Wie immer

Es ist 7.00 Uhr. Die Standuhr schlägt 7 dumpfe Schläge. Sie durchdringen den Raum wie eine Welle, wie immer. Der Tisch gedeckt, mit einem leeren Teller vor mir, mit dem vollen Korb vor meinem Vater und der Gans am Ende des Tisches, wie immer. Die Decke, nur am Sonntag gebügelt, liegt ordentlich auf dem Tisch. Meine Haltung ist tadellos , meine Schuhe mit 2,5cm Absätze, mehr ist nicht erlaubt, eine Nuance dunkler als mein Kleid. Das Kleid, das seicht fallend, knapp unter meinem Knie aufhört, ist einfach, hell, kaum Dekolleté mit Ärmeln. Ich fühle mich eingepackt, beengt, gefangen, obwohl ich nur ein dünnes, leicht fallendes Kleid trage, wie immer.

Der Stuhl ist aus dem gleichen Holz und hat die gleiche Bauweise wie der Tisch. Unsere Haushälterin sagt, ich sei die einzige Frau im Haus und ich hätte die Möbel aussuchen müssen, aber da ich nie Zeit habe, so wie immer, musste sie es machen. Und deswegen ist alles einfach. Sie gibt unserem Hund, eigentlich dem Hund von meinem Vater , genau 5 Minuten nach dem Glockenschlag sein Essen, wie immer. Er kommt schwanzwedelnd auf sie zu und macht Männchen. Sie schaut ihn eine Zeit lang an, in ihrem Blick herrscht Kälte, die mich erschaudern lässt. Nach, wie mir scheint, endlosen Minuten stellt sie den Teller auf den roten, purpurroten Teppichboden und gibt die Briefumschläge, die in der Post waren, meinem Vater, wie immer.

Mein Vater. Er existiert nicht wirklich, aber er erfüllt den Raum mit seiner bloßen Anwesenheit. Er ist zwar am Tisch, aber nur körperlich, seine Seele ist mit dem Tod unserer Mutter verschwunden. Meine Mutter, sie ist schon lange Tod, ich weiß schon gar nicht mehr wie lange und ich möchte mich nicht mehr daran erinnern. Früher durfte ich es nicht, Man hat mir immer gesagt, ich soll meinen Vater beglücken und ihn keinen Kummer bringen, dass habe ich auch gemacht, wie immer . Mein Vater ist Bankangestellter und verdient gut. Er sagt nie etwas und isst einfach die Sachen aus dem Korb, wie immer.

Ich war so in Gedanken vertieft, dass ich nicht bemerkt habe wie mein Vater sich erhoben hat und gegangen war.

Unsere Familie ist anders als die anderen, denn sie ist wie immer.