„Joan? Sind Sie da?", ein blonder Haarschopf steckte sich durch die Tür des ‚Nähzimmers'. Die Angesprochene sah auf und lächelte leicht.

„Ja, Sir. Brauchen Sie etwas?", fragte sie artig und stellte das Bügeleisen zur Seite, peinlich genau darauf achtend, dass sie das hellblaue Hemd ihres Arbeitgebers nicht zerknitterte.

„Na ja", der Blonde fuhr sich, untypisch für ihn, etwas nervös durch die Haare, „irgendwie schon… Wissen Sie, Astoria hat mir gestern gesagt, dass…", er biss sich auf die Lippe, noch eine untypische Geste, „… dass wir noch einmal Eltern werden."

Joan lächelte breiter.

„Das ist doch wunderbar! Ich freue mich für Sie, Mr. Malfoy, bestellen Sie Mrs. Astoria einen lieben Gruß. Ich habe mich schon gefragt, warum Sie mir die Tür geöffnet haben."

Mr. Malfoy lächelte.

„Nun zu meiner Bitte an Sie… Ich weiß, Sie sind momentan ein wenig eingespannt mit Ihrem Studium, aber ich frage mich, ob es möglich wäre, dass Sie, sobald das Baby da ist… ein oder zwei Stunden mehr arbeiten könnten… Astoria zur Hand gehen, sich vielleicht ein wenig um das Kleine kümmern… Wäre das in Ihrem Interesse? Wäre es kompatibel mit Ihrem Stundenplan?"

Joan verzog kurz den Mund. Sie liebte ihre Arbeit bei der Familie, aber sie wusste beim Besten Willen nicht, wie sie noch zwei Stunden Arbeit unterbringen konnte.

„Ich… ich frage mal bei meiner… anderen Arbeit nach, ob ich ein paar Schichten abtreten kann…", sie versuchte ein Lächeln.

Mr. Malfoy lächelte offen zurück und atmete erleichtert auf.

„Das wäre wirklich nett, Joan. Ich möchte kein Kindermädchen einstellen, dass Astoria und mich nicht kennt… Bei Scorpius war es schon so, und ich kann Ihnen sagen, weder Astoria, noch ich, noch Scorpius waren mit der Lösung sonderlich zufrieden."

Er wandte sich zum Gehen, drehte sich noch einmal um.

„Ich.. ich habe gehört, Sie seien eine passable Kraft für Handarbeiten? –Ich denke Astoria und unser Kind wären glücklich, wenn Sie etwas für sie zauberten."

Damit verließ er das Nähzimmer und Joan begann, das Hemd für Mr. Malfoy fertig zu bügeln.

Sie arbeitete seit etwa drei Jahren bei der Familie und finanzierte damit ihr Studium.

Um eine Wohnung brauchte sie sich nicht zu kümmern, Mrs. Malfoy hatte ihr innerhalb kürzester Zeit eine kleine Souterrainwohnung eingerichtet, als sie erfahren hatte, dass Joans Studiengebühren den Großteil des Lohnes auffraßen, den sie hier verdiente, weshalb sie überhaupt erst begonnen hatte, bei einem Lieferservice anzuheuern.

Als Joan in ihrer Wohnung saß, beugte sie sich tief über eines ihrer zahlreichen Wollkästchen. Babygarne. Dünn, weich, ganz zart und eigentlich wahnsinnig teuer.

Sie dachte verzweifelt über eine mögliche Farbkombination nach. Sie wusste nicht einmal, welches Geschlecht das Kind der Malfoys haben würde. Zudem wirkte alles außer grau, schwarz und weiß irgendwie seltsam zu den hellgrauen Augen und den platinblonden Haaren der Eltern.

Irgendwann nahm sie etwa die Hälfte der Garne aus dem Kästchen, legte sie ordentlich nebeneinander und wandte sich zunächst ihrer Kaffeemaschine zu, in der Hoffnung, sie würde einen trinkbaren Kaffee ausspucken.

Auch wenn Mrs. Astoria es nicht gern sah, aber Joan hatte sich eine Filterkaffeemaschine gekauft, es war erstens ihrem Budget eher entgegengekommen, als der Kaffeevollautomat, den ihr ihre Chefin womöglich noch bezahlt hätte, und es erinnerte sie an früher, als sie noch bei ihren Eltern in Deutschland gewohnt hatte.

Bevor es Vollautomaten gegeben hatte.

Sie war seit fünf Jahren in England, in denen sie sich noch immer nicht an die Teekultur der Insulaner gewöhnen konnte.

Sie goss sich eine Tasse ein, probierte vorsichtig und seufzte glückselig. Das schmeckte fast nach zuhause.
Nicht, dass sie Deutschland wirklich vermisste, aber es war ein schönes Gefühl, sich ein kleines bisschen Heimat innerhalb von fünfzehn Minuten zu verschaffen.

Auf der Spüle lag das Skript der Vorlesung, die in zwei Wochen geprüft werden würde. Staatskirchenrecht. Das war mit Abstand das langweiligste, was der Modullehrplan zu bieten hatte und dabei dasjenige, was Joan am wenigsten zu liegen schien.

Viel zu viele Paragraphen und auswendigzulernende Artikel.

Heute Abend, sie hatte es sich fest vorgenommen, würde sie endlich mal über die zweite Sitzung hinauskommen und es hoffentlich in ihren vermaledeiten Dickschädel befördern können.

Doch zunächst gab es Abendessen, oben im Speisesaal der Familie Malfoy.

Joan zog sich schnell um, Mrs. Astoria missbilligte es, dass sie in ihrer Arbeitskleidung am Esstisch saß.

-Nicht weil sie schmutzig wäre. Mrs. Astoria hatte es nicht gern, wenn Joan sich nicht wie ein Teil der Familie fühlte.

Jetzt in Jeans und einen Rollkragenpullover gehüllt überprüfte sie noch einmal ihre Haare im Spiegel über der Kommode und ihre Fingernägel.

Auch wenn ihre Arbeitgeber es nicht explizit verlangten, sie achtete mittlerweile sehr auf ihr Äußeres, außer sie war an der Universität. Dort zog sie noch immer Kapuzenpullover und Chucks vor.

Das Abendessen verlief ruhig, Mrs. Astoria aß allerdings recht viel, im Gegensatz zu sonst. Auch erschien Joan die Kombination der einzelnen Lebensmittel seltsam.

Nutella (was normalerweise nie auch nur im Schrank der Malfoys stand), gesalzene Erdnüsse und Hühnchen in Honigmarinade.

Draco lächelte Joan breit an, ehe er Astorias Hand drückte.

„Magst du noch etwas, Liebling?"

Seine Frau zog eine Augenbraue in die Höhe und grinste spöttisch.

„Draco, du kannst auch gleich sagen, dass ich langsam ein bisschen Speck ansetze und wieder ekelhafte Essenswünsche habe. Joan", sie wandte sich ihr zu, nahm das Nutellaglas und hielt es ihr hin, „Nehmen Sie das bitte mit nach unten, sonst löffele ich es nachher leer."

Joan nahm es dankend entgegen, grinste und sagte:

„Dann tu ich es eben für Sie, Astoria, kein Problem. Das mach ich öfter. Wenn eine Klausur daneben gegangen ist, oder so…"

Astoria hob eine Augenbraue.

„Und Sie sehen trotzdem SO aus, Joan?!"

„Na ja", sie fuhr sich kurz durchs Haar, „Solange es nur zwei Klausuren pro Semester und maximal ein Liebeskummer ist…. Geht es."

Draco grinste.

„Also, ich habe mir dann immer Marmelade genommen. Kirsche. Oder Pflaume. Aber ich merke, die Deutschen sind noch ein bisschen süßer veranlagt."

„DU hattest Liebeskummer?!", seine Frau sah ihn belustigt an, „Also deine Schulkameraden erzählen immer, dass du nichts hast anbrennen lassen und du immer Schluss gemacht hast."

Die Mappe mit der Staatskirchenrechtsvorlesung lag aufgeschlagen neben dem Glas Nutella, in dem ein Teelöffel steckte. Daneben stand eine dampfende Tasse Kaffee, ein überfüllter Aschenbecher und eine Dose Red Bull.

-Joan fühlte sich ausnahmsweise wie eine echte Studentin, die in Jogginghosen und dicken Wollsocken auf dem Sofa lümmelte, wie eine Besessene rauchte und wirklich büffelte.

Normalerweise brauchte sie auch keinen derartigen Lernaufwand für die Vorlesungen, das meiste behielt sie sich gleich im Kopf und ihre Aufzeichnungen waren meist recht genau.

Astoria lieh sie sich manchmal aus und las es sich durch, gab sie ihr dann kopfschüttelnd wieder und murmelte: „Ich kriege den Sinn dahinter einfach nicht zu fassen. Was genau wollen Sie nochmal werden, Joan?"

Joans beständig gleich lautende Antwort war ein Grinsen und: „Pfarrerin. Ganz einfach."

Sie ahnte, dass Astoria damit nicht viel anfangen konnte.

Ihr waren schon so einige Dinge aufgefallen, die nicht ins Bild einer normalen Ärztefamilie passten:

Das Essen verschwand meist einfach, genauso wie Astoria und Draco es manchmal taten und offensichtlich auch von genau da wieder auftauchen konnten, dass Scorpius zu seiner Einschulung keine Schultüte, sondern einen abnorm großen Kupferkessel geschenkt bekommen hatte (und einen Besen. Nicht zum Fegen, soviel war sicher) und schließlich, dass alle drei Malfoys immer einen langen Stab bei sich führten.

Draco in der Innentasche seines Jacketts oder Arztkittels, Astoria meist im Ärmel.

Joan hoffte, dass sie es sich nur einbildete, aber so langsam glaubte sie, dass ihre Arbeitgeber eine Art… Zauberer waren.

Sie wandte sich wieder dem Staatskirchenrecht und versuchte, sich die Formel für die Berechnung der Kirchensteuer zu behalten.

Nach fünf Minuten hatte sie sie wieder vergessen.

Stöhnend griff sie zum Nutellaglas und genehmigte sich einen Löffel. Es war zum Mäusemelken.

Am nächsten Morgen saß sie in der Vorlesung zur Exegese der Paulusbriefe und versuchte sich krampfhaft an die Aoristformen von sehen zu erinnern. Ihr Altgriechisch war nicht wirklich eingerostet, aber sie hasste es, von jetzt auf gleich irgendwelche blöden Zeiten durchkonjugieren zu müssen. Sie war nicht unglücklich darüber, aus der Schule heraus zu sein, weshalb ihr dieses Lateinunterrichthafte Getue an der Universität nicht gerade wohltat.

Der strenge Blick ihres Dozenten machte es nicht besser.

„Also, Miss Thomas, die Aoristform von sehen in der zweiten Person Plural Konjunktiv? Wie heißt sie und wie würden Sie sie widergeben?"

Joan überlegte noch immer, während Freddie neben ihr schon die Hand in der Luft hatte. Er sprach es wohl fließend.

„Fragen Sie Mr. Dorset. Er weiß es. Ich steh auf dem Schlauch."

Sie vergrub den Kopf in ihren Armen, sonst wusste sie immer alles wie aus der Pistole geschossen. Aorist im Konjunktiv. Die Griechen hatten alle einen Riss in der Schüssel.

Sie wandte sich wieder ihrer vollgekritzelten Ausgabe der Bibel zu. Natürlich hatte sie sich eine zweisprachige angeschafft, das hatte bisher noch keiner der Dozenten bemerkt.

Schöne Stelle, 2. Korinther, Kapitel 3, Vers 6.

Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

Wie wahr… Joan sah auf ihr Handy.

Eine SMS von Draco, sie solle auf dem Heimweg noch einkaufen gehen, im Bioladen bitte, der Einkaufszettel war angehängt.

Auf dem Einkaufszettel standen auch Dinge, die Joan persönlich aus dem Kühlschrank verbannt hatte, zugunsten von Astorias Schwangerschaft, unter anderem Mozzarella und die gute italienische Salami.

Sie schrieb rasch zurück, ob Draco sich sicher sei, dass der Mozzarella nicht vielleicht besser weggelassen werden könne.

Keine halbe Minute später die Antwort.:

„Warum das denn? –Macht der etwa dick?"

„Nein. Rohmilchkäse ist gefährlich für ungeborene Kinder. Genauso wie die Salami. Und roher Schinken. Und Sprossen!"

„Alles klar, Joan, Sie sind der Boss."

Zufrieden lehnte sie sich zurück und verschanzte sich hinter ihrer Bibel, übersetzte im Kopf ein paar der Verse und hoffte, dass es bald viertel vor zwei war und sie endlich wieder gehen konnte.

Neil stupste sie an, schob ihr einen Zettel zu.

Heute Abend? –Einfach essen gehen, nur wir beide?

Nein. Lieber setzte sie sich den ganzen Abend mit dem Aorist von sehen auseinander. Oder riss sich die Finger- und Zehennägel aus.

Neil war ein hünenhafter, aber sehr linkischer typ Mann, dessen Akne sich nach der Pubertät offensichtlich verschlimmert hatte und aussah, als kratze er die Eiterpickel auf, wenn niemand hinsah.

Nett war er auch nicht wirklich, er hatte sich, warum auch immer, eine Arroganz angeeignet, die nicht einmal mit fachlicher Kompetenz zu rechtfertigen war, jede Exegesestunde verbrachte er über Joans Übersetzungen gebeugt und nahm ihn jemand dran, so erwartete er, dass man ihm die Antwort unauffällig zukommen ließ.

Er hatte sein Graecum nur durch ein Wunder (und einen Spicker auf seinem haarigen Oberschenkel) geschafft und seitdem hielt er sich für die größte theologische Neuentdeckung seit den Qumraner Schriftrollen.

Und offensichtlich war Joan sein auserwählter Tonkrug. Sie vermutete stark, dass ihr Ruf als Expertin im Alten Testament ihr dazu verholfen hatte –Neil hatte sich auch darauf spezialisiert und versuchte seitdem, sie zum Essen, ins Kino, zum Disputationsgespräch oder anderen dämlichen Veranstaltungen einzuladen. Joan konnte sich meist gut damit rausreden, dass sie arbeiten musste, was in 90% der Fälle auch stimmte.

Einmal hatte sie die Fassung verloren und ihm den blöden Zettel mit der kleinen Nelke (Eine Nelke. Wahnsinn, ein Taktgefühl für die Götter) nachgeworfen, mit den schmeichelhaften Worten: „Bevor ich mit dir ausgehe, friert die scheiß Hölle zu, oder der beschissene Messias kommt wieder auf die Erde!"

Leider hatte ihre Lieblingsdozentin den Anfang nicht mitbekommen und sie so auf dem Gang für ihre blasphemische Ausdrucksweise gerügt, während Neil ihr erklärte, sie sei nur ein wenig aufgewühlt, wohl wegen ihrer Tage.

In dem Moment hätte Joan gerne eine große braune Papiertüte besessen, um sie sich über den Kopf zu stülpen.

Sie hatte sich umgedreht, war noch einmal absichtlich auf die Nelke getreten und hatte sich für die Stilübung krankgemeldet.

Zuhause angekommen hatte sie eines ihrer Couchkissen genommen und reingeschrien, so laut sie konnte.

Astoria hatte es natürlich bemerkt und sie ausgefragt.

Sie war vor Lachen beinah in Tränen ausgebrochen, was Joans Laune einerseits verbesserte, andererseits in den Keller beförderte.

Im Gehen meinte sie:

„Schaffen Sie sich einen Freund an, Joan. Einen Vorzeigbaren… Ich frag Draco mal, wen er da so kennt."

Der Vorschlag an sich war ja wirklich nett gewesen, aber leider hatte Joan feststellen müssen, dass dieser Gregory ein ziemlicher Einfaltspinsel war.

Das Essen war ein Desaster gewesen, was Joan Draco auch brühwarm erzählt hatte.

Astorias Blick, als sie den Namen des Rosenkavalliers erfahren hatte, war Gold wert gewesen.

„Du lässt sie mit Goyle ausgehen? Bist du von allen guten Geistern verlassen? GOYLE?! Wie in GARGOYLE? Die heißen nicht umsonst so! Der Kerl ist schlimmer als jeder Muggel!"

-Was auch immer ein Muggel war.

Ihr Chef hatte ziemlich zerknirscht ausgesehen, als er sich bei ihr entschuldigt hatte.

Beim Abendessen fragte Astoria nach Mozzarella. Draco erklärte ihr stolz, dass sie darauf jetzt zu verzichten habe und die hübsche blonde Frau seufzte schwer.

„Wie sieht's mit Peanutbutter aus? Darf ich die essen?"

Ihr Mann nickte gnädig und erhob sich in Richtung Küche.

Astoria grinste Joan an.

„Wie läuft's mit Neil?"

„Schlimm. Der Kerl ist eine Klette. Ne ziemlich übelriechende dazu. Schon wieder eine Einladung zum Essen bekommen."

„Ich wüsste da noch jemanden…", fing sie an, als Draco mit der Erdnussbutter zurückkehrte, einen Esslöffel darin versenkte und seiner Frau das Glas hinhielt.

„Es sei denn, du möchtest ein Brötchen dazu…"

„Nein, Danke, Draco. Sag mal, wie hieß noch mal der Witwer, von dem du letzte Woche gesprochen hast?"

Draco hob eine Augenbraue.

„Über deine Gedächtnisleistung müssen wir dringend nochmal sprechen, meine Liebe. Harry Potter. Mein Schulkamerad… Lieblingsfeind wohl eher.", er grinste breit, doch es erlosch rasch wieder, „Seine Frau ist vor zwei Jahren überraschend gestorben. Nicht auskurierte Lungenentzündung oder so was. Meinst du nicht, dass es ein bisschen geschmacklos ist, den armen Kerl gleich wieder unter die Haube bringen zu wollen? –Und dazu noch so dreist verkuppelt mit unserer lieben Joan? Nichts gegen dich, meine Gute, aber…"

„Ich find's auch ein bisschen pietätlos!", merkte sie rasch an, während sie staunend beobachtete, wie Astoria sich einen Esslöffel voll Erdnussbutter nach dem anderen in den Mund steckte. Joan wurde schon schlecht beim Zusehen.

„Ich find's gar nicht schlecht. Harry ist bestimmt ein Lieber und… kein Mann kann zwei Jahre allein sein."

Draco seufzte und wandte sich seinem Hüttenkäse, Joan ihrem Salat zu, während Astoria immer weiter in der Erdnussbutter löffelte.