Summary: Das erste Jahr in Hogwarts – doch dieses Mal aus Sicht der Ravenclaws. Terry Boot, Anthony Goldstein, Simon Grey, Luna Lovegood treffen einander und auf die Weasley-Zwillinge. Wird der Stein der Weisen in seinem Versteck unter dem Schloss auch vor einer Bande von Ravenclawstrebern und den zwei größten und rothaarigsten Unruhestiftern, die Gryffindor zu bieten hat, sicher sein? Reicht ein kleiner Hindernisparcours tatsächlich aus, um den Lapis Philosophorum vor den goldgierigen Händen Freds und Georges und den vor Forschungseifer fiebernden grauen Zellen der Ravenclaws zu schützen?

Warnings: Completely AU, spoilers from all books, language (in many ways), violence, Sex (slash, het, femmeslash, whatever), Drugs & Rock 'n' Roll, character death, OoC, OCs etc., nothing has to, but everything (including the aforementioned items, but not limited to them) might happen at some point (but probably not in the first book), especially slash (kind of required by a rabid plot bunny – okay, honestly, it's not required at all, I'll do it just for fun). If you don't like it, stop reading it! Despite chapter titles: This is in no way a songfic! (Though it wouldn't hurt to know the songs. They're great. All of them.)

Rating: T should be safe for the first book.

Disclaimer: This story is based on characters and situations created and owned by JK Rowling, various publishers including but not limited to Bloomsbury Books, Scholastic Books and Raincoast Books, and Warner Bros., Inc. No money is being made and no copyright or trademark infringement is intended. What a surprise! The "No Money" part always makes me weep. But as far as my own ideas and concepts are concerned: in (the unlikely) case you want to use them, be my guest.

Hinweis: Die oben als »Characters« aufgeführten Namen beschreiben nicht notwendigerweise ein Pairing, sondern verstehen sich lediglich als kleiner Auszug aus den Dramatis Personae. Vollständige und aktuelle Ausgaben des ersten und zweiten Buches sind als ZIP-Files kostenlos bei einem One-Click-Hoster herunterladbar, die entsprechenden Links finden sich auf meiner Profilseite. Frolicking trolls forever! And without further ado:


Simple Simon Says




1. Clap Your Hands In The Air
(Simon Says – 1910 Fruitgum Company)


Die Straßen begannen bereits wieder zu trocknen. Die Luft roch noch nach aufgewirbeltem Staub und ausgewaschenem Grün. Die Dächer der wenigen Häuser von Middlesmoor glänzten nass und reflektierten die gleißenden Strahlen der Nachmittagssonne. Das kurze Sommergewitter hatte kaum Abkühlung gebracht, und bald würde die Hitze dieses Julitages die letzten Spuren des Regens verdampft haben.

Am Rande des Dorfes lag das Haus der Greys. Es hatte früher der alten Mrs. Grey gehört, deren Mann den Gerüchten zufolge im Krieg gefallen war. Seit über zwanzig Jahren hatte sie das kleine Häuschen alleine bewohnt und den Garten bewirtschaftet – so weit es ihre Kräfte noch zugelassen hatten. Eileen, ihre einzige Tochter, war schon lange weggezogen; nach Leeds, hieß es, um dort zu studieren und später als Lehrerin zu arbeiten. Die meisten Dörfler sahen die Notwendigkeit ein, sich in der Stadt nach Arbeit umzusehen, und waren deshalb nicht wenig verwundert, als die junge Miss Grey vor zwei Jahren wieder nach Middlesmoor zurückkam. Noch interessanter war jedoch, dass sie ein Kind mitbrachte. Mrs. Grey hatte nie auch nur angedeutet, dass sie bereits Großmutter geworden wäre. Gewisse Personen nahmen ihr das sehr übel, und so entstand das Gerücht, dass sie es selbst erst erfahren hätte, als ihre Tochter mit ihrem unehelichen Kind vor ihrer Haustüre gestanden habe. Der Junge, Simon, war damals vielleicht elf oder zwölf Jahre alt. Natürlich hatte man die alte Mrs. Grey vorsichtig nach dem Vater ihres Enkels befragt, doch diese hatte nur geblafft, der Junge sei ein Grey, und mehr habe niemanden zu kümmern. Kaum jemand im Dorf hielt das für eine vernünftige Einstellung, da jedoch keine weiteren Details zu erfahren waren, erstarben die Gerüchte und Vermutungen über den Vater Simons nach ein paar Monaten.

Man gewöhnte sich an Mutter und Sohn. Simon kam in eine Privatschule in der Stadt, an der seine Mum eine befristete Stelle als Lehrerin bekommen hatte. Beide fuhren jeden Morgen dorthin und kamen oft zu unterschiedlichen Zeiten wieder zurück, da Simon mit dem Bus nach Hause fuhr, wenn sein Unterricht früher oder später als der seiner Mum zu Ende war. Im Allgemeinen war man froh gewesen, dass die alte Mrs. Grey nun jemanden im Haus hatte, da sie seit einiger Zeit ein wenig wunderlich geworden war. Manchmal war sie ziellos im Dorf herumgewandert und hatte den Weg zu ihrem Haus nicht mehr gefunden. Wenn man ihr hatte helfen wollen, war sie zornig geworden und hatte mit ihrem Stock gedroht.

Im Frühling war sie dann plötzlich in ihrem Garten zusammengebrochen. Der Junge war allein zu Hause gewesen, seine Mutter noch in der Schule. Als er sie fand, hatte er sofort den Notarzt verständigt. Es war jedoch schon zu spät gewesen. Als der Krankenwagen endlich ankam, war die alte Mrs. Grey tot. Drei Tage später wurde sie auf dem Dorffriedhof, in Anwesenheit fast der gesamten Gemeinde, beigesetzt. Die meisten waren Altersgenossen der Verstorbenen, viele sogar wesentlich älter gewesen und hatten sie ihr ganzes Leben lang gekannt. Obwohl Mrs. Grey noch relativ jung gewesen war, weshalb ihr Tod ein unangenehmes Memento mori darstellte, war man mehrheitlich der Ansicht, dass die Plötzlichkeit und Art ihres Versterbens angesichts der Umstände zwar nicht glücklich, aber auch kein allzu bedrückender Ausgang der Dinge gewesen sei, und so mancher verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, ein ähnliches Ende zu finden, wenn denn seine Zeit gekommen sei.

Das Leben ging weiter seinen gewohnten Gang im Dorf. Wie die alte Mrs. Grey vor Jahrzehnten alleine mit ihrer Tochter das alte Haus bewohnt hatte, so lebte jetzt die junge Miss Grey mit ihrem Sohn darin. Die meisten Einwohner von Middlesmoor mochten den Gedanken. Kontinuität war etwas Gutes, und auch wenn die jetzigen Bewohner noch zurückgezogener lebten als die alte Mrs. Grey – wenn das überhaupt möglich war –, so war man doch zufrieden, dass nicht ein weiteres Haus verlassen und dem Verfall preisgegeben wurde, wie es schon einem halben Dutzend anderer in den Dales ergangen war.

Mittlerweile hatte die Sonne große Flecken auf den Dächern der Häuser getrocknet, und nur hie und da spiegelte noch eine schwindende Regenlache ihr blendendes Licht wieder. Das Grey-Haus lag am Ortsrand und war ein unscheinbarer, heller Backsteinbau mit dem früher bei allen alten Häusern im Dorf üblichen Schieferdach. Eine Längsseite war vollkommen von Efeu überwuchert, der sich schon um die Ecken schlang, um auch die anderen Hauswände zu erobern. Das Dach war das Revier von Moosnestern, und der Efeu schien es zu meiden. Hinter dem Haus standen vier verwilderte Obstbäume, an denen kirschgroße, unscheinbare Knoten hingen, die mit viel Glück noch zu kleinen Äpfeln heranwachsen würden. Der einzige gepflegte Teil des Gartens war das Gemüsegärtchen, in dem Zwiebeln, Karotten und Radieschen in Reih und Glied in ihren Beeten wuchsen und Bohnen an ihren Gestängen emporkletterten. Die Regentonne war fast leer, und der kurze Platzregen hatte den Wasserspiegel nur um ein oder zwei Zentimeter ansteigen lassen. Vielleicht würde es gegen Abend gewittern und endlich richtig regnen. Die schwere, feuchte Luft ließ darauf hoffen.

Die verwitterten Fensterläden waren von der Sonne zu einem hellen Graugrün vergilbt worden und übersät mit den abblätternden Pockennarben alten Lacks. Die Fenstersprossen sahen nicht besser aus, die Fenster selbst waren jedoch sauber und klar; kein Blütenstaubfilm hatte den Sommerputz von Miss Grey überlebt. Besagte Miss Grey hätte man deutlich durch das Fenster ihres Arbeitszimmers an ihrem Schreibtisch sitzen sehen können, wenn das grelle Tageslicht es nicht in einen Spiegel verwandelt hätte. Sie war gerade damit beschäftigt, neue Physikprüfungen für das nächste Schuljahr zu entwerfen. Natürlich waren es nur Variationen alter Aufgaben, die sie in einem Stapel neben sich liegen hatte. Der Lehrplan würde im nächsten Schuljahr kaum vom alten abweichen, also konnten auch die Prüfungen ihrer Schüler nicht viel anders aussehen als die letzten Jahre. Die Sommerferien würden nächste Woche beginnen und sie wollte sich diese Zeit so weit wie möglich für ihren Sohn freihalten, deshalb hatte sie bereits jetzt angefangen, einiges vorzubereiten.

Simon war seit dem Tod seiner Großmutter, obwohl er sie kaum zwei Jahre gekannt hatte, noch zurückhaltender und introvertierter geworden. Er hatte die alte Frau trotz ihrer zunehmenden Demenz sehr gemocht, und wenn er ihr vorgelesen hatte, was er oft getan hatte, hatte sie ihm andächtig zugehört. Jetzt lebte er nur noch in seinen Bücher. So sehr sie es begrüßte, dass ihr Sohn viel las – sie wusste schließlich, wie selten das heutzutage war –, so sehr wünschte sie sich, er hätte wenigstens ein oder zwei andere Interessen. Oder Freunde. Sie war nicht blind. Ihr Simon kapselte sich immer mehr ab. Sogar auf dem Schulhof blieb er fast immer für sich. Meist stand er nur in einer Ecke und beobachtete. Wenn er nicht ein Buch in die Pause mitnahm und die Viertelstunde lesend verbrachte. Er begann nie ein Gespräch von sich aus. Wann immer sie ihn mit einem Schüler hatte sprechen sehen, war der andere auf Simon zugegangen. Und meist mit einer Frage zum Unterricht oder zu Hausaufgaben, wenn sie ihm glauben konnte – und sie war sich sicher, dass sie das konnte. Für ihn war der ganze Schulbetrieb nur eine störende Nebensache, die ihn von seinen Büchern abhielt. Seine Hausaufgaben erledigte er im Eiltempo und entsprechend schlampig und hingeschludert sahen sie auch aus. Aber im Normalfall waren sie korrekt. Sehr knapp gehalten, aber korrekt. Sie hatte sich bei seinen Lehrern erkundigt, da er sich seit dem vierten Schuljahr weigerte, sie von ihr kontrollieren zu lassen.

Seine Noten ließen nichts zu wünschen übrig. Wenn man bedachte, wie wenig Zeit er sich für die Schule nahm, waren sie sogar erstaunlich gut – abgesehen vom Kunst- und Musikunterricht natürlich. Sein musisches Talent hat er von mir, dachte sie und musste lächeln. Aber trotz seiner guten Noten war ihr Simon mit einem Schulbuch ein genauso seltener Anblick wie Simon ohne Buch. Vielleicht wurde er deswegen kaum als Streber gehänselt. Oder weil er sich »am Unterricht nicht ausreichend beteiligt«, dachte sie, als sie sich an die kürzliche Beschwerde seines Englischlehrers erinnerte. Oder weil er die anderen seine Hausaufgaben abschreiben ließ, wenn sie es denn schafften, seine Schrift zu entziffern. Das war wohl die wahrscheinlichste Erklärung.

Seufzend legte Miss Grey ihren Stift zur Seite. Wenigstens würde sie dafür sorgen, dass Simon in den Sommerferien noch etwas anderes als seine Bücher zu Gesicht bekam, das hatte sie sich fest vorgenommen – und eine Grey setzte ihren Willen immer durch, komme, was da wolle.

Sie stand auf und streckte sich. Sie würde nach den Jungs sehen. Eine Pause mit Limonade und ein paar Sandwiches würde ihnen gut tun. Die Nachhilfe für Josh war ihre Idee gewesen. Sie hatte gehofft, er und Simon würden sich vielleicht anfreunden, und Josh brauchte wirklich dringend Hilfe in Mathematik. Sie schienen auch gut genug miteinander auszukommen, aber Simon machte keine Anstalten sich zu ändern. Wenn Josh zur Nachhilfe kam, war er freundlich zu ihm, erklärte mit einer Engelsgeduld, die sie selbst wohl kaum aufgebracht hätte, zum wiederholten Mal die Punkt-vor-Strich-Regel, unterhielt sich mit ihm aber über nichts anderes als den Lernstoff. Wobei sie sich selbst eingestehen musste, dass Josh auch kaum Gemeinsamkeiten mit ihrem Simon hatte. Und Simon vermutlich an intellektueller Unterforderung eingehen würde, müsste er sich mit Josh über etwas anderes als Sport unterhalten – und Sport war nicht gerade Simons Lieblingsthema. Wenn der Junge wieder gegangen war, wandte ihr Sohn sich wieder seiner momentanen Lektüre zu und las einfach weiter. Simon behandelte die Nachhilfestunden mit Josh wie ein unvermeidliches Naturereignis, eine Störung der Routine, gegen die man nichts machen konnte und der man am besten mit gelassenem Gleichmut entgegentrat. Mein Sohn, der Stoiker, spottete Miss Grey, verzog das Gesicht und beschloss ihre Grübelei zu beenden.

In der Küche machte sie die Brote für die beiden Jungs und trug dann ein Tablett mit Limonade, Gläsern und den Sandwiches zu Simons Zimmer hinauf. Der einzige Grund, warum wenige Augenblicke später der klirrende Aufprall eines fallengelassenen Tabletts nicht zu hören war und kein schreckerfüllter spitzer Schrei durch das Haus klang, war darin zu suchen, dass Miss Eileen Grey eine durch und durch echte Grey war und jede Form der Theatralik aus tiefstem Herzen verabscheute.


Das Zaubereiministerium schien verlassen, die Flure waren menschenleer, die meisten Büros verwaist, und der Pförtner hinter dem Sicherheitsschalter hatte sich hinter seinem Daily Prophet verschanzt. Es war schließlich Freitagnachmittag, und die Beamten des Ministeriums hatten sich ihr Wochenende redlich verdient. Und jeder, der an einem Freitag – und noch dazu nachmittags – etwas im Ministerium zu erledigen hatte, war ohnehin mindestens teilweise unzurechnungsfähig. Und unzurechnungsfähige Hexen und Zauberer waren unberechenbar und zeigten eine verhängnisvolle Neigung zu gewalttätigem Verhalten. Deshalb war es eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme, präventive Selbstverteidigung und nicht zuletzt eine Frage des gesunden Menschenverstandes für jeden Angestellten des Zaubereiministeriums, seinen Dienst im Moment des offiziellen Endes der Mittagspause gleich mitzubeenden.

Mafalda Hopkirk saß in ihrem Sessel in der »Abteilung für unbefugte Zauberei« und starrte verdrießlich aus dem Fenster auf das verregnete London. Das Fenster war natürlich magisch, schließlich war das Zaubereiministerium gänzlich unterirdisch angelegt, es zeigte aber ein reales Bild des aktuellen Geschehens über dem Ministerium.

Wenigstens war das Wetter schlecht, überlegte Mafalda. Sie musste das ganze Wochenende über Notdienst leisten und die magischen Karten Britanniens überwachen. Ein ruhiger Routinejob, maximal hätte sie ein paar Unterschriften auf die automatisch erstellten Verweise für jugendliche Rüpel zu klatschen, die sich nicht an das VBdZM-Dekret hielten und dumm genug waren, sich erwischen zu lassen. Das »Dekret zur Vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger« war ein Relikt und hätte einen Rund-um-die-Uhr-Notdienst, ihrer und der Meinung ihrer Kollegen nach, nicht gerechtfertigt. Die Abteilung für unbefugte Zauberei war einhellig der Auffassung – und sie hatten während einer ausgelassenen Bürofeier anlässlich der bevorstehenden Pensionierung eines Kollegen abgestimmt, und das Ergebnis war einstimmig gewesen –, dass die Racker sich und ihre Erzeuger an den Wochenenden ungestört verfluchen können sollten. Dass der Vorschlag, ihnen selbst den Gebrauch der Unverzeihlichen nachzusehen, knapp gescheitert war, hatte nicht an ihr, sondern an Nachschubproblemen hinsichtlich des Feuerwhiskeys gelegen. Leider hatten kompetente Experten keinen Einfluss auf den regierenden Zaubereiminister oder die Gesetzgebung des Wizengamots. Nur Probleme von den Ausmaßen eines Ipswich-Unfalls konnten eine akzeptable Begründung für die Notwendigkeit eines Notdiensts liefern. Und solche Probleme waren in den Händen der Auroren von der schnellen Eingreiftruppe der »Abteilung für die Umkehr magischer Unfälle« sowieso besser aufgehoben.

Ein hoher Pfeifton ließ sie aufschrecken und erbleichen. Jetzt durfte man schon nicht mehr an den Teufel denken, schoss ihr durch den Kopf. Sie atmete tief durch, bevor sie sich mit einem leeren Stück Pergament zur großen Landkarte an der gegenüberliegenden Wand des Büros begab. Magische Aktivitäten aller Art ließen die britische Hauptinsel wie einen gemalten Weihnachtsbaum aussehen, den ein geschmackloser Irrer mit blinkenden blauen, grünen und gelben Lichterketten dekoriert hatte. Das zittrige Flackern der Lichter war normal. Unverschleierte magische Aktivitäten wurden erfasst, auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft und, falls kein Gesetzesverstoß vorlag, wieder von der Karte gelöscht. Ein Licht jedoch leuchtete dauerhaft in einem hässlichen Violett. Irgendwo in der Grafschaft York, nordwestlich von Leeds, war es zu einem magischen Vorfall mit mindestens einem minderjährigen Beteiligten gekommen.

Mafalda berührte mit einer Ecke des leeren Pergaments den violetten Lichtpunkt und murmelte eine Zauberformel. Die Magie der Landkarte zauberte die Adresse des Tatorts im selben üblen Violett, aber in eleganten Buchstaben, auf das Blatt. Als sie die Anschrift und den Namen des Täters gelesen hatte, begann sie innerlich zu fluchen.

Simon Grey
Das alte Grey-Haus
Middlesmoor, Harrogate
Nidderdale, Yorkshire Dales

Verdammte, unvernünftige, dumme Muggel, waren ihre harmloseren Formulierungen. Dass ihr in den Sinn kam, dass Du-weißt-schon-wer zumindest nicht komplett unrecht gehabt hatte, war weniger harmlos, doch sie schämte sich auch fast für diesen Gedanken. Aber es war auch zu … ärgerlich traf die Sache einfach nicht. Und in der gesamten Zielregion kein einziger öffentlicher Anschluss an das Flohnetz. Sie würde eine elendiglich lange Strecke apparieren müssen und vermutlich den Rest ihres Dienstes mit den Aufräumarbeiten dieses Vorfalls beschäftigt sein. Außerdem musste sie einen Kollegen aus seinem wohlverdienten Wochenende zurückrufen, was ihr gewiss keine großen Sympathiebekundungen einbringen würde. Und das alles nur wegen dieses muggelstämmigen Lümmels. Wenn die Eltern dieser missratenen Bälger nur auf die Ratschläge ihres Büros hören würden. Oder die inkompetenten Idioten – alias Angehörige des Wizengamots – es verantwortungsbewussten, erfahrenen Beamten des Ministeriums erlauben würden, etwas überzeugendere Argumente einzusetzen. Natürlich nicht Imperio, aber ein ordentlich ausgeführter Gedächtniszauber, gefolgt von einer geschickt formulierten Suggestion, hätte ihnen das aktuelle Problem erspart. Mit einem letzten, lauten Fluch wandte sie sich von der Karte ab und griff energisch zu ihrem Zauberstab, um sich an die Arbeit zu machen. Hoffentlich kein zweites Ipswich, betet sie im Stillen, alles andere, nur kein Ipswich.


In dieser Nacht wachte Luna Lovegood mit einem Schrei auf. Es war nicht der übliche Alptraum gewesen, in dem ihre Mum, von der Explosion ihres eigenen Experiments überrascht, an die Wand ihres Labors geschleudert wurde und sich das Genick brach. Eigentlich war es überhaupt kein Alptraum gewesen. Allerdings auch kein schöner Traum. Vielleicht … überraschend? Hmm, eine Überraschung konnte gut oder schlecht sein, also ein überraschender Traum.

Zufrieden mit sich schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Sie griff nach ihrem Übungszauberstab und zauberte ein Lumos. Nach kurzem Nachdenken lief sie barfuß und in ihrem Nachthemd in die Küche. Sie schenkte sich eine Tasse Milch ein und gab einen Löffel Honig dazu. Ihre Mum hatte ihr immer warme Milch mit Honig gemacht, wenn sie nicht einschlafen konnte. Sie setzte sich an den Tisch und sprach ein Calfacto über die Milch. Sie rührte ein paarmal um, bis sich der Honig aufgelöst hatte, und nahm dann einen vorsichtigen Schluck aus der Tasse. Sie trank langsam und genoss die sich in ihr ausbreitende Wärme.

Sie musste einen Weg finden, es Dad beizubringen. »Aber Luna«, würde er sagen, »mein Mondschein, wir waren uns doch einig, bis nächstes Jahr zu warten.« Die Wahrheit würde er nicht verstehen, obwohl er mehr begriff als die meisten Erwachsenen. Ihre Mum hätte es verstanden. Wäre sie als Geist zurückgekommen, hätte sie es ihr erzählen können und sie hätten Dad gemeinsam überredet. Luna wusste natürlich, warum ihre Mum sich gegen das Geisterdasein entschieden hatte. Sie war im Sterben grausam zugerichtet gewesen und wollte ihr und Dad den tagtäglichen – und allnächtlichen – Anblick eines grässlich anzusehenden Schreckgespensts ersparen.

Es war so schon schlimm genug für ihren Dad. Wie sollte sie ihm nur beibringen, dass sie schon dieses Jahr fortgehen würde? Sie sah auf die Uhr. Es war kurz nach eins. Ihr Dad konnte jeden Augenblick aus dem Kamin treten. Es wurde nur selten noch später in der Redaktion des Quibbler. Am besten, es so bald wie möglich hinter sich bringen. Sie würde auf ihn warten und es ihm gleich sagen. Sie nahm ihre Tasse, die inzwischen nicht mehr heiß, sondern nur noch lauwarm war und ging die Treppen hinauf, um seine Ankunft im Arbeitszimmer zu erwarten. Den Kamin dort benutzte er immer, wenn er spät nachts aus der Redaktion kam. Nicht zuletzt, um sich vor dem Schlafengehen noch ein Gläschen Feuerwhiskey aus seinem geheimen Vorrat zu gönnen.

Im Arbeitszimmer schlich sie sich zu dem großen Sekretär, der unter dem Gemälde ihres Großvaters an der Wand stand. Sein Porträt zwinkerte ihr verschwörerisch zu, schwieg aber. Es hatte ihr verraten, wie man das Geheimfach des Sekretärs öffnete. Dad wusste noch immer nicht, wie sie darauf gekommen war. Sie öffnete die dritte Schublade links, dann die oberste rechts, die an der Rückwand ein Astloch hatte. Dort schob sie ihren Übungszauberstab hinein. Jetzt machte sie die Schublade auf der linken Seite wieder zu, woraufhin die unterste, die normalerweise nur leere Pergamentbogen enthielt, von selbst aufging. Sie holte ein Glas und die Flasche Feuerwhiskey heraus und stellte sie auf den Schreibtisch. Sie klemmte sich ihrem Zauberstab hinters Ohr, nahm ihre mittlerweile nur noch lauwarme Milch, setzte sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch und zog die Füße hoch. An der Milch nippend wartete sie auf ihren Dad.

Zehn Minuten später hörte sie das vertraute Puffen des Flohnetzes im Kamin hinter ihr. Als sie sich umdrehte, sah sie ihren Dad aus den Flamen treten. Er blickte sie überrascht an.

»Na, Lunaschatz, so spät noch wach«, sagte er, ging zu ihr und strich ihr über die strohblonden Haare. »Hattest du wieder einen Alptraum?«

Als sie nur den Kopf schüttelte, seufzte er und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Angesichts der Whiskeyflasche schaute er sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Aber dann schenkte er sich ohne Kommentar drei Fingerbreit Whiskey ein. Er wirkte müde.

»Kann es bis morgen warten?«, fragte er.

Wieder schüttelte Luna den Kopf. »Jetzt ist besser.«

»Verhandlungen oder nur Palaver?«

Luna legte den Kopf auf die Schulter und überlegte, während ihr Dad einen großen Schluck aus seinem Glas nahm. Schließlich entschied sie sich, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.

»Ich möchte doch schon dieses Jahr nach Hogwarts«, eröffnete sie ihm.

»Was?« Er wirkte eher erstaunt als ablehnend; Luna hielt das für ein gutes Zeichen. »Ich meine … warum? Wir haben doch ausgemacht, dass du erst nächstes Jahr gehst. Du wirst erst im September elf. Du bist eigentlich sowieso erst im nächsten Schuljahr an der Reihe. Und ich dachte, du wartest gern noch bis dahin.«

»Nächstes Jahr wär' schon in Ordnung gewesen.« Sie lächelte gedankenverloren. »Aber dieses wäre viel, hmm, spannender. Glaub' ich jedenfalls.«

»Und wie kommst du darauf?« Er klang skeptisch.

»Ich hab' davon geträumt.« Keine Lüge. »Und ich will endlich richtig zaubern lernen. Neue Zauber lernen.« Auch das war die Wahrheit. Eine Wahrheit. »Ich denke, ich würd' was verpassen, wenn ich bis nächstes Jahr warte.« Vollkommen wahr. »Bitte, Dad. Ich komm in Hogwarts bestimmt zurecht. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich machen.« Na gut, das war wohl eine dicke, fette Lüge. Sie würde die nächsten paar Tage vorsichtig sein müssen. Auf den Zehenspitzen laufen, wenn sie barfuß war. Sie musste daran denken, wenn sie wieder in ihr Zimmer ging. Es gab Dinge, die Lügnern das Leben sehr schwer machen konnten.

Ihr Dad sah sie zweifelnd an. »Um ehrlich zu sein, ich habe mir bereits vor Monaten überlegt, ob es nicht das Beste wäre, dich schon dieses Jahr nach Hogwarts zu schicken. Eine andere Umgebung und andere Kinder. Vielleicht könntest du dort neue Freunde finden.« Und es wird dich vom Tod deiner Mutter ablenken, hing unausgesprochen in der Luft. »Aber ich dachte, du wärst noch nicht so weit.« Er leerte sein Glas in einem Zug. »Es ist spät. Lass uns beide noch mal darüber schlafen, und wir entscheiden morgen. Einverstanden, Mondschein?«

»Ja, Dad«, sagte Luna erleichtert. »Danke!« Das war unerwartet einfach gewesen. Sie hatte damit gerechnet, ihn tagelang bearbeiten zu müssen. Sie sah ihm zu, wie er den Feuerwhiskey wieder in sein Geheimfach legte und ihr dabei zulächelte.

»Ich werde nie begreifen, wie du immer auf solche Sachen kommst. Vor dir ist einfach nichts sicher. Irgendwann musst du mir dein Geheimnis verraten.« Er schmunzelte. Genau wie ihre Mutter, dachte er wehmütig. Sie hatte auch keinem Rätsel widerstehen können. »Komm, ich bring dich ins Bett.«

»Trägst du mich?«, bat Luna.

Er nahm sie in die Arme und hob sie hoch. »Bist du nicht zu groß, um herumgetragen zu werden?« Neckend gab er ihr einen Eskimokuss.

»Heute nicht«, gähnte sie und war froh, nicht auf Zehenspitzen in ihr Zimmer laufen zu müssen. Sich tragen zu lassen, war sicherer.


Als Simon Grey die Augen öffnete, war es dunkel um ihn herum. Er wusste nicht, wo er war, aber das Bett, in dem er lag, war ganz bestimmt nicht sein eigenes. Er versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Das Letzte, woran er sich entsinnen konnte, war die Nachhilfestunde mit Josh. Aber nichts, was passiert war, erklärte, wie er hergekommen war – wo auch immer er sich jetzt befand. Das hieß, dass er entweder das Bewusstsein oder sein Gedächtnis verloren hatte. Vielleicht eine Gehirnerschütterung, dann konnte beides zutreffen, überlegte er. Aber er hatte keine Kopfschmerzen, das sprach dagegen. Es sei denn, man hätte ihm starke Schmerzmittel verabreicht. Vielleicht war er in einem Krankenhaus? Er tastete seine Arme und Hände ab, konnte jedoch keine Infusionsnadeln finden und war erleichtert darüber. Ihn schauderte bei dem Gedanken, dass eine Nadel in ihm stecken könnte. Er mochte auch keine Spritzen. Es war nicht so sehr der Stich an sich, der ihn störte, als vielmehr die Vorstellung, dass ein Stück fremdes und störendes Metall in ihm – unter seiner Haut – herumstocherte.

Links von ihm fiel Licht unter einer Tür hindurch und zeichnete eine klar erkennbare Linie auf den Boden. Er stand leise auf. Er fühlte sich wackelig auf den Beinen, der Boden war kalt, und er hatte nur eine Art langes Hemd an. Wahrscheinlich doch ein Krankenhaus, und man hatte ihm ein Nachthemd angezogen. Zögernd, mit ausgestreckten Armen vor sich hertastend, schlich er auf den Lichtschein zu. Irgendwo neben der Tür befand sich normalerweise der Lichtschalter. Ohne anzustoßen, erreichte er die Tür, erfühlte den Griff auf der rechten Seite und begann dort die Wand nach einem Schalter abzutasten. Er konnte jedoch weit und breit keinen finden. Er untersuchte auch die linke Wand, obwohl der Griff rechts gewesen war und es ziemlich ungewöhnlich wäre, dort den Lichtschalter anzubringen. Aber der Schalter war nicht zu finden, und so gab er die Suche auf. Er legte ein Ohr an die Tür, um zu lauschen. Kein Geräusch war zu hören. Entweder war niemand auf der anderen Seite, oder wer auch immer sich da draußen aufhielt, verhielt sich so leise, dass drinnen nichts davon zu vernehmen war.

Behutsam drückte er die Klinke nach unten und versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war nicht abgeschlossen. Er spähte durch den Spalt, war jedoch so geblendet von der ungewohnten Helligkeit, dass er seine Augen wieder schließen musste, ohne dass er viel hätte erkennen können. Er öffnete die Tür ganz, hielt sich jedoch hinter ihr im Schatten. Der hereinfallende Lichtbalken ließ vier Betten in dem Raum erahnen, zwei auf jeder Seite, und in jeder Ecke des Zimmers stand ein schmaler Schrank. Es sah eindeutig nach einem Krankenhauszimmer aus. In dem Bett neben seinem lag noch jemand, die beiden gegenüber waren leer. Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten und er hinausblicken konnte, sah er nur einen Gang und noch eine geschlossene Tür. Er spähte den Gang hinunter. Nach links gab es noch zwei Zimmer auf jeder Seite, nach rechts ebenfalls, jedoch mündete er dann in einen Vorraum. Dort stand ein gläserner Anbau, ähnlich der Pförtnerloge in seiner Schule. Ein Schwesternzimmer, vermutete Simon. Jedoch leer, vielleicht war gerade Visite.

Langsam ging er darauf zu. Immer noch war nichts zu hören und niemand zu sehen. Der Glaskasten hatte eine Tür, die er vorsichtig öffnete. Sofort hörte er leise Stimmen. An der hinteren Wand des Vorbaus war wieder eine Tür, die in einen anderen Raum führte und nur leicht angelehnt war. Von dort kamen die Stimmen. Eine Frau sprach gerade, aber er konnte nicht alles verstehen, was sie sagte. Manchmal redete sie einfach zu leise, dann wieder benutzte sie Fachausdrücke, die er sich nur zum Teil erschließen konnte. Er hatte erst seit zwei Jahren Lateinunterricht – seit er an die neue Schule gekommen war. Sie schien die einzelnen Patienten der Station durchzugehen. Schichtwechsel, erkannte Simon, Übergabe, besser gesagt. Er lauschte aufmerksamer, um seinen eigenen Fall nicht zu verpassen. Das würde ihm vielleicht einen Anhaltspunkt liefern, was nun eigentlich mit ihm los war.

Doch vor ihm kam Josh an die Reihe. Bei den Fachausdrücken hob die Schwester oder Ärztin immer ihre Stimme und sprach deutlicher. Der Rest war kaum zu verstehen, sie war einfach zu leise. Und er traute sich nicht näher an die Tür heran. Er wollte nicht bemerkt werden. Zumindest noch nicht. Aber sie sagte irgendetwas über eine »deformative Semi-Transfiguration« – eine entstellende Halb-Verwandlung? Was sollte das bedeuten? – und »komplette fasziale Rehabilitation erfolgreich« – vollständige Heilung des Gesichts? Sie hatten Joshs Gesicht wiederherstellen müssen? Auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wie das mit Josh passiert war, hatte er ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Etwas sagte ihm, dass er an dem Durcheinander schuld war, nur konnte er sich nicht denken, wie das möglich sein sollte. Er war erleichtert, als er sie die Worte »gute Prognose« und »wahrscheinlich übermorgen entlassen« sagen hörte. Er wunderte sich nur, was genau mit »nach einer umfassenden Gedächtniskorrektur« gemeint war.

Simon war der Nächste. Er ging einen Schritt weiter auf die Tür zu. Er wollte unbedingt erfahren, was mit ihm los war. Laut der Frau war er ein Fall »juveniler superfluktualer Magie-Exhalation aufgrund chronischer Inhibition bzw. Suppression aller Magie-Niveaus«, was auch immer das heißen sollte und – er erbleichte, als er es beiläufig ausgesprochen hörte – »Ursache für die gerade besprochene verunglückte Verwandlung«. Also war er Schuld an – was auch immer mit Josh passiert war. Er fühlte sich auf einmal sehr unwohl in seiner Haut. Nur noch am Rande bekam er mit, dass er in einen »Heilschlaf zur sukzessiven Regeneration aller magischen Energie-Niveaus« versetzt worden war und »im Lauf des Vormittags« von selbst wieder aufwachen sollte.

Er zog sich wieder zurück und schloss die Glastüre, so leise er konnte, hinter sich. Er musste nachdenken. Er schlich zurück in sein Zimmer und legte sich wieder hin. Die Person im Bett neben ihm schlief noch. Er hoffte, dass es nicht Josh war, der da lag. Er hatte immer noch keine Ahnung, was er eigentlich mit ihm angestellt haben sollte. Was er im Schwesternzimmer belauscht hatte, ergab keinen Sinn. Dieses Magiezeug, von dem die Schwester gesprochen hatte … es war einfach verrückt, aber es erinnerte ihn an etwas. Als sie noch in Leeds gewohnt hatten, vor gut zwei Jahren, war eines Tages eine Frau bei ihnen zu Hause aufgetaucht, die erklärt hatte, von einem »Zaubereiministerium« zu kommen. Sie hatte behauptet, er, Simon, wäre ein Zauberer und sei irgendwie ausgewählt worden, eine Zaubererschule zu besuchen. Es war ziemlich wirres Zeug gewesen. Damals hatten seine Mum und er angenommen, dass sie entweder komplett verrückt oder eine geschickte Betrügerin war. Die Zaubertricks, die sie vorgeführt hatte, hatten einen durchaus professionellen Eindruck gemacht und sie Letzteres vermuten lassen. Irgendwo in seinem Zimmer musste noch die Einladung herumliegen, die sie ihm damals gegeben hatte. Sie war auf echtem Pergament geschrieben. Deshalb hatte er sie überhaupt mitgenommen, als sie eine Woche später umzogen waren. Vielleicht hätten sie diese Frau doch nicht so schnell vor die Tür setzen sollen, aber sie war zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt aufgetaucht. Seine Mum war im Umzugsstress gewesen, und er hatte die Geschichte der Frau für einen dummen und witzlosen Betrugsversuch gehalten, auf den nur Vollidioten hereinfallen konnten. Mit Sicherheit hätten sie nie wieder von ihr gehört, nachdem sie das Schulgeld für das erste Jahr gezahlt hätten. Zumindest hatte er das damals vermutet.

Plötzlich ging die Zimmertür auf. Er schloss die Augen und versuchte langsam und gleichmäßig zu atmen.

»Verdammt!«, hörte er einen Mann flüstern. »Schon wieder ein kaputter Globus.«

»Kein Grund zu fluchen!« Eine Frauenstimme. »Lumos!«

Schritte kamen an sein Bett. Sie hielten kurz an und bewegten sich dann weiter auf das nächste Bett zu. Er öffnete seine Augen einen Spalt und versuchte, aus dem Augenwinkel etwas zu erkennen. Er sah zwei undeutliche Gestalten, von denen die eine einen … Taktstock in der Hand hielt? Oder einen Zauberstab, kam ihm in den Sinn. Er fand den Gedanken heute jedoch nur halb so amüsant, wie er es gestern wohl getan hätte. Der über ihnen schwebende Lichtfleck war ungewöhnlich. Auf jeden Fall sah er nicht aus, als käme er aus einer Taschenlampe.

»Und wer ist das?«, fragte die Frau im Flüsterton.

»Nicht aufgepasst?«, erwiderte der Mann ebenso leise. »Seine Mutter. Wollte ihn nicht allein lassen. Die Nachtschicht hat ihr einen leichten Schlaftrank gegeben. Sollte bald aufwachen.«

»Lass uns weitergehen«, wisperte die Frauenstimme und die beiden verließen den Raum zusammen mit der seltsamen Leuchterscheinung.

Simon war erleichtert und fasziniert. Erleichtert über die Anwesenheit seiner Mum und noch mehr über die Abwesenheit seines angeblichen Opfers. Und entschieden fasziniert von der Lichtkugel, die bis vor kurzem durch das Zimmer geschwebt war. Magie, dachte er, was für eine komische Idee. Vielleicht hatte er doch bloß eine Gehirnerschütterung oder irgendeine andere Kopfverletzung, die Halluzinationen verursachte. Es hatte keinen Sinn zu spekulieren. Er wollte wieder einschlafen. Er war immer noch erschöpft, wovon auch immer. Er würde nicht zulassen, dass ihn unnütze Grübeleien wach hielten. Er begann sich in eine seiner Lieblingswelten zurückzuziehen und träumte schon, als er endlich in einen tiefen Schlaf fiel.


Es dämmerte bereits, als auch Mafalda Hopkirk sich endlich hinlegen konnte. Sie war sehr zufrieden mit sich und ihrer heutigen – und gestrigen – Leistung. Als sie an den Tatort kam, hatte sie befürchtet, in eine Katastrophe hineinzustolpern. Der Vorfall hatte sich jedoch als halb so schlimm herausgestellt. Nicht harmlos und kein Routinefall, aber sie hatte in ihrer Laufbahn schon viel scheußlichere Unfälle bearbeiten müssen. Eine gründlich danebengegangene Verwandlung, ein Fall extremer magischer Erschöpfung und eine aufgeregte Mutter waren keine echten Herausforderungen für eine Hexe mit ihren Fähigkeiten. Der Bengel hatte doch tatsächlich versucht, einen Menschen zu verwandeln. Natürlich hatte er seine gesamten magischen Reserven verbraucht und war danach zusammengebrochen. Erstaunlich war nur, wie weit er gekommen war.

Der halbverwandelte Muggeljunge war kein angenehmer Anblick gewesen. Zum Glück hatte er nicht mehr schreien können. Sie konnte Geschrei nicht ausstehen. Aber das Klappern seiner Mandibeln hatte sie dann doch gestört und so hatte sie ihn schlafen geschickt. Wenigstens war die Mutter nicht allzu hysterisch gewesen, sonst hätte sie mit ihr genauso verfahren müssen. Trotzdem würde ihr dieses Erlebnis hoffentlich eine Lehre sein. Diesmal sollte es sich diese Muggelfrau besser zweimal überlegen, ob sie die Ratschläge einer Mafalda Hopkirk in den Wind schlug und die Unverschämtheit besaß, eine Angestellte des Zaubereiministeriums vor die Tür zu setzen. Sie hatte ja jetzt gesehen, was dabei herauskam.

Aber Mafalda hatte die Situation routiniert gemeistert. Innerhalb weniger Minuten hatte sie den Kamin des Hauses an das Flohnetz angeschlossen und St. Mungos verständigt. Keine Viertelstunde nach ihrer Ankunft vor Ort waren Unfallopfer und -verursacher in der Obhut kompetenter Heiler. Danach begann die eigentliche Arbeit. Sie hatte die Eltern des Opfers aufgesucht, ihr Gedächtnis bearbeitet und ihnen einsuggeriert, sie hätten ihrem Sohn erlaubt, das Wochenende über bei einem Freund zu übernachten.

Nachdem sie das erledigt hatte, war sie mit Flohpulver ins St. Mungos gereist und hatte zuerst mit den Heilern den Fall besprochen und ihre Prognosen und Empfehlungen eingeholt. Dann hatte sie die Mutter des Jungen ins Gebet genommen und ihr klar gemacht, dass es keine Alternative zu einer vernünftigen Zaubererausbildung für ihren Sohn gab. Dass es damals dumm gewesen war, die Einladung nach Hogwarts abzulehnen, und dass es jetzt absolut unverantwortlich wäre, diesen Fehler erneut zu begehen. Schließlich könne sie ja nicht wollen, dass sich der heutige Vorfall in ein paar Jahren wiederholte. Es dauerte eine Weile, aber als sie zu später Stunde wieder in ihrem Büro saß, hatte sie einen unterschriebenen Aufnahmeantrag für Hogwarts in der Tasche. Die »Dringende Bewilligungsempfehlung« des Zaubereiministeriums verfasste sie gleich selbst, schickte beides per Eulenexpress nach Hogwarts und schrieb noch in den frühen Morgenstunden die dreifache Ausfertigung ihres Einsatzberichts.

Alles in allem konnte sie stolz auf sich sein. Sie hatte die Aufgabe in gewohnt souveräner Manier bewältigt. Morgen Abend würde sie dem Jungen noch einen Vorrat an Flohpulver vorbeibringen und das Flohnetz erklären, ihn mit den üblichen Informationsbroschüren des Ministeriums eindecken und danach hoffentlich nie wieder den Namen Grey hören müssen.

Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief sie ein.


Die Morgensonne fiel ungehindert durch das weit geöffnete Fenster und warf ein orangegelbes Muster aus Lichtflecken auf die Tür des kleinen Zimmers. Im Schattenwurf zeichnete sich verschwommen das Blattgewirr einer seltsamen Pflanze ab, die auf dem Fenstersims stand und in der angenehm kühlen Morgenluft zu zittern schien. Das Licht fiel auf ein Poster, das seltsamerweise zwei keulenschwingende, auf Besen durch die Lüfte jagende Menschen zeigte. Sie verfolgten offensichtlich einen fliegenden schwarzen Ball. Als der eine ihn erreicht hatte, drosch er ihn mit aller Kraft zu dem anderen. Dieser duckte sich unter dem Ball weg, machte eine Drehbewegung auf seinem Besen und schlug das runde Geschoss mit einem Rückhandschlag in Richtung eines, eben ins Bild fliegenden, dritten Mannes. Der Neuankömmling konnte dem Ball nicht mehr ausweichen. Der Treffer sah nicht nur schmerzhaft aus, er warf ihn auch fast vom Besen. Während er rücklings von seinem seltsamen Fluggerät herabhing, gestikulierten die beiden anderen triumphierend. Fast schien es, als könne man ihre Jubel- und Schmährufe hören. Doch die Szene begann sich in völliger Stille erneut abzuspielen.

Das einzige Geräusch, das in dem Raum zu hören war, war der ruhige Atem zweier Schlafender. Ihre Betten standen längs der Wände, die Kopfenden zu beiden Seiten des Fensters. Die Bettdecken waren im Laufe der Nacht zur Seite gewühlt worden und bedeckten die Schläfer nur noch teilweise. Im rechten Bett lag ein Junge auf dem Bauch, einer seiner Unterschenkel über der Bettkante hängend, nur noch um die Hüften von seiner Zudecke verborgen, während der andere, auf der Seite schlafend, sich unentwirrbar in sein Bettzeug, halb auf ihm liegend, verwickelt hatte. Beide hatten kurzes kupferrotes, jetzt von der Nachtunruhe zersaustes Haar und schliefen in ihren Shorts, den freiliegenden Körperteilen nach zu urteilen. Sie sahen sich so auffällig ähnlich, dass es sich um Brüder handeln musste.

Das Zimmer machte auch ansonsten einen chaotischen Eindruck. Die beiden Truhen, die jeweils am Fußende der Betten standen, wurden kaum als Aufbewahrungsort genutzt, wenn man die Vielzahl und Vielfalt der auf dem Boden herumliegenden Gegenstände als Anhaltspunkt nahm. Getragene Kleidungsstücke aller Art, leere und beschriebene Pergamentrollen, Notizzettel, Sammel- und Spielkarten, Schul- und sonstige Bücher, Magazine und Zeitschriften zierten die kaum sichtbaren Holzdielen des Bodens. Nur auf dem Fenstersims schien eine gewisse Ordnung zu herrschen. Neben der Pflanze mit ihren großen, vielfach gespaltenen und flaumüberzogenen Blättern, die über ein improvisiertes Tropfsystem mit einer kobaltblauen Flüssigkeit versorgt wurde, standen dort drei Reihen sorgfältig beschrifteter Glasphiolen in einem Holzkasten. Ihr Inhalt leuchtete im Licht der aufgehenden Sonne wie eine Sammlung flüssiger Edelsteine in allen Farben des Regenbogens. Links und rechts davon, direkt über den Kopfenden der Betten, lagen zwei Zauberstäbe griffbereit in Reichweite ihrer Besitzer.

Plötzlich ertönte ein zuerst leises, jedoch stetig lauter werdendes Summen von beiden Zauberstäben. Zwei Arme hoben sich fast gleichzeitig, und tastende Hände griffen nach den Stäben, die daraufhin verstummten. Aus dem linken Bett war verschlafenes Gemurmel zu hören, während der Junge versuchte, sich aus der Umschlingung seiner Decke zu lösen. Der andere hatte einfach seine Hand wieder aufs Bett sinken lassen, nachdem der Zauberstab verstummt war, und schien wieder fest zu schlafen. Als der Erste sich befreit hatte, setzte er sich an den Bettrand und rieb sich gähnend mit der freien Hand über Gesicht und Augen. Der Junge war vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Er hatte ein kaum gebräuntes, schmales Gesicht, einen großen, aber etwas dünnlippig wirkenden Mund und eine gerade, mit Sommersprossen gesprenkelte Nase. Nachdem er sich den Schlaf aus ihnen gerieben hatte, sahen seine hellblauen Augen unter den kaum sichtbaren rötlichen Wimpern wach und vorwitzig in die Welt. Er hatte dunkle Boxershorts an, auf deren rechtem Oberschenkel mit weißem Garn ein geschwungenes »F« gestickt war. Auf einmal schien ihm ein Gedanke zu kommen.

»Es ist soweit …«, flüsterte er in Richtung des anderen Betts. Keine Reaktion. Er stand auf und schüttelte seinen Bruder an der Schulter und beugte sich über sein Ohr. »Hey, George! Aufwachen! Es ist soweit …«

Stöhnend richtete sich der andere Junge halb auf. »Was 'n los? Will schlafen!« Und ließ sich wieder zurücksinken.

Er war zwar nur kurz aus seinem Kopfkissen aufgetaucht, jedoch war er seinem Bruder offensichtlich wie aus dem Gesicht geschnitten. Ihre Ähnlichkeit war derart groß, dass es sich bei den beiden eigentlich nur um Zwillinge handeln konnte.

Mit einem boshaften Lächeln berührte der erste Junge den schon wieder dösenden George mit dem Zauberstab zwischen den Schulterblättern und flüsterte: »Ennervate!«

Mit einem Aufjauchzen fuhr George wie von der Tarantel gestochen hoch und funkelte seinen Zwilling wütend an. »Fred! Du Arsch! Was soll das? Nicht mehr alle Zacken in der Krone oder was?«

»Schhh…! Leise, du weckst noch alle auf!" Fred gluckste unterdrückt hinter vorgehaltener Hand.

»Das ist mir scheißegal!«, zischte George mit gedämpfter Stimme und rieb sich zwischen den Schulterblättern.

»Das Projekt …« Fred warf einen demonstrativen Blick zur Zimmerdecke.

»… ist noch lang kein Grund, mich zu schocken!« Aber Georges Wut war verflogen, und auch er sah erwartungsvoll zur Decke. Dann deutete er mit einem knappen Nicken zur Tür. Fred schloss ab und drehte den Schlüssel so, dass er die Sicht durch das Schlüsselloch versperren würde.

George stellte sich auf Freds Bett und richtete seinen Zauberstab zur Decke.

»Alohomora!« Ein paar Bretter der Zimmerdecke klappten wie eine Falltür nach unten, und das Ende eines dicken Seils mit Kletterknoten fiel herab. Ein gedämpftes, indirektes Glühen erhellte die entstandene Öffnung. Mit affenartigem Geschick, seinen Zauberstab in den Bund seiner Boxershorts gesteckt, hangelte sich George hoch und verschwand in dem dunklen Loch.

Ihr »Geheimlabor« hatten sie in den letzten Sommerferien errichtet. Ihre Mum hatte beschlossen, dass der Dachboden ausgeräumt werden musste, und sie hatten daraufhin beschlossen, das Unangenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Nachdem sie ein paar Quadratmeter über ihrem Zimmer freigeräumt hatten, stapelten sie das Gerümpel und die Truhen und Kisten, die mit Krimskrams, Memorabilien und normalem magischem Zeugs gefüllt waren, rund um den Grundriss ihre künftigen Labors. Sämtlichen Muggelkram, den ihr Dad dort oben versteckt hatte – »zu Studienzwecken«, wie er behauptete –, mussten sie zur gefälligen Entsorgung durch ihn selbst nach unten bringen. Molly Weasley konnte eine sehr harte Frau sein. So sehr ihr Mann auch um einzelne Stücke kämpfte, all seine Verhandlungen, Kompromissangebote und flehentliche Bitten fielen auf taube Ohren. Unter den gnadenlosen Blicken seiner geliebten Gemahlin musste Arthur Weasley seine gesamte, über Jahre hinweg aufgebaute und natürlich absolut illegale Sammlung gefährlicher Muggelartefakte vernichten. Wären sie nicht zu beschäftigt mit der Verschleierung ihres eigenen Planes gewesen, hätten sie vielleicht die Zeit gefunden, Mitleid mit ihm zu haben. Nach Abschluss dieses Tages war der vordere Teil des Dachbodens leer. Im hinteren Teil lag nun gut versteckt ihr erstes eigenes Labor.

Der Zugang war mit den richtigen Zaubersprüchen schnell geschaffen, und die Innenausstattung konnte in Angriff genommen werden. Zuerst wurden die Kistenstapel und die Dachschräge mit alten Decken verhüllt – Treibgut der Säuberungsaktion, das sie in weiser Voraussicht zur Seite geschafft hatten –, um zu verhindern, dass ein verräterischer Lichtschein durch die Ritzen dringen konnte. Um eine Schallisolierung brauchten sie sich nicht zu kümmern. Für alle ungewöhnlichen Geräusche vom Dachboden würde man den alten Geisterghul verantwortlich machen, der dort oben hauste. Ein feuerloser, rauch- und dampffreier Zinnkessel, den sie sich erst nach langem Sparen und einer kurzen, freundschaftlichen Erpressung Charlies, ihres zweitältesten Bruders, leisten konnten, bildete das Herzstück ihres Labors. Eine Truhe mit »organisierten« und selbst – zum größten Teil im Verbotenen Wald von Hogwarts – gesammelten magischen Zutaten und ein Regal mit Trankfläschchen, leeren Phiolen und mehreren Büchern mit Zaubertrankrezepten rundeten die Einrichtung ab. Auf einem Hocker vor dem Kessel lag die Quintessenz ihrer Bemühungen: ein Zaubertrank-Braujournal.

George nahm es zur Hand, nachdem er mit einem Lumos für besseres Licht gesorgt hatte. Er prüfte den Inhalt des Kessels und trug seine Beobachtungen sorgfältig in das Journal ein. Dann sah er durch die Luke zu Fred hinunter, der gespannt auf das Ergebnis wartete.

»Sieht gut aus. Farbe, Textur, Viskosität, alles okay. Wir haben 'nen Prototyp!«

»Jahhh!« Unten in ihrem Zimmer ballte Fred triumphierend seine Linke zur Faust.

»Ich füll' ein paar Proben ab.« Sprach George und machte sich an die Arbeit. Acht Phiolen füllte er mit einer rotbraunen, trüben, zähen Flüssigkeit. Drei warf er durch die Öffnung seinem Bruder zu, den Rest beschriftete er sauber mit »IV P1« und verstaute sie im Laborregal.

Als er sich am Seil heruntergelassen und die Luke wieder verschlossen hatte, waren die letzten Reste seiner Müdigkeit verschwunden, und er war genauso aufgeregt wie Fred.

»An wem testen wir's zuerst? Ronnie, Percy oder Ginny?«

»Also Snape wär' stolz auf dich, George.« Mit gespielter Entrüstung schüttelte er den Kopf. »Einen ungetesteten Zaubertrank an irgendeinem nichtsahnenden, unschuldigen Familienmitglied auszuprobieren. Kennt deine Niedertracht denn keine Grenzen?«

»Und wenn wir's 'nem arroganten Schnösel verabreichen würden, der mit seiner Nase bald an die Decke stößt, nur weil er Vertrauensschüler geworden ist?«

»Ach, kennen wir denn so jemand?«, fragte Fred naserümpfend.

George zuckte mit den Achseln und grinste. »Man kann sich seine Verwandtschaft eben nicht aussuchen.«

Fred gab seine vorgetäuschte Ernsthaftigkeit auf und grinste zurück. »Und ich kenn' da jemanden, der das bald bedauern wird.«

Schnell zogen sie sich an und machten sich zum Frühstück fertig. Als sie die Treppe ins Erdgeschoss hinuntergingen, lächelten sie immer noch und in ihren Augen glitzerte der Schalk – und noch etwas anderes, weniger Freundliches.

Als sie in die Küche kamen, hatte ihre Mum bereits den Teekessel aufgesetzt und holte gerade zwei Pfannen aus dem Küchenschrank.

»Morgen, Mum!«, riefen sie ihr im Chor zu.

Sie warf ihnen einen misstrauischen Blick zu. »Warum seid ihr so gut gelaunt? Und so früh schon auf? Ihr heckt doch schon wieder was aus!«

Die Zwillinge tauschten entrüstete Blicke.

»Also wirklich, Mum!«, begann Fred.

»Wie kannst du nur so was sagen?«, setzte George fort.

»Wir sind tief verletzt von diesen dauernden Verdächtigungen!«

»Haltlosen Verdächtigungen, wohlgemerkt.«

»Und das von der eigenen Mutter!«

»Bevor sie auch nur ›Guten Morgen‹ gesagt hat!«

Molly Weasley war jedoch unbeeindruckt von diesem Wechselgesang und hatte ihre Augen immer noch misstrauisch zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. »Guten Morgen! Wenn ihr schon mal da seid, könnt ihr auch den Tisch decken!«

»Zu Befehl, Ma'am!« Sie salutierten übertrieben und begannen dann den Küchentisch fürs Frühstück zu decken. Gerade als sie fertig waren, kamen auch schon die restlichen Familienmitglieder nacheinander die Treppe hinunter. Percy war der Erste, gefolgt von ihrem Dad und Ginny. Ron kam ein paar Minuten später als Letzter – wie meistens. Sie hatten jedem eine Tasse Tee eingeschenkt, außer Ron und Ginny, die Kürbissaft tranken. Dann setzten sie sich zu den anderen an den Tisch. Während der ganzen Zeit hatten sie sich gekabbelt, jetzt wurden sie jedoch still und begannen, in ihren Rühreiern zu stochern. Aus den Augenwinkeln beobachteten sie Percy.

Aber auch nachdem er seinen Tee zur Hälfte ausgetrunken hatte, war noch nichts zu sehen. Langsam wurden sie ungeduldig und machten sich auf eine Enttäuschung gefasst. Dann aber bemerkte ihre Mum etwas.

»Ist dir nicht gut, Percy?«, fragte sie besorgt. »Du siehst ein bisschen blass aus.«

Verwundert schüttelte Percy den Kopf. »Nein, Mum, mir geht es ausgezeichnet.«

Aber die Zwillinge blinzelten sich erleichtert zu. Nachdem die Reaktion erst einmal eingesetzt hatte, schritt sie schnell voran. Unter den erstarrten Blicken der Familie verfärbte sich Percys Haut zu einem satten Grün. Seine Haare dagegen wurden schwarz. Als Fred und George zu lachen anfingen und sich über den Tisch hinweg einen Handschlag gaben, mussten auch Ron und Ginny lachen. Nur Molly und Arthur Weasley blieben ernst, wenn es ihrem Dad auch einige Mühe kostete. Percy schnitt eine entsetzte Grimasse. Zwar konnte er sein Gesicht nicht sehen, aber auch seine Hände waren grün geworden. Doch die Zwillinge schienen noch auf etwas zu warten. Und tatsächlich erblühten vereinzelt rötliche Flecken auf Percys Haut. Sie waren unregelmäßig geformt und wuchsen, bis sie etwa daumengroß waren, um dann wieder zu schrumpfen und an einer anderen Stelle erneut aufzutauchen.

Die Zwillinge waren nicht völlig zufrieden.

»Nicht ganz wie geplant. Wir müssen was übersehen haben.« Versonnen rührte George in seinem Tee.

»Aber für einen ersten Prototyp nicht schlecht!« Fred stand auf und klopfte Percy anerkennend auf die Schulter. »Danke, dass du dich für diesen Test als Freiwilliger zur Verfügung gestellt hast. Die Wirkung sollte in ein bis zwei Stunden nachlassen. Für eventuelle Nebenwirkungen und Spätfolgen übernehmen wir wie immer keine Verantwortung. Bitte beachte auch die Haftungsausschlussklausel unserer allgemeinen Geschäftsbedingungen.«

»Mit anderen Worten«, ergänzte George trocken, »Es ist sinnlos uns zu verklagen. Wir sind Weasleys. Bei uns ist nichts zu holen.«

Ihre Mum überwand erst bei diesen Worten ihren Schock, und Zornesröte stieg ihr ins Gesicht.

»FRED UND GEORGE WEASLEY!«

Die Zwillinge seufzten und machten sich schicksalsergeben bereit, die übliche Standpauke über sich ergehen zu lassen.