Kapitel 1

~ The faces you see on the way up
Are those on the way back down, my friend ~

Er war nicht hingegangen.

Und er hatte nicht mal darüber nachgedacht hinzugehen, so überheblich war er.

Und es war nicht einmal Überheblichkeit, nahm er an. Um überheblich zu sein, musste man um einen Umstand wissen, gegenüber dem man sich erhaben wähnen konnte, oder nicht?

Erst der Artikel im Tagespropheten hatte ihn auch nur in entferntester Weise annehmen lassen, dass er überheblich sein könnte.

Es war ein Bericht über die Verstorbenen in der letzten Nacht des Krieges gewesen.

Er war damals nicht bei der offiziellen Trauerfeier eine Woche darauf gewesen, und auch jetzt, zu der Gedenkfeier ein halbes Jahr später, war er nicht erschienen. Weshalb auch? Er hatte niemandem von Wert verloren, in dieser Nacht.

Seine Mutter lebte, sein Vater lebte. Pansy lebte. Das war weniger eine Voraussetzung als die nervtötende Tatsache, dass Pansy immer noch in seiner Nähe war, um ihn wahnsinnig zu machen. Crabbe war nicht mehr da, aber wenn er ehrlich war, dann war ihm Crabbe sowieso schon immer gleichgültig gewesen.

Aber Harry Potter hatte sich geäußert. Natürlich hatte sich König Narbengesicht nicht halten können! Voldemort war gefallen, Potter hatte überlebt. Natürlich lief er auf jeder Gedenkfeier herum, stolzierte durch die Gegend, und jede Zeitung überschlug sich, sein Gesicht zu zeigen.

Und Potter hatte tatsächlich gesagt – so zitierte es der Tagesprophet –, dass Draco Malfoy wenigstens den Mut und den Anstand haben sollte, zu der Gedenkfeier zu erscheinen, wo er doch Hermine Granger sein Leben zu verdanken hätte!

Und Draco hatte den Bericht zweimal lesen müssen, um tatsächlich zu begreifen, was Potter ihm vorwarf! Als ob! Dracos Ansicht nach war das verdammte Schlammblut selber schuld! Er hatte sie bestimmt nicht darum gebeten, sein Leben zu retten. Absolut nicht! Wäre er vollkommen ehrlich, dann wäre er lieber gestorben, als jetzt für ewig in einer fremden Schuld zu stehen! Auch noch in der fremden Schuld eines dummen Schlammblutes! Mit Mut und Anstand hätte sein Auftauchen wenig zu tun!

Sein Vater hatte lediglich gelächelt, als Narzissa ihm den Artikel gezeigt hatte. Draco hatte keinerlei Reaktion parat gehabt. Er war viel zu überrascht über die Anschuldigung gewesen. Er schuldete Granger gar nichts! Und gerade eben weil er sie nicht gebeten hatte, gerade eben weil er nichts mit ihr zu tun hatte, und eben auch weil es ihre eigene Entscheidung gewesen war, sah er sich in keiner Pflicht überhaupt irgendwas zu tun!

Und das wusste Potter. Potter stellte es natürlich als anständig hin, aufzutauchen, wenn man jemandem sein Leben zu verdanken hatte! Aber Draco veranstaltete auch nicht jeden Morgen eine Parade für seine Mutter, die ihn immerhin geboren hatte!

Potter war ein Weichei. Potter war einfach jemand, der sich noch besser darstellen wollte, indem er anderen mögliche moralische Fehler vorhielt. Aber Potter konnte ihn damit nicht beeindrucken.

„Du denkst wieder nach?", unterbrach Pansy seine Gedanken, und er konnte sich nur knapp daran hindern, die Augen zu verdrehen.

„Ja, Pansy. Gelegentlich", bemerkte er säuerlich.

„Über diesen Zeitungs-Quatsch?", erkundigte sie sich, während sie ihre manikürten Nägel begutachtete. Wie eine einzige Hexe so viel Gold für Schönheitspflege ausgeben konnte, würde ihm immer ein Rätsel bleiben.

„Was?", entgegnete er verwirrt, und sie sah ihn eindeutig an.

„Der Artikel. Über die Gedenkfeier und deine Undankbarkeit dem Schlammblut gegenüber, was so großzügig ihr Leben für deins aufgegeben hat", fuhr sie lächelnd fort. Draco erhob sich augenblicklich von seinem Platz. Er hasste Pansys Humor. Sie besaß nämlich keinen.

„Ich bitte dich, Pans", erwiderte er kopfschüttelnd. Pansy kam entschieden zu oft zu Besuch. Das behauptete Astoria auch. Sie lächelte breiter. „Noch Tee?", ergänzte er knapp, denn jede Entschuldigung vor Pansy zu fliehen, würde er nutzen. Er nahm sogar seine leere Tasse in die Hand. Vielleicht würde Pansy einfach verschwinden. Sich in Luft auflösen, wenn er ihr nur weniger Aufmerksamkeit schenkte. Zu dumm, dass seine Mutter recht angetan von ihr war.

„Sicher, Dray." Und er hasste es, wenn sie ihn so nannte!

Warum war er an Pansy hängen geblieben? Wieso kam sie ständig hier vorbei? Und er war sich nicht einmal hinter wem Pansy her trauerte. Und das war schon bezeichnend genug für Pansys verwirrendes Gehirn. Denn sowohl er, Blaise als auch Gregory hatten eine Freundin, und noch rätselte Draco, um wen Pansy eigentlich trauerte.

Jedenfalls hatte sie entschieden zu viel Zeit, wohingegen er in der Fima seines Vaters arbeiteten musste. Und er war so dankbar, dass es Freitag war! Sehr, sehr dankbar. Und Astoria hatte ihm für heute Abend abgesagt. Also… sah es Pansy anscheinend als ihre Pflicht, ihn zu nerven.

Er mochte sein Leben. Für Lucius zu arbeiten war… nun. Es war… - wie alles, was mit Lucius zu tun hatte. Es war anstrengend und furchteinflößend. Immerhin war er reich und ungebunden. Und von ihm aus, konnten Astoria und Pansy eine kleine Schlammschlacht um ihn veranstalten.

Er registrierte den Schatten im Wohnzimmer, als er es betrat.

„Mutter, ich-" Er unterbrach sich, denn als er aufblickte war niemand da, der ihm antworten konnte. Er sah sich in dem großen Saal um. Er war allein. Er schüttelte kurz den Kopf. „Lowyn", rief er in die Stille, und die kleine Elfe erschien sofort.

„Ja, Master Draco?", fragte sie ergeben und verneigte sich tief in ihrem lumpigen Kissenbezug.

„Bring mehr Tee nach draußen", befahl er knapp. Die Elfe verneigte sich noch tiefer und verschwand mit einem Plopp.

Bitte", hörte er eine Stimme hinter sich. Konsterniert und einen Hauch genervt. Und es war nicht Pansys Stimme. Er spürte, wie sich die winzigen Haare in seinem Nacken aufstellten. Es war ein so unangenehmes Gefühl, dass er spürte, wie sein Herzschlag unregelmäßig weiterschlug. Er wandte sich zum Kamin um.

Und er gefror in der Bewegung. Seine Hand zitterte plötzlich so stark, dass ihm die leere Teetasse aus den Fingern glitt. Das filigrane Porzellan zerbrach sofort auf dem Parkett, aber er konnte sich daran nicht stören. Ungläubig und geschockt starrte er auf die Erscheinung vor sich. Das konnte nicht sein!

„Bring mehr Tee nach draußen, bitte", wiederholte die Erscheinung, und hastig wich er zurück. Fuck!

„Was zum…?", brachte er keuchend hervor und stolperte schutzsuchend hinter die breite Couch. Er umklammerte die Lehne mit der einen Hand und griff mit der linken nach seinem Zauberstab, den er im Hosenbund trug. Er zielte direkt auf den Kopf der Erscheinung.

Und Hermine Granger legte abwartend den Kopf schräg, während sie die Arme vor der durchsichtigen Brust verschränkte.

Er wusste, das passierte nicht wirklich! Vielleicht war er eingeschlafen, bewusstlos oder hatte auf dem Weg von der Veranda ins Haus einen Schlaganfall gehabt und fantasierte.

Die Hand, die seinen Zauberstab hielt, zitterte heftig.

Es konnte nicht sein, es konnte nicht sein, es-

„Draco, wo bleibst du? Die Elfe hat-" Pansy unterbrach sich selbst, als sie das Wohnzimmer betrat. „Was genau tust du da?", ergänzte Pansy vorsichtig und stellte sich neben ihn hinter die Couch. Sie folgte seinem Blick, aber lediglich Verwirrung zeichnete Pansys Gesicht.

„Was?", flüsterte er, ohne den Blick von der Erscheinung abzuwenden. „Du siehst es nicht?", brachte er zitternd über die Lippen, und Pansy starrte geradeaus auf den Kamin.

„Was genau?", wollte sie vorsichtig wissen. „Draco, alles in Ordnung?"

Scheiße.

Atmen, einfach atmen, Draco! Wenn Pansy sie nicht sehen kann, dann ist sie auch nicht da. Langsam sank der Zauberstab in seiner Hand, aber er ließ sie nicht aus dem Blick. Er fuhr sich mit der anderen Hand fahrig durch die silberblonden Strähnen, spürte, wie nass seine Handflächen geworden waren, und Granger betrachtete ihn abschätzend. Oder ihr Geist! Oder was auch immer!

„Sie kann mich nicht sehen, Malfoy", informierte sie ihn. Ihre Stimme. Sie sprach! Mit ihm! Unmöglich! Es war verfluchte Scheiße noch mal absolut unmöglich!

„Du bist nicht echt!", knurrte er zornig, und Pansy betrachtete ihn eingehender.

„Draco? Sprichst du mit mir oder…?" Pansy machte einen winzigen Schritt vor ihm zurück. Und er schluckte, versuchte, seinen Puls unter Kontrolle zu kriegen, sowie seinen abgehackten Atem.

„Ich… nein!" Er wandte sich vom Kamin ab. Wenn er sie nicht ansehen würde, wäre sie auch nicht da! „Pansy, lass uns gehen!", sagte er hastig.

„Wohin?", erkundigte sich Pansy beunruhigt. „Alles in Ordnung? Du bist schrecklich blass, Draco", erklärte Pansy kopfschüttelnd.

„Alles bestens. Wirklich", beteuerte er. „Lass uns gehen!", beharrte er eindringlich, und er stolperte praktisch nach draußen. Hastig sah er sich auf der Veranda um, drehte sich um die eigene Achse, und sein Atem beruhigte sich, als er die lauwarme Frühlingsluft einatmete.

Fuck. Alles in Ordnung. Niemand war hier.

Pansy stellte sich neben ihn. „Draco?" Er erschrak beinahe.

„Ja?", erwiderte er, immer noch außer Atem, und sie runzelte die Stirn.

„Wo willst du hin?"

„Egal", brachte er mit klopfendem Herzen hervor. „Egal, alles, was du willst. Shoppen, Schuhe kaufen", plapperte er sofort, und Pansys Augen wurden groß.

„Wirklich?" Sie schien zu verdrängen, wie seltsam er sich verhielt, wenn er ihr in Aussicht stellte, Schuhe kaufen zu gehen. Und je schneller sich sein Puls beruhigte, umso mehr bereute er diesen Anfall von Schwäche.

Denn schon apparerierte sie mit ihm Seit-an-Seit, nachdem sie ihr Makeup aufgefrischt hatte.

Draco bereute es sehr.

Es waren geschätzte hundert Stunden vergangen, in denen er sich eintausend Schuhe, mit unterschiedlich hohen und gefährlichen Absätzen angesehen, beurteilt und wieder vergessen hatte, sowie an die siebzigtausend Kleiderkombinationen zu diesen Schuhen.

Grafton's Modeboutique überschlug sich praktisch für Pansy immer mehr Modelle hervor zu kramen, während Draco in dem Besuchersessel nahezu kaum noch die Augen offen halten konnte, vor Langeweile. Allerdings begann der Elfensekt Wirkung zu zeigen.

Und Alkohol machte das ganze erträglicher.

„Wie findest du die Farbe?"

Immer wieder glitt sein Blick suchend durch die Boutique. Er hatte bereits hinter Kleiderständern und Gardinen gespäht. Nur aus paranoider Vorsicht heraus.

„Draco?" Pansy besaß die Dreistigkeit genervt zu klingen.

„Was?", gähnte er desinteressiert.

„Die Farbe. Steht sie mir?", schien Pansy zu wiederholen und er betrachtete gelangweilt den achtzigsten grünen Minirock, den sie mit der tausendsten hochhackigen Sandale trug.

„Ja", sagte er einfach nur, denn vielleicht würde sich Pansy endlich entscheiden, etwas zu kaufen! Leider, leider war Pansys Figur gut genug, dass sie nahezu alles anziehen konnte, dass ihr nahezu alles stand, und dass er tatsächlich Tage hier würde zubringen können, vermutete er bitter. Er sollte nach der Elfe rufen, damit sie ihm einen Schlafsack bringen würde.

„Wirklich?" Sie betrachtete sich unzufrieden in dem großen Spiegel. Eine Verkäuferin hatte sich zu ihnen gesellt.

„Steht Ihnen wirklich absolut ausgezeichnet, Miss Pansy!" Merlin, die Verkäuferin würde auf ihrer Schleimspur noch ausrutschen. „Noch ein Glas Sekt, Mr Malfoy?", erkundigte sie sich mit einem zuckersüßen Lächeln bei ihm, und er ruckte mit dem Kopf.

„Ich probiere den braunen noch mal an", warf Pansy ein und war wieder zu den Umkleidekabinen gestöckelt.

Draco setzte das Glas hoch an und leerte es verzweifelt.

„Sieht nach Spaß aus."

Er verschluckte sich so stark, dass ihm der Sekt das Kinn hinab lief, während er hastig aufsprang und sich umdrehte. Seine Augen suchten eilig den leeren Verkaufsraum ab. Weiter hinten bediente eine Verkäuferin noch eine weitere Kundin, aber in seiner nächsten Nähe war nichts. Er suchte mit seinem Blick den Boden ab, die Decke, die leeren Umkleidekabinen, drehte sich um die eigene Achse, und stellte mit zittrigem Fingern das Glas zurück auf den niedrigen Tisch.

„Fuck", keuchte er und fuhr sich über die Augen. Er hatte sie gehört! Definitiv!

Er öffnete die Augen und stolperte vor Schreck zurück in den Sessel.

„Verflucht!", entfuhr es ihm, denn sie stand direkt vor ihm. Er wich tiefer in den Sessel zurück, als sie sich umwandte.

„Immerhin wirst du bedient, kannst dich betrinken…", fuhr sie gelassen fort, und er starrte sie kopfschüttelnd an. Wieder suchten seine Finger verzweifelt nach seinem Zauberstab. Wieder richtete er ihn zitternd auf ihren Kopf.

„Verschwinde! Oder ich…", brachte er schwer atmend hervor, aber sie lächelte. Ihr fast durchsichtiger Kopf lächelte. Freudlos.

„Oder was?", fragte sie bitter. Er rappelte sich hoch, kletterte in keiner unbedingt geschmeidigen Bewegung aus dem Sessel über die Lehne und begann rückwärts zu laufen. Er stieß sich fluchend an riesigen Zimmerpflanzen, an Kleiderständern, bis er – mit gezogenem Zauberstab – die Türen erreichte. Die Verkäuferinnen im vorderen Bereich starrten ihn perplex an, während er sich hastig umwandte und das Geschäft fluchtartig verließ.

Die untergehende Sonne warf lange Schatten, und er lockerte beim Gehen seinen Kragen. Er atmete tief ein, und zählte innerlich bis zehn. Er wurde also tatsächlich wahnsinnig. Er hielt den Zauberstab gezogen. Für den Fall! Seine Schritte wurden schneller, und ihm war übel. Übel vor Angst.

„Und jetzt?"

Fast wäre er vor Schreck vom Bürgerstieg gefallen, denn sie war neben ihm aufgetaucht. Er wich auf das Kopfsteinpflaster der Straße zurück, hob den Zauberstab wieder, und schüttelte den Kopf.

„Nein!", sagte er fest. „Du bist nicht echt!", schrie er praktisch und schleuderte den Stupor nur für alle Fälle direkt in ihre Richtung, direkt auf ihren Kopf.

Und er schlug durch ihren Körper, schlug direkt in die Mauerwand ein, und aus einem kopfgroßen Loch bröckelte der Putz in der Fassade. Der Staub legte sich, und sie war verschwunden. Die grauenhafte Erscheinung von Hermine Granger war verschwunden.

Er atmete erleichtert aus, lachte hysterisch auf, fuhr sich durch die Haare, und die Passanten waren stehen geblieben, um ihn anzustarren.

„Das war nicht besonders nett. Und du machst dich lächerlich", vernahm er ihre Stimme erneut, wirbelte auf dem Absatz herum, nur um ihn Gesicht zu blicken. Vor Schreck stolperte er nach hinten, fiel über die Bordsteinkante und landete unsanft auf seinem Hintern.

„Sir, alles in Ordnung?" Eine Hexe beugte sich über ihn, und er wich hastig auf dem Boden zurück. Er kam auf die Beine, Schweiß stand ihm auf der Stirn.

Fuck , fuck, FUCK!

Wie ein Irrer drehte er sich um sich selbst. Er bildete es sich ein! Er musste! Er musste einfach! Es gab keine logische Erklärung! Er wurde wahnsinnig! Wieder drehte er sich um sich selbst, panisch sah er sich um, und die Hexe machte sich schleunigst davon. Er stolperte vorwärts, einfach weg von hier!

Er stolperte über seine eigenen Füße, wischte sich unwirsch die Strähnen aus der Stirn und hatte keine Ahnung, wohin er lief. Nur weg! Einfach nur weg von hier!

„Pansy wird dich vermissen, weißt du?", hörte er sie erneut, dicht hinter ihm. Er bedeckte die Ohren mit seinen Händen.

„Halt den Mund!", schrie er und störte sich nicht an den Blicken, die ihn trafen.

Er war die Winkelgasse hinab gestürmt, nur um die Tür zum Tropfenden Kessel aufzureißen.

Er stolperte zu Theke, klammerte sich an die Kante, und Tom, der Wirt, sah ihn erhobener Augenbraue an.

„Whiskey! Doppelt!", keuchte Draco zusammenhanglos.

„Du trinkst zu viel", sagte sie abwertend und ihr nahezu durchsichtiger Körper setzte sich auf den Barhocker neben ihm. Er blickte starr nach vorne, bis der Wirt das Glas vor ihn stellte, und er hob die Hand, nachdem er es in nur einem Zug geleert hatte.

„Noch einen", flüsterte er hustend, und Tom füllte sein Glas, ohne etwas zu sagen erneut. Und Draco leerte auch das zweite Glas in nur einem Zug. Er stellte das Glas mit einem lauten Geräusch zu auf die Theke und starrte auf das polierte Holz, während er tiefe Atemzüge nahm.

„Das ist Irrsinn", murmelte er der Holzplatte zu. Der Alkohol arbeitete sich langsam durch seinen Blutkreislauf. Draco fühlte, wie es in seinem Magen und seiner Speiseröhre wärmer wurde, wie seine eiskalten Finger sich aufwärmten. „Du bist ein Produkt meiner Fantasie!"

Wenigstens achtete hier in der Kneipe voller Betrunkener niemand auf seine Worte. Er sah, wie sie neben ihm den durchsichtigen Kopf schüttelte. „Du bist nicht echt!", sagte er fest. „Das passiert alles nur in meinem Kopf!", fügte er bestätigend hinzu.

„Idiot", hörte er sie murmeln, und er sah, wie sie verschwand. Wie sie sich auflöste, und er hob den Blick. Sie war fort. Hastig sah er sich um, ließ den Blick durch die Bar wandern, aber sie war nicht mehr da!

Ha! Er hatte halluziniert! Sie war nicht echt gewesen! Nass geschwitzt sank er auf den Barhocker. Merlin, er wurde verrückt. Das war alles. Gut. Das war besser, als wenn er auf einmal Grangers Geist sehen würde! Definitiv besser!

Bunte Blitze überall. Einfach überall! Er konnte nicht…-

Mit einem Ruck war er aus seinem Traum geschreckt. Er erinnerte sich nicht mehr, aber sein Blick glitt schlaftrunken durch sein Schlafzimmer. Die Sonne war bereits aufgegangen, stellte er fest, denn durch die dichten Vorhänge, versuchte das Licht einen Weg zu finden. Er fuhr sich durch die verstrubbelten Haare.

„Versuch bitte keinen Stupor zu benutzen."

Sein Herz machte einen lauten Satz, während er vor Schreck ans Kopfende des Bettes zurückwich.

„Fuck!", keuchte er heiser, und erkannte sie auf seiner Bettkante sitzen. Hastig suchte er nach dem Zauberstab. Wo war er? Wo war der verdammte Zauberstab?!

„Malfoy!", drang ihre gereizte Stimme zu ihm durch.

„Nein!", rief er abwehrend. „Du bist nicht echt!", fügte er lauter hinzu. Seine Hände suchten hastig die Bettdecke ab, griffen im Dämmerlich auf seinen Nachttisch, aber der Zauberstab war nicht da.

„Bist du fertig?", fragte sie jetzt, und er hob schwer atmend den Blick.

Salazar, verflucht! Granger saß auf seinem Bett! In Lebensgröße! Er trat die Decke von seinen Füßen. Scheiße! Er musste hier raus. Aber sie hatte sich lautlos erhoben und stellte sich vor die Tür.

Barfuß war er aus dem Bett gestolpert, fast gefallen, denn seine Decke hatte sich um seinen Fuß gewickelt. Sie versperrte die Tür? Gut, dann würde er aus dem ersten Stock springen! Kein Problem!

„Oh ich bitte dich!", brachte sie kopfschüttelnd hervor, als er im Begriff war, die Vorhänge von den Stangen zu reißen, um sich aus seinem Fenster zu stürzen. Sie machte einen Schritt nach vorne, und hastig, als könne er sich verbrennen, wich er fluchend zurück, bis er wieder seine Bettkante unsanft in den Kniekehlen hatte.

„Verfluchte Scheiße!", brachte er keuchend hervor. „Was willst du von mir, verdammt?", flüsterte er panisch, während sie ruhig näher kam. Er verlor den Halt und landete wieder weich auf der Matratze. Sie stand nun direkt vor ihm, und er sah in ihr Gesicht.

„Keine Ahnung", sagte sie schließlich, schlecht gelaunt. Er konnte in ihr Gesicht sehen. Nein, er starrte förmlich, mit so weit aufgerissenen Augen, dass sie schon anfingen zu tränen. Er schüttelte wieder den Kopf, rieb sich hastig die Augen, aber die Erscheinung blieb. Grangers Geist stand vor ihm. Sie trug… Jeans? Turnschuhe und ein Oberteil. Alles grau in grau. Ihr Gesicht war… so wie er es kannte. Ihr Mund war wütend verzogen, die Haare fielen ihr lang und lockig über die Schultern, und sie schien abzuwarten.

Er schluckte schwer, denn seine Kehle war staubtrocken.

„Was zum Teufel willst du?", wiederholte er, während ihre Nähe seinen Herzschlag verdoppelt hatte.

„Ich weiß es nicht", erwiderte sie zornig. „Ich habe mich bestimmt nicht darum gekümmert, freiwillig hier aufzutauchen!" Mehr sagte sie nicht. Er atmete. Schloss die Augen, versuchte sich zu konzentrieren.

Sie würde verschwinden, wenn er sich darauf konzentrieren würde. Sie musste! Sie war nicht echt!

„Du bist nicht echt! Du bist nicht echt!", flüsterte er, während er den Kopf schüttelte.

Dann öffnete er die Augen. Sie war fort.

„Das funktioniert nicht", bemerkte sie bitter, und erschrocken wandte sich sein Blick zum Fenster. Sie lehnte dort an der Wand… wenn sie denn lehnen konnte?!

„Salazar…", murmelte er tonlos, und sie verschränkte die durchsichtigen Arme vor der Brust.

„Ja, bist du damit fertig? Ich habe nämlich keine Lust mehr", informierte sie ihn kalt, und für eine Sekunde vergaß er seine Panik.

Keine Lust mehr?", wiederholte er nur, und sie atmete entnervt aus. Sie atmete tatsächlich aus! Er wusste nicht, was sie war oder warum sie hier auftauchte, aber er nahm nicht an, dass sie atmen musste! Oder, dass er sie hören sollte!

„Ja. Seit gestern bin ich hier, und… anscheinend gehe ich nicht", erläuterte sie, als wäre er zurückgeblieben. Er lachte kurz auf. Trocken, freudlos.

„Das ist ein Scherz?", vermutete er jetzt. „Oder ich halluziniere! Oder ich träume…"

„Oder auch nicht", schloss sie grimmig. „Wann ist deine Panik ungefähr vorbei?", wollte sie jetzt ungeduldig wissen.

Was?", entfuhr es ihm tonlos. „Oh, Merlin, ich weiß nicht, Granger!", rief er hysterisch. „Vielleicht nach einem Buttercorissant und einer Tasse Earl Grey?", schrie er praktisch, während er sich durch die Haare fuhr. „Merlin!" Er bedeckte das Gesicht mit den Händen.

„Fuck, verflucht", murmelte er. „Du…" Er öffnete die Augen wieder. „Du bist ein Geist?"

„Wie scharfsinnig von dir", entgegnete sie, und er atmete laut aus.

„Woher – verdammt noch mal – soll ich es wissen?", brachte er zornig hervor. Er starrte auf seinen Teppichboden.

Du solltest es erst recht wissen!"

„Das ist vollkommen unmöglich!", murmelte er dem Boden zu.

„Ja, find dich damit ab. Ich bin hier", knurrte sie förmlich. Sein Blick schoss wieder nach oben.

„Du bist tot. Du bist ein Geist! Geh einfach dahin, wo du sonst auch warst!"

Sie sah ihn an. Und echte Verwirrung trat auf ihre Züge.

„Wo ich war?", wiederholte sie langsam. „Ich war nirgendwo, Malfoy. Das ist das erst Mal, dass ich irgendwo bin!"

„Was?", wiederholte er und kam zitternd auf die Beine. Sie war ein Geist, aber er war immer noch größer als sie. Er fuhr sich wieder durch die Haare. Vielleicht könnte er sie verletzen? Bewusstlos schlagen? Umbringen?! Neue Ideen, bescheuerte als die letzte, schossen ihm durch seinen Kopf.

„Jetzt. Hier. Ich war… nirgendwo. Oder dazwischen. Ich weiß es nicht, ok?"

„Du… was?"

Er starrte sie an. Das war doch wohl ein verfluchter Scherz!

Seine Tür öffnete sich, und er bekam einen halben Herzinfarkt.

„Was treibst du hier?", erkundigte sich sein Vater gereizt. Draco atmete heftig. Sein Vater schien direkt an Granger vorbeizusehen.

„Wie nett", bemerkte sie bitter. „Alte Bekannte." Er ignorierte ihre Worte, so gut er konnte.

„Was?", flüsterte er verwirrt, und sein Vater musterte ihn mit gerunzelter Stirn.

„Was tust du hier?"

„Gar nichts?", erwiderte er prompt, beinahe schuldbewusst, während er schwer atmend vor seinem Bett stand, nur in seiner Shorts. Lucius sah an ihm hinab.

„Aha. Dann tu es leiser. Es ist sechs Uhr morgens, es ist Samstag, und manche von uns möchten schlafen, Draco?" Sein Vater war sauer. Draco konnte ihn nur anstarren.

„Lucius", hielt er seinen Vater hastig auf, und dessen Mund verzog sich grimmig, als er ungeduldig im Türrahmen verharrte. „Du kannst nicht…? Du siehst nur mich hier drinnen, richtig?"

Der Mund seines Vaters öffnete sich ein winziges Stück weit. Demonstrativ ließ er seinen misstrauischen Blick durch das Zimmer schweifen. „Geh wieder ins Bett, Draco", informierte ihn sein Vater eisig und schloss seine Tür mit einem Ruck.

„Niemand kann mich sehen."

„Nicht korrekt. Dann wäre ich ja auch verschont", murmelte er erschöpft und hörte sie schnauben.

„Ich habe nicht darum gebeten, ok? Ich war gestern auf einmal hier! Hier, in deinem Haus! Und ich kann nirgendwohin!"

„Was? Du warst auch im scheiß Geschäft und in der scheiß Bar!", knurrte er, während er sie näher ins Auge fasste. Sie sah ihn genauso feindselig an.

„Ja, ich kann dahin, wo du bist", giftete sie, und er schüttelte wieder den Kopf.

„Das ist… unmöglich! Ich kann nicht der einzige sein, der dich sieht! Was… was ist mit Potter?", brachte er widerwillig über die Lippen. Und es musste die Vorstufe seines Wahnsinns sein, dass er ausgerechnet jetzt an Potter denken musste!

„Keine Ahnung, Malfoy. Hast du Kontakt zu Harry?", brachte sie gepresst hervor und wanderte durchsichtig durch sein Zimmer. Fasziniert sah er ihr zu und überlegte immer noch, ob er wahnsinnig geworden war. „Wahrscheinlich nicht", beantwortete sie ihre Frage gereizt.

„Ich will einen Beweis", sagte er jetzt. Sie hielt inne und starrte ihn an.

„Was?"

„Dass du kein Produkt meine Fantasie bist! Dass ich… nicht wahnsinnig bin! Wenn du ein Geist bist, dann kannst du es bestimmt beweisen."

„Wenn nur du mich siehst-", begann sie gereizt, aber er schüttelte den Kopf.

„Nein! Uh-uh! So nicht! Geister können Dinge bewegen!"

„Geister können keine Dinge bewegen!", widersprach sie genervt.

„Geister können-"

„-können sie nicht", unterbrach sie ihn lauter. Und er atmete knapp aus.

„Doch, Granger. Geister können in die Welt der Lebenden greifen. Sie können, mit Konzentration und… Willenskraft, Dinge bewegen!", wiederholte er gepresst.

„Ist das so? Nenn mir eine Hogwarts-Geist, der das konnte", forderte sie ihn heraus.

„Granger…", knurrte er, unterbrach sie dann aber. Es war absurd! „Lies es nach!"

„Oh ja. Ganz einfach! Ich kann kein Buch halten, du Idiot!", rief sie jetzt und stemmte die Hände in Hüften. Draco schloss die Augen. Er diskutierte mit einer Wahnvorstellung!

„Ich weiß, dass es möglich ist!"

„Ach und woher willst du das wissen? Zwischenzeitlich ein Geist gewesen, oder woher nimmst du deinen reichen Erfahrungsschatz?", wollte sie unnachgiebig von ihm wissen.

„Gott!", entfuhr es ihm. Das konnte doch nicht wahr sein! „Weil Potters Eltern Voldemort angegriffen haben, als er versucht hat… als er…" Er verkniff sich das Ende des Satzes. Ihre Augen verengten sich voller Hass.

„Oh ja? Hat dir das dein Vater nach dem fröhlichen Treffen von Voldemorts Wiederauferstehung erzählt?" Sie sahen sich an. Und er musste sich setzen. Er atmete aus.

„Gestern!", rief er plötzlich. „In der Bar!" Sie verdrehte, provisorisch wie es schien, ihre Augen. „Da bist du verschwunden!"

„Nicht wirklich", entgegnete sie.

„Wohin?"

„Was meinst du damit, wohin?"

„Merlin, du warst nicht mehr da! Also bist du doch irgendwohin verschwunden?!", entfuhr es ihm zornig.

„Ich war nirgendwo", erklärte sie trotzig. Er schloss gereizt die Augen und atmete aus. „Ich wollte dich nur nicht mehr sehen", fügte sie grimmig hinzu.

„Was?" Er sah sie wieder an.

„Ich war am selben Ort. Nur… unsichtbar…", fügte sie hinzu. „Anscheinend", ergänzte sie mit gerunzelter Stirn und hob entnervt die Arme.

„Dann mach das noch mal!", befahl er jetzt.

„Was? Ich bin kein Dschinni, Malfoy!", entfuhr es ihr zornig.

„Aber du bist doch-", knurrte er ungehalten, und sie stöhnte auf.

„Ja, du hast mich auch wahnsinnig gemacht!"

„Und… ich…was? Und du denkst, es ist mir recht, dass du hier auftauchst?!", fuhr er sie an.

„Du bist ein Arschloch!", sagte sie tatsächlich. Und er sah, wie sie sich auflöste. Sein Blick glitt durch sein Zimmer, während er sich nicht bewegte.

„Granger?", fragte er leise in den Raum, erhielt aber keine Antwort. „Bist du hier?", fügte er hinzu, und wandte sich um, starrte zur Decke, spähte hinter seinen Vorhang, aber sie war nicht da. „Bist du weg?"

„Nein, bin ich nicht", ertönte ihre Stimme, und vor Schreck stieß er sich den Fuß an seinem Bettpfosten.

„Oh, verfluchter- au!", knurrte er, und wieder öffnete sich seine Tür.

„Draco!", sagte sein Vater mehr als warnend. „Was zum Teufel veranstaltest du hier?"

Kurz überlegte er, es Lucius zu sagen. Kurz. Nicht wirklich. Nein, eigentlich wusste er schon, dass er das hier keinem sagen würde!

„Ich…"

„Merlin noch mal, geh ins Bett oder geh! Aber hör auf mit dem Krach!" Wieder fiel seine Tür ins Schloss.

„Du könntest den Muffliato auf dein Zimmer legen", schlug sie ihm in ätzendem Tonfall vor, und er schoss ihr einen kalten Blick zu.

„Wie wäre es, wenn du dich wieder auflöst, Granger?", knurrte er zornig.

„Ich bin nicht weg, weißt du?", gab sie bockig zurück.

„Ja, ich weiß", erwiderte er gereizt. „Ich lass mir was einfallen", ergänzte er und spürte die Kopfschmerzen kommen.

Du lässt dir was einfallen?", wiederholte sie skeptisch.

„Ja. Glaub mir, das hier… will ich nicht!" Und sie verzog den Mund. „Aber es würde mir leichter fallen, wenn ich dein Gesicht nicht sehen müsste", fügte er gereizt hinzu.

„Du bist unfassbar!", entfuhr es ihr kopfschüttelnd. „Glaub ja nicht, dass das hier meine Vorstellung vom Paradies ist, du undankbarer Scheißkerl!"

Und mit einem letzten tödlichen Blick löste sie sich wieder auf. Er atmete erschöpft aus.

Konnten die Blicke eines Geistes tödlich sein, überlegte er dumpf, während er seine Vorhänge aufzog. Sich aus dem Fenster zu stürzen erschien ihm nicht mehr die schlechteste Wahl zu sein.

Es war wieder still. Er starrte in seinem Zimmer umher. Sie war noch da. Nur unsichtbar? Das war nicht viel besser. Überhaupt nicht besser.

tbc...

A/N: hey, ihr lieben. auch wieder eine story, die bereits auf meiner homepage zu finden ist... sie ist eine drama-story. ich sage es nur vorher. aber ich mochte sie sehr gerne : wünsche euch viel spaß!

~ Meg