Mondgezeiten

Inh.: Remus' Leben verläuft nicht in Tagen, sondern in Mondphasen. Eine Bestandsaufnahme von Momenten, mitten aus dem Wolfsherz.

Anm.: Die ersten zwei von fünf Oneshots. Eingangszitate von Aimee Mann, meiner herzallerliebsten Songpoetin. Liebe Grüße an die Mädels vom LJ, Lina, Eva und moony4ever aka moons :).

Disclaimer: Nichts gehört mir, und wenn ich Geld hiermit verdienen könnte… ha! Vergesst es.

Soundtrack: Coldplay, "Warning Sign", für den melancholischen Einschlag.

Viel Spaß beim Lesen!

I. Erwachen

'Cause baby, look what I have done
The ruins just go on and on
I've got to let it go now, or it will drag me under

(Aimee Mann, "I can't help you anymore")

Schwarz hinter den Lidern, zitteriges Blinzeln, winziger Flügelschlag, schon erstorben. Dann nochmal, hell, weiß (weiß?), Sonne hinter hohen Fenstern. Sonne ist gut, weil sie nur auf der Haut brennt, nicht darunter. Krankenhausbettenlaken.

Remus wälzt sich auf die Seite, entkommt dem dumpfen Schmerz in seinem Brustkorb und dreht sich hinien in ein brennendes Ziehen in seinem Oberschenkel, seine linke Handfläche ist bandagiert (wieder), an der Stirn spannt etwas (Pflaster), sein Herz macht unmotivierte Bewegungen, bekagt sich bei jedem Schlag, wieso bist du schon wieder wach, hm?

Dann beginnt die vertraute Prozedur – energische Schritte, „Oh, du bist wach" – „Ja." Quietschen der Matratze, die nachgibt, als Mme Poppins sich darauf setzt, „Wie fühlst du dich?" – „Ja." – „Wir werden jetzt mal deine Verbände wechseln, was?" – „...ja."

Remus zählt lautlos von vierundvierzig bis eins rückwärts, während die Betrachtung der Kratzer und Schnitte erfolgt und die Verbände erneuert werden, als der wirklich schmerzhafte Teil kommt, der beißend scharfe Tränke involviert und unangenehme Heilungszauber, für die es nötig ist, dass er bei Bewusstsein ist (Bewusstsein ist nicht so übel, eigentlich, aber jedes Mal nach Vollmond ist es ein hämisches kleines Biest), ersetzt er das Zählen durch chronologisches Ordnen von Daten (War die Koboldbewegung nun vor oder nach der fünfzigjährigen Debatte des Zauberrats?) und das Lösen arithmantischer Formelgleichungen.

Schließlich ist es überstanden, und trinkt einen von Poppys patentierten Stärkungstränken aus einer peinlichen Krankenflügel-Schnabeltasse, die geschmacklich an Dinge erinnern, die man besser nicht exakt identifiziert.

Dann rutscht der Zeiger der Wanduhr noch ein Stück nach vorn, vom Westflügel hört man das dumpfe Knallen von Türen gegen die Wände, als die Zweitklässler aus ihren Verwandlungs- und Zauberkunststunden rennen (oder hinken, je nachdem, wie sicher sie in der Materie sind), und Remus gibt ihnen vier Minuten, um aus dem Klassenzimmer in den Krankenflügel zu kommen, oder nein, eine mehr, weil jetzt das Gedränge zum Mittagessen einsetzt und Peter sicherlich auf eine Scheibe Toast besteht und sie mit seiner Nörgelei aufhält. Dann noch etwa ein bis zwei Minuten, um an Poppy vorbeizukommen, und eine zur Reserve für Unvorhergesehenes. Sie unterbieten seine Berechnung um anderthalb Minuten.

„Moooooony!" Sirius.

„Hey, Remus, alles klar?" James.

„... – nur eine Scheibe Toast, ich bin fast verhungert seit heute morgen! Hallo, Remus." Peter.

„Wie geht's dem Patienten?", fragt Sirius, wirft sich ohne Rücksicht auf Verluste auf die Matratze neben Remus und betrachtet die bauchige, braune Flasche auf dem Tablett neben ihm.

James lehnt sich betont lässig gegen den Arzneischrank an der Wand und Peter schmollt in der Ecke am Fenster.

„Au.", sagt Remus kaum hörbar und Sirius lässt augenblicklich von der Flasche ab und sieht Remus aus Augen an, die so blau sind, dass sämtliche Vergleiche an ihnen scheitern würden.

„'Tschuldigung.", sagt er mit einem lässigen Lächeln, aber Remus versteht schon.

„Schon gut."

„Ist es nicht." Sirius lehnt sich vor und pustet in Richtung der schmerzenden Stelle, und sein Atem huscht wie eine beiläufige Berührung über die nackte Haut an Remus' Hals und sein Herz stellt den Betrieb ein.

Denk an etwas anderes. Denk. An. Etwas. Anderes. Der Koboldaufstand in Südengland war als eine Folge der sozialen Probleme und wirtschaftlichen Misstände zu verstehen, mit denen sich die Koboldbevölkerung konfrontiert sah...

„Besser?"

... und wurde im Folgenden vielfach bezeichnet als Revolte gegen das politische Staatssystem auf Grundlage von...

„Moony?"

„Was? Oh, ja, ähm. Hmmm."

„Er ist noch ein bisschen duselig im Kopf.", diagnostiziert James und Peter murmelt:

„Wenigstens ist er nicht unterzuckert."

„Du bist nicht unterzuckert, du Idiot. Du hast dir in der Pause einen Schokoriegel reingeschoben, der war so groß wie 'ne Familienpizza."

„Petey ist nur eifersüchtig, weil niemand nach seinem Wohlergehen fragt."

James grinst. „Klar, ist ja auch der Kleinste von uns, also..." Er zwinkert ihm verschwörerisch zu, „ich meine, vom animagischen Standpunkt aus gesehen."

„Ich würde sofort mit ihm tauschen, wenn ich könnte.", gibt Remus zu verstehen, und Peter läuft knallrot an.

„Ich habe eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.", sagt er bestimmt und verschränkt die Arme vor der Brust.

„Jaja. Auch Klobürsten haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, wenn man's so sieht."

„Benehmt euch, Leute.", murmelt Remus abwesend und müde und sinkt dabei tiefer in die Kissen. In seinem Kopf rappeln noch einige Dinge herum, die nicht ganz an der richtigen Stelle liegen.

„Ich dachte, du magst es, wenn ich ungezogen bin", haucht Sirius in laszivem Tonfall und sieht Remus unter langen, schwarzen Wimpern hindurch an. James schüttelt sich aus vor Lachen.

„Remus weiß sehr genau, was er mag und was nicht.", grinst James. „Denk nur mal an deine Plattensammlung, Pads."

„Ich mag dich.", seufzt Remus auf einmal, kaum hörbar und lässt sich ein wenig zur Seite sinken, sodass er näher bei Sirius liegt. Seine Augen sind geschlossen, er driftet lautlos hinüber in einen traumlosen Schlaf. Peter beschwert sich in der hintersten Ecke des Zimmers noch immer über das verpasste Mittagessen und Sirius betrachtet die Gesichtszüge, in die sich Sorge und Schmerz gegraben haben und die so müde wirken, müde und alt und verloren in den weißen Laken des Bettes.

Sie sprechen nicht mehr, Sirius glaubt auch nicht, dass jemand anderer als er Remus' leise Worte gehört hat, und obwohl James einen Moment lang zu ihnen hinübersieht und ein unergründlicher Ausdruck in seinen Augen liegt, verliert er niemals ein Wort darüber.