-1Freitag, 23.11.1956
"Hey Charly! Warte mal!" Ralph mußte schon einen gehörigen Zahn zulegen, um sein bisheriges Schrittempo dem seines besten Freundes anzupassen, der es offensichtlich sehr eilig hatte in den nächsten Unterricht, der sie in den Klassenraum von Professor Slughorn in die Kerker führte, anzupassen. Nach wenigen Metern hatte er mit Charles aufgeholt, der ihn von der Seite her angrinste.
"Heut ein bißchen schwach zu Fuß, hm?"
Ralph winkte nur theatralisch ab. "Ach naja… und wenn ich im Unterricht einschlafe, das war es mir doch Wert!"
Charles Morgan lachte leise auf. Er wusste genau, dass sein Freund die Nächste selten alleine, sondern in durchaus netter, weiblicher Gesellschaft verbrachte, die ungefähr wöchentlich wechselte. Woher er das wusste? Na ganz einfach, Ralph hielt es ebenso wie er. Es war die feste Überzeugung der beiden Ravenclaws, dass es einfach zu grausam wäre, sich an eine Frau zu binden, wo es doch so viele davon auf der Welt gab, die alle ein Recht darauf hatten in den Genuß der Zuwendung von Charles Morgan und Ralph Decret zu kommen. Seinem Freund mit einem wissenden Schmunzeln auf die Schultern klopfend gingen die beiden gemeinsam, nebeneinander, weiter in Richtung Tränkeklassenzimmer.
"Ich verstehe dich Ralph, ja glaub mir ich verstehe dich. Es gibt wahrlich bessere Dinge die man tun kann, als des nachts einsam in seinem Bett zu liegen."
"Wem sagst du das…", kam es mit einem verschwörerischen Zwinkern von Ralph zurück, der noch einmal ausgiebig gähnte und sich streckte, als sie den Klassenraum schon erreicht hatten. "Dann hinein ins Vergnügen, bin mal gespannt, welche Panscherei sich Sluggi heute wieder ausgedacht hat!"
Charles war kein großer Freund der Kunst des Zaubertrankbrauens, im Gegenteil. Der einzige Grund, weshalb er dieses Fach als UTZ-Kurs belegt hatte war der, dass ein Zaubergrad in Zaubertränke fast unerlässlich war, um einen Posten im Ministerium zu bekommen, was nun einmal seiner Berufsvorstellung entsprach. So kam es, dass er auch heute mehr seine Zeit in dieser Stunde absaß, als dass er mit Konzentration bei der Sache gewesen wäre. Slughorns Worte drangen zwar rein akustisch in sein Gehör vor, fanden jedoch nicht so recht Aufnahme in seinen Gedanken, die um ganz andere Dinge kreisten wie die Frage, mit wem er morgen nach Hogsmeade gehen sollte. In dieser Woche hatte er sich aus irgendeinem Grund zurück gehalten und sich keine neue Perle angelacht, nachdem er Miriam Chauncer am Montag den Laufpaß gegeben hatte. Ihre zahlreich fließenden Tränen, als sie endlich mal begriffen hatte, dass eine Woche nun wirklich mehr als genug waren, hatten ihn wohl irgendwie abgeschreckt für die nächsten Tage. Nur, morgen alleine nach Hogsmeade? Das ging ja wohl nicht. Schließlich hatte er einen Ruf zu verlieren, was er nicht gedachte zu tun.
Suchend ließ er seinen Blick durch die Reihen der übrigen Schüler, nun ja, eigentlich beschränkt auf die Schülerinnen, gleiten um festzustellen, dass es hier kaum noch etwas ansprechendes gab, das für ihn infrage kam. Ein Wiederholungstäter war er nicht und gedachte es auch nicht zu werden. Wäre ja noch schöner. Schließlich gab es in Hogwarts mehr als genug Mädchen und er war sich seiner Wirkung, die er auf dieses Geschlecht hatte, mehr als nur bewusst. Hin und wieder fragte er sich sogar, weshalb es ständig wieder diese tränenreichen Szenen geben mußte, wenn er wieder mal ein Beziehung beendete. Immerhin hat er noch nie einem Mädchen etwas vorgemacht, noch nie von 'Liebe' gesprochen und sie alle konnten doch gut sehen, dass er nie sehr lange die Gesellschaft einer weiblichen Person suchte. Nein, das weibliche Geschlecht war wirklich eine seltsame Rasse, die er besser gar nicht erst versuchte zu verstehen. Aber solange jede aufs Neue in sich seine große Liebe sah, war für ihn ja gesorgt und er mußte kein schlechtes Gewissen haben. Ein Gewissen hatte Charles nämlich durchaus, entgegen vorherrschender Meinung.
Doch all diese Überlegungen brachten ihn einer Lösung für sein Hogsmeade-Probleme in keiner Weise näher. Aufseufzend ließ er seinen Blick zu Ralph gehen, der ihm gegenüber auf der anderen Seite des Kessels saß und sich auch tatsächlich damit beschäftigte, den von Slughorn verlangten Trank zu brauen. Naja, warum auch nicht? Er hatte ja eine Begleitung für morgen und ein sehr hübsche noch dazu. Wenn aber er morgen nicht dumm dastehen und sich zum Gespött der ganzen Schule machen wollte, sollte er langsam aber sicher echt mal in die Gänge kommen.
"Mr. Morgan, sind Sie denn noch bei uns?"
Charles sah auf, Morgan? Ja, das war sein Name, den Slughorn soeben in recht energischem Ton ausgesprochen hatte. "Sir?"
Slughorns Miene, in die er nun sah, verhieß nichts gutes. Die Hände hinter dem Rücken ineinander verhakt, stand der Professor mit zusammen gezogenen Augenbrauen neben ihm, die Augen vor Unmut leicht verdunkelt. Charles seufze innerlich. Jetzt bitte nicht noch Nachsitzen, Strafarbeit oder sonst einen Unsinn, den er gerade wirklich, wirklich nicht gebrauchen konnte.
"Können Sie bitte wiederholen, was ich gerade eben gesagt habe, Mr. Morgan?"
Erwischt. Nein, natürlich konnte Charles nicht, wie auch? Kaum etwas von dem was Slughorn von sich gegeben hatte war in seinem Gehirn angekommen. So presste er nur die Lippen aufeinander und schüttelte leicht den Kopf.
"Dachte ich mir…"
Slghorns gefährlich, drohend leise klingende Stimme verhieß Charles nichts Gutes, kannte er sie doch zu genau, hatte sie schon oft genug in einer solchen Situation gehört und meist endete genau das nicht besonders vorteilhaft für ihn. Kurz ließ er seinen Blick zu Ralph gehen, dessen Miene ebenfalls Bände sprach, erahnte sein Freund doch sicher ebenso wie er selbst, was nun folgen würde.
"Ich denke…", hörte er Slughorns leise, bedächtige Stimme und wandte ihm nun wieder seinen Blick zu, straffte dabei unwillkürlich die Schultern. "Ich denke, Sie sollten morgen anstatt nach Hogsmeade zu gehen sich mit der Kunst des Zaubertrankbrauens beschäftigen. In der Bibliothek werden Sie dazu jede Menge Material finden, wo sie den Mittag verbringen werden, Mr. Morgan."
Charles stieß langsam den angehaltenen Atem aus, während sein Blick grimmig dem Professor folgte, der ohne eine Gemütsregung weiter durch die Reihen ging und so tat, als wäre nichts geschehen. Na klar, für ihn war ja auch nichts passiert. Einen inneren Fluch ausstoßend verschränkte Charles die Arme vor der Brust und ließ sich zurück in den Stuhl fallen. "Verdammt noch mal…", zischte er dabei in Ralphs Richtung, der aber nur mit den Schultern zuckte und sich dann weiter mit dem Zaubertrank beschäftigte. Charles hingegen dachte gar nicht daran, sich in dieser Stunde noch mit Zaubertränken zu beschäftigen. Mehr als ihm Hogsmeade zu streichen konnte Sluggi nicht tun und diese Höchststrafe hatte er sich eben schon eingefangen. Nun ja, zumindest hatte sich damit das Problem erledigt, morgen ohne Begleitung dazustehen. Man soll eben immer alles von der positiven Seite sehen, so denn man eben eine findet.
Auch in der an den Zaubertankunterricht anschließende Mittagspause, hatte sich Charles' Laune noch nicht nennenswert verbessert. Lustlos stocherte er in seinem Salat herum, wobei sein Blick immer mal wieder zum Lehrertisch hinauf ging, wo er Slughorn fröhlich mit den anderen Lehrern plaudern sehen konnte. Schnaubend wandte er sich um, und seufzte theatralisch, was Ralph natürlich nicht entging, dessen Hand kurze Zeit später auf der Schulter seines Freundes landete.
"Nimm's nicht so schwer Kumpel, das passiert jedem Mal!"
Ja genau, nur half das Charles gerade beim besten Willen nicht, weil es dieses Mal eben nicht 'jedem' passiert ist, sondern ganz allein ihm. Als wären die wenigen Hogsmeade-Wochenende nicht ohnehin rar gesät, nein, mußte ihm Sluggi auch noch eines davon streichen.
"Wie schön…", murmelte er ungehalten, ließ das nächste Salatblatt für Slughorns auferlegte Strafe büßen, in dem er wütend hinein stach und es mit seiner Gabel aufspießte. "Ne, echt mal, was soll ich den ganzen Mittag in der Bib?" Ungehalten sein Besteck zur Seite legend lehnte er sich in den Stuhl zurück und schüttelte ungläubig den Kopf. "Was hatte er eigentlich so megawichtiges erzählt, das ich verpaßt habe?", erkundigte er sich bei seinem Freund und gab auf dessen Antwort, dass es irgendwelche Eigenschaften des Nieswurzes gewesen seien, nur ein desinteressiertes "Aha" von sich. Nieswurz… er kannte die Eigenschaften des Nieswurze auswendig vorwärts und rückwärts! Hätte Slughorn ihn direkt gefragt, aber nein… Naja, Slytherin eben, was soll man von deren Hauslehrer auch anderes erwarten!
Gegen Ende der Mittagspause hatte er sich mit seinem Schicksal zumindest abgefunden, ändern konnte er es ohnehin nicht mehr und was sollte es schon, so würde er zumindest dazu kommen seine aufgelaufenen Hausaufgaben für nächste Woche zu erledigen, was er sich auch fest vornahm zu erledigen, als er mit Ralph kurze Zeit später die Große Halle wieder verließ, um zum nächsten Unterricht zu gehen.
