Kapitel 1 : Ich hasse Murmeltiere
Jasper PoV
„Jasper?" ich hörte meinen Namen, alles war dunkel. Ich versuchte wach zu werden, aber ich schaffte es nicht. „Hey, Jazz, bist du wach?" ich hörte Ben fröhlich glucksen. Wie konnte man mitten in der Nacht fröhlich glucksen? Ich versuchte meine Augen auf zu quälen aber ich wollte wirklich wieder einschlafen, mein ganzer Körper wehrte sich dagegen aber dann ging mein Licht an. Ich zog mir wild die Decke über meinen Kopf.
„Bitte Jazz, wach auf, ich brauch dich!" plötzlich hörte ich, dass sie leicht panisch war und das machte mich wie immer automatisch zweimal so panisch. Ich öffnete meine Augen, kämpfte mich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Ich fuhr mir mit zwei Händen durchs Haar und schaute zur Tür. Rose stand dort mit Ben auf der Hüfte in Jogginghose und Top. Ihre langen, blonden Haare waren unordentlich zusammengebunden, sie sah extrem gestresst aus.
„Du musst mir helfen Jazz, Dad hat sich im Schlafzimmer eingeschlossen. Er geht nicht an sein Handy und auch nicht ans Telefon. Ich mach mir Sorgen." Innerhalb einer halben Sekunde beschloss ich, dass diese Information in der Tat besorgniserregend war und ich stürzte auf, vorbei an Rosalie und Ben, hinaus auf den hellbeleuchteten Flur. Ich lief zur Schlafzimmertür. Erst rief ich nach ihm aber ich bekam keine Antwort, dann klopfte ich und sah dabei den Flur entlang zu Rose die verloren vor meiner Tür stand und Benny mit ihrer Hand spielen ließ. Ich versuchte sie anzulächeln, ihr zu signalisieren, dass wieder alles gut werden würde, aber es war ein schwacher Versuch und das wussten wir beide. Ebenfalls wussten wir beide, dass nie mehr alles gut werden würde, dass dieser Kelch schon lange an uns vorbei gezogen ist.
„Dad, mach die Tür auf bitte!" ich rief erneut und klopfte dazu heftig an die Türe. Ich bekam keine Antwort. Rose machte kleine Schritte auf mich zu und ihr stand die blanke Panik ins Gesicht geschrieben. Ben döste mittlerweile auf ihrer Schulter mit ihrem Zeigefinger im Mund. „Bring ihn ins Bett Rose!" murmelte ich ihr zu, sie zögerte, schloss ihren kleinen Jungen fester in ihre Arme und lief rückwärts in ihr Zimmer.
Mit beiden Händen schlug ich gegen das Holz der Tür. „Ich komm jetzt rein Dad!" Ich hörte meine eigene Panik und ich spürte die Angst in meinem Bauch grummeln. Ich ging einen Schritt zurück, wartete, atmete tief ein und aus, hatte die Hoffnung, dass ich doch noch eine Antwort bekommen würde die aber nicht kam und das machte mir solche Angst… ich sammelte mich und versuchte mich zu konzentrieren, Rose sah ich im Augenwinkel. Sie hatte ihre Arme jetzt um sich selbst geschlungen, ihre Lippen waren fest zusammen gepresst und ihre Hände waren zu Fäusten verkrampft. Ich schloss kurz die Augen und wand mich wieder der Türe zu.
„Er würde das nicht machen!" sprach Rosalie dann und ich stimmte ihr mental zu aber das änderte nichts an der verdammten Angst in meinem Bauch und der Tatsache, dass es Dad nicht gut ging, dass ihn alles wieder eingeholt hatte, was wir mit aller Kraft versuchten zu vergessen, dass Dad wieder mitten drin war im Desaster, dass er zurück ist in dem Kreislauf aus Angst, Schuld und Trauer. Alles war wieder da für ihn und was er beim ersten Mal unsertwegen versucht hatte zu unterdrücken ist jetzt mit doppelter Intensität zurück… ich schüttelte meinen Kopf und stürmte auf die Türe vor mir ein. Es fühlte sich an wie Déjà-vu, weil es nicht das erste Mal passierte, auch wenn ich das erste Mal auf dieser Seite der Türe stand.
Mein Aufschlag war dumpf, aber ich hörte ein lautes Krachen, ohne weiter darüber nachzudenken ging ich wieder zurück und überprüfte die Lage. Ich hörte Rose aufschluchzen. Sie war zusammengefahren in sich bei dem Aufschlag und der Lärm hat dann einen Hebel im Kopf umgeworfen, da war wieder die kleine, verängstigte Rose zurück in der Realität. Shit. Ich trat jetzt gegen die Tür, bis sie endlich aufsprang. Ich schaute zu meiner Schwester, die auf mich zu rannte und die Türe aufschmiss und hindurch lief bevor ich überhaupt reagieren konnte, aber ich sah schon von hier, dass er nicht auf seinem Bett lag und Rosalie hatte das gleich entdeckt, sie lief umgehend in das kleine Badezimmer, dass sich anschloss an das Schlafzimmer, zu dem es keinen anderen Eingang gab als diesen hier. Sie warf sich gegen die Tür, aber sie war offen, sie stand angelehnt und bot uns keinerlei Widerstand.
„Dad!" sie schrie hysterisch und ich rannte hinter ihr ins Badezimmer. Wir standen da und er lag in der halb vollen Badewanne, vollkommen bekleidet, seine Lippen blau, seine Augen geschlossen. Rosalie ließ sich einfach neben ihm fallen.
„Ruf einen Krankenwagen!" schrie sie in meine Richtung aber ich konnte mich nicht bewegen. Sie schrie mich immer wieder an und sie hielt Dads Kopf zwischen ihren zitternden Händen und ich konnte nicht weg sehen. „Jasper!" Ich konnte mich nicht bewegen, ich stand starr da und konnte mich nicht rühren auch wenn ich weg rennen wollte, weit weg, so weit wie möglich, ging es nicht.
Auf einmal stürmte Rose an mir vorbei, rempelte mich so sehr an, dass ich ins Schwanken kam und fast fiel, weil ich mich nicht abfangen konnte, weil mein Körper wie gelähmt war, während mein Herz immer fester gegen meine Brust hämmerte und alles sich immer mehr um mich drehte, mir wurde warm und wieder so kalt, dass ich so sehr zitterte, das meine Beine plötzlich tatsächlich unter mir nachgaben. Ich fiel mit einem lauten, dumpfen Schlag auf die kalten, harten Fliesen und ich saß da, verloren und einsam und verängstigt und alleingelassen.
Rose kam wieder, das Telefon an ihr Ohr gepresst, sie stürmt zu Dad zurück, griff in das Wasser, zog den Stöpsel… natürlich der Stöpsel. Ich nahm nur die Hälfte von dem wahr was wirklich passierte. Ich sah, dass sie nach einem Puls suchte, dass sie versuchte, nicht zusammen zu brechen, dass sie ihre Schluchzer unterdrückte, sie beantwortete Fragen, die ich nicht kannte aber sie redete ununterbrochen, ich hörte nicht zu, ich starrte in das blasse Gesicht meines Vaters. Er war alles, was uns noch geblieben ist, das konnte er uns nicht antun, er konnte uns nicht verlassen, er konnte diese egoistische Scheiße nicht im Ernst durchziehen.
Ich sah erst wieder weg als Rose mir den Blick versperrte weil sie sein T-Shirt versuchte auszuziehen, ich sah zu ihr auf, in ihr tränenüberströmtes Gesicht, sie tat panisch alles, was man ihr am Telefon sagte… Sie rannte wieder an mir vorbei, dass T-Shirt feuerte sie in die Ecke neben mich und das weckte mich aus meiner Starre… ich schüttelte meinen Kopf und sprang auf, fiel halb den Schritt zur Badewanne, ich setzte mich auf den Rand und nahm wie Rose vor mir seinen Kopf in meine Hände, er war eiskalt, aber ich spürte ihn zittern… oder waren das nur meine Hände? Ich beugte mich zu ihm und legte eine Hand auf seine Brust… Dad bitte… bitte… Tränen fielen auf meine Hand und ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, ihn atmen zu spüren, ich musste wissen, dass er noch lebte…
„Dad?" ich schüttelte seine Schultern, als Rose wieder herein kam „Dad!" ich schrie ihn an und schlug ihm auf die kalte Wange, ich zog ein Augenlied nach oben „Dad, wach auf!". Er wachte nicht auf, aber ich glaubte zu erkennen, dass er atmete, dass er noch bei uns wahr. Rose legte die Decken auf den geschlossenen Klodeckel. Sie drehte die Heizung voll auf und nahm dann eine Decke, kam zu mir und wir wickelten ihn darin ein, Rose bestand darauf, dass wir ihn aus der Wanne heraus hoben, aber ich erklärte ihr, dass das der Situation keine Beihilfe schuf, also versuchte sie seine Jeans auszuziehen, was ihr schwerlich gelang, weil sie vollgezogen war mit Wasser, sie lief los um eine Schere zu holen und die Tore aufzumachen, das Hoflicht anzuschalten, als sie wiederkam schnitt sie die Jeans mit zitternden Händen auf und wickelte auch seine Beine in eine Decke ein.
„Was ist passiert?" murmelte ich dann weil wir nur noch stumm warteten, warteten, dass irgendetwas passierte, dass uns jemand half, uns erklärte, was zu tun war wenn das Leben mal wieder drohte völlig schief zu laufen und uns mit voller Wucht ins Gesicht zu schlagen.
Ben schrie in seinem Bettchen, aber Rose reagierte nicht, sie hielt Dads rechte Hand in ihren und starrte ihn an, wie ich es tat, vielleicht sollte ich nach ihm sehen, vielleicht sollte ich mit ihm zur Straße laufen und den Krankenwagen einweisen, ich wusste, dass sie über so etwas immer ganz froh waren.
Ich beobachtete noch einmal seine Lippen und vergewisserte mich, dass er noch immer Luft in seine Lungen zog und sie wieder ausstieß. Er tat es also stand ich tatsächlich auf und ging in Rose Zimmer, nahm den kleinen Benny aus seinem Bettchen und drückte ich fest an mich, versuchte ihn zu beruhigen, ich wickelte ihn in sein Deckchen und ging mit ihm nach draußen, lief hinaus, durch das mächtige Eisentor und blieb auf der Straße stehen, umhüllt von Dunkelheit und Angst, die mir in den Knochen steckte, wie noch nie etwas zuvor, ich wurde sie nicht mehr los, immer wieder passierte irgendetwas und die Angst war wieder da. Mein Körper fing wieder an zu brennen, meine Haut schmerzte fürchterlich, alles tat weh, jede Wunde schien wieder aufzureißen und zu bluteten. Ich zitterte und fürchtete, Ben fallen zu lassen also drückte ich ihn noch ein bisschen fester an mich, legte meine linke Hand auf sein Köpfchen und streichelte seine blonden Löckchen. Er wimmerte noch immer und vielleicht war ich etwas unumsichtig, ich hoffte, dass der Krankenwagen ohne Martinshorn ankommen würde, denn sonst würde Benni sofort wieder schreien und brüllen und ich war froh, dass er endlich still war, was ich als ein Wunder betrachtet, denn ich strahlte im Moment alles andere als eine beruhigende Wärme aus.
Ich drehte mich ein paar Mal um mich selbst, sah immer wieder die weiße Mauer, bewachsen mit Kletterrosen, den Garten, die große Trauerweide, den weißen Kies, der hinaufführte zum Haus, umrahmt von Rosenstöcken, die Schaukel die still da hing, die seit ein wenig mehr als einem Jahr nur noch vom Wind angestoßen wurde und nicht mehr von kleinen Füßen und starken Händen. Ich sah das große, leere Hause. Einsam… Verlassen. Ohne Seele, ohne Mut. Nichts war mehr wie es früher einmal war und die Schönheit, die mein Elternhaus einst umgab war verloren gegangen. Alles war dumpf und grau.
Es gab Zeiten, Momente im letzten Jahr, da dachte ich, dass wir alles wieder hinbekommen konnten, dass wir es einfach wieder zurecht biegen konnten, aber passiert ist es nie, da war immer nur die Illusion von einem Anfang, einem Neuanfang, aber wir konnten niemals vergessen, wir konnten nicht zurück lassen was passiert ist, also konnten wir nicht aufatmen und einen neuen Anfang finden. Mit Bens Geburt haben wir wieder angefangen zu lachen und wir dachten, dass er unsere Chance war… anscheinend war er das nicht, anscheinend war er für Dad eine konstante Erinnerung, die seiner Seele mehr weh tat als ich und Rose uns vorstellen konnten.
Ich senkte meine Nase nach unten und roch an Bens Kopf, er roch wundervoll nach Baby. Ich konnte nichts anderes als ihn lieb haben… Dad hatte ihn auch lieb, das war überhaupt keine Frage, sobald er zuhause war, war Ben sein Mittelpunkt, sein ein und alles aber vielleicht hatte er sich damit zu sehr gequält… ich küsste Bens Köpfchen und mittlerweile war er eingeschlafen. Ich schaute unbeholfen die Straße hinunter, wusste ich doch nicht von welcher Richtung der Krankenwagen kommen würde. Und warum dauerte das überhaupt so lange? Meine nackten Füße wurden kalt aber das kümmerte mich im Moment am wenigsten, es half mir, mich selbst wieder zu fühlen. War es nicht das, was Sandy immer wollte, dass ich mich selbst wieder fühlte und aufhöre meinen Körper zu verdrängen? Es gab mich und mein Körper gehörte zu mir und ich musste wieder lernen eins mit meinem Körper zu werden… irgendwie konnte ich seine Worte im Moment überhaupt nicht gebrauchen aber sie klangen nach, sie schalten in meinem Kopf. Sobald der Krankenwagen hier war, mussten wir Sandy anrufen, er musste kommen, er musste verhindern, dass das Amt eingeschaltet wurde. Was hatte sich Dad denn nur gedacht? Was ist den passiert?
Ich hörte den Krankenwagen bevor ich ihn sah, nicht weil er mit Martinshorn fuhr, sonder weil die Welt so still war um mich herum und ich das schweren Fahrzeug schon von weitem mit schnellem Tempo durch die Straßen fahren hörte. Dann sah ich das Licht, rot blau rot, ein Wirrwarr an Farben. Bald leuchteten mich die Scheinwerfer an und ich machte Platz.
Auf einmal begann alles wieder von Vorne.
…°°Schneephoenix - Sollte ich mich dafür schämen, eine neue Geschichte zu posten, bevor ich eine alte zuende geführt habe? Wahrscheinlich… aber vielleicht auch nicht…. Ich denk einfach nicht darüber nach. ‚Ein Fast perfektes Leben' ist in Arbeit!
Ich danke meiner wunderbaren ; ) Isabell für ihre Unterstützung! (Danke, dass ich dich nerven darf…)
SM gehören fast all die wunderbaren Charaktere! Ich leihe sie mir nur und versüße mir mit ihnen die Welt!
Ich schätze jedes Feedback! Ich tu das wirklich, ganz ehrlich…. Ich meins ernst! : -*
Bis zum nächsten Kapitel (!)
