Winterwind
(Songfic
zu "My last Breath" von Evanescence)
Autorin: Aya
Malfoy
Rating: PG-13
Einstufungen: drama, songfic,
slash, DEPRI!
Disclaimer:
Harry Potter
gehört JKR, My last Breath gehört Evanescence. Kein
Geld für mich, wär ja auch zu toll.
Kommentar:
Die
erste in einer Reihe von HP-Songfics, allesamt Drama, depri und was
nicht noch alles.
Beta: Laix und LinaChi
WINTERWIND
Es war Nacht.
Der Mond stand voll und rund am Himmel, doch
sein silbernes Licht wurde immer wieder von sich davorschiebenden
Wolken durchbrochen. Wolken, die noch dunklere Schatten als die der
Nacht auf die Häuser Londons warfen und von einem eisigen Wind
getrieben wurden.
Für den anbrechenden Frühling war es
ungewöhnlich kühl, regelrecht schmerzlich kalt. Der Wind
fuhr durch die Straßen, schneidend in den Gesichtern jener, die
um diese Uhrzeit noch unterwegs waren, suchte sich Wege in die
gewärmten Häuser der Menschen, ohne Einlass zu finden.
Doch
heute würde er kein Schlupfloch finden, um die Wärme zu
vertreiben.
Heute würde ihm keiner die Gelegenheit bieten,
denn niemand wollte mehr etwas von Kälte hören.
Nicht
heute, denn die Menschen - die Zaubererwelt - feierte. Feierte die
zweite Nacht in Folge die Befreiung von ihrem Tyrannen.
Dennoch
gab es einen Platz in London, in den der Wind problemlos eindringen
konnte, wo es niemanden kümmerte, wenn Frost und Erstarrung
durch das geöffnete Fenster hereinfegte. Wo es es niemanden
kümmerte, wenn ein eisiger Windhauch über das schlafende
Gesicht eines Jungen strich, rau und zugleich sanft an dessen
schwarzen Strähnen zerrte, die ihm in das bleiche Gesicht
fielen.
Hier, in Grimmauld Place Nummer Zwölf, wo die Kälte
am allerwenigsten sein sollte, wurde sie bereitwillig hereingelassen.
Von dem, der sie normalerweise am meisten meiden sollte.
Harry
atmete flach und regelmäßig und vor seinem Mund bildeten
sich kleine Wölkchen, denn die Zimmertemperatur war innerhalb
der letzten Stunden drastisch abgefallen.
Er schlief - endlich. Er
hatte Stunden gebraucht, um in einen dämmerungsartigen Zustand
zu driften, der wahrscheinlich nur deshalb zu Schlaf geworden war,
weil ihn letztendlich einfach die Erschöpfung übermannt
hatte.
Dabei war es nicht die Kälte gewesen, die ihn daran
gehindert hatte, Schlaf zu finden - im Gegenteil: Er hatte das
Fenster bewusst offen gelassen.
Er empfand den eisigen Wind als
angenehm, betäubend, tröstend. Es gab ihm das Gefühl,
als könnte er mit dem offenen Fenster auch "ihm" einen
Weg offen halten, auch wenn er wusste, dass "er" niemals
wieder zu ihm zurückkehren würde.
"Er"
beobachtete, wie Harry schwer im Schlaf seufzte, sich auf die Seite
drehte und ihm mehrere, wirre Strähnen des rabenschwarzen Haares
aus der Stirn rutschten.
Die blitzförmige Narbe war am
Verblassen und würde wohl bald gänzlich verschwunden
sein.
"Er" schnaubte verächtlich, ohne, dass sein
Atem in der kühlen Nachtluft sichtbar wurde.
Gut so. Harry
konnte sehr gut ohne diese Narbe leben. Siebzehn Jahre lang hatte sie
ihn als Marionette des Schicksals gebrandmarkt und ihm den unsinnigen
Titel "Der Junge, der lebt" eingebracht.
"Leben"?
Harry? Dabei hatte dieser nie wirklich gewusst, was das bedeutete.
Für Harry Potter war "Leben" immer nur ein Zustand
gewesen, eine Sache, die ihm nie jemand beigebracht hatte.
Er war
lediglich ein verlorener, kleiner Junge. Niemand hatte das gesehen -
wollte es sehen -, außer ausgerechnet "ihm".
Vielleicht lag es daran, dass sie sich in ihrer Verlorenheit gar
nicht so unähnlich waren. Sie waren beide einsam, nur war es
Harry, dem zusätzlich noch die Last der gesamten Zaubererwelt
aufgebürdet worden war.
Aber das war nun vorbei, denn
Voldemort war tot.
Der Junge, der lebte, hatte seine Pflicht
getan, erfüllt was in einer kryptischen Prophezeiung von ihm
verlangt worden war.
Er hatte es geschafft, Voldemorts Geist in
seinen eigenen Gedanken gefangen zu halten. Der dunkle, mächtige
Magier war allein an Harrys Schmerz und all seiner Liebe, die er in
jenem Moment empfunden hatte, zu Grunde gegangen. Sein kranker Geist
war zerstört worden.
Voldemorts Körper lebte noch immer,
doch sein Geist war tot, und das war es, was die Prophezeiung vom
"Jungen, der im Grunde nie wirklich gelebt hat", eigentlich
verlangt hatte.
Es war zu Ende.
Vieles hatte in der letzten
Nacht geendet, auch das, was "sie" beide verbunden
hatte...
"Er" trat lautlos näher an das Bett, sah
auf das schlafende Gesicht herunter, bemerkte mit einem Stirnrunzeln
die dunklen Ringe und die halb getrockneten Spuren von Tränen
unter den Augen. Seine Hand glitt geisterhaft über Harrys Wange,
strich zärtlich darüber, wanderte anschließend
hinunter zu dessen Hand, die reglos auf dem Bettlaken
ruhte.
Vorsichtig strich er zuerst mit den Fingerkuppen über
die Handfläche, dann legte er seine ganze Hand hinein. Er konnte
beobachten, wie sich die Finger des anderen leicht um seine eigenen
schlossen. So als hätte Harry gespürt, dass "er"
jetzt bei ihm war.
/Hold on to me,
love
You know I can't stay long/
Eigentlich durfte er
gar nicht hier sein. Nicht in London, nicht in diesem
verlassenen Haus, schon gar nicht bei Harry. Er durfte nicht und doch
war er heute gekommen.
Er konnte nicht anders, denn da gab es noch
immer Dinge, die gesagt werden mussten. Dinge, die klar gestellt
werden mussten, bevor er ging. Dinge, die er Harry sonst nie wieder
würde sagen können.
Er setzte sich an den Rand des
Bettes, das nicht einmal nachgab, und beugte sich über den
anderen. Mit der freien Hand strich er über das unzähmbare,
schwarze Haar, durch das er bis gestern noch so oft mit seinen
schlanken Fingern gefahren war.
Bis gestern, als alles ein Ende
genommen hatte.
Er ging mit seinen Lippen dicht an das Ohr des
Schlafenden, sein atemloses Wispern geisterte durch die Stille des
Zimmers.
"Ich weiß, ich habe mich immer davor
gedrückt... und ich weiß, dass du nie erwartet hast, dass
ich es sage, weil du es auch so gewusst hast. Aber... Ich liebe dich.
Vergiss das bitte nicht, wenn ich gehen muss."
Er machte eine
kleine Pause, als Harry eine unruhige Bewegung in seinem Kopfkissen
machte. Erneut strich er unbemerkt über die noch immer feuchten
Wangen, bevor er mit seinen Lippen noch näher ging.
"Nein...
es ist OK... Ich habe keine Angst davor... Ich schaffe das
schon..."
/All I wanted to say was I love you and I'm not afraid/
"Ich habe nur Angst, dass du es
nicht schaffst... ohne mich."
Wieder schwieg er eine Weile,
sog den süßlich markanten Duft von Harrys Haar ein. Dann
gab er dem Bedürfnis nach, legte sich federleicht auf das Bett
und neben den unterkühlten Körper des anderen.
Harry
drängte sich instinktiv an ihn, breitete seine Arme für ihn
aus, für eine unbewusste Umarmung.
"Er" rückte
näher, auch wenn ihn die Geste innerlich schmerzte. Es würde
das letzte Mal sein, dass sie so daliegen würden.
"Harry",
flüsterte er tonlos. "Kannst du mich hören? ...Hast du
mich bemerkt?"
/Can you hear
me?
Can you feel me in your arms/
Ein leises
Seufzen entwich Harrys Lippen und "er" schmiegte sich an
dessen Oberkörper, der lediglich in ein dünnes, weißes
T-Shirt gehüllt war.
Es war seltsam, dass sie jetzt so
dalagen... dass sie schon so oft beieinander gelegen waren.
Keiner
von ihnen hatte erwartet, dass ausgerechnet sie beide diejenigen
waren, die in dem jeweils anderen das erkennen würden, was
niemand sonst sehen konnte... Keiner von ihnen hatte jemals erwartet,
dass sich zwischen ihnen so etwas entwickeln konnte.
Aber
nun würde es enden.
Denn "er" musste gehen.
"Ich
glaube, ich werde den Winter vermissen... Weißt du noch?
Damals, im Verbotenen Wald?", fragte er mit einem kleinen
Lächeln um die Lippen.
Er schloss die Augen und dachte daran
zurück, wie er einmal einen ganzen Tag lang mit Harry im
Verbotenen Wald verbracht hatte. Es hatte geschneit und überall
waren kleine, kristallene Eiszapfen an den Ästen gehangen, die
sie spielerisch abgebrochen hatten.
'Ich habe den Winter schon
immer gemocht', hatte er damals zu Harry gesagt. 'Es ist die
Jahreszeit, die mir am ähnlichsten ist...'
Funkelnde
Smaragdaugen hatten ihn erst überrascht angesehen, dann war eine
Antwort gekommen, die ihn noch viel mehr überrascht hatte:
'Stimmt. Der Winter passt zu dir: weiß und schön.'
Mit
einem leisen Knacksen hatte Harry einen weiteren Eiszapfen von einem
Busch neben sich abgebrochen und nachdenklich auf seinem Handschuh
betrachtet.
'Weiß und schön... und zerbrechlich - wenn
man nur genauer hinsieht.'
/I'll miss the winter
A wolrd
of fragile things/
Ja, Harry war der einzige, der unter
der kalten Fassade seines Seins das Zerbrechliche gesehen hatte - der
sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, darunter zu
sehen - und den verletzlichen, einsamen Jungen dabei entdeckt
hatte.
"Er" hatte daraufhin begonnen zu weinen, zum
ersten Mal seit langer, langer Zeit. Und Harry hatte ihn gehalten,
ihn einfach weinen lassen, ihn zu einem nahestehenden Baumstumpf
gebracht.
Der Stumpf hatte einst zu einem riesigen Baum gehört,
wie man allein an dem Durchmesser schon erkennen konnte, innen war er
ausgehölt und der Boden mit trockenen Blättern übersät.
Schnee konnte nicht hineingelangen, denn abgebrochene Tannenäste
hatten ein natürliches Dach gebildet, das trotz allem noch
Tageslicht hindurchließ.
Dort waren sie sich dann zum ersten
Mal so nahe gekommen, wie nie zuvor - in mehr als nur einer Hinsicht.
Und sie waren immer wieder dorthin zurückgekehrt...
"Er"
öffnete wieder die Augen.
"Vielleicht schaffe ich es
irgendwann, dort noch einmal hinzukommen... Vielleicht können
wir uns dort noch einmal wiedersehen?"
/Look for me in
the wide forest
Hiding in a hollow tree (come find me)/
Abermals
lächelte er, legte den Finger auf die Lippen vor sich.
"Kannst
du mich im Schlaf hören, Harry...?"
Ein kleiner Tropfen,
genauso kristallen wie das Eis damals, bildete sich an Harrys Auge,
löste sich schließlich, um sich einen Weg über seine
Wange zu suchen.
"Nicht doch..."
Kopfschütteln.
Vorsichtig beugte er sich vor, um mit der Zunge durch den Tropfen zu
fahren, der sich trotzdem unbeirrt weiter nach unten schlängelte.
So salzig... so traurig...
/I know you hear me
I can
taste it in your tears/
Er atmete tief durch, als er das
Licht hinter sich bemerkte.
Es war Zeit.
Ein letztes Mal
musterte er die schlafenden Züge, die vor Kummer zerfurchte
Stirn, die tränennassen, bleichen Wangen, die leicht geöffneten
Lippen, auf die er einen kurzen, unbemerkten Kuss hauchte.
Dann
wand er sich behutsam aus Harrys Umarmung, rollte sich aus dem Bett,
blieb dann jedoch noch einmal stehen.
"Vergiss mich nicht.
Ich werde dich auch nicht vergessen, nicht ein einziges Wort, das du
zu mir gesagt hast..."
/Holding my
last breath
Safe inside myself
Are all my thoughts of you/
Das
Licht wurde heller, heller... Es war schön, warm,
entzückend, aber er wollte nicht gehen. Er wollte einfach nicht,
wollte nicht diese Hand loslassen, wollte sich nicht umdrehen und den
Schlafenden für immer alleine lassen.
Aber es musste enden.
Hier. Jetzt.
Seine Finger entzogen sich dem vermeintlichen Druck
von Harrys Hand, ließen sie für immer los.
"Ich
muss gehen."
/Sweet raptured light
It ends here
tonight/
Harry träumte. Er wusste es, und doch
war es so real, wie gestern, als es tatsächlich geschehen
war.
Voldemort lachte. Sein Zauberstab erhoben, bereit für
den letzten Fluch, mit dem der Ausgang der Prophezeiung besiegelt
werden würde.
Harry würde sterben.
Seine Freunde
lagen bewusstlos oder verletzt am Boden, Lupin und Snape waren tot,
Dumbledore war weit weg im Schlachtgetümmel und würde nicht
rechtzeitig kommen. Niemand war nun für ihn da. Er war auf sich
allein gestellt.
"Avada..."
Das war's dann.
Immerhin
konnte er sich sicher sein, dass sein "Drache" nicht hier
war und zusehen konnte, wenn "es" passierte. Harry wusste,
dass es "ihm" das Herz brechen würde.
"...Kedavra!"
Harry
sah den grünen Lichtblitz auf sich zukommen, sah nur noch dieses
Licht - für den Bruchteil einer Sekunde hatte er das verrückte
Gefühl eines Déjà-Vus - grünes, kaltes,
todbringendes Licht...
...ein warmer Körper, der sich vor ihn
warf, sich an ihn krallte. Das Licht ging in dem Körper unter,
wurde regelrecht verschluckt, verschwand ebenso schnell, wie es
heraufbeschworen worden war.
"Er" war es.
Entgegen
aller Aussagen zum Avada war er nicht sofort leblos zu Boden
gegangen. Seine wunderschönen, sturmgrauen Augen sahen Harry
schockgeweitet an, doch auf seinen Lippen breitete sich eines seiner
seltenen Lächeln aus.
"Ich muss gehen..."
Langsam
rutschte er an Harry herunter, der Griff um seine Arme wurde locker
und selbst, als der Schwarzhaarige versuchte, die bleiche Hand
festzuhalten, entglitt sie seinem Druck, ließ er sie für
immer los.
"Draco...", flüsterte
Harry.
Unter seinen geschlossenen Augenlidern spürte er, wie
ein Strom heißer Tränen über sein Gesicht lief.
Für
einen kleinen, verzweifelten Augenblick betete er darum, dass er
seinen Traum einfach hinter sich lassen könnte. Den Traum
einfach Traum sein lassen... aufwachen, und feststellen, dass nichts
davon wirklich passiert war...
/Closing your eyes to
disappear
You pray your dreams will leave you here/
Die
Lider noch immer geschlossen spürte er die eisige Berührung
des Nachtwindes. Kühl, vertraut, doch sich immer weiter vo ihm
entfernend. Er konnte es fühlen, weniger auf der Haut, als in
seinem Bewusstsein.
Harry wollte nicht, dass der Wind verschwand.
Er brauchte die Kälte, das betäubte Gefühl in seinen
Fingern, wenn es immer frostiger wurde... die Erinnerung an den
Winter.
Harry wollte nicht, dass "er" ging.
So, als
wäre er erst jetzt aus seinem Alptraum erwacht, schoss er in die
Höhe, die Augen weit aufgerissen. Erst wollte er nach seiner
Brille auf dem Nachttisch greifen, doch nach einigem Blinzeln
erkannte er auch so, dass im fahlen Mondlicht nichts- ...niemand
war.
Er war allein. Und selbst der Winterwind würde ihn bald
verlassen, wenn er dem Frühling Platz machte.
/But
still you wake and know the truth
No one's there/
"Draco...
Draco!"
Er hörte, wie Harry nach ihm rief,
angsterfüllt, verlassen, schmerzerfüllt.
"Bitte...
Du musst keine Angst haben...", sagte er tröstend, doch er
wurde nicht gehört.
Harry rief weiter nach ihm, Tränen
strömten weiter über sein Gesicht, während der Anblick
für "ihn" immer dunkler und entfernter wurde.
Hinter
ihm war das Licht, doch vor ihm wurde es immer schwärzer.
"Draco...
geh nicht..."
/Say Goodnight
Don't be
afraid
Calling me, calling me as you fade to black/
Es
musste enden.
Der Winterwind verließ ihn.
Owari
