Disclaimer: Nach wie vor gehört eigentlich fast alles J.R.R. Tolkien. Das gebe ich ja auch zurück. Ein paar Kleinigkeiten gehören allerdings mir und die werde ich auch behalten. Nix für ungut, Professor.

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A/N: Diesmal liegen die Korrekturen in der Hand meines Fehlerfindels und das ist eindeutig ein Vorteil. Danke, Amélie.

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A/N: Dies ist der zweite Teil einer Story und zu allem Unglück auch noch ein Mittelteil. Es gibt jede Menge Charaktere, mit denen man wohl nicht viel anfangen kann, wenn man Teil 1 nicht gelesen hat. Ich sag es nur ungern, aber ohne Arenor Teil 1 dürfte es wohl mühsam werden, hier zu lesen.

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1. Kapitel: Aufbruch

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Es kommen neue Langhaare an.'

Immer wenn sie an ihn dachte, waren es ausgerechnet diese Worte, die ihr einfielen. Nicht seine letzten, die er Monate später ohne jedes Gefühl in einem Inferno aus Flammen und Rauch ausgestoßen hatte, sondern diese. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie das erste Zeichen gewesen waren, dass Veränderung über Arenor kam. Mit dem letzten Schwanenschiff, das in den weißen Elbenhafen Arengards einlief, hatte sich ihre Welt, die so viele Jahrtausende unbeeindruckt von den Vorgängen Mittelerdes bestanden hatte, in ihre Bestandteile aufgelöst. Stück für Stück schwand dahin, was so vertraut und Stück für Stück kam, was neu und nicht gewollt war. Sie mussten damit leben, die Valar fragten nicht nach ihrer Zustimmung.

Mit einem stillen Seufzer nahm sie die Silberfigur aus ihrer Manteltasche. Einen Moment betrachtete sie die nur daumengroße Darstellung einer ruhenden Mitra-Katze auf ihrer Hand, dann setzte sie sie zwischen die anderen Figuren auf die abgeflachte Kuppe des rosafarbenen Granitfindlings, der die Lichtung mitten im jetzt so winterlich hellen Wald von Ithuris beherrschte.

Oromes Dank war eigentlich der Ort, an den die Jäger der Arenai kamen, um Orome für ihr Jagdglück zu danken und zugleich Yavanna um Verzeihung zu bitten, dass sie Leben genommen hatten. Die Silberfiguren auf dem Findling zeugten davon. Seltsamerweise wurden es nie zu viele von ihnen. Wenn ein Jäger sein Geschenk herbrachte, fand er immer Platz dafür. Ayla hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, auch jetzt führte sie die Überlegung nicht wirklich bis zu ihrem Ende.

Sie war keine Jägerin, sondern die Schildmeisterin der Arenai und hierher hatte es sie trotz der drei Jahrtausende, die sie bereits auf Arenor lebte, eher selten gezogen. Das letzte Mal war ein schmerzlicher Besuch gewesen. Die Übergabe der Seele eines toten Freundes an den Vala, den er am meisten geliebt hatte. Boyar, der Jäger, gestorben durch ihre eigene Hand. Sie hatte nicht einmal um ihn getrauert. Sie tat es auch heute nicht, auch wenn der Besuch genau diesem Zweck hätte dienen sollen.

Ayla sah auf, als zwischen den winterlich kahlen Bäumen und Sträuchern am Rande der Lichtung ein großer Petai-Hirsch leise schnaubte.

„Keine Trauer", sagte sie leise. „Ich kann seinen Tod nicht beweinen. Du weißt, dass das nicht meine Art ist."

Der Petai bewegte leicht sein von einem goldenen Schimmer überzogenes Geweih. Fragend ruhten seine großen, dunklen Augen auf ihrem Gesicht. Er wusste, dass sie nicht aus diesem Grund hergekommen war.

„Sag deinem Herrn, dass die Aufgabe zu groß ist. Wir sind zu wenige, der Feind zu zahlreich und das Licht nicht stark genug. Auch der Silmaril kann daran nichts ändern."

Oromes Herold war wenig von ihrer Litanei beeindruckt. Sein gleichmäßiger Atem bildete weiße Wolken in der kalten Luft, das einzige Zeichen, dass er nicht nur ein Trugbild war.

Ayla runzelte die Stirn. Sie diskutierte mit einem Maia. Inzwischen sollte sie eigentlich gelernt haben, dass dies ein völlig sinnloses Unterfangen war. Am Ende geschah es ohnehin immer so, wie es von den Valar bestimmt war. Mit ruhigen Bewegungen zog sie ihre schwarzen Wildlederhandschuhe wieder über. Sie brauchte sie nicht wirklich gegen die Kälte, dagegen war sie wie jeder Erstgeborene beinahe unempfindlich. Aber es hatte etwas Vertrautes und in Zeiten wie diesen verzichtete keiner von ihnen gerne darauf.

„Gut, dann sag deinem Herrn eben, dass ich wiederkomme, wenn wir die Bergherrn geschlagen haben", verkündete sie mit neuer Entschlossenheit. „Wir werden uns also wohl eine Weile nicht mehr begegnen."

Sie wartete gar nicht erst ab, ob der Maia in irgendeiner Form reagieren würde. Die Entscheidung war jetzt gefallen, davon würden nun die kommenden Monate bestimmt sein. Ayla drehte sich um und verließ mit großen Schritten die Lichtung. Ihre linke Hand lag auf dem Griff ihres Schwertes. Auch das eine vertraute Geste, die ihr mehr Sicherheit als alles andere gab. Solange ein Arenai noch seine Waffen hatte, konnte nicht alles verloren sein.

Einige Schritte weiter im Wald scharrte Glormir, der goldfarbene Hengst aus Hivias Bremdal-Zucht, spielerisch mit dem linken Vorderhuf in der Schneedecke. Eine weiße Stute, sehr viel zierlicher stand neben ihm und beobachtete ruhig sein Treiben.

Ayla war nicht allein gekommen. Ihr Begleiter erhob sich bei ihrem Nahen von dem umgestürzten Baumstamm, auf dem er gesessen hatte. Er nahm seinen Bogen wieder auf und positionierte ihn in einer fließenden Bewegung auf seinem Rücken.

„War er das?" fragte er mit seiner melodischen Stimme und wie bei allen Elben aus Mittelerde klang bei ihm die gemeinsame Sprache viel weicher als bei den Arenai.

„Er war es", bestätigte Ayla. Sie winkte Glormir heran und schwang sich hinauf. „Wir müssen zurück, Andoris. Schon jetzt erreichen wir Arengard nicht mehr bei Tageslicht."

Der junge Elb schien sie gar nicht zu hören. Sein Blick war voller Trauer auf die Lichtung gerichtet, auf der nun nichts mehr außer dem Findling zu sehen war. „Meinst du, er hat mir verziehen?"

Sie hatte gewusst, dass es ein Fehler war, ihn hierher mitzunehmen. Ayla unterdrückte ein ungeduldiges Seufzen. „Boyar war nie nachtragend. Außerdem ist er jetzt in Oromes Nähe. Du hast den Goldstaub auf dem Geweih doch gesehen. Steig auf, Andoris."

Noch immer rührte sich der Waldelb nicht. Trotz seiner pelzgefütterten Kleidung in grau-weißen Farben wirkte er noch zerbrechlicher als sonst. „Ob er glücklich ist?"

Elben… immer grübelten sie und vermeinten, dem Schmerz direkt ins Gesicht sehen zu müssen, um sein Wesen zu begreifen und ertragen zu können. Es ging auch anders. Arenai hielten es jedenfalls so. Ayla hatte deswegen auch nicht vor, hier noch stundenlang zu verweilen und Boyars Freund begreiflich zu machen, dass der trinkfreudige Arenai sich keinesfalls so gegrämt hätte an seiner Stelle.

„Andoris!" holte sie ihn mit scharfer Stimme aus seiner Versunkenheit. „Ich weiß nicht, ob er glücklich ist. Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht. Wir werden es nicht ergründen können, auch wenn wir noch Jahrhunderte hier stehen. Also steig endlich auf dein Pferd oder ich lasse dich hier zurück."

Hastig gehorchte er endlich. Dieser Tonfall war ihm wohl bekannt. Sie hatten zulange auf Escalonde zusammen gekämpft, um Zweifel an ihrer Ernsthaftigkeit bei ihm zu nähren. Er war sogar beeindruckt genug, um ihr die ersten Stunden des Rückweges nicht länger mit seinen Fragen zu nahe zu kommen. Sie war unendlich dankbar dafür. In großer Stille fanden die Pferde auch ohne ihr Dazutun den Rückweg durch den Hellen Wald, der nur scheinbar für die Dauer des Winters in einen tiefen Schlaf gefallen war. Ayla war zu sehr mit den Elben vertraut, um die heimlichen Beobachter nicht zu entdecken, die aufmerksam ihren Weg verfolgten. Wie Andoris hatten auch diese ihre Kleidung den Farben dieser Jahreszeit angepasst. Wer sie nicht kannte, hätte sie nicht in den Baumkronen und den Tiefen des Waldes entdeckt.

Ithuris-Elben und Haldir treu ergeben. Sie folgten Haldir, sie folgten Elrond und auch Ayla folgten sie inzwischen. Vor wenig mehr als einem Jahr wäre es noch undenkbar gewesen. Sehr vieles wäre damals undenkbar gewesen.

„Ich wünschte, ich könnte mich bei ihm entschuldigen."

Sie schloss kurz die Augen. Besonders undenkbar wäre allerdings gewesen, dass sie freiwillig in Begleitung des redseligsten Elben Arenors unterwegs war. „Andoris, ich bitte dich wirklich, mich damit zu verschonen. Du hast vielleicht seine Seele eine Zeitlang davon abgehalten, ihren Weg anzutreten, aber ich habe ihm immerhin einen Dolch ins Herz gerammt."

Erschrocken schnappte er nach Luft. „So kannst du das nicht sagen, Ayla."

„So war es aber."

Eine Weile war das einzige Geräusch das Knirschen des Schnees unter den Hufen der Pferde. Es verstärkte sich, denn mit Anbrechen der Nacht sanken die Temperaturen und es fror wieder zu Eis, was in der strahlenden Wintersonne während des Tages angeschmolzen war. Der Winter war spät gekommen, aber mit tagelangem Schneefall und dann folgte eisige Kälte. Escalonde hatte es noch härter getroffen, wurde in Arengard berichtet. Hinter Temlars schützendem Ring verhungerten und erfroren die Bewohner ganzer Dörfer. Selbst die Bergherren hatten vor der Naturgewalt kapituliert und einen Großteil ihrer schwarzblütigen Drakan-Truppen nach Naubar, in ihre Festung Angram zurückgerufen.

„Hast du es bereut, Ayla? Ich meine, hast du jemals daran gedacht, dass du ihn vielleicht hättest gefangen nehmen und hierher zurückbringen sollen?"

„Das war deine letzte Frage zu Boyar", warnte sie ihn ernst. „Und nein, habe ich nicht."

Das war gelogen, aber er brauchte es nicht zu wissen. Zuviel Wein und nachlassende Anspannung hatten sie erst wenige Wochen zuvor in eine von Schuldgefühlen geplagte Jammergestalt verwandelt. Der Moment war allerdings nur kurz gewesen und außer einer einzigen Person hatte ihn niemand miterlebt. Es würde auch sonst keiner davon erfahren, Haldir war verschwiegen.

„Gut, dann werde ich mich auch nicht länger damit quälen", beschloss er nach kurzem Nachdenken und ein erleichtertes Lächeln brachte die strahlende Schönheit auf seine Züge zurück. „Lass uns schneller reiten, Schildmeisterin. Ich bin mir sicher, Awyne hat noch einen Becher heißen Gewürzwein für uns vorbereitet. Sie kann immer noch nicht verstehen, dass Elben nicht wirklich frieren. Solange sie Wein vorbereitet, klärt Gilawan sie auch nicht über ihren Irrtum auf."

Danke, ihr Valar, Gnade ist euch also doch nicht fremd, sandte sie einen stummen Dank an die Wesen, die ihr Schicksal bestimmten.

Sie hatte richtig geschätzt, der Abend war bereits in die Nacht übergegangen, als sie den Wald hinter sich ließen und über die sanften Hügel ritten, die zwischen dem Binnenland und der Küste mit Arengard lagen. Trotz des tiefschwarzen, klaren Himmels mit den glitzernden Lichtern der Sterne war es nicht dunkel. Der Schnee reflektierte Ithils Licht und hüllte alles in einen stillen Frieden, der nicht wirklich Bestand haben würde, sobald in wenigen Stunden wieder Anors Weg über den Bewohnern der Stadt begann, die von nur wenigen Lampen erleuchtet mit ihren so soliden, grauen Steinhäusern an der Zwischensee lag.

Vom ehemaligen Hafen, an dem nun das weiße Tor mit den ruhig brennenden Lichtschalen auf seinen beiden schlanken Wehrtürmen die Landbrücke zu Escalonde bewachte, führte eine breite Straße direkt hinauf zum Großen Haus. Diesen Weg nahmen sie jedoch nicht, sondern näherten sich von Osten über kleinere Wege zwischen den Häusern, in denen die meisten Bewohner Arengards bereits in tiefem Schlaf lagen, dem Sitz der Schildmeisterin aller Arenai.

Ayla atmete im Stillen auf, als sie die massige Silhouette des quaderförmigen Haupthauses und seiner kaum weniger massigen Nebengebäude erkannte. Der mehrstöckige Turm überragte es noch. Viele Traumwanderungen hatte sie dort oben in der höchsten Kammer überlebt. Der Turm war ein Zeichen ihrer Siege über ihre eigenen Ängste. Sein Anblick gab ihr immer Sicherheit und neue Zuversicht.

Als sie in den Innenhof ritten, hallte das Schrittgeräusch der Pferde laut von den schmucklosen Hauswänden wider und sofort kamen Stallhelfer angelaufen, um ihnen die Tiere abzunehmen und sie zu versorgen.

„Ich suche Awyne und Gilawan", rief Andoris und lief Richtung Küche davon.

Langsamer ging Ayla die breite Treppe zum Haupttor hinauf. Es ließ sich für einen Außenstehenden überraschend leicht und geräuschlos in den Angeln aufschieben und auch wieder schließen. Im schlimmsten Fall eines Angriffs auf Arengard war das Große Haus die letzte Bastion der Verteidigung. Es verstand sich von selbst, dass alle seine Zugänge jederzeit und vor allen Dingen schnell bewegt werden konnten.

„Du hast seine Begleitung also überlebt", stellte eine sehr vertraute Stimme aus dem Hintergrund der Eingangshalle fest.

„Wundere dich lieber, dass er es überlebt hat", erwiderte sie und begann, ihre Waffen und ihren Mantel auf einem Tisch nahe der Tür abzulegen. Sie würden sich später in ihrer Kammer einfinden. „Aber glaub mir, es war knapp für ihn. Viel fehlte nicht mehr und er hätte auf der Lichtung noch Boyars Lied angestimmt. Ich hätte ihm die Zunge rausgerissen."

„Das muss er wohl geahnt haben", schmunzelte Haldir. Er zeigte auf den von einem Bogen gekrönten Durchgang, der den Weg direkt zur Kaminhalle eröffnete. „Wir haben auf dich gewartet."

„Wir?" Sie wusste die Antwort zwar, aber es zögerte wenigstens diesen Moment noch etwas heraus.

Der Ausdruck in seinen Aquamarinaugen besagte, dass er sie durchschaute. Es fiel ihm ohnehin zu leicht, sie ärgerte sich jedes Mal darüber. „Elrond und ich. Unsere Besprechung heute Morgen ist ohne Ergebnis geblieben. Uns schien, du wolltest zunächst noch mit jemand anderem beratschlagen."

„Das wollte ich."

Haldir setzte sich in Bewegung und ihr blieb kaum eine andere Möglichkeit, als ihn zu begleiten. „War es hilfreich?"

„Er ist ein Maia und noch dazu einer, der wie ein Petai-Hirsch ausschaut. Was denkst du denn?"

„Also war eure Unterhaltung recht einseitig."

„Einseitig, kurz und das Ergebnis gefällt mir nicht."

Ihre Ankunft in der Kaminhalle enthob ihn einer Antwort. Ayla hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass sowohl er als auch Elrond sich am liebsten ausgerechnet in diesem Raum aufhielten, wenn sie in Arengard weilten und das taten sie zurzeit dauerhaft. Es war mittlerweile eine überaus elbische Kaminhalle, zu viele Möbel und Dekoration für ihren Geschmack. Nur den mächtigen Kamin konnten sie nicht verschönern. Er war hoch genug, dass selbst ein Elb von Haldirs Größe aufrecht darin stehen konnte, ohne jede Verzierung und in einem breiten Eisenkorb brannte ein helles Feuer.

„Ich weiß", amüsierte sich Haldir, als sie demonstrativ den Kragen ihrer Weste öffnete. „Arenai lieben die Kälte."

„Sie schadet aber den Büchern", ergänzte Elrond von einem der tiefen Sessel aus, die zur Linken der Eingangstür vor den deckenhohen Bücherregalen aufgestellt waren.

„Ich konnte noch nichts feststellen", grollte sie halbherzig.

Elrond deutete auf ein etwas welliges Buch, das neben ihm auf einem Tisch lag. „Ich schon."

„Solange man die Schrift noch lesen kann", meinte sie und ließ sich in einen Sessel in seiner Nähe fallen. Sie nickte nur, als Haldir fragend einen Silberkrug mit dampfendem Wein hochhielt. „Ihr wollt also mit mir den Zustand der Bücher diskutieren."

„Das wäre etwas, das ich sicherlich bevorzugen würde", lächelte Elrond. „Leider haben wir ein sehr viel ernsteres Thema, das am Morgen nicht zu einem Abschluss gebracht wurde."

„Ja."

„Ja?" Er hob eine Augenbraue. „Ja, was?"

„Ja, wir werden gegen die Bergherren in den Krieg ziehen und nein, ich bin nicht sehr begeistert davon." Sie verbrannte sich fast die Zunge an dem Wein, den Haldir ihr gereicht hatte, bevor er sich ebenfalls setzte. „Kocht Awyne neuerdings die Gewürze darin erst auf?"

„Lenk nicht ab!" meinte Haldir knapp. „Dieser Krieg ist unvermeidlich, Ayla."

„Das sagt wohl jeder, der einen beginnt." Sie schüttelte kurz den Kopf. „Vergiss diese Bemerkung. Es gefällt mir eben nicht, den Schutzring zu verlassen und wieder in dieses verfluchte Land zurückzukehren. Außerdem sind wir nicht stark genug. Angram liegt tief im Westen, der Nachschub wäre unser größtes Problem."

„Wir brauchen Verbündete." Elrond war von ihrem Einwand nicht überrascht. Sie hatte ihn schon mehrfach vorgebracht und nicht nur sie allein. „Und nach dem, was Dorian berichtete, haben wir sie wohl auch bereits gefunden."

Genau das hatte sie befürchtet. „Dorian ist hier?"

„Er kam heute Nachmittag", berichtete Haldir. „Die Breill und Levarin haben sich in den letzten Wochen im Land umgehört. Offenbar hat die Niederlage vor Taurhoss die Bergherren so in Zorn versetzt, dass sie noch schlimmer als zuvor sind. Erebions Licht sorgt dafür, dass die Menschen nun doch wieder Hoffnung haben, auch ein anderes Leben führen zu können."

Auch das hatte sie befürchtet. Dieser Stern, der den Nachthimmel Escalondes mit seinem Strahlen füllte, musste eine noch größere Wirkung haben als der riesige Wächterturm in Taurhoss. Erebion war auf ganz Escalonde zu sehen, Tirno nur für diejenigen, die sich dem Wald der Ihainym näherten. Sie gönnte dem Elben zwar, dass er nun seinen Platz so weit oben gefunden hatte, aber sie hätte sich gewünscht, dass er noch etwas gewartet hätte. Sie verstand es auch nicht. Sich darin zu verlieren, ein Stern zu sein, hätte sie niemals als Ausweg für sich akzeptieren können. Außerdem fehlte ihnen mit Sicherheit bald seine Kampfstärke, die er als Elb besessen hatte. Das war wohl das Ärgerlichste von allem.

„Noch sind sie zögerlich", berichtete Haldir weiter. „Wir werden sie endgültig überzeugen müssen."

„Werden wir das?" spottete sie mit einem schmalen Lächeln. „Wir werden noch viel mehr tun müssen. Das sind Bauern, allenfalls damit vertraut, ihre Gehöfte gegen Räuberbanden zu verteidigen. Wirklich glorreiche Verbündete. Beim ersten Angriff der Drakan werden sie ihre Mistgabeln wegwerfen und türmen."

„Ihr habt noch weniger Vertrauen in die Sterblichen als Haldir", tadelte Elrond. „Bei der Schlacht am Waldrand haben sie doch wohl bewiesen, dass sie keine Feiglinge sind."

„Das waren Breill und Levarin", erinnerte sie ihn. „Kämpfer, keine Bauern. Erzählt mir von Mittelerde, Elrond. Waren die Menschen dort auch so gute Verbündete?"

Seine grauen Augen verdunkelten sich. Inzwischen wusste sie, dass Erinnerungen ihn nun überkamen. Nicht immer gute, so oft wechselten die Gefühle darin. „Zuletzt waren sie es wohl. Ihr könnt sie nicht mit uns vergleichen."

„Das habe ich gemerkt", schnaubte sie und stand auf. „Ich sage nur ‚Kopfgeld'. Sei es wie es ist, ich höre mir also morgen Dorians wundervolle Neuigkeiten über unsere zukünftigen Verbündeten an. Und nun entschuldigt mich, die Nacht ist nur noch kurz und ich befürchte, der neue Tag wird nicht so ruhig wie die davor."

Sie kam bis zum zweiten der sechs Stockwerke des Turms, bevor Haldir neben ihr auftauchte. Schweigend begleitete er sie bis zur Traumkammer im höchsten Stockwerk und ebenso still wartete er ab, bis sie sich der meisten ihrer robusten und vor allen Dingen kampftauglichen Kleidungsstücke entledigt hatte. Erst als sie sich nur noch in Hose und einem dicken Wollhemd auf ihr Bett fallen ließ, sprach er wieder.

„Warum tust du dich so schwer mit der Entscheidung?" fragte er von der tiefen Fensternische aus, in der er es sich bequem gemacht hatte.

„Du stellst Fragen, deren Antworten du bereits kennst", antwortete sie.

Ayla zog ein Bein an und lehnte sich gegen das hohe Kopfteil des Bettes. Anfangs war es ihr schwer gefallen, seine Anwesenheit hier in diesem Raum hinzunehmen. Genauso schwer, wie seine Nähe überhaupt. Das Gefühl einer Störung war vergangen, sie hatte sich an ihn gewöhnt, manchmal vermisste sie ihn sogar. Es verwunderte sie.

„Du solltest am besten wissen, dass der Tod nicht das Ende ist", spottete er freundlich.

Sie schnaubte leise. Haldir war der einzige, der dieses Thema überhaupt wagte, vor ihr anzusprechen. „In Alqualonde zu sterben war keine angenehme Erfahrung. Außerdem war es durchaus das Ende. Ich bin nicht irgendwann aus Mandos' Hallen zurückgekehrt und war die gleiche wie vorher."

„Wenn du als Teleri so gewesen wärst wie heute, hätte Feanor wohl kaum die Schiffe erlangen können."

„Nein, wir hätten ihn und seine ganze Sippe recht schnell ausgelöscht und dann hätte man wohl uns verbannt." Sie erinnerte sich an dieses Leben wie an die Erzählung einer Fremden, der Verlust ihres Bruders und all der anderen war jedoch der ihrige. Es schmerzte noch immer. „Es war gut so wie es geschehen ist."

Ein Funkeln ließ seine Augen beinahe heller glitzern als die Diamanten, die in den Baldachin ihres Bettes eingelassen waren. „Sie hätten dich wenigstens ein paar Fähigkeiten behalten lassen können."

„Fang nicht wieder damit an." Sie warf eines der Zierkissen nach ihm. Er wich ihm aus, schnell und fast beiläufig, genauso wie er sich auch im Kampf bewegte. Nur grinste er dann nicht so boshaft.

„Denk nicht, ich hätte es vergessen", meinte er. „Du wirst schwimmen lernen, Arenai, ob du willst oder nicht. Ich werde dich nicht irgendwann wieder aus einem Fluss ziehen, der dir nach dem Leben trachtet."

„Ein mordlustiger Fluss ist wohl mein geringstes Problem", murmelte sie und rutschte mit wachsender Müdigkeit in den Kissen herum. „Ich finde einfach, wir sollten noch warten und unsere Kräfte sammeln. Escalonde hat solange unter den Bergherren gelitten, dass einige Jahre mehr auch nichts mehr ausmachen."

Der Schlaf umfing sie von einem Moment zum anderen und seine Antwort hörte sie gar nicht mehr. Noch vor dem Morgengrauen schreckte sie wieder auf, gequält von den Bildern, die Albens grausame Erinnerungen in ihr hinterlassen hatten. Sie vermischten sich mit denen aus ihren Traumwanderungen und aus der Zeit vor ihrem Leben als Arenai. Blut und Tod verfolgten sie in ihrem Schlaf und nur die Gegenwart des Waldelben war für einige Stunden immer stark genug, sie wenn nicht ganz zu verdrängen, dann doch verblassen zu lassen.

Ayla betrachtete einen Moment den schlafenden Elben neben sich. Seine Träume mussten angenehm sein, so entspannt waren seine Züge, so entrückt der Ausdruck in seinen Augen. Es war gut, dass er diesmal nicht von ihrer eigenen Unruhe erwacht war, er würde in den kommenden Monaten alle Kraft brauchen. Geräuschlos glitt sie vom Bett, zog ihre Stiefel über und verließ dann die Kammer. Ihre Schritten führten sie hinauf auf die Spitze des Turms, die zinnenbewehrte Plattform, auf der man einst Agir nach seinem Tod gebracht hatte, damit er den letzten Weg antreten konnte.

Sie stutzte, als sie die einsame Gestalt bemerkte, die sich nach Osten gewandt hatte, wo der Sonnenaufgang in einem hellen Schimmer am Rande des Horizonts bereits zu erahnen war.

„Ihr stört nicht", sagte Elrond, ohne sich umzudrehen. „Eure Anwesenheit war niemals eine Störung für mich, also leistet mir ruhig Gesellschaft, Ayla."

Schweigend lehnte sie sich neben ihn an die Brüstung und ließ den Wechsel der Tageszeiten auf sich wirken.

„Es ist immer wieder ein Wunder", murmelte Elrond nach einer Weile versonnen. „So einfach, so unabänderlich und dennoch unbegreiflich."

„Ihr seid nicht hier, um das Wirken Iluvatars zu bewundern", sagte sie kopfschüttelnd. „Versucht nicht, mich und Euch zu betrügen, Elbenlord."

Er wandte sich ihr zu und hob fragend eine Braue. „Und was denkt Ihr hat mich hergeführt?"

„Zu allererst denke ich, dass ich nicht die Richtige bin, um Eure Dämonen zu benennen und auch noch zu besiegen."

„Ihr haltet nicht viel von Mitgefühl, Schildmeisterin."

„Ich bin eine Arenai", erinnerte sie ihn ironisch. „Ihr wisst schon, ungehobelt, unfreundlich und immer den Finger in die Wunde."

„Vielleicht hat uns beide das gleiche hier heraufgeführt", sagte er. „Mit Eurem Einverständnis ist die Entscheidung für einen Krieg gefallen. Es ist nicht der erste, den ich erleben muss. Was auf uns zukommt, wird grausam werden."

Ayla machte eine wegwerfende Geste. „Wahre Worte, Elrond, aber Ihr steht auch nicht hier oben, weil Euch die Zukunft Escalondes und Arenors das Gemüt umschattet."

Er drehte sich wieder von ihr weg. Ayla ging einen Moment durch den Kopf, dass sie die günstige Gelegenheit nutzen und das Thema einfach wechseln sollte. Andererseits war ein in seinen eigenen Gefühlen gefangener Kriegsherr genau das, was sie am allerwenigsten brauchen konnte. „Schuld, Elrond, das trieb Euch in dieser Nacht hier herauf. Eure eigene Zukunft lässt Euch nicht schlafen. Ihr habt eine Entscheidung getroffen, mit der Ihr jetzt nicht leben könnt."

Sie merkte, wie ihn Anspannung überkam. Seine Hände auf der Brüstung krümmten sich leicht zusammen, aber er sah sie weder an, noch sagte er ein Wort.

„Für wie dumm haltet Ihr mich eigentlich?" erkundigte sie sich sarkastisch. „Als Temlars Ring geschlossen wurde, wart Ihr glücklich. Hivia war glücklich. Jetzt hat sie sich nach Bremdal zurückgezogen und Euch begleitet ständig der Schatten einer Erinnerung."

„Und an was?" fragte er unnatürlich ruhig.

„Celebrian."

Er zuckte zusammen und fuhr zu ihr herum. „Ihr wisst nicht, wovon…"

„…wovon ich spreche?" ergänzte sie kühl. „Wir alle leben nach Gesetzen, die vor langen Zeitaltern geschaffen wurden. Eines davon habt Ihr durch die Bindung an Hivia gebrochen. Ihr seid nicht der Charakter, der damit umgehen kann, Lord Elrond."

„Aber Ihr könntet es?"

„Nein, keiner von uns kann es. Doch für mich stellt sich diese Frage auch gar nicht."

„Und was ratet Ihr mir?"

Das meinte er sicherlich nicht ernst. Eingehend forschte sie in seinen zeitlosen, jetzt so ernsten Zügen nach einem Zeichen von Ironie. Sie fand keines und das verstärkte das eisige Gefühl in ihrem Innern noch. „Fragt besser Temlar. Er ist ein Maia, seine Weisheit ist größer als die meine."

„Ich frage Euch, Schildmeisterin."

Diesmal war es an Ayla, seinen forschenden Augen auszuweichen und den Blick auf den Sonnenaufgang zu richten. Sie wusste genau, was sie ihm antworten würde. Mit ihren nächsten Worten zerbrach sie das Glück ihrer ältesten Vertrauten. „Folgt den Valar und ihrer Bestimmung für Euch. Wenn Hivia ein Bestandteil davon sein soll, werden sie es Euch wissen lassen. Solange dies nicht geschieht, bleibt Euch nur das Warten auf Valinor und auf Celebrian."

„Was ist, wenn wir Valinor niemals erblicken werden?" fragte er gequält.

Sie legte die Hand auf seinen Arm. Selbst durch den schweren Stoff seiner Robe konnte sie spüren, dass er so angespannt war, dass seine Muskeln leicht zitterten.

„Dann erwartet Euch eine einsame Ewigkeit, mein Freund", sagte sie sehr leise.

Er bedeckte ihre Hand mit der Seinen und schweigend beobachteten sie, wie sich der neue Tag mit seinem Licht die Welt eroberte. Mit jedem Stück, das sich die Sonne über den Horizont erhob, wurde es friedlicher um sie herum. Elrond kam zur Ruhe, sie konnte es spüren. Schließlich wandte er sich ihr zu, ein Abglanz seiner Trauer verblasste noch in seinen Zügen. Langsam neigte er den Kopf.

„Dorian wird uns nach dem Frühstück berichten, welche Verbündeten er gefunden hat. Hört es Euch mit der gleichen Unvoreingenommenheit an, die Ihr eben bewiesen habt, Schildmeisterin, auch wenn sie sich diesmal gegen Euch selbst richtet."

Damit ließ er sie stehen. Sie wartete noch einen Moment, bevor sie ihm folgte. Es war wieder so, wie es sein sollte. Der Elb hatte seinen Frieden mit den Valar gemacht, zahlte den Preis dafür, dass er ein Großer unter den Erstgeborenen war. Elrond von Arenor nahm den Platz ein, der ihm zugedacht war.

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Die Hände scheinbar entspannt auf den Griff ihres Schwertes gelegt, beobachtete sie schweigend, wie sich die Gesandtschaft bereit zum Aufbruch machte. Allein schon dieser Begriff, den Elrond eher beiläufig benutzt hatte und der sich nun in allen Köpfen festgesetzt hatte. Gesandtschaft! Eine diplomatische Mission, um in den Weiten Escalondes ein paar halbwegs starke Gutsherrn auf ihre Seite zu ziehen und einen Feldzug gegen die Bergherrn vorzubereiten.

Ayla unterdrückte nur mühsam ein Stirnrunzeln. Dorians Schilderungen dieser Escalonder bereiteten ihr Unbehagen. Wer sich in diesen Zeiten dem Zugriff der Bergherren hatte entziehen können, musste entweder sehr geschickt oder sehr verschlagen sein. Es entsprach ihrer misstrauischen Natur, eher letzteres anzunehmen. Man hatte einmal ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt und ‚Verbündete' sie ohne langes Zögern verraten. Nochmals wollte sie nicht in eine Falle gehen. Diesmal trugen sie zwar nicht eine solche Kostbarkeit wie den Silmaril bei sich, aber zu dieser Gesandtschaft gehörten immerhin vier Elben und das waren wie immer vier zuviel.

Ihre Blicke glitten zu Haldir, Andoris und Astardhil, die im Hof beisammen standen und sich offenbar prächtig amüsierten. Sie hätte es sich denken können, dass Haldir es sich nicht nehmen lassen würde, persönlich ihre zukünftigen Verbündeten in Augenschein zu nehmen. Außerdem hielt er von ihren diplomatischen Fähigkeiten höflich formuliert eher wenig. Eine durchaus zutreffende Einschätzung, die sie ihm nicht einmal übel nahm.

Der vierte Elb im Bunde war Elcaran, der bei Elrond auf der anderen Seite der Haupttreppe stand und in eine intensive Unterhaltung versunken war, die sicherlich den Inhalt seiner ledernen Umhängetasche zum Inhalt hatte. Elcarans unbestreitbare Neigung zum Heiler hatte in Elrond natürlich den entsprechenden Mentor gefunden und so war nun aus der erstaunlich ergiebigen Gürteltasche ein ungleich größeres Gepäckstück geworden, das die angewachsene Apotheke beinhaltete. Es war ein beunruhigender Gedanke, dass niemand Einwände gegen die Beteiligung eines angehenden Heilers an dieser Gesandtschaft hatte. Offenbar rechnete jeder damit, dass sie Elcarans Fähigkeiten brauchen würden.

Ayla seufzte leise. Ihr Weg würde sie tief nach Südwesten führen, in eine fruchtbare Gegend, in der ein halbes Dutzend Gutsherren einen eher losen Zusammenschluss winziger Kleinreiche geformt hatten, der unter Duldung der Bergherrn fortdauerte, solange sie sich nicht gegen sie stellten. Diese Escalonder hatten sehr viel zu verlieren und sie war sich nicht ganz klar, was sie ihnen als Gegenleistung dafür anbieten sollten.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Dorian zu ihr herüber schlenderte. Sie wandte sich ihm zu und hob die Brauen, weil ein boshaftes Funkeln in seinen gelben Wolfsaugen kaum zu übersehen war.

„Die Farbe macht aus dir einen völlig neuen Me...neue Schildmeisterin", grinste er, kaum war er bei ihr angekommen.

Ayla beugte sich zu ihm vor. „Möchtest du Escalonde wiedersehen?" raunte sie ihm ins Ohr.

Er zuckte leicht zurück. „Sicher..."

„Dann erspare mir jeden weiteren Kommentar zu dieser Bekleidung", ergänzte sie und genoss die Unsicherheit in seiner Miene, ob sie es wirklich ernst meinte. „Außerdem wirkst du eher wie ein übergroßer Schneehase denn ein Breill-Führer. Also solltest du zurückhaltend mit solchen Bemerkungen sein."

Dorian zupfte etwas an seinem weiß-grauen Pelzumhang herum, mit dem er eigentlich den Breill-Wölfen ähnlicher sah, die vor langer Zeit und aus unerklärlichen Gründen eine Verbindung zu seinem Volk eingegangen waren, als einem possierlichen Hasen. Er war ein guter, beherzter Krieger und sie schätzte ihn sehr. Jedoch nicht so sehr, dass sie sich von einem Sterblichen, der gerade ein Jahrzehnt des Erwachsenendaseins hinter sich gebracht hatte, Kommentare zu ihrer äußerst ungeliebten Kleidung gefallen lassen würde.

„Ich finde, du siehst aus wie die Königin des Winters!" Andoris war natürlich das kurze Intermezzo auf der großen Freitreppe nicht entgangen. Es entsprach seinem sonnigen Gemüt, eine derartige Bemerkung zu machen. Er meinte es gut, Andoris meinte es immer gut.

Haldir drehte sich kurz weg, seine Schultern zuckten verdächtig. Das würde er ihr büßen, er war immerhin der Hauptschuldige, dass sie nicht nur hellgraue, samtgefütterte Lederkleidung trug, sondern auch noch diesen weißen, pelzgefütterten Mantel. Ein Geschenk der Lady Elawen aus Ithuris, erst am Vortag eingetroffen und von Haldir vor aller Augen und unter dem schallenden Gelächter der Tischgesellschaft überreicht.

„Ich fühle mich wie eine wandelnde Schneewehe", knurrte sie verärgert in Richtung des jungen Elben. „Wir alle sehen so aus."

„Und es ist ein wahrhaft blendender Anblick", kommentierte Elrond mit leichtem Spott. „Escalonde liegt unter einer geschlossenen Schneedecke, verehrte Schildmeisterin, Ihr werdet diese Tarnung bald zu schätzen wissen."

Die im gleichen Moment dadurch vollendet wurde, dass die Stallhelfer neun ebenso weiße Pferde aus den Ställen führten. Ayla schloss gequält die Augen, sogar das Zaumzeug war aus weißem Leder und das Packpferd trug ihre Ausrüstung und den Proviant in eine weißgrau-gefleckte Decke eingeschlagen.

„Ich werde noch blind", murmelte Ayla und setzte mit einer wütenden Bewegung den Schwingenhelm auf, bevor sie sich Elrond zuwandte. Aller Spott und Ärger verließ sie wie ein flüchtiger Gedanke. „Wir werden in sechs Wochen zurück sein, Lord Elrond. Ich bitte Euch nochmals, den Schutzring unter keinen Umständen zu verlassen, auch wenn sich unsere Rückkehr verzögern sollte. Wenn Ihr wirklich meint, einen Suchtrupp ausschicken zu müssen, überlasst seine Zusammenstellung Drangar."

Er hob nur eine Braue.

„Ihr habt es zugesichert", erinnerte sie ihn leise. „Morcrist wartet nur auf eine derartige Gelegenheit."

„Ich habe Euch zugesichert, jede Entscheidung reiflich zu überdenken", korrigierte er sie. „Haltet Ihr mich für so unüberlegt, mich einfach so in die Hände des Feindes zu begeben?"

„Nein, Lord Elrond, Ihr seid sicher nie unüberlegt", seufzte sie ergeben.

„Dann vertraut mir, so wie ich Euch vertraue."

„Das beunruhigt mich am meisten." Sie nickte ihm nochmals knapp zu, bedeutete Elcaran, ihr zu folgen und stieg dann auf ihr Pferd. Die anderen waren bereits längst aufgesessen, es war Zeit.

Ihre Arenai machten so wenig Aufhebens um ihren Aufbruch wie immer. Nur kurze Blicke folgten ihnen, obwohl es kein Geheimnis war, dass es diesmal nicht nur ein Abstecher nach Taurhoss war, sondern über den Ring hinausgehen würde. Einige Kuriere begegneten ihnen auf dem Weg durch das zurzeit fast immer geöffnete weiße Tor und über die Landbrücke, die die Verbindung zu Escalonde darstellte. Der Weg nach Westen war allen Beteiligten inzwischen recht vertraut, auch wenn Ayla ihn seit ihrer Rückkehr vor einigen Monaten nicht mehr zurückgelegt hatte.

Geschützt durch den Ring, der sich in einem großen Bogen von einem Punkt südlich an der Küste rund um Taurhoss und dann wieder zurück zu einem Punkt an der nördlichen Küste zog, konnten sie völlig unbehelligt den stundenlangen Ritt bis zum Waldrand hinter sich bringen. Schon von weitem war die weiße Spitze des Wächterturms zu erkennen, der sich noch über die Mellyrn erhob und selbst wie eine unbelaubte Baumkrone erschien. Ayla erfüllte er jedes Mal mit zwiespältigen Gefühlen. Sie brauchten ihn, denn er hielt nun den Ring aufrecht. Die Beobachter waren bis auf wenige Ausnahmen nach Arenor zurückgekehrt. Dennoch beunruhigte sie diese Demonstration von Macht, die der Maia Oryn mit seiner Erschaffung gezeigt hatte. Ein Gutes hatte es jedoch – wenn es sie schon beunruhigte, wie mussten sich dann erst die Bergherren und ihre Drakan fühlen in seiner Nähe.

„Du lächelst boshaft", stellte Haldir fest, der neben ihr ritt. „Verrätst du mir den Grund?"

„Ich stelle mir gerade wieder Morcrists Gesicht vor, als er zum ersten Mal Tirno erblickte."

„Das dürfte recht schwierig sein, weil du nämlich nicht weißt, wie er aussieht."

„Wie Alben nehme ich an – eine schuppige Abscheulichkeit."

„Möglich."

Sie kamen nicht dazu, weiter über das Aussehen des Bergherren zu spekulieren, der für den ersten Angriff auf den Wald verantwortlich war, denn Andoris deutete verwundert auf eine Gruppe Sterblicher, die in der Nähe des Waldes ihr Lager aufgeschlagen hatten. „Was sind das für Leute?"

„Flüchtlinge", erklärte Haldir und runzelte leicht die Stirn. „Es sind einige von ihnen mittlerweile angekommen. Elrond und Tox haben ihnen die Erlaubnis erteilt, sich in den Ebenen zwischen Taurhoss und Arenor anzusiedeln."

Und Ayla war dagegen gewesen, genauso wie diesmal auch Haldir.

„Einfach so?" staunte Andoris.

„Sie werden bewacht", grollte Dorian. „Breill und Levarin haben es übernommen, sie im Auge zu behalten. Tox meint zwar, sie hätten ihre Aufrichtigkeit allein schon dadurch bewiesen, dass sie durch den Ring treten konnten, aber wir trauen ihn besser nicht sofort."

„Sie müssen im Frühjahr diesen Platz ohnehin wieder räumen", sagte Haldir nicht ohne eine Spur von Schadenfreude. „Taurhoss wird beginnen sich auszudehnen."

Etwas, das bei einem Wald wie diesem recht schnell gehen konnte, sozusagen über Nacht. Ayla hatte eine Schwäche für Taurhoss mit seinen Mellyrn und auch für seine Bewohner. Wenn es nach ihr ginge, würde der Wald sich nicht nur etwas ausdehnen, sondern so schnell wie möglich über das ganze Landstück bis nach Arenor schieben und diese menschlichen Neuankömmlinge wieder abdrängen. Es gelang ihr einfach nicht, größere Sympathien für die Firimar zu entwickeln. Die Breill und Melja mit seinen Levarin mochten Ausnahmen sein, denen sie in fester Freundschaft verbunden war. Doch der Großteil der Sterblichen war ihr unangenehm bei ihrer bloßen Gegenwart. Selbst Haldir, der nun wirklich kein Freund der Zweitgeborenen war, hegte mildere Gefühle für sie als Ayla. Vielleicht war er auch schon zu sehr durch sein Leben in Mittelerde an ihre Unzuverlässigkeit und Schwäche gewöhnt, um sie so abstoßend zu finden wie Ayla selbst. Und an ihren Schmutz, Ayla schüttelte sich allein bei der Erinnerung daran. Ilúvatar, war diese Art unsauber!

Ein anderes Volk hingegen hatte einen festen Platz in ihrem Herzen und der erste von ihnen begegnete ihnen, kaum hatten sie den Waldrand hinter sich gelassen. Geräuschlos und gewandt wie eine Eidechse glitt Cric den Stamm eines Mallorn hinunter und blieb mitten auf dem Weg stehen.

„Mein Herz singt", deklamierte er mit seiner sanft flüsternden Stimme und klappte seinen langen, dürren Körper zu einer tiefen Verbeugung zusammen. „Ayla mit den Nebelaugen, ich habe meine kämpferische Freundin sehr vermisst."

„Cric, der beste Bogenschütze von ganz Taurhoss", erwiderte sie den Gruß lächelnd.

„Du schmeichelst mir, nun, nachdem Haldir auch hier ist", kicherte Cric mit einer weiteren Verbeugung in Richtung des Waldelben. „Ah, wie schön du wieder bist, Ayla. Die Farben des Winters lassen dich strahlen, auch wenn sie hier im Wald kaum zu finden sind."

Noch einer, der etwas gegen ihre übliche schwarze Kleidung einzuwenden hatte. Sie schnaubte leise und ignorierte Haldirs spöttisches Lächeln.

„Ich werde euch führen", sagte Cric fröhlich. „Wenn es euch auf eine Rast nicht ankommt, bringe ich euch bis zum Morgengrauen zum Hort, wo ihr mit Waldbeerenwein erwartet werdet. Prinz Iven verzehrt sich bereits vor Ungeduld."

„Ich habe ein Geschenk für ihn", warf Andoris erfreut ein. „Schade, dass er dich nicht begleitet hat."

Cric kicherte erneut und die lange Feder auf seinem kegelförmigen Hut wippte fröhlich. „Ich bot es ihm an, doch seltsamerweise wollte er die Reise in den Baumkronen nicht mitmachen."

„Er ist ein Zwerg", erklärte Andoris zur Verteidigung seines Freundes. „Zwerge mögen keine Höhen."

„Iven mag nicht einmal die Höhe eines Schemels", murmelte Haldir.

„Die meisten Schemel überragen ihn schließlich", ergänzte Ayla mit hochgezogenen Brauen.

„Das stimmt doch gar nicht", rief Andoris empört. „Iven reicht mir bis zur Brust."

„Wenn er auf einem großen Pony sitzt", nickte Haldir und ließ Heleloth wieder anreiten, um das Geplänkel zu beenden.

Cric hielt Wort. Er führte sie innerhalb weniger Stunden an ihren Bestimmungsort. Rund um die Lichtung des Horts hatten sich die Zelte der Elben, Weißzwerge und Levarin ausgebreitet. Sie entdeckten einige vertraute Gesichter unter den Neugierigen, die sich bei ihrer Ankunft einfanden. Es blieb wenig Zeit, alle zu begrüßen, denn Tox, der Lei der Ihainym erwartete sie bereits und niemand wäre auf den Gedanken gekommen, den uralten Ihainym auch nur eine Minute länger als nötig warten zu lassen.

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