Kapitel 1

Gedankenversunken starrte sie in die sternenklare Nacht. Der Vollmond leuchtete über ihr blasses Gesicht und draußen konnte sie den Wind sacht durch die Bäume wehen sehen. Es war eigentlich eine schöne Nacht, dachte Tonks während sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Todesser in Hogwarts, verletzte Schüler und der Tod des wahrscheinlich größten Magiers aller Zeiten in einer so vermeintlich schönen Nacht. Die junge Frau schloss kurz die Augen bei dem Gedanken an den gerade erst verstorbenen Albus Dumbledore. Sie hatte ihn immer schon bewundert.

Seine Charakterstärke, seine Entschlossenheit und diese unerschütterliche Ruhe die er ausstrahlte. Und nun war er tot. Einfach fort, von einem Moment auf den nächsten.

Sie wusste das viele durch diese Nachricht die Hoffnung auf einen Sieg gegen den dunklen Lord fast vollständig verlieren würden. Ohne Dumbledore schien die Lage aussichtslos. Und trotzdem, trotz dieser bevorstehenden Hilflosigkeit, den Ängsten und harten Kämpfen, die noch auszutragen waren, konnte sie an nichts anderes denken, wie sie es schon in den vergangenen Wochen nicht konnte, als an ihn.

Die Ironie an der ganzen Sache war, dass die Tatsache, dass sie sich in Remus Lupin verliebt hatte sie am Leben hielt und sie gleichzeitig umbrachte. Es war so schmerzhaft wie der Cruciatusfluch, der sie in dieser Nacht gleich zweimal erwischt hatte. Die Todesser waren einfach zu viele.

Tonks hat jemanden verdient, der jung und gesund ist. Sie atmete tief ein und öffnete die Augen. Der Mond schien ihr immer noch mit einer Unverfrorenheit ins Gesicht, als wollte er die ganze Welt sehen lassen, dass eine einzelne Träne über ihre rechte Wange perlte wie ein Regentropfen über ein Blütenblatt. Schroff wischte sie sich mit der Hand darüber und wirkte dabei wie eine Porzellanpuppe, der man gerade ein Gesicht aufgemalt hatte. Regungslos starrte sie gegen das Fensterglas,

unwillig zu weinen, selbst wenn sie allen Grund dazu gehabt hätte. Sie war trotzig mit sich selbst, denn sie wusste, warum er sie nicht wollte. In Wahrheit war sie es, die ihn nicht verdiente. Remus ist ein Mann von Intelligenz und Einfallsreichtum, von Feingefühl und fast jungenhafter Zurückhaltung. Oder vielleicht erscheint er ihr auch nur so perfekt, weil jeder Gedanke den sie fassen kann, sich nur um ihn handelt.

Als er bei der Nachricht von Dumbledores Tod auf einem Stuhl zusammengebrochen war, hätte sie ihn am liebsten in den Arm genommen oder den Raum gern schnurstracks verlassen, als zu diesem Nichtstun verdammt zusein. Es traf sie jedes mal wie ein Schlag, wenn sie spürte das sie ihm nicht helfen konnte, denn er wollte es nicht, wollte sie nicht. Und wieder einmal wurde ihr bewusst wie lächerlich sie sich die ganze Zeit vor ihm gemacht haben musste, mit ihren offensichtlichen Gefühlen für ihn und den Zuneigungsbekundungen, die sie ihm gegenüber ausgesprochen hatte. Und dann hatte sie sich auch noch angefangen Dinge einzubilden. Als ob er rot werden würde, wenn er sie ansah, und dann schnell wegschauen wie ein Kind. Als ob er eine Gänsehaut bekam, wenn sie zufällig seinen Arm berührte, auch wenn sie ständig seine Nähe suchte. Als ob er anfangen würde zu stottern, wenn sie ihm wieder einmal viel zu tief in die Augen sah. Nein, Remus tat solche Dinge nicht, auch wenn sie sich noch so sehr wünschte es wäre so gewesen. Es war ihr Wunschdenken, dachte Tonks bei sich, das zu sehr von ihr Besitz ergriffen hatte.

Er hatte es ihr gesagt, nicht in ausdrücklichen Worten um sie nicht zu verletzen, aber

Mit Umschreibungen, mit Ausflüchten und Gesten. Einmal hatte er einen Raum verlassen, weil er ihre Gegenwart nicht mehr ertragen konnte. Jedenfalls war dies der Grund den sich Tonks einredete.

Es musste etwa ein Monat vor Weihnachten gewesen sein. Remus stand kurz vor seiner Mission, sich bei einem Rudel von Werwölfen einzuschleusen. Unnötig zu sagen, dass Tonks fast wahnsinnig wurde vor Sorge um ihn. Sie spürte wie sehr sie sich doch verändert hatte, seit sie ihre Gefühle nicht mehr selbstständig steuern konnte. Früher hatte sie gern Witze gemacht, aber heute war ihr nicht mehr oft zum Lachen zumute. Sie musste immer daran denken, was wäre, wenn ihm etwas zustoßen würde. Das würde sie nicht verkraften. Nachts plagten sie häufig Alpträume von kämpfenden Werwölfen und dunklen Gestalten die sich um eine am Boden zusammengekauerte Person drängten.

Als sie ihn an dem Abend vor seiner Mission bei einer weiteren Versammlung des Phoenixordens sah, wirkte er blass und ausgezehrt, doch ihr würde immer seine konzentrierte Miene im Gedächtnis bleiben, die Entschlossenheit seiner Augen.

Er wollte wirklich etwas bewirken, egal welche Konsequenzen es für ihn selbst bedeuteten, und sie konnte nicht umhin, dadurch noch mehr Sympathie für ihn zu empfinden, als sie es ohnehin schon tat. Und sie hatte sich eingebildet, er hätte sie an diesem Abend öfter angeschaut, nur Sekunden zwar, oder war es doch wieder nur ihr Verstand gewesen, der ihr einen Streich gespielt hatte? Tonks wusste es nicht mehr, sie konnte sich nur noch an den Ausgang des Abends erinnern. Am Ende der Versammlung, als alle dabei waren den Raum zu verlassen, blieb sie zurück um die Karten zusammen zurollen, die überall auf dem Tisch verteilt lagen. Sie hörte die Tür ins Schloss fallen und ohne aufzublicken nahm sie die letzten beiden Pergamentstücke in die Hand und faltete sie zusammen. Erst als sie den Stapel beiseite legen wollte, bemerkte sie, dass sie nicht allein war. Er stand ihr genau gegenüber, den Mund leicht geöffnet, als wollte er etwas sagen, hatte aber vergessen wie man spricht. Tonks starrte ihn an. Den ganzen Abend über hatte sie sich eigentlich recht gut gehalten und nun musste er so dastehen und sie auf eine Art ansehen, der sie sich nicht entziehen konnte? Und wie sie ihn ansah, kehrten auch die Bilder aus ihren Träumen wieder in ihr Gedächtnis zurück wie ein Blitzschlag durch die Dunkelheit. Als Tonks bemerkte dass ihre Hände zitterten, hatte sie bereits den Stapel Pergamentrollen in ihren Armen fallen gelassen und bückte sich rasch um sie wieder einzusammeln. Remus machte ein paar schnelle Schritte auf sie zu und beugte sich hinunter um ihr zu helfen. Er streifte ihre Hand und sie hielt inne. Tonks sah ihn von unten herab an und registrierte erst jetzt, dass er eigentlich genau vor ihr hockte, keinen halben Meter entfernt. Die Papiere hatten sich wieder entrollt, als sie auf dem Boden aufgeprallt waren und er strich mit den Fingern darüber, starrte auf die Karten als würde er sie lesen. Als sie in sein Gesicht sah, unfähig irgend woanders hinzublicken, hätte sie ihn am liebsten angefleht nicht auf diese Mission zu gehen. Die Gefahr, die damit verbunden war, schnürte ihr die Kehle zu und erwürgte sie förmlich. Sie wollte etwas sagen, ein paar tröstende Worte, aber Es-wird-schon-alles-gut-werden Floskeln brachte sie in diesem Moment einfach nicht über die Lippen, die sie stumm immer wieder öffnete und schloss. Und als sie sich vorstellte dass dies vielleicht das letzte mal sein würde, dass sie ihn sah, konnte sie nicht mehr an sich halten und beugte sich ruckartig nach vorn um ihn zu umarmen.

Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie spürte das er ihre Umarmung nicht erwiderte und trotzdem drückte sie sich noch fester an ihn und vergrub ihr Gesicht in seinem Nacken. Ihre Finger krallten sich in den weichen Stoff seines geflickten Umhangs. Es war das einzige mal, dass sie ihm so nah gewesen war und mit Sicherheit auch das letzte mal, dachte Tonks bitter und starrte weiterhin aus dem Fenster. Sie wusste nicht mehr wie lange sie ihn festgehalten hatte, ein paar Minuten, vielleicht auch nur eine Sekunde. Sie erinnerte sich, dass sein Atem schneller ging und sie konnte sich nicht erklären wieso. Im nächsten Moment stieß er sie plötzlich von sich, als wäre sie giftig. Tonks fiel zu Boden, konnte sich jedoch mit den Ellenbogen darauf abstützen. Sie sah auf doch er hatte den Raum so schnell verlassen dass sie weder den Ausdruck auf seinem Gesicht noch den Grund für sein Verhalten erkennen konnte. War sie denn so abstoßend? Gott, wie oft hatte sie sich diese Frage schon gestellt, nachdem er sie so von sich gestoßen hatte. Aber es war doch ihre eigene Schuld gewesen, dachte sie bei sich, wie sie da auf dem kalten Holzboden kauerte. Sie hatte ihn umarmt und er hatte es weder erwidert noch hatte er darum gebeten. Also worüber wunderte sie sich eigentlich? Und trotzdem, obwohl es ihr so simpel erschien, war es wie ein tiefer Schock so offensichtlich ungeliebt zu sein. Er wollte sie nicht. Er liebte sie nicht und mehr noch, er konnte nicht einmal ihre Berührung ertragen ohne den Drang zu verspüren aus dem Zimmer zu rennen. An diesem Abend veränderte sich ihr Patronus. Sie wollte nicht wissen wie er nun aussah, deshalb schloss sie jedes Mal die Augen, wenn sie den Zauber aussprach. Und doch wusste sie es, wusste welche Gestalt er annehmen würde.

Seufzend verschränkte sie die Arme vor der Brust und ließ ihren Blick über die Ländereien von Hogwarts wandern, die ihr vorher nie so düster und bedrohlich erschienen, wie in dieser Nacht. Die Erinnerungen in ihrem Kopf ließen sie einmal mehr erkennen, dass sie sich selbst schon nicht mehr kannte. Sie fühlte sich ihm vollkommen ausgeliefert und so sehr sie sich auch zwang ihre Gefühle wegzuschließen, prallten sie ihr doch immer wieder mit einer Wucht entgegen,

der sie sich nicht gewachsen fühlte. Tonks war einfach verliebt.

Mit einem Male fühlte sie sich wieder ausgelaugt und über alle Maßen erschöpft.

Die Kämpfe mit den Todessern hatten doch größere Spuren bei ihr hinterlassen, als sie zunächst angenommen hatte. Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken, denn ihre Beine schmerzten sie nun und sie erkannte die Folgen der Cruciatusflüche an ihrer derzeitigen Verfassung. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es ihm wohl gerade geht.

Remus musste auch einiges abbekommen haben, auch wenn sie sich zweimal vor ihn gestellt hatte um die schlimmsten Flüche abzufangen. Bei diesem Gedanken fuhr ein düsteres Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte für ihn den Cruciatusfluch ertragen,

ganze zwei mal, und er würde es nie erfahren. Dafür war sie jedoch dankbar, denn sie wollte nicht dass er sich ihr verpflichtet fühlte. Alles was sie wollte war, ihm so viele Schmerzen wie möglich zu ersparen, auch wenn das hieß, dass sie diese dann an seiner Stelle ertragen müsste. Was war schon ein Cruciatusfluch gegen die Sicherheit, dass er ihn nicht treffen würde...