„Glaubst Du wirklich, dass es Desinteresse war, was Glorfindel all die Jahre von Dir ferngehalten hat? Jetzt, nachdem Du weißt, was passiert, wenn er zur Ruhe kommt?"
Dieser Satz gellte der blonden Elbenfrau immer noch in den Ohren, obwohl es bereits Wochen her war, dass er ausgesprochen wurde. Firiel hatte gar nicht deutlicher werden müssen. Sie hatte auch so verstanden, was ihre Freundin ihr sagen wollte. Und nur zu gerne hätte sie selbst daran geglaubt, aber konnte das wirklich sein? Sie kannte Glorfindel seit mehr als 600 Jahren...
Sie und ihre Eltern waren noch nicht lange in Bruchtal gewesen, wo sie ihren Weg zu den Grauen Anfurten unterbrochen hatten, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen, als sie den Balrogtöter zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Ihre Eltern unterhielten sich mit Herrn Elrond und Frau Celebrian und in Anbetracht ihres zarten Alters von gerade mal 150 Jahren hatte sie sich damals herzlich gelangweilt.
Ihre Mutter war eine Art Kindermädchen für Galadriels schöne Tochter gewesen und auch wenn all die kleinen Untaten der damaligen Herrin von Bruchtal wieder hervorgekramt und belacht wurden, so konnte Nimriel doch nicht viel damit anfangen. Der Herr des Hauses hatte dies anscheinend bemerkt und ihr einen Spaziergang in seinem privaten Rosengarten vorgeschlagen, während er und seine Frau mit ihren Eltern in alten Erinnerungen schwelgten. Eine Idee, die Nimriel damals nur zu gerne aufgegriffen hatte.
Sie war durch das große Haus geeilt und fröhlich die Treppenstufen in den Hof hinunter gesprungen, bis ein seltsames Gefühl sie hatte inne halten lassen. Mitten auf der Treppe blieb sie wie erstarrt stehen und blickte sich um. Und dann sah sie ihn.
Gerade eben betrat ein großer, blonder Elb in praktischer Reitkleidung die große Freitreppe. Der schlichte Aufzug tat seinem Auftreten allerdings keinen Abbruch. Er war ein wenig größer als die meisten elbischen Männer und um einiges breiter und muskulöser. Aber das war es nicht gewesen, was Nimriel dazu brachte, wie angewurzelt stehenzubleiben. Es war auch nicht die Tatsache, dass der fremde Elb gute Laune und Kraft ausstrahlte, wie ein Feuer Wärme. Nein, es war das Gefühl mit einem Mal zu völliger Ruhe zu kommen. Die Gewissheit am Ziel zu sein und seinen Platz im Leben gefunden zu haben. Diese Gefühle ließen Nimriel mitten in ihren Bewegungen innehalten.
Der blonde Elb schien sie schon bemerkt zu haben, als sie seiner gewahr wurde, aber ohne das geringste Interesse, ja selbst ohne Gruß, ging er einfach an ihr vorüber ins Haus.
Sie war enttäuscht gewesen, hatte sich aber fast im selben Augenblick geschalt, dass es vermessen war zu glauben, dass ein solcher Elb auch nur das geringste Interesse an einem jungen Ding wie ihr zeigen könnte. Und dennoch... Irgendetwas blieb seit dieser Begegnung in ihrem Herzen, das nicht mehr verschwinden sollte.
Ihr Weg in den Rosengarten führte Nimriel direkt in die Arme eines anderen Elben. Als sie durch die weitläufigen Gärten von Bruchtal lief, um den Weg in das Heiligtum des Hausherren zu finden, war sie so versunken in das eben Geschehene, dass sie den schwarzhaarigen Elb erst bemerkte, als sie um ein Haar in ihn hineingelaufen wäre. Der Fremde wich gerade noch rechtzeitig aus und fing sie mit einem Arm auf, bevor sie stolpern konnte.
Er war nicht minder groß als der blonde Elb vom Hof eben, vielleicht waren seine Schultern und seine Figur ein wenig schmaler, aber auch er übertraf die meisten Elben an Statur und Auftreten. Er stand dem blonden Elben von eben in nichts nach. Allerdings erinnerte seine Ausstrahlung eher an eine kalte Winternacht auf der Helcaraxe.
Nimriel fand sich von zwei mitternachtsblauen Augen fixiert, die sie unter schwarzen Brauen ärgerlich anschauten. Der Fremde war ebenso schlicht und zweckmäßig gekleidet wie der blonde Elb im Hof eben, aber auch er verfehlte es nicht, einen bleibenden Eindruck bei ihr zu hinterlassen. Allerdings auf eine ganz andere Art und Weise.
„E-ent-entschul-digung..." stammelte sie entsetzt und lief rot an. „Ich war... Es tut mir... Ich war in Gedanken... Glaube ich... Ich meine, es tut mir leid, Herr. Der blonde Elb... Ich hab nur..." Besonders redegewandt war Nimriel noch nie gewesen und die peinliche Situation verstärkte ihre Defizite in diesem Bereich nur noch.
Was ihr einen überaus spöttischen Blick von ihrem Gegenüber einbrachte. „Ein blonder Elb, wie interessant." Obwohl die Stimme des schwarzhaarigen Elben nur so vor Sarkasmus triefte, hatte sie damals einfach nicht an sich halten können. Der Wunsch mehr über diesen Mann auf der Treppe zu erfahren, ließ sie sogar ihre Schüchternheit überwinden. „J-ja. Kennt Ihr ihn?"
Der Fremde zog jetzt spöttisch eine Augenbraue in die Höhe. „In Bruchtal leben zwar zum Großteil Noldor, aber es gibt hier trotzdem mehr als einen blonden Elben. Woher sollte ich wissen, welchen von denen Ihr meint?"
Äußerst betreten hatte die junge Elbenfrau damals den Kopf gesenkt. Wie konnte sie sich auch nur so dumm anstellen? „N-na-natürlich. Verzeiht. Ich... Es war nur... Ich habe nur..." Und natürlich fiel ihr in diesem Augenblick keine Ausrede ein, warum sie sich gerade so absolut indiskret benommen hatte. Doch der düstere Elb hatte sie anscheinend durchschaut.
„Ihr hattet nur Probleme Eure Neugier in Zaum zu halten. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet..." Damit neigte er den Kopf und verschwand durch den Garten und über einige Treppen ins Haus.
Wie peinlich war es ihr gewesen, als Elrond ihr am Abend bei einem Fest zu Ehren ihrer Eltern seinen obersten Berater vorgestellt hatte. Erestor von Bruchtal war natürlich der fremde Elb im Garten gewesen, vor dem sie sich so blamiert hatte. Mit seinem sparsamen, spöttischen Lächeln hatte er Elrond und ihren Eltern mitgeteilt, dass er die entzückende Elbin bereits kennengelernt hatte. Was alle Anwesenden hinreichend verwirrte.
Und ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, hatte der blonde Elb mit den Worten „Wie unhöflich von Dir mir vorzuenthalten, wenn Du es auch einmal geschafft hast, eine Damenbekanntschaft zu machen. Willst Du uns nicht vorstellen?" neben Erestor gestanden. Elronds oberster Berater hatte sie mit einem sadistischen Lächeln als Tochter von Elronds und Celebrians alten Freunden Foron und Baradis vorgestellt und irgendwie hatte Nimriel sich in diesem Moment nicht des Eindrucks erwehren können, dass Erestor schon im Garten genau gewusst hatte, nach welchem blonden Elben sie fragte.
Als der Berater allerdings den Namen seines Freundes nannte, war sie vor Ehrfurcht geradezu erstarrt. Die Geschichten über Glorfindel den Balrogtöter, seine Kampfkraft und seinen Mut kannte jedes Elbenkind. Nun, kein Wunder, dass er sie so beeindruckt hatte. Und noch weniger wunderte es sie nun, dass er sie auf der Treppe so völlig ignoriert hatte. Warum sollte solch ein Mann sich für jemanden wie sie interessieren? Sie brachte ja meistens noch nicht einmal einen vernünftigen Satz in einem Stück heraus.
Eine Fähigkeit, die sie aussagekräftig zur Schau stellte, als es darum ging, sich für ein nettes Kompliment über ihre langen Haare zu bedanken. Nach mehreren verunglückten Anläufen brachte Nimriel schließlich ein schlichtes Danke hervor und Glorfindel verabschiedete sich dann, um eine andere Elbin zum Tanz aufzufordern. Mit der er kurze Zeit später aus der großen Halle verschwand, um den ganzen Abend nicht wieder gesehen zu werden.
Oh damals war sie noch so naiv gewesen und hatte gar nicht erraten, zu welchem Zwecke Glorfindel mit der Elbin verschwand.
Nach viel zu kurzer Zeit hatten ihre Eltern beschlossen, weiterzuziehen, doch ihr hatte dieser Gedanke überhaupt nicht behagt. Glorfindel der Balrogtöter faszinierte sie so sehr, dass sie beschloss in Bruchtal zu bleiben. Sie war noch jung und eigentlich verspürte sie noch nicht den Drang nach Valinor zu segeln. Ihre Eltern waren überrascht gewesen, aber da Bruchtal ein sicherer Ort war und sie ihre jüngste Tochter in der Obhut eines Elben wie Elrond wussten, erhoben sie keinen Einspruch gegen diesen Plan. Auch wenn sie den wahren Beweggrund für Nimriels Zurückbleiben nicht errieten.
Sie war so jung und naiv gewesen. Am Anfang hatte sie wirklich geglaubt, dass der Balrogtöter sich vielleicht irgendwann für sie interessieren würde. Wenn er sie besser kannte, oder wenn sie ein bisschen älter war. Es verging Jahr um Jahr, doch nichts passierte. Glorfindel, der sich überrascht über ihr Bleiben in Bruchtal gezeigt hatte, war freundlich und zuvorkommend, doch nicht mehr als das. Er suchte nie ihre Nähe und wenn sie einander begegneten, dann war er nichtssagend höflich. Am Anfang hatte sie das für ein gutes Zeichen gehalten, doch bald hatte der Tratsch über Bruchtals größten Krieger auch ihre Ohren erreicht. Es war ihr schwergefallen sich einen Reim auf diese seltsamen Geschichten zu machen, bis sie sich schließlich ein Herz gefasst hatte und eine ihrer engsten Vertrauten bat, ihr doch all dies zu erklären. Eryndis schien etwas irritiert, dass Nimriel ganz offensichtlich keine Ahnung davon hatte, was Elben so in ihren Betten trieben, aber hatte diese Bildungslücke mit ihrer resoluten Art schnell geschlossen.
Natürlich war die junge Elbin für den Rest des Tages mit hochrotem Kopf herumgelaufen, der in einem auffälligen Kontrast zu ihren blonden Haaren stand. Erst nach und nach war ihr klar geworden, was dies alles bedeutete und das Glorfindel anscheinend, wenn überhaupt, allenfalls ein brüderliches Interesse für sie hegte.
Diese Erkenntnis hatte sie mitten ins Herz getroffen und ihr lange Zeit zugesetzt. Elrond war damals ernsthaft besorgt um sie gewesen, denn sie war mit jedem Tag dünner und blasser geworden. Doch mit der Zeit gewöhnte sie sich auch daran, jeden Tag eine andere Geschichte über Glorfindel und seine mannigfachen Eroberungen zu hören.
Und davon abgesehen wurde ihr Leben ja nicht nur von ihm bestimmt. Sie hatte viele Freunde gefunden und Bruchtal war ein schöner Ort, um dort zu leben. Sie kümmerte sich des Öfteren um Gäste und durchreisende Elben und genoss das Vertrauen vieler Bewohner Bruchtals. Manchmal konnte sie ihren Kummer über den großen, blonden Elben sogar fast vergessen oder auch ignorieren.
Was sie allerdings nie schaffte zu ignorieren, war das seltsam ruhige und warme Gefühl, das immer stärker wurde, je näher sie Glorfindel kam. Doch glücklicherweise kam dieser Umstand nicht allzu oft vor, da der Krieger an ihr anscheinend genauso viel Interesse hatte wie an rosafarbenen Hosen.
Nimriel war sich sicher, dass ein anderer Mann für sie nie so interessant sein könnte, wie Glorfindel der Balrogtöter. Aber leider schien es für ihn niemanden zu geben, der so uninteressant war wie sie. Was hatten die Valar sich nur dabei gedacht?
Nun, die Jahre vergingen in immer demselben Trott. Sie wurde ein bisschen älter, ein wenig erfahrener in den Wegen der Welt, aber der Kummer blieb. Bis zu dem Moment, in dem Firiel ihr diese seltsamen Worte ins Ohr geflüstert hatte. Und nun kam sie nicht umhin all das, was in den letzten 600 Jahren geschehen war noch einmal Revue passieren zu lassen. Nur aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachtet.
Doch dazu sollte sie heute nicht mehr kommen. Ihre Reisegruppe hatte ihr Lager am Rande eines kleinen Wäldchens aufgeschlagen und einige ihrer Begleiter waren damit beschäftigt das Abendessen vorzubereiten. So nicht Gildor Inglorion. Der blonde Elb ging mit einem Lächeln durch das Lager, richtete hier und da ein paar freundliche Worte an einzelne Elben und kam schließlich auf Nimriel zu.
Eigentlich hatte die Elbenfrau keine große Lust auf eine Unterhaltung, aber Gildor war stets freundlich zu ihr und schien ihre Gesellschaft zu mögen. Je weiter ihre Wanderung fortgeschritten war, umso öfter hatte der Anführer ihrer Gruppe ihre Nähe gesucht. Es schien ihn nicht zu stören, dass sie anfangs kaum einen vernünftigen Satz herausbrachte und jetzt, wo sie sich an ihn gewöhnt hatte und in der Lage war mit ihm zu sprechen ohne bei jedem zweiten Wort zu stottern, leistete er ihr in den Abendstunden immer öfter Gesellschaft. Was er anscheinend auch jetzt wieder vorhatte.
„Guten Abend, Frau Nimriel. Ich weiß, wir sind den ganzen Tag gelaufen, aber habt Ihr vielleicht Lust mich auf einen kleinen Spaziergang zu begleiten?" Jede andere Frau hätte das Lächeln des blonden Elben wohl als sehr anziehend empfunden, aber Nimriel musste wieder einmal feststellen, dass jeder Mann im Vergleich mit Glorfindel verlor. Und der Balrogtöter war für sie nunmal aus irgendeinem Grund das Maß ihrer Dinge.
Da ihr allerdings keine passende Ausrede einfiel und sie den freundlichen Elben auch nicht kränken wollte, nickte sie also mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen. Gildor war dies Aufforderung genug und er griff nach ihrer Hand, um ihr aufzuhelfen.
Während des Spaziergangs erzählte der blonde Elb viel von der Gegend, in der sie gerade weilten und das sie morgen wohl schon einen Landstrich erreichen würden, der sich Auenland nannte. Nimriel bemühte sich aufmerksam zuzuhören und versuchte passende Bemerkungen an den richtigen Stellen einzuflechten, doch so ganz war sie nicht bei der Sache, da ihre Gedanken immer wieder zu Firiels Bemerkung zurückschweiften. Sie hatte gehofft, dass diese mit der Zeit in Vergessenheit geraten würde, aber je näher sie den Grauen Anfurten kamen, umso mehr beschäftigte sie diese Andeutung.
Und so entging es der arglosen Elbin auch völlig, dass Gildor während ihres Spaziergangs immer näher an sie herangerückt war. Erst als er plötzlich ihre Hand ergriff und die überraschte Nimriel mit dem Rücken gegen einen Baum drängte, wurde ihr klar, dass ihr anscheinend irgendetwas entgangen war.
Nimriel war im ersten Moment so schockiert, dass sie sich nicht rühren konnte. Was dem Anführer der elbischen Reisegruppe Einladung genug war. Er beugte sich nach vorn und drückte das Kinn der blonden Elbin sanft nach oben. „Nimriel, Ihr seid so schön..." murmelte er, bevor er sich weiter nach vorn neigte. Erst als sich ihre Lippen leicht berührten, schaffte die verwirrte Elbenfrau es, sich wenigstens ansatzweise zu wehren. Sie stemmte ihre Hände mit aller Kraft gegen Gildors Brust und drehte geistesgegenwärtig den Kopf zur Seite. Mit dem Ergebnis, dass der Kuss des blonden Elben auf ihrem Ohr landete.
„N-nicht, bitte nicht... Ich will nicht..." stammelte Nimriel völlig aufgelöst. Gildor war ein netter Mann, aber diese Art von Nähe löste in ihr irgendwie einen Abwehrreflex aus.
Der Elb ließ dann auch sofort von ihr ab, allerdings blieb er weiterhin vor ihr stehen, so dass sie zwischen ihm und dem Baum eingeklemmt war. „Verzeiht Frau Nimriel, ich habe Euch anscheinend falsch verstanden. Ich hatte nicht den Eindruck, das Euch meine Gegenwart so zuwider ist." antwortete er etwas steif, anscheinend peinlich berührt, dass man ihn zurückgewiesen hatte.
Nimriel war die Situation natürlich ebenfalls peinlich und sie hielt den Kopf weiterhin zur Seite gesenkt, damit sie Gildors Blick nicht begegnen musste. „I-i-ich... Es-es tu-tut mir wirklich leid. Eure Gegenwart ist mir auch nicht zuwider. Nur das hier... Ich kann einfach nicht... Nicht mit Euch..." versuchte sie ihre Ablehnung zu erklären ohne ihrem Gegenüber allzu sehr zu nahe zu treten. Doch das Ego des Anführers der kleinen Gruppe schien einen nachhaltigen Dämpfer und einige ordentliche Kratzer abbekommen zu haben.
„Nicht mit mir... Nun, danke für Eure Offenheit Frau Nimriel, aber das hättet Ihr auch schon etwas früher durchblicken lassen können. Bevor ich mich vollends lächerlich gemacht habe." Die sonst so gleichbleibend freundliche Stimme des blonden Elben hatte nun einen eindeutig ärgerlichen Unterton. Was Nimriel immerhin dazu brachte erschreckt aufzuschauen.
„Nein, nein. Ich meine, nicht nur mit Euch... Es gibt keinen anderen, mit dem mir so etwas angenehm wäre, außer..." Sie biss sich auf die Lippen. Die Situation war wohl schon verfahren genug auch ohne dass sie hier ihre heimliche Vorliebe für Glorfindel offenbarte, dem sich wohl jeder Elb aus Bruchtal schon mal bei der Eroberung einer Frau hatte geschlagen geben müssen. „Ich wollte nur nicht unhöflich erscheinen und ich mag Eure Gesellschaft wirklich, Herr Gildor. Aber alles andere..." Die blonde Elbin zuckte hilflos mit den Schultern, bevor sie den Druck ihrer Hände gegen Gildors wohltrainierte Brust erhöhte. „Bitte... lasst mich jetzt gehen."
Der Elb schien sich nicht ganz schlüssig, ob er Nimriel wirklich so ohne jede weitere Erklärung davonkommen lassen wollte, aber die Entscheidung wurde ihm schlussendlich abgenommen.
Ein ziemlich vehementes Zupfen an seinem Reisemantel ließ ihn nach unten schauen.
„Nim hat versprochen mir zum Einschlafen eine Geschichte zu erzählen. Und Ihr haltet Sie davon ab!" erklärte das jüngste Mitglied der Elbengruppe recht bestimmt und funkelte den blonden Elben aus ihren smaragdgrünen Augen reichlich rachsüchtig an. Gildor war dermaßen überrascht über Alvariels Intervention, dass er ganz automatisch einen Schritt zurücktrat.
Die kleine Elbin nutzte die Gelegenheit um sich zwischen die beiden Erwachsenen zu drängen und nach Nimriels Hand zu greifen. Die Elbenfrau schien nicht allzu böse zu sein, der unangenehmen Situation auf dieser Weise entfliehen zu können, wenn man bedachte, wie schnell und bereitwillig sie sich von Alvariel fortziehen ließ. Allerdings sah sie sich auch genötigt, ihrer jungen Freundin auf dem Rückweg zu ihrem Lager die Leviten zu lesen.
„Alvariel, Du sollst nicht allein und abseits von der Gruppe herumlaufen. Das hab ich Dir doch so oft gesagt. Es hätte Dir wieder sonstwas passieren können. Versprich mir, dass das nicht noch einmal vorkommt." bat Nimriel flehentlich, doch der kleine Störenfried schaute sie nur grinsend an.
„Ich war ja nicht alleine. Ich war die ganze Zeit in Deiner Nähe. Wäre mir wirklich etwas passiert, hätte Herr Gildor sich nur umdrehen brauchen, um mir zu helfen. Aber der war ja viel zu sehr damit beschäftigt, Dich mit seinen Blicken zu verschlingen. Deswegen hat er mich bestimmt auch nicht bemerkt." war die altkluge Antwort, die Nimriel erst rot und dann blass werden ließ.
„Alvariel! Du hast uns hinterher spioniert?" fragte sie mehr entgeistert als wirklich wütend, doch auch das schien den Blondschopf nicht aus der Ruhe zu bringen.
„Ich habe nur auf Dich aufgepasst. Und eigentlich müsstest Du mir dankbar sein. Herr Gildor sah nicht so aus, als wollte er sich mit Deiner komischen Ausrede abspeisen lassen."
Spätestens an dieser Stelle versagte ihre Stimme Nimriel den Dienst. Das kleine Mädchen schien viel mehr zu sehen und zu erkennen, als für ihr Alter gut oder normal sein konnte. Andererseits hatte sie in ihrem Alter auch schon einige Dinge gesehen, die kein Kind wissen sollte. War es wirklich so ein Wunder, dass sie so viel durchschaute?
Die blonde Elbin ließ es einstweilen dabei bewenden und bald darauf lag Alvariel in Decken gehüllt unter einem Baum und lauschte mit zufriedener Miene Nimriels Geschichte vom Bauern Giles und dem Drachen.
