Löwen und Despoten

Altersfreigabe: ab 18
Spoiler: Nach HP7, allerdings mit einigen Änderungen
Inhalt: In der Dunkelheit bezeichnet man manchen als Freund, den man bei Tageslicht gern übersehen hätte.
Pairing: Hermine/Snape
Disclaimer: Wir besitzen keinerlei Rechte an den Romanfiguren der Buchreihe "Harry Potter". Die Charaktere und Orte wurden von J.K.Rowling erfunden und gehören ihr, Bloomsbury Books, Scholastic Books, Raincoast Books, und Warner Bros., Inc.
A/N: Wir, das sind WatchersGoddess und annj, haben die soziale Idee gehabt, ein gemeinsames Projekt (aka Fanfiktion) auf die Beine zu... schreiben. Für weitere Informationen über die Abgründe unserer Musen verweisen wir auf unser Profil. Nun aber viel Spaß mit der Story.


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Prolog


Eine Leichtigkeit lag in der Luft wie heliumgefüllte Ballons auf ihrem Weg in den Himmel. Unendliche Stille herrschte um ihn herum und er atmete sie tief ein. Er liebte diese Zeit des Tages, wenn die Welt noch in den Federn lag und keinen Gedanken an den kommenden Tag verschwendete. Ein heller Streifen hob sich bereits am Horizont ab und man konnte fast mit bloßem Auge erkennen, wie die Helligkeit gemächlich näher kroch.

Fröstelnd klappte er den Kragen seiner Jacke hoch und schnaubte bei dem Gedanken an den halben Monatslohn, den er für seine Garderobe ausgegeben hatte.

'Winterfest... ha, dass ich nicht lache. Und dabei haben wir schon Anfang Mai', schimpfte er und verschränkte die Arme vor der Brust, um mehr Körperwärme bei sich zu halten. Noch mehr im Halbschlaf als wach beobachtete er, wie der braune, seltsam schmutzig wirkende Kaffee in die noch unappetitlichere Kanne tröpfelte und wünschte sich den hochmodernen Automaten in seinem Büro, der teurer gewesen sein musste als die gesamte Ausgrabungsausrüstung zusammen.

Sein Blick machte einen Schlenker über die Umgebung. Da stand der kleine Wohnwagen mit den Geräten und seinen Unterlagen. Daneben zwei kleine Zelte. Eines war belegt von seinen zwei Mitarbeitern, die in dem Alter waren, in dem langes Ausschlafen zum guten Ton gehörte.

Er würde ihnen noch eine Viertel Stunde geben und sie dann wecken. Ein guter Archäologe nutzte jeden Sonnenstrahl des Tages um sehen zu können, was ihn erwartete. Na ja, Archäologe war in diesem Fall wohl etwas übertrieben. Schon vor Jahren waren direkte Ausgrabungen in einem Umkreis von 100 Metern um den äußeren Steinkreis herum verboten worden. So musste er sich bei seinen Untersuchungen auf die Erforschung der Umgebung konzentrieren. Mit ein wenig Glück würde er hier den Durchbruch schaffen, den er sich seit dem Beginn seiner Karriere vor 25 Jahren erhofft hatte.

'Ja klar, und Autos konnten fliegen.'

Er sackte auf seinem Campinghocker zusammen und rieb sich die Hände in der Hoffnung, sie etwas zu wärmen. So sehr er die friedliche Uhrzeit auch liebte, sie war der Tod für seine alten Knochen.

Er hörte leises Murmeln in dem belegten Zelt und kurz darauf kündigte das knirschende Geräusch des Reißverschlusses die muntere Anwesenheit eines seiner Mitarbeiter an.

Es folgte ein heiseres Grunzen, das mit etwas Phantasie als „Morgen, Steve" übersetzt werden konnte.

„Morgen Greg", erwiderte er mit einem breiten Lächeln. Kein Grund, die Laune seines Mitarbeiter noch durch seine eigene Melancholie zu dämpfen. „Wird ja langsam Zeit. Kaffee ist fertig."

Ein erneutes Grunzen und Greg trottete in die Richtung des kleinen Dixiklos. Es würde nicht mehr lange bis zur ersten verbalen Beschwerde über die Zustände dieser wenig lukrativen Ausgrabung dauern. Und um ehrlich zu sein: Steve konnte nicht einmal sagen, dass Greg damit Unrecht hatte.

Oxford, ihr Auftraggeber, hatte ihnen ein lächerliches Budget zur Verfügung gestellt. Ach was, lächerlich war noch untertrieben. Entwürdigend passte schon eher. Besonders wenn man daran dachte, dass sie noch nicht einmal Geld hatten, um sich im zwei Kilometer entfernten Amesbury für die Zeit der Ausgrabungen ein Zimmer zu nehmen. Vom Benzingeld, welches sie für die Fahrt bis hierher brauchten, mal ganz abgesehen.

Nein, dieses Projekt war kaum mehr als eine Beschäftigungstherapie für ihn. Steve wusste es, doch er hatte sich fest vorgenommen, das Beste aus seiner Situation zu machen.

„Morgen Steve", ertönte eine weitere Stimme und Orlando setzte sich ihm gegenüber an den niedrigen Tisch. Er hatte seine Augen geschlossen und den Mund für ein enormes Gähnen weiter aufgerissen. „Und? Irgendwelche 'das X markiert den Schatz'-Eingebungen gehabt?"

Steve verkniff sich einen Kommentar. Jeden Morgen, wirklich, jeden Morgen bekam er diese Frage gestellt und er war sich nicht ganz sicher, ob es daran lag, dass Orlando mehr im Tiefschlaf als munter war oder tatsächlich immer vergaß, diese Frage schon einmal gestellt zu haben. Steve ignorierte sie einfach wie jeden Morgen und stand auf. Er musste nur einige Meter laufen und spürte die Wärme zurück in seine Gliedmaßen kehren.

„Ich fange schon mal an", verkündete er und bekam als Antwort ein weiteres Gähnen. Wenn Greg und Orlando nicht so hervorragend im Umgang mit den Messinstrumenten gewesen wären, Steve hätte sie vermutlich schon längst ersetzt.

Er lief die paar Meter bis zu der Ausgrabungstelle und blieb einen letzten Moment davor stehen. Ein Loch, etwa drei Meter tief, lag vor ihm und war mit weißen Fäden in die altbekannten Parzellen aufgeteilt. Noch war es in tiefe Schatten getaucht, doch im Laufe des Tages würde die Sonne darüber hinweg wandern und jede einzelne Begebenheit ans Licht bringen. Bis dahin würden die Scheinwerfer genug Helligkeit bieten. Er knipste sie an und benutze die Leiter, um auf den Boden des Loches zu gelangen.

Die Parzelle, an der er gestern noch gearbeitet hatte, lag unberührt in der hintersten Ecke der Fläche und er ging in die Hocke. Mit geübten Bewegung legte er sein Werkzeuge zurecht, eins neben dem anderen, schön parallel. Nur weil man hier im Dreck buddelte hieß das nicht, dass man keine Ordnung halten sollte.

Er wollte soeben den ersten Bürstenstrich ansetzen, als eine Bewegung aus den Augenwinkeln seine Aufmerksamkeit erhaschte. Er sah auf. „Greg? Orlando?"

Natürlich erhielt er keine Antwort. Vermutlich würde es noch eine Weile dauern, ehe seine Helfer ihre morgendlichen Rituale beendet hatten.

Soeben wollte er sich wieder an die Arbeit machen, als er die Bewegung erneut wahrnahm. Hastig drehte er den Kopf, doch er konnte nichts Verdächtiges erkennen. Seine Knie schmerzten, als er sich in die Höhe stemmte und mit etwas Strecken versuchte, über den Rand der Grube hinweg zu sehen. Doch da war nichts als dämmriges Zwielicht.

Mit einem verwirrten Laut machte er sich zum dritten Mal daran, seine Arbeit aufzunehmen, als ein deutliches Glitzern seine Aufmerksamkeit erhaschte. Es kam aus der anderen Ecke und das Licht des Scheinwerfers reichte nicht ganz bis an die Schatten. Umso verwunderlicher war das wiederholte Blinken.

Vorsichtig, damit er die Fäden nicht beeinträchtigte, lief er hinüber und beugte sich hinunter. Sein eigener Körper verursachte noch mehr Schatten, als es hier ohnehin schon gab und so musste er eine Weile tasten, ehe er etwas Glattes, Kaltes und Metallenes zwischen den Fingern hielt. Mit heftig schlagendem Herzen hielt er es in den Lichtstrahl und schluckte seine aufwallenden Emotionen hinunter. Womöglich eine Münze, die Greg oder Orlando hier verloren hatten. Oder eine Münze, wie sie in unendlicher Anzahl in jedem Kleinstadtmuseum vorkamen. Trotz allem hallte Orlandos Stimme durch seinen Verstand. 'Das X markiert den Schatz.'

„Bei Teutates", brummte Steve und umfasste die Münze fest in seiner Faust. Vielleicht gab es ja noch mehr?

Übermütig ging er wieder in die Knie und dieses Mal bemerkte er den Schmerz in seinen Gelenken gar nicht erst. Leider entging ihm auf diese Weise noch etwas anderes. Ein entferntes Rumpeln, ein Raunen, ein Geräusch, als ob ein Laster über einen unbefestigten Kieselweg fuhr. Erst, als die Erde um ihn herum Wellen schlug und er bis zu den Knien im Boden versunken war, bemerkte er, was geschah. Als würden die Wände näher kommen. Sandböen schlugen ihm entgegen, krochen in seine Nasenlöcher, seine Ohren. Überall blubberte es wie Lava. Sandige Kugeln traten an die Oberfläche und zerplatzen.

Er wollte um Hilfe rufen. Er hatte doch gerade erst seinen Schatz gefunden. Er konnte doch jetzt nicht...

Ein Schwall Erde drang in seinen Mund, kaum hatte er ihn geöffnet, und er griff nach oben in die Luft, um sich irgendwo festzuhalten. Doch etwas zog ihn in die Tiefe. Nur noch sein Kopf ragte aus dem Boden hervor. Schließlich nur noch seine Arme, seine Hände. Sie zuckten und er krallte sie in die Erde. Doch mit einem einzigen, kaum hörbaren Seufzen verschluckte das Erdreich ihn. Das gesamte Loch füllte sich innerhalb von Sekunden auf und hinterließ keine Spuren. Nicht eine einzige. Außer dem ungenutzten Werkzeug, das noch immer ordentlich und parallel nebeneinander aufgereiht war.


Kapitel 1


Hermine Granger lief mit zur Decke gerichteten Blicken durch ihr Büro, während sie mit den Händen Gesten vollführte, die irgendwo zwischen Dirigieren und Beschreiben lagen. Ihre Schritte waren planlos und klein, was vor allem daran lag, das sie in diesem Raum nicht viel mehr Bewegungsfreiheit hatte. Die Luft war warm durch die einfallende Maisonne und Staubkörner tanzten träge im Licht.

Sie versuchte sich so exakt wie möglich an die Gegebenheiten ihres letzten Falles zu erinnern und diese dann in einer angemessenen Formulierung wiederzugeben: „Das Schloss wurde in aufgesprengtem Zustand vorgefunden, offensichtliche Einwirkungen von Magie waren am Holz und am Messing zu erkennen. Die Wohnung wirkte mäßig ordentlich. Alles deutet darauf hin, dass etwaige Verwüstungen nachträglich beseitigt wurden. Im Badezimmer fanden sich Spuren von durchbrochenen Schutzzaubern, sowie die Reste eines zerbrochenen Zahnputzbechers unter der Badewanne." Sie ging zu ihrem Schreibtisch und kontrollierte, was die Flotteschreibefeder notiert hatte. Seufzend verdrehte sie die Augen, als sie etwas von 'herzzerreißenden Schreien' und einem 'Verbrechen aus Leidenschaft' las.

„Dieser Kontrollzauber wirkt noch immer nicht richtig", murmelte sie mit gefurchter Stirn und packte die Feder beiseite, ehe sie ihre andere, vollkommen magielose nahm und alles Überflüssige zu streichen begann. Wenn ihre Hand nicht durch einige nicht vollkommen abgeheilte Verletzungen schnell zu schmerzen beginnen würde, hätte sie die Berichte alleine geschrieben. So jedoch ging es selbst mit dem nachträglichen Wegstreichen schneller.

Gerade als sie sich dem letzten Absatz zuwandte, klopfte es an ihrer Tür. Sie wischte sich eine Strähne ihres Haares hinter die Ohren und bat den Besucher herein. Als sie sah, um wen es sich dabei handelte, straffte sich ihre Haltung abrupt und ihre Augen wurden ein Stück größer. „Guten Tag, Sir. Was kann ich für Sie tun?"

Ihr Vorgesetzter, Wiggam Dunabee, durchquerte mit großen Schritten ihr Büro, ließ es dabei noch kleiner wirken, als es ohnehin schon war, und setzte sich ungefragt auf den Stuhl, der leicht schief vor ihrem Schreibtisch stand. „Ich habe einen neuen Fall für Sie", kam er ohne Umschweife zum Thema, so wie er es immer tat.

Hermine hatte es aufgegeben, sich über die unnahbare und mitunter unfreundliche Art des massigen Mannes zu ärgern. Sie wunderte sich zwar noch immer, wie er es geschafft hatte, die Leitung der Vermisstenabteilung des Zaubereiministeriums zu bekommen (und das nicht nur wegen seiner Art, sondern auch wegen seinen Führungsqualitäten), doch es hatte sich als wesentlich produktiver herausgestellt, sich auf ihre Arbeit und auf das Verhältnis zu ihren Kollegen zu konzentrieren. Der Kollegen, die ihr noch geblieben waren, nachdem Dunabee mit der ersten Welle von Entlassung fertig gewesen war.

„Aber ich habe meinen letzten doch noch gar nicht abgeschlossen", wagte sie es einzuwenden. Für gewöhnlich bekam sie nie einen neuen Fall, bevor nicht der Bericht des letzten eingereicht worden war. Und davon war sie noch mindestens drei Stunden entfernt – nun ja, bei der Art und Weise, wie ihre Flotteschreibfeder sie unterstützte, eher sechs.

„Das ist mir bewusst, Miss Granger." Er sah sie gereizt an und das helle Grau seiner Augen machte die Blicke nicht erträglicher.

Hermine holte tief Luft und malträtierte dabei die Feder, die sie noch immer in Händen hielt.

„Durch das anstehende Finale der Quidditch-Weltmeisterschaft ist das Ministerium momentan stark belastet und die Hälfte Ihrer Kollegen wurde für andere Abteilungen abgezogen, wie Sie sicherlich bemerkt haben."

Natürlich hatte sie es bemerkt. Immerhin war es ihr nur knapp gelungen, sich vor einem ähnlichen Posten bei der Weltmeisterschaft zu drücken. Ron und Ginny würden ihr die Freundschaft kündigen, wenn sie nicht zu dem Endspiel käme, in das es ihre Mannschaft das erste Mal nach zwanzig Jahren geschafft hatte. Harry und sie hatten sich die Karten für die Logenplätze schon vor drei Monaten gekauft und Molly darum gebeten, an dem Tag auf James, Harrys und Ginnys ersten Sohn, aufzupassen. Es war alles geplant und sie hatte nicht vor, sich das Spiel durch einen neuen Fall verderben zu lassen. „Ja, das habe ich bemerkt", antwortete sie deswegen steif. Wenn er es damals mit den Entlassungen nicht so maßlos übertrieben hätte, wäre diese Belastung kein Problem. Aber diesen Einwand sparte sie sich.

„Also werden Sie einen neuen Fall übernehmen und die Abendstunden oder von mir aus auch die Nacht dafür nutzen, um den Bericht für Ihren letzten zu schreiben." Eine steile Falte hatte sich zwischen den Augenbrauen des Zauberers gebildet und auf seiner nur noch von wenigen Haaren bewachsenen Halbglatze standen kleine Schweißperlen.

„Ja, Sir", fügte sie sich und bemühte sich, den Missmut aus ihrer Stimme zu verbannen. Vielleicht könnte sie sich wenigstens für das Spiel selbst loseisen, wenngleich die Feiern danach vermutlich flach fielen. „Worum geht es in dem Fall?"

Ihr Vorgesetzter holte tief Luft und schlug die Akte auf, die er die ganze Zeit in seinen Händen geknetet hatte, so dass sie nun einige tiefe Knicke aufwies. „Um einen Muggel, der am Stonehenge verschwunden ist. Steve Ruber, 45 Jahre alt, Archäologe. Er und seine beiden Mitarbeiter haben dort Ausgrabungen vorgenommen, bis Mr Ruber vor zwei Tagen verschwand. Seine Assistenten sind keine große Hilfe. Es geschah in den frühen Morgenstunden, der eine hat noch geschlafen, der andere… Nun ja, er hat auf jeden Fall nichts mitbekommen. Die Ausgrabungsstelle selbst ist ebenfalls verschwunden, obwohl die beiden darauf beharren, dass sie bereits drei Meter tief gewesen war." Hier endete er, klappte die Akte zu und warf sie auf Hermines Schreibtisch.

Sie zuckte unmerklich zusammen und drehte die Schriftstücke zu sich herum. Nur flüchtig überflog sie die Notizen des Verhörs der Muggelpolizei, die den Fall danach an das Zaubereiministerium weitergegeben hatte. Seit dem Fall Voldemorts hatte sich die Zusammenarbeit des Ministeriums mit den Muggelbehörden ausgedehnt. Es war nicht mehr länger nur der Premierminister, der von der Existenz von Magie wusste, auch wenn die gesamte Wahrheit nur den leitenden Positionen bekannt war. Es hatte vieles einfacher gemacht.

„Stonehenge", murmelte sie gedankenverloren. Die Grabstätte war seit jeher ein Geheimnis, nicht nur für die Muggel. Natürlich war die magische Welt der der Muggel einen Schritt voraus. Es war bekannt, dass die Grabstätte mithilfe von Magie und so in sehr viel kürzerer Zeit errichtet worden war, als bei den Muggeln angenommen. Dennoch konnte auch in der magischen Welt die Bedeutung dieser Stätte nicht gänzlich geklärt werden.

Das Einzige, was das Ministerium über Stonehenge mit Sicherheit sagen konnte, war, dass ein enormes Maß an Magie von diesem Ort ausging, dessen Quelle bis heute nicht geklärt werden konnte. Deswegen stand Stonehenge unter der Überwachung des Ministeriums und alle Vermisstenfälle oder Verbrechen, die im direkten Zusammenhang damit standen, wurden automatisch weitergeleitet.

„Ist dort schon einmal etwas Ähnliches passiert?", fragte sie, während sie die Akte schloss und sich die Informationen noch einmal durch den Kopf gehen ließ.

„Das herauszufinden, Miss Granger, ist nicht meine Aufgabe." Dunabee bedachte sie mit einem weiteren gereizten Blick, während er aufstand und sich die Hose zurechtrückte. Hermine rümpfte die Nase. „Ich erwarte tägliche Zwischenberichte von Ihnen." Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ ihr Büro.

Hermine schüttelte den Kopf, als die Tür sich hinter dem Mann geschlossen hatte. Natürlich erwartete er tägliche Zwischenberichte. So wie bei jedem Fall, den sie bearbeitete. Sie fragte sich ernsthaft, wann sie den Status des Neuling endlich ablegen würde. Zwei Jahre (die zwei, bevor er die Leitung übernommen hatte, gar nicht mitgezählt) schienen nicht genug.

Nun allerdings ordnete sie zuerst die Unterlagen auf ihrem Schreibtisch und räumte dann eine Glasfläche frei, die in die Tischplatte eingelassen war. Mit ihrem Zauberstab tippte sie gegen die rechte obere Ecke und die Illusion einer Reihe von Aktenschränken erhob sich darüber in die Luft. Hermine nannte ihr Passwort („Verständnis reicht oft weiter als Verstand"), das ihr eingeschränkten Zugang zu früheren Fällen gewährte, und durchsuchte die Akten nach Anhaltspunkten über Stonehenge.

Dieses System der Suche war noch neu im Ministerium und zweifellos von den Muggeln und ihren Computern abgeguckt. Nur mit dem Unterschied, dass die Aktenschränke, die sie als Illusion vor der Nase hatte, tatsächlich in dieser Form existierten. Sie standen im Keller und staubten langsam ein, da niemand sich mehr die Mühe machen musste, dort unten zu suchen.

Nach etwa einer Minute bekam sie eine Auflistung von Treffern, die sich auf drei beschränkten. Die stark vorherrschende Magie hielt Hexen und Zauberer fern von diesem Ort, während Muggel davon zwar nichts merkten, aber meistens in Reisegruppen dort waren. Hermine hätte zwar gedacht, dass gerade die Gesellschaft einer Reisegruppe zu Affekttaten verleiten würde, aber sie würde sich nicht über die geringe Anzahl der Treffer beschweren. Sie wählte alle Akten aus, woraufhin sich die entsprechenden Schubladen öffneten und das Gewünschte freigaben. Die Ordner drehten sich mehrmals in der Luft, ehe sie sich materialisierten und vor ihr auf den Tisch fielen. Eine dicke Staubwolke erhob sich daraufhin in die Luft, die sie mit heftigem Wedeln zu verscheuchen versuchte. Dieses System war noch verbesserungsbedürftig.

Dennoch nickte Hermine zufrieden und schloss die Datenbank, bevor sie zum Fenster hinüberging und es öffnete. Die Luft draußen war nach wie vor angenehm kühl und sorgte dafür, dass ein Großteil ihrer Konzentration zurückkehrte.

Nachdem sie einige Minuten lang das Treiben auf der Straße unter sich beobachtet hatte, nahm sie sich die Akten vor. Zwei davon waren so alt, dass heute vermutlich niemand der Betroffenen mehr leben würde, nicht einmal in der magischen Welt. Dennoch konnten sie interessant sein für Informationen. Hermine schlug die erste auf. Es handelte sich um einen Mord am Stonehenge, der offensichtlich nicht von einem Zauberer oder einer Hexe begangen worden war. Es gab viel Blut und ein Messer als Tatwaffe... und zu Hermines Entsetzen viele Fotos. Sie verzog das Gesicht und packte die Papiere beiseite.

Die zweite Akte enthielt lediglich zwei Pergamente. Sie galt als Vermisstenfall, weswegen Hermine interessiert zu lesen begann. Bald darauf stellte sie fest, dass es weniger ein Vermisstenfall, als eher der Fall eines eingeschlafenen Kindes war. Die Eltern hatten panisch eine Anzeige rausgegeben, während der Junge es sich hinter einem der riesigen Steine im Gras bequem gemacht hatte. Hermine schüttelte schmunzelnd den Kopf.

Die letzte Akte hingegen war noch gar nicht so alt und weckte allein schon deswegen ihre Aufmerksamkeit. Angelegt worden war sie im Sommer 1979 und Hermine schlug den Deckel auf. Hier handelte es sich um einen wirklichen Vermisstenfall, der sich über zwei Wochen gezogen hatte, und als sie die Namen der beiden vermissten Personen – und besonders einer der Personen – las, weiteten sich ihre Augen vor Überraschung.


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„Bei Merlins Bart!", platzte Severus heraus und machte sich nicht die Mühe, seine Stimme zu dämpfen. Diese Angelegenheit war mehr als unpässlich. Sie war unerhört! Sie hätte ihn ja gleich fragen können, ob er nicht vielleicht Tischtennis mit dem Kraken spielen wollte.

„Nein!", dröhnte er. Die Gläser an der Wand zitterten verdächtig und vor dem Haus stob eine Horde Vögel davon. „Und das ist mein letztes Wort."

„Severus, bitte!", ertönte die gedehnte Stimme von Minerva McGonagall aus der Richtung des Kamins. „Überleg' es dir noch einmal! Er hat die gesamte Klasse vergiftet – mit einer einzigen Ginseng-Wurzel. Ein Großteil der Schüler liegt noch immer in der Krankenstation. Wenn wir sie nicht sedieren würden, würden sie ihre Bettlaken als Fallschirme benutzen."

Severus hatte dem Kamin den Rücken zugewandt und erlaubte sich so ein gehässiges Grinsen. „Mein aufrichtiges Beileid. Das ist wirklich... eine Schande", erwiderte er und drehte sich seiner Gesprächspartnerin wieder zu. „Minerva", begann er und sein Tonfall verriet, dass er die kommenden Worte nicht wiederholen würde. „Vor vier Jahren, als ich meinen Posten als Lehrer in Hogwarts gekündigt habe, habe ich mir geschworen, nie wieder einen Fuß in diese Schule zu setzen. Ich gedenke nicht, mein eigenes Versprechen zu brechen."

„Aber die Kinder benötigen..." Minerva brach abrupt ab. Sie wusste genau, dass sie Severus auf diese Art und Weise niemals dazu bringen würde, seinen Posten in Hogwarts wieder aufzunehmen. „Fein, du hast es nicht anders gewollt."

Selbst durch die lodernden Flammen konnte Severus ihre fest aufeinander gepressten Lippen sehen und ihre Augen verengten sich gefährlich. „Ich habe bereits einen Brief an das Ministerium verfasst und werde ihn umgehend abschicken. Es gibt andere Methoden, dich wieder in deinen Postens zu heben."

„Minerva...", polterte Severus los, doch es war bereits zu spät. Glühende Asche war das einzige, was sich im Kamin tummelte.

„Hervorragend", murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und widerstand der Versuchung, seinen Briefbeschwerer in die verbleibende Glut zu schmeißen. Leider wäre das seiner Situation nicht besonders zuträglich. Stattdessen rauschte er mit langen Schritten aus dem Zimmer und blieb in seinem Wohnzimmer vor dem Schrank mit dem Sherry stehen. Den konnte er im Moment sehr gut gebrauchen. Mit vor Wut zitternden Händen entstöpselte er die edle Glasflasche mit der honigfarbenen Flüssigkeit.

Wenn Minerva ihre Drohung wahr machen sollte, wäre das erholsame Dasein, das er momentan hier in Spinners End führte, schneller beendet, als es angefangen hatte. Er hatte es nicht bereut, diese Entscheidung getroffen zu haben, nicht ein einziges Mal. Ganz im Gegenteil. Das Labor in seinem Keller quoll beinahe über von neuen Rezepten und verbesserten Tränken. Noch nie zuvor in seinem Leben hatten so viele Ideen in seinem Kopf herumgespukt. Sie waren wie Geister, die durch einsame Gänge schwebten und nur darauf warteten, eingefangen zu werden. Er zog eine Grimasse, als er daran dachte, wie eingeschränkt er sich gefühlt hatte in Hogwarts.

Nein, er würde es verhindern, irgendwie. Alles, nur nicht zurück nach Hogwarts.

Ein lauter Gong ließ ihn zusammenzucken und der Korken in seiner Hand fiel ihm vor die Füße. Er kullerte in einer halbrunden Bahn unter die Anrichte und mit einem lautlosen Fluch stellte er die offene Flasche zurück an ihren angestammten Platz.

Einen Moment lang hegte er den Gedanken, das Klingeln zu ignorieren, doch seine Füße trugen ihn sehr eigensinnig von ganz alleine an die Tür. Er öffnete sie ungestüm, wollte der Person bereits eine eiskalte Abfuhr erteilen, als er aufgrund ihrer geschäftigen Kleidung und der schwarzen Aktentasche mutmaßte, dass die Dame offenbar Ministeriumsangestellte war.

„Das ging aber überraschend schnell", bemerkte Severus trocken.

Aufgeschreckt von seiner Stimme drehte die Frau ruckartig ihren Kopf in seine Richtung und ihr Blick blieb verdutzt auf Severus' Gestalt hängen. Allerdings nicht verdutzter als Severus'.

„Miss Granger?"

Er sollte sich unbedingt vorher überlegen, was genau er sich wünschte.


TBC…