sagte sie, während sie sich vorsichtig der Mauer näherte. Valerie achtete nicht auf das ängstliche Flehen Leonies, sie möge doch bitte sofort stehen bleiben und marschierte weiter Richtung Backsteinmauer. Dort angelangt blieb sie stehen und hob vorsichtig ihre Hand. Hitomi verfolgte gespannt, wie ihre Schwester mit ihren Fingerspitzen sanft die Steine berührte..... ....Nichts. Trotzdem zog Valerie ruckartig ihre Hand zurück und schüttelte sich: „Wuah, gruslig ist das schon, müsst ihr wissen."Sie atmete erleichtert aus und drehte sich nun vollends zu ihren Schwestern um. Mutig geworden durch Valerie, berührte nun auch Leonie die Mauer und auch diesmal geschah nichts Außergewöhnliches. „Valerie, um ehrlich zu sein glaub ich, wir sind nicht mehr ganz richtig im Kopf. Es ist völlig unmöglich einfach so zu verschwinden und außerdem hat niemand sonst diese Menschen gesehen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir haben alles nur geträumt.", sagte Leonie und ihre Hand glitt langsam über die roten Ziegeln. In Hitomi, die bisweilen einfach nur dagestanden und ihren Schwestern zugesehen hatte, erwachte plötzlich ein eigenartiger Drang, ebenfalls diese Mauer zu berühren. Ihr war klar, dass nichts passieren würde und sie, genau wie ihre Schwestern, nicht zur Aufklärung der Dinge beitragen würde können und doch entflammte in ihr der starke Wunsch, diese kalten Steine anzufassen. Während ihre Schwestern sich bereits umgedreht hatten, um sich auf den Weg zurück zur Bank zu machen, schritt Hitomi auf die Mauer zu und blieb ganz dicht vor dieser stehen. Ihre Nasenspitze befand sich nur mehr wenige Zentimeter von den Backsteinen entfernt und sie konnte ganz deutlich die eisige Kälte, die von ihnen ausging, spüren. Hitomi fühlte ein leises Vibrieren, ausgehend von dieser Absperrung, oder kam das etwa von ihr selbst? Sie merkte deutlich, dass sie zu zittern begonnen hatte, für andere wohl kaum merklich, doch unaufhörlich. Sie wusste selbst nicht genau, woher diese Anspannung, diese leise „Erregung" kam, doch war sie da und für niemanden, außer ihrer selbst, zu erkennen. „Hitomi was machst du da? Wir wollen gehen."„Komm schon, es passiert ja doch nichts.", hörte sie ihre Schwestern sagen und genau in diesem Moment berührten ihre Finger die rote Backsteinmauer und Hitomi hatte das Gefühl eingesaugt zu werden. Eingesaugt von einem übergroßen Strudel aus Luft. Überrascht stieß sie einen leisen spitzen Schrei aus und versuchte sich noch umzudrehen, um sich diesem gewaltigen Sog zu entreißen, doch er war zu stark für das Mädchen. Das Letzte was sie sah und hörte, waren Leonie und Valerie, die laut schreiend und mit angstverzerrtem Gesicht auf sie zustürmten. Die beiden schafften es nicht mehr ihre kleine Schwester festzuhalten und mussten zusehen, wie diese hilflos vor ihren Augen, in dieser scheinbar festen Materie, verschwand. Keuchend und weinend stießen sie gegen die mittlerweile wieder festgewordene Mauer und prallten an ihr zurück. Sie konnten und wollten nicht glauben, was soeben passiert war. Doch nicht nur Valerie und Leonie waren fassungslos, denn auch Hitomi selbst wagte es nicht, ihre festverschlossenen Augen zu öffnen. Selbst als sie spürte, wie alles ruckartig stehen blieb, wie diese Wand sie mehr oder weniger „ausspuckte", hielt sie diese geschlossen. Sie fürchtete sich vor dem, was sie erwartete, denn obgleich sie hoffte, dass sie sich alles nur eingebildet hatte und sie beim Öffnen ihrer Augen feststellen würde, dass sie sich in Gegenwart ihrer Schwestern befand, so hatte sie doch eine schreckliche Vorahnung, die ihr sagte, dass sie sich gewiss nicht mehr dort befand, wo sie vor ein paar Sekunden noch gewesen war. Dies lag zum einen an den ihr völlig unbekannten Geräuschen, die sie hier vernahm, zum anderen an dieser außergewöhnlichen Stimmung, die hier vorherrschte und von Hitomi als sehr aufregend empfunden wurde. So ganz anders war es hier nun mal, als in der Muggelwelt, dachte sie und stutzte als sie bemerkte, welch seltsames Wort ihr da gerade eben in den Sinn gekommen war. „Muggel"? Woher hatte sie das bloß? Jetzt wo sie darüber nachdachte, wusste sie selbst nicht mehr genau, was sie damit gemeint hatte. Doch schnell vergessen war dieses eigenartige Wort, als Hitomi zaghaft ihre Augen öffnete. Sie wusste plötzlich selbst nicht mehr, was genau sie erwartet hatte vorzufinden, doch „das"war es ganz bestimmt nicht gewesen. Vor ihr erstreckte sich ein Bahnsteig, zweimal so groß wie der, auf den sie sich eben noch befunden hatte und über ihr hing ein riesiges Messingschild mit der Aufschrift Bahnhof „King's Cross / Gleis 9 ¾". Ungläubig blickte sie auf die verschnörkelten Schriftzüge, doch selbst als Hitomi sie ein weiteres Mal las, konnte sie nicht so ganz glauben, was da stand. Soweit sie wusste, hatte es am Bahnhof King's Cross nie ein Gleis 9 ¾ gegeben. Daraus schloss sie, dass sich der Bahnhof entweder einen Scherz erlaubt haben musste, oder, und das hielt Hitomi für weitaus wahrscheinlicher, dieser Bahnsteig befand sich irgendwo auf dieser weiten Welt, ihretwegen in Guadalajara, doch gewiss nicht in London, im Bahnhof King's Cross, zwischen den ihr vertrauten Bahnsteigen neun und zehn. Sie seufzte und ließ ihren Blick auf der unglaublich großen und lärmenden Menschenmenge, die sich vor ihr auf dem breiten Bahnsteig befand, ruhen. Sie versuchte nachzudenken und eine vernünftige Erklärung für all das zu finden, doch eine solche fiel ihr beim besten Willen nicht ein. Und so beschloss das Mädchen, sich ein bisschen umzuschauen und eventuell, wenn sie den Mut dazu aufbringen würde, jemanden um Hilfe zu bitten. Sie schritt an vielen Menschen vorbei und wurde das Gefühl nicht los, dass insbesondere Kinder und Jugendliche diesen Zug betraten. Der Zug erinnerte sie irgendwie an Eisenbahnmodelle aus den 20er Jahren, obgleich er ihr, trotz seiner antiquierten Form und Fassade, sehr gut gefiel. Immer wieder wurde sie angerempelt oder missbilligend angeblickt. Dies konnte sie sich nicht ganz erklären, denn vom Kleidungsstil der meisten hob sie sich nicht wirklich ab. Hitomi hatte schnell gemerkt, dass alle hier sehr eigenartig gekleidet waren. Die Menschen trugen Umhänge und viele von ihnen hatten spitze Hüte am Kopf. Doch manche waren gekleidet wie sie, oder, dachte Hitomi, waren zumindest an dem Versuch, sich zu kleiden wie sie, kläglich gescheitert. Sie selbst trug eine schwarze Jacke und einen dunkelblauen Faltenrock, ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Einzig ihr Rücksack fiel etwas aus der Reihe, dieser hatte die Farbe einer überreifen Tomate.
Ein paar Minuten waren vergangen, als Hitomi plötzlich einen Gong vernahm, der die Schüler, wie sie mittlerweile durch Wortfetzen herauszuhören vermocht hatte, dazu aufrief sich schleunigst in den Zug zu begeben. Genau in diesem Moment erblickte Hitomi die rundliche Frau mit den feuerroten Haaren von vorhin. Sie setzte zu gehen an, in Richtung dieser Frau, als sie plötzlich zwei sanfte, wenn auch bestimmte Hände an ihren Hüften spürte. Jemand hob sie hoch und setzte sie unvermittelt in die noch offenen Zugtür. „Mädchen, Mädchen,"sprach eine sanfte Frauenstimme leicht anklagend, „ der Zug fährt und du läufst hier immer noch rum. Du hättest beinahe die Abfahrt verpasst und das auf deiner ersten Fahrt nach Hogwarts. Viel Spaß dort, Mädchen!"Hitomi drehte sich um und suchte dabei nach passenden Worten, um dieser Frau zu erklären, dass sie nicht vorhatte nach „Hogwarts" mitzufahren. Doch genau in dem Moment, als sie wieder aus dem Zug springen wollte, schloss sich die Tür und der Zug setzte sich in Bewegung. Das Mädchen wollte nicht wahrhaben, was soeben geschehen war und schlug wütend mit der Faust gegen das Glasfenster. „Nein!", schrie sie, wenn auch nur leise, „Nein! Nein! Nein! Nein!" Doch alles was sie tun konnte, war auf den Bahnsteig und auf die vielen Menschen zu blicken und zu beobachten, wie diese immer schneller immer kleiner wurden, um schlussendlich vollends vor ihren Augen zu verschwinden. Hitomi war gefangen in diesem Zug und musste sich wohl oder übel ihrem Schicksal stellen. Sie ließ resignieren die Arme sinken und sank auf den Boden. Dort blieb sie sitzen, an eine Wand gelehnt und darauf wartend, dass jemand vorbeikommen würde der bereit war, ihr Antworten auf ihre unzähligen Fragen zu geben.
Hitomi, ein kleines schmächtiges Mädchen von etwa 10 Jahren saß am Fenster ihres Zimmers und blickte auf die Straße vor ihr, als die Stimme ihrer Mutter sie unsanft aus ihrem Tagtraum riss. „Hitomi, wo bleibst du? Wir kommen zu spät zum Bahnhof, wenn du dich nicht beeilst."Darauf folgte die wütende Stimme ihrer Schwester Valerie: „Wenn du nicht sofort deinen Hintern zum Auto bewegst, dann und das schwör ich dir, lassen wir dich hier!" Hitomi rutschte langsam vom Fenstersims, griff nach ihrer Jacke und ihrem Rucksack und verließ gemächlich ihr Zimmer. Hitomis Familie machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Wie jedes Jahr würden sie von London King´s Cross aus mit dem Zug nach Hastings fahren, um dort Großmutter Vandom zu besuchen. Der einzige Unterschied bestand heuer darin, dass die fünfköpfige Familie diesmal nicht während der Ferien, sondern zu Ferienende fuhr. Für Hitomi und ihre zwei älteren Schwestern Valerie und Leonie hätte eigentlich genau an diesem Tag die Schule wieder begonnen, doch auf Ersuch ihrer Eltern, blieb ihnen der Schulanfang erspart. Nun, genaugenommen würde er nur hinausgezögert, in drei Tagen wären auch für die drei Schwestern die „ach- so- kurzen"Ferien zu Ende. Doch was zu dem gegebenen Zeitpunkt noch niemand ahnen konnte - Diese Reise würde für Hitomi ein ganz besonderer Auftakt ins neue Schuljahr werden. Ja, diese Reise würde das Leben des kleinen Mädchens auf außergewöhnliche Art und Weise für immer verändern.
Ein kräftiger Windstoß fand seinen Weg durch das leicht geöffnete Autofenster in dem Moment, als Hitomis Vater den Wagen aus der Einfahrt fuhr, und zersauste die schwarzen Haare des Mädchens. Hitomi saß völlig reglos am Fenster und schaute hinaus. Sie lauschte den Gesprächen ihrer älteren Schwestern und machte sich selbst ihre eigenen Gedanken darüber, obgleich sie sich nie daran beteiligte. Sie war schon immer etwas schweigsam gewesen, ganz im Gegensatz zu Leonie und Valerie, die beide sehr quirlige und laute Mädchen waren. Außerdem sah Hitomi so gar nicht wie der Rest ihrer Familie aus. Sie hatte weder blondes noch braunes Haar, wie die anderen. Tatsächlich wurden ihre Eltern schon oft gefragt, von wem ihr jüngstes Kind nun eigentlich die rabenschwarzen Haare geerbt hatte. Die Antwort auf diese Frage hatte ihnen einst Großmutter Vandom verraten. Ihrer Ansicht nach konnten „diese"Haare nur von Ururgroßmutter Notburga stammen. Da allerdings niemand, außer Großmutter selbst mehr wusste, wie Notburga ausgesehen hatte, musste die Familie ganz einfach auf die Richtigkeit dieser Erklärung vertrauen. Dazu kam, dass Hitomis Augenfarbe sich vollkommen von den Augenfarben ihrer Eltern und Geschwister unterschied. Diese „Teufelsaugen", wie die alte, verwirrte und mittlerweile verstorbene Großtante der Familie sie einst genannt hatte, wirkten tatsächlich bei näherer Betrachtung etwas unheimlich. Hatten doch Hitomis Eltern beide grüne Augen, so verwunderte es jeden, der dies beobachtete, dass das Mädchen selbst bersteinfarbene Katzenaugen besaß. Hitomi selbst, störte dies nicht im geringsten. Im Gegenteil, es gefiel ihr sogar ziemlich gut, wirkte sie doch sonst eher blass und kränklich und nach ihrem Geschmack fast ein bisschen zu normal.
Der Wagen hielt an und weckte die träumende Hitomi, die während der Fahrt eingeschlafen war. Nur widerwillig öffnete sie ihre Augen. Ihr erster Blick fiel auf den Parkplatz, auf die vielen Menschen die umhereilten und auf das Bahnhofsgelände, das sich, halb vom riesigen Bahnhofsgebäude verdeckt, vor ihr erstreckte. Sie schlüpfte umständlich in ihre Jacke, hängte sich den Rucksack um und stieg fröstelnd aus dem Auto. Die Familie machte sich gemeinsam auf den Weg zum Bahnsteig zehn, wo die Eltern ihre Töchter für ein paar Minuten alleine ließen, um die Fahrkarten und ein paar Snacks zu besorgen. Als diese verschwunden waren, machten sich Hitomi, Leonie und Valerie auf die Suche nach einem Sitzplatz. Sie setzten sich schließlich auf eine grüne Bank, die sich etwas abseits befand und ihnen freie Sicht auf Gleis neun bot. Die Mädchen saßen schweigend nebeneinander, wobei Valerie und Leonie aufmerksam das rege Treiben auf den Bahnsteigen beobachteten, während ihre jüngere Schwester, den Kopf auf den eingezogenen Knien liegen, ausdruckslos gen Bahnhofsboden starrte. „Ich glaub mich knutscht´n Elch!"Das dritte Mal in Folge, wurde Hitomi aus ihren Gedanken gerissen. Neugierig blickte das Mädchen ihre Schwester Valerie an, die soeben laut ausgerufen hatte und offensichtlich ganz aus dem Häuschen war. Auch Leonie wandte sich fragend und zugleich ein bisschen erschrocken zu ihrer älteren Schwester um. Was war denn bloß so unglaublich, dass es Valerie derart in Erstauen versetzte? Doch anstatt einer Erklärung, deutete diese bloß mit dem Zeigefinger in Richtung Gleiß neun. Gespannt verfolgten die Mädchen das Deuten Valeries und sahen, dass sie auf die Absperrung zwischen Bahnsteig neun und zehn wies. Erst jetzt begriffen sie, dass es eine Gruppe seltsam gekleideter Menschen war, die Valeries Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben musste. Das Außergewöhnliche an diesen Menschen waren zweifellos die feuerroten Haare, die jede dieser sechs Personen mehr oder minder besaß. Einzig ein Junge unterschied sich von ihnen. Er war gekleidet wie sie, doch hatte er schwarzes Haar und außerdem stand er etwas abseits von ihnen, er gehörte offensichtlich nicht dieser Familie an. Ohne ihren Blick von diesen Menschen abzuwenden meinte Leonie fassungslos: „Ich hab noch nie solch unglaublich rote Haare gesehen, ihr etwa?" Während Hitomi nur nickte fiel Valeries Antwort anders aus als erwartet: „Nein hab' ich nicht, aber es sind ja auch nicht die Haare, die ich meine. Da ist gerade einer von denen in dieser Backsteinmauer, ich meine diese Absperrung zwischen Gleiß neun und zehn, verschwunden."Leonie wollte gerade die Hand heben, um ihrer Schwester höhnisch den Vogel zu zeigen, als einer der sechs Rothaarigen anfing, geradewegs auf die massive Mauer zuzulaufen, um keine drei Sekunden später in dieser zu verschwinden. Es wirkte beinahe so, als hätte ihn diese Mauer förmlich mit Haut und Haaren verschluckt. Jetzt war es an Leonie erschrocken aufzuschreien. Hitomi konnte sehen, wie ihre Schwester unbewusst ihre Kinnlade sinken ließ und musste unweigerlich darüber lächeln. Auch sie beobachtete daraufhin schweigend, wie alle diese Personen, einschließlich des schwarzhaarigen Jungen, nach und nach in der Absperrung verschwanden. Als auch der Letzte von ihnen sich buchstäblich mit dieser Backsteinmauer vereinigt hatte, konnte Hitomi ihre Schwestern leise schlucken hören, da diese offenbar während des seltsamen Vorganges vollkommen darauf vergessen hatten. Doch musste sie sich eingestehen, dass sie nicht minder erstaunt und vielleicht sogar ein wenig erschrocken war. Die Erste, die sich aus ihrer Erstarrung wieder aufrichtete, war Valerie. Sie erhob sich und blickte ihre Schwestern auffordernd an. Die beiden standen wortlos auf und folgten ihr, wie selbstverständlich, in Richtung Absperrung. Nur langsam näherten sich die drei dieser eigentlich völlig harmlos ausschauenden Mauer und selbst als sie vor ihr standen, war alles, wider ihren Erwartungen, vollkommen normal. Niemand schien das Verschwinden dieser Menschen bemerkt zu haben und wenn es doch jemand bemerkt haben sollte, so schien es denjenigen ganz und gar nicht zu interessieren. Die drei Schwestern standen nun keine zwei Schritte mehr von dieser Absperrung entfernt, sie hatten einen Halbkreis um ihn gebildet und ihr Anblick musste wohl etwas seltsam aussehen, wie sie da so standen und auf die Backsteine starrten. Vielleicht sogar ein bisschen diabolisch dachte Hitomi erfreut und belustigt zugleich. Schon seit sie noch ganz klein gewesen war hatte sich nämlich in ihr ein unerklärliches Interesse an Esoterischem entwickelt, wogegen sich ihre Eltern jedoch immer aufzulehnen versucht hatten. Valerie brach das Schweigen. Sie war die Älteste und übernahm nun die Aufgabe, sich den Ort des Geschehens genauer anzusehen. „Also, entweder haben wir vorhin alle fantasiert, oder ich werde jetzt gleich in dieser Absperrung verschwinden!", sagte sie, während sie sich vorsichtig der Mauer näherte. Valerie achtete nicht auf das ängstliche Flehen Leonies, sie möge doch bitte sofort stehen bleiben und marschierte weiter Richtung Backsteinmauer. Dort angelangt blieb sie stehen und hob vorsichtig ihre Hand. Hitomi verfolgte gespannt, wie ihre Schwester mit ihren Fingerspitzen sanft die Steine berührte..... ....Nichts. Trotzdem zog Valerie ruckartig ihre Hand zurück und schüttelte sich: „Wuah, gruslig ist das schon, müsst ihr wissen."Sie atmete erleichtert aus und drehte sich nun vollends zu ihren Schwestern um. Mutig geworden durch Valerie, berührte nun auch Leonie die Mauer und auch diesmal geschah nichts Außergewöhnliches. „Valerie, um ehrlich zu sein glaub ich, wir sind nicht mehr ganz richtig im Kopf. Es ist völlig unmöglich einfach so zu verschwinden und außerdem hat niemand sonst diese Menschen gesehen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir haben alles nur geträumt.", sagte Leonie und ihre Hand glitt langsam über die roten Ziegeln. In Hitomi, die bisweilen einfach nur dagestanden und ihren Schwestern zugesehen hatte, erwachte plötzlich ein eigenartiger Drang, ebenfalls diese Mauer zu berühren. Ihr war klar, dass nichts passieren würde und sie, genau wie ihre Schwestern, nicht zur Aufklärung der Dinge beitragen würde können und doch entflammte in ihr der starke Wunsch, diese kalten Steine anzufassen. Während ihre Schwestern sich bereits umgedreht hatten, um sich auf den Weg zurück zur Bank zu machen, schritt Hitomi auf die Mauer zu und blieb ganz dicht vor dieser stehen. Ihre Nasenspitze befand sich nur mehr wenige Zentimeter von den Backsteinen entfernt und sie konnte ganz deutlich die eisige Kälte, die von ihnen ausging, spüren. Hitomi fühlte ein leises Vibrieren, ausgehend von dieser Absperrung, oder kam das etwa von ihr selbst? Sie merkte deutlich, dass sie zu zittern begonnen hatte, für andere wohl kaum merklich, doch unaufhörlich. Sie wusste selbst nicht genau, woher diese Anspannung, diese leise „Erregung" kam, doch war sie da und für niemanden, außer ihrer selbst, zu erkennen. „Hitomi was machst du da? Wir wollen gehen."„Komm schon, es passiert ja doch nichts.", hörte sie ihre Schwestern sagen und genau in diesem Moment berührten ihre Finger die rote Backsteinmauer und Hitomi hatte das Gefühl eingesaugt zu werden. Eingesaugt von einem übergroßen Strudel aus Luft. Überrascht stieß sie einen leisen spitzen Schrei aus und versuchte sich noch umzudrehen, um sich diesem gewaltigen Sog zu entreißen, doch er war zu stark für das Mädchen. Das Letzte was sie sah und hörte, waren Leonie und Valerie, die laut schreiend und mit angstverzerrtem Gesicht auf sie zustürmten. Die beiden schafften es nicht mehr ihre kleine Schwester festzuhalten und mussten zusehen, wie diese hilflos vor ihren Augen, in dieser scheinbar festen Materie, verschwand. Keuchend und weinend stießen sie gegen die mittlerweile wieder festgewordene Mauer und prallten an ihr zurück. Sie konnten und wollten nicht glauben, was soeben passiert war. Doch nicht nur Valerie und Leonie waren fassungslos, denn auch Hitomi selbst wagte es nicht, ihre festverschlossenen Augen zu öffnen. Selbst als sie spürte, wie alles ruckartig stehen blieb, wie diese Wand sie mehr oder weniger „ausspuckte", hielt sie diese geschlossen. Sie fürchtete sich vor dem, was sie erwartete, denn obgleich sie hoffte, dass sie sich alles nur eingebildet hatte und sie beim Öffnen ihrer Augen feststellen würde, dass sie sich in Gegenwart ihrer Schwestern befand, so hatte sie doch eine schreckliche Vorahnung, die ihr sagte, dass sie sich gewiss nicht mehr dort befand, wo sie vor ein paar Sekunden noch gewesen war. Dies lag zum einen an den ihr völlig unbekannten Geräuschen, die sie hier vernahm, zum anderen an dieser außergewöhnlichen Stimmung, die hier vorherrschte und von Hitomi als sehr aufregend empfunden wurde. So ganz anders war es hier nun mal, als in der Muggelwelt, dachte sie und stutzte als sie bemerkte, welch seltsames Wort ihr da gerade eben in den Sinn gekommen war. „Muggel"? Woher hatte sie das bloß? Jetzt wo sie darüber nachdachte, wusste sie selbst nicht mehr genau, was sie damit gemeint hatte. Doch schnell vergessen war dieses eigenartige Wort, als Hitomi zaghaft ihre Augen öffnete. Sie wusste plötzlich selbst nicht mehr, was genau sie erwartet hatte vorzufinden, doch „das"war es ganz bestimmt nicht gewesen. Vor ihr erstreckte sich ein Bahnsteig, zweimal so groß wie der, auf den sie sich eben noch befunden hatte und über ihr hing ein riesiges Messingschild mit der Aufschrift Bahnhof „King's Cross / Gleis 9 ¾". Ungläubig blickte sie auf die verschnörkelten Schriftzüge, doch selbst als Hitomi sie ein weiteres Mal las, konnte sie nicht so ganz glauben, was da stand. Soweit sie wusste, hatte es am Bahnhof King's Cross nie ein Gleis 9 ¾ gegeben. Daraus schloss sie, dass sich der Bahnhof entweder einen Scherz erlaubt haben musste, oder, und das hielt Hitomi für weitaus wahrscheinlicher, dieser Bahnsteig befand sich irgendwo auf dieser weiten Welt, ihretwegen in Guadalajara, doch gewiss nicht in London, im Bahnhof King's Cross, zwischen den ihr vertrauten Bahnsteigen neun und zehn. Sie seufzte und ließ ihren Blick auf der unglaublich großen und lärmenden Menschenmenge, die sich vor ihr auf dem breiten Bahnsteig befand, ruhen. Sie versuchte nachzudenken und eine vernünftige Erklärung für all das zu finden, doch eine solche fiel ihr beim besten Willen nicht ein. Und so beschloss das Mädchen, sich ein bisschen umzuschauen und eventuell, wenn sie den Mut dazu aufbringen würde, jemanden um Hilfe zu bitten. Sie schritt an vielen Menschen vorbei und wurde das Gefühl nicht los, dass insbesondere Kinder und Jugendliche diesen Zug betraten. Der Zug erinnerte sie irgendwie an Eisenbahnmodelle aus den 20er Jahren, obgleich er ihr, trotz seiner antiquierten Form und Fassade, sehr gut gefiel. Immer wieder wurde sie angerempelt oder missbilligend angeblickt. Dies konnte sie sich nicht ganz erklären, denn vom Kleidungsstil der meisten hob sie sich nicht wirklich ab. Hitomi hatte schnell gemerkt, dass alle hier sehr eigenartig gekleidet waren. Die Menschen trugen Umhänge und viele von ihnen hatten spitze Hüte am Kopf. Doch manche waren gekleidet wie sie, oder, dachte Hitomi, waren zumindest an dem Versuch, sich zu kleiden wie sie, kläglich gescheitert. Sie selbst trug eine schwarze Jacke und einen dunkelblauen Faltenrock, ihre schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Einzig ihr Rücksack fiel etwas aus der Reihe, dieser hatte die Farbe einer überreifen Tomate.
Ein paar Minuten waren vergangen, als Hitomi plötzlich einen Gong vernahm, der die Schüler, wie sie mittlerweile durch Wortfetzen herauszuhören vermocht hatte, dazu aufrief sich schleunigst in den Zug zu begeben. Genau in diesem Moment erblickte Hitomi die rundliche Frau mit den feuerroten Haaren von vorhin. Sie setzte zu gehen an, in Richtung dieser Frau, als sie plötzlich zwei sanfte, wenn auch bestimmte Hände an ihren Hüften spürte. Jemand hob sie hoch und setzte sie unvermittelt in die noch offenen Zugtür. „Mädchen, Mädchen,"sprach eine sanfte Frauenstimme leicht anklagend, „ der Zug fährt und du läufst hier immer noch rum. Du hättest beinahe die Abfahrt verpasst und das auf deiner ersten Fahrt nach Hogwarts. Viel Spaß dort, Mädchen!"Hitomi drehte sich um und suchte dabei nach passenden Worten, um dieser Frau zu erklären, dass sie nicht vorhatte nach „Hogwarts" mitzufahren. Doch genau in dem Moment, als sie wieder aus dem Zug springen wollte, schloss sich die Tür und der Zug setzte sich in Bewegung. Das Mädchen wollte nicht wahrhaben, was soeben geschehen war und schlug wütend mit der Faust gegen das Glasfenster. „Nein!", schrie sie, wenn auch nur leise, „Nein! Nein! Nein! Nein!" Doch alles was sie tun konnte, war auf den Bahnsteig und auf die vielen Menschen zu blicken und zu beobachten, wie diese immer schneller immer kleiner wurden, um schlussendlich vollends vor ihren Augen zu verschwinden. Hitomi war gefangen in diesem Zug und musste sich wohl oder übel ihrem Schicksal stellen. Sie ließ resignieren die Arme sinken und sank auf den Boden. Dort blieb sie sitzen, an eine Wand gelehnt und darauf wartend, dass jemand vorbeikommen würde der bereit war, ihr Antworten auf ihre unzähligen Fragen zu geben.
