Ein Rascheln in der Dunkelheit. Dumpfe Schritte in der Ferne. Kaltwarme, modrige Luft, die in seine Nase drang und seine Atemwege reizte. Er konnte nichts sehen und die leisen, weit entfernten Geräusche, die er vernahm, konnte er nicht zuordnen. Er konnte nicht denken – sein Kopf schmerzte. Irgendetwas war passiert, doch auch erinnern konnte er sich nicht.

Die Geräusche kamen näher, blieben aber dumpf. Es waren hastige Schritte, begleitet von einem Gespräch, immer näher kommend und sich dann wieder entfernend.

Langsam kehrte die Kraft in seinen Körper zurück, lichtete sich der Nebel in seinem Verstand. Er spürte sich selber wieder, saß angelehnt an einer Wand. Jannes tastete nach vorne in die Dunkelheit hinein, die Bewegungen von einem metallischen Rasseln begleitet, doch seine Hände griffen ins Leere; er streckte die Arme seitlich aus und – er spürte etwas Festes, ganz kalt und rau. Eine Wand zu seiner Rechten, eine andere zu seiner Linken. Wo war er?

Jannes versuchte aufzustehen, doch schon nach wenigen Zentimetern stieß er sich den Kopf an der Decke. War er in einer Höhle? Er ließ sich wieder zu Boden sinken und hob seine Hände um die Decke abzutasten, doch jetzt spürte er das Gewicht an seinen Handgelenken. Er umfasste mit seiner rechten Hand das linke Handgelenk und fühlte das eiskalte Eisen, das sein Gelenk umringt hatte. Dicke Kettenglieder gingen von der metallenen Fessel ab. Jannes' Finger tasteten von der Fessel an jedes Kettenglied ab, bis er auf die Wand hinter sich stieß, in der die Kette zu verschwinden schien. Er war gefangen.

Panik breitete sich in ihm aus. Er hatte zu zittern begonnen, atmete jetzt schneller. „Was ist passiert?", fragte er murmelnd. Seine Stimme war schwach, sein Mund trocken. Er musste hier raus, musste an die frische Luft, ins Sonnenlicht, doch wie sollte er dorthin finden, wenn er nicht einmal wusste, wo er war. Wieder tastete er die Wände ab. Sie waren flach und feinkörnig rau, womöglich aus Beton, aber definitiv keine Höhlenwände. Nach links, rechts, hinten und oben war er eingesperrt, doch als er nach vorne gegriffen hatte, hatte er nichts ertasten können. Vielleicht konnte er so entkommen. Nein, fiel ihm wieder ein, als er die Hände hob und das Gewicht der Eisenfesseln spürte. Er war angekettet wie ein Hund. Er würde nicht entkommen können, aber vielleicht konnte er immerhin weit genug kommen um irgendetwas zu sehen, irgendetwas zu entdecken. Vielleicht konnte er sogar Hilfe finden.

Er krabbelte nach vorn, tastete sich Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Die raschelnden Ketten waren lang genug und hielten ihn noch nicht zurück. Und dann, nach einem Meter oder zwei, fühlte er vor sich wieder eine Wand, doch diesmal war es kein fester Stein. Diese Wand war kälter und glatter. Sie fühlte sich an wie die Eisenfesseln an seinen Händen, sie musste ebenfalls aus Metall sein.

Jannes' Verstand sagte ihm, es nicht zu tun, doch die Angst in seiner Brust war stärker und hatte längst die Kontrolle über seinen Körper übernommen. Mit aller Kraft hämmerte er gegen die Metallwand vor ihm. „Hey! Hilfe!", rief er so laut er mit seinem noch geschwächten Körper konnte. „Bitte! Jemand muss mich hier rausholen!"

War er lebendig vergraben worden? War das ein Sarg? Nein, dachte Jannes sich, dafür war zu viel Platz hier unten. Und wieso hätte man ihn angekettet, wenn man ihn begraben wollte. Nein, er war vielleicht unter der Erde, aber nicht vergraben. Er schlug wieder gegen die metallene Wand, rief wieder um Hilfe –

Aus der Ferne näherten sich wieder Schritte. Jetzt, wo er langsam zu Kräften gekommen war, konnte er die Geräusche von außerhalb seines Gefängnisses besser zuordnen. Es waren langsame, angestrengte Schritte, die sich ihm immer weiter näherten. Und dann hörte er ganz dumpf eine männliche Stimme, eine widerliche, ölige Stimme sagen: „Der hier kommt in die zweiundzwanzig."

Die Stimme klang so nah und die folgenden Schritte, da war sich Jannes vollkommen sicher, gingen genau auf der anderen Seite seiner metallenen Wand entlang. Er haute, ja hämmerte gegen die Wand. „Hey, hilf mir bitte!", brüllte er so laut er konnte.

Das angestrengte Schlurfen der Schritte verstummte für einen Moment. „Der in der vierzehn ist aber früh wach", sagte eine andere männliche Stimme, diesmal ganz rau, dann setzten die Schrittgeräusche wieder ein.

„Wenn Gregor mit der Betäubung wieder geschlampt hat, kann er was erleben", erwiderte die ölige Stimme. „Wir sollten uns beeilen, ehe die anderen auch noch zu sich kommen."

Jannes konnte es für einen Moment nicht glauben. Die Männer hatten ihn gehört – und doch nichts getan. Sie gingen einfach weiter. Er brauchte diesen einen Moment um zu verarbeiten, was gesagt worden ist, um zu verstehen, dass diese Männer ihn wohl gefangengenommen haben.

Er hörte ein lautes Rumpeln, vielleicht war es auch ein Quietschen, gefolgt von einem plumpen Aufschlag. Nach einer Weile wieder das Rumpeln und Momente später gingen die Schritte wieder an seiner Wand entlang. Noch einmal schlug Jannes gegen die Metallwand.

„Der bedeutet 'ne Menge Arbeit, he?", sagte die raue Stimme glucksend.

„Halt's Maul, Forner. Holen wir die letzten beiden", erwiderte die ölige Stimme schlechtgelaunt.

Und so entfernten sich die Schritte der Männer wieder. Jannes blieb allein im Dunkeln zurück, angekettet und voller Angst, seinen Gedanken überlassen. Und nun breiteten sich in seinem Kopf langsam wieder Erinnerungen aus…