Bella POV
"Hi, Bella!" Seufzend drehte ich mich auf dem Schulhof um, als ich Mikes Stimme hinter mir hörte.
Vor einem halben Jahr war ich aus Phönix zu meinem Vater hierher nach Forks gezogen. Meine Mutter Reneè hatte einen neuen Partner gefunden, Phil. Ich wusste selbst nicht, wieso dies der Auslöser für meine Entscheidung, ins verregnete Forks zu ziehen, war. Vielleicht, weil ich es nicht mehr mit ansehen konnte, wie sich Reneé fast zerriss, um für uns beide gleichermaßen dazusein.
In Forks angekommen stellte ich fest, dass so gut wie alle männlichen Wesen an der Highschool um meine Aufmerksamkeit heischten, bis sie festgestellt hatten, dass ich nicht das interessante Großstadtmädchen war, das sie in mir sahen. Lediglich Mike ließ sich nicht entmutigen und hatte mich schon mehrmals um ein Date gebeten. Bis jetzt hatte ich einmal erbarmt und war mit ihm ins Kino gegangen – einen fürchterlichen Liebesfilm, der von vorne bis hinten nur aus Kitsch bestand –, doch das schien ihn noch mehr angestachelt zu haben, obwohl ich ihm schon mehrmals klar gemacht hatte, dass er für mich lediglich ein guter Freund war.
"Hallo, Mike!" antwortete ich mich einem gezwungenen Lächeln und wartete, bis Mike neben mir ging.
Mike strahlte mich an und fragte: "Na, wie war dein Vormittag?"
"Danke, gut." Mr Banner hatte mich heute für mein Referat über die chemiosmotische Theorie nach Mitchell gelobt und gemeint, dass meine Abschlussprüfungen in Biologie kein Problem für mich darstellen würden. Abschlussprüfungen... Die Zeit war so schnell vergangen. Manchmal kam es mir so vor, als wäre ich gerade eben erst an die Higschool Forks gekommen, und in zwei Wochen würde ich bereits mein Abschlusszeugnis in der Hand halten.
Zusammen betraten wir die Mensa und setzten uns an den Tisch, an dem bereits Jessica, Angela, Lauren, Ben und Eric auf uns warteten.
"Hi, Bella, hast du schon gehört, was Eric plant?" platzte Angela heraus, kaum dass ich meine Schultasche abgesetzt hatte.
"Nein, was denn?" fragte ich lächelnd und schälte mich aus meiner vom Regen feuchten Jacke. Auch wenn es Juli war, hier in Forks würde es nahezu immer regnen. Meine Gedanken schweiften für einen Moment ab, hin zum sonnigen Florida, Strand, Palmen ... Ich blinzelte und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Angela.
"Eric?" Angela sah Eric erwartungsvoll an. Dieser grinste.
"Also", begann er, "ich dachte mir, dass ..." – Eric machte eine spannungsvolle Pause – "...wir nach den Abschlussprüfungen alle zusammen einen Urlaub machen!"
Für einen Moment herrschte Stille.
"Urlaub!!" quitschte Lauren auf einmal, und die anderen fielen ein.
"Wohin denn?"
"Oh, nach Florida?"
"In die Karibik?"
"Nach Frankreich?"
"Ans Mittelmeer?"
Ich lächelte, während Jessica und Lauren versuchten, das Ziel aus Eric herauszuquetschen, der jedoch nur grinste und sich keinen Ton entlocken ließ.
Urlaub... Der letzte Urlaub, den ich gemacht hatte, war in den Sommerferien nach meinem siebten Schuljahr mit Reneé. Wir waren für eine Woche nach Irland gefahren und hatten dort die alten Burgen und die schöne Landschaft bewundert. Ich hatte schon immer eine Vorliebe für alte, verwunschene Gebäude.
Mittlerweile hatten Jessica und Lauren Ruhe gegeben, und Eric beugte sich leicht nach vorne.
"Bestimmt habt ihr schon mal davon gehört. Es nennt sich "Gruselurlaub". Wir werden nach Transsylvanien in das originale Dracula-Schloss fahren und dort eine Woche lang wohnen. Was haltet ihr davon?" Gespannt blickte er in die Runde.
"Naja...", begann Angela zögernd. "So ein richtiger Gruselurlaub?"
"Hey, die Geister werden dich schon nicht umbringen" grinste Eric und zog einen Flyer aus seiner Schultasche, auf dem ein gespensterliches Schloss bei Vollmond abgebildet war.
"Zeig mal!" Mike schnappte sich den Flyer und begann vorzulesen: "Wollen Sie den Kick? Wollen Sie Adrenalin? Wollen Sie Schock? Dann kommen Sie zu uns und verbringen im Schloss des berüchtigten Grafen Dracula die gruseligsten Tage Ihres Lebens! Hier erwarten Sie schaurige Begegnungen, unheimliche Orte, geisterhafte Geschehnisse und vieles mehr!" Schmunzelnd hob Mike den Kopf und sah Ben an. "Hört sich genau richtig für uns an!"
Ben lachte und schlug ein.
"Aber", meldete ich mich zaghaft zu Wort, "es kann doch bestimmt auch gefährlich werden, oder?"
"Ach was", meinte Mike wegwerfend, "es wird nur ein bisschen gruselig, und wenn du Angst hast, bin ja immer noch ich da." Besitzergreifend legte er einen Arm um meine Schulter. Ich versteifte mich ein wenig und blickte immer noch ein wenig zweifelnd auf den Flyer.
"Was meint ihr eigentlich?" fragte Ben und sah Angela, Jessica und Lauren an. "Seid ihr bereit, euch euren Ängsten zu stellen?" Er grinste spöttisch.
"Guck nicht so", kicherte Lauren und warf einen Radiergummi nach ihm. "Natürlich kommen wir mit, nicht wahr, Jess?" Jessica nickte zustimmend. "Schließlich sind wir ja keine Weicheier." Sie bedachte mich mit einem überheblichen Blick.
"Ich bin auch dabei", bestätigte Angela und sah mich bittend an. Ich atmete einmal tief durch und rückte ein wenig von Mike ab. Gruselurlaub, was war schon Schlimmes dabei?
"Ich auch", sagte ich schließlich. "Ich denke, ein wenig Aufregung wird uns allen nach der Schule nicht schaden." Ich lachte unsicher.
"Ja", grinste Eric, "stell dir vor, wie aufregend es wird, wenn du schläfst und auf einmal ein Geist durch die Wand schwebt!" Er erhob sich und riss die Augen weit auf. "Ich werde dich umbringen, wie ich alle umbrachte, die es wagten, dieses Zimmer zu betreten!" rief mit dunkler Geisterstimme.
Unwillkürlich zuckte ich zurück, nur um Mike böse anzufunkeln, der schon wieder seine Arme um mich schlingen wollte. Es gab wirklich Leute, die niemals aufgaben.
"Eric, lass es doch sein, wenn sie sich tatsächlich fürchtet", meinte Mike gleichmütig.
"Ich fürchte mich nicht", schnappte ich und schüttelte seine Arme ab.
"Bella, es gibt keine Gespenster", sagte nun auch Jessica in einem Ton, als redete sie mit einem Kleinkind. "Das ist doch alles nur Kulisse, um den Leuten etwas Action zu bieten."
Ich verdrehte die Augen. "Ja, ich weiß." Dies war wieder einer dieser Momente, in denen ich mich furchtbar bloßgestellt fühlte. Vielleicht lag es daran, dass ich von Natur aus tollpatschig und schüchtern war, vielleicht war ich aber auch wirklich naiv.
Nicht, dass ich an Geistergeschichten glaubte, so war es nicht. Doch ich hatte tierische Angst vor dunklen Ecken, in denen etwas lauern könnte, das mich erschrecken könnte. Und diese Burg sah so aus, als wäre sie voll mit derartigen Ecken. So gesehen hatte ich keine Angst vor dem, was mich erschrecken könnte, sondern vor dem Erschrecken selbst.
"Also, kommt ihr nun alle mit?" fragte Eric erwartungsvoll. "Nach Transsylvanien, ins sagenumwobene Schloss Draculas?" Er ließ seine Stimme übertrieben tief klingen.
"Klar", kam es wie aus einem Mund von Lauren und Jessica.
"Sicher", meinten Ben und Mike.
Angela nickte.
"Bella?" fragte Eric noch einmal.
"Ja, ich habe doch schon zugestimmt", sagte ich zerstreut.
"Okay, dann ist es also beschlossen!" Eric war offensichtlich begeistert. "Morgen bringe ich euch die Anmeldeformulare mit. Es wird kein Problem sein, in so kurzer Zeit noch freie Plätze zu bekommen. Ich habe bereits mit dem Inhaber Carlisle Cullen gesprochen und vier Zimmer reservieren lassen."
"Immer so vorausdenkend", witzelte Jessica und erntete dafür einen entnervten Blick von Eric.
In diesem Moment läutete es zum Unterricht, und wir packten unsere Sachen zusammen.
Auf dem Weg zu Spanisch dachte ich darüber nach, was ich mir damit jetzt eingebrockt hatte. Wahrscheinlich würde ich mir die ganze Woche über Jessicas und Laurens Stichelein anhören, während Mike versuchen würde, mich vor nicht vorhandenen Geistern zu beschützen. Ich schüttelte den Kopf.
Andererseits, bei dem Gedanken an das Schloss, in dem wir wohnen würden, bekam ich wirklich ein ungutes Gefühl im Bauch. Wieso konnte ich nicht wie die anderen mit übermäßiger Freude an den "Gruselurlaub" denken? Weil ich ein Angsthase war, beantwortete ich diese Frage selbst.
Ich betrat das Klassenzimmer und setzte mich an meinen Platz. Jetzt musste ich mich erst einmal auf die Schule und die bevorstehenden Abschlussprüfungen konzentrieren; mit dem, was danach geschehen würde, würde ich mich auseinandersetzen, wenn es so weit war.
