Der kunstvolle Knoten, zu dem sie ihr langes Haar geschlungen hatte, schmerzte sie, aber das war nicht der Grund, warum sie die Hand ihres kleinen Sohnes zu fest umklammerte und ihre Gesichtszüge zu einer eisigen Maske erstarren ließ. Sie hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit ihm, denn er sollte doch eigentlich tot sein.
Nachdenklich drehte sie den Zeitumkehrer zwischen ihren Fingern. Sollte sie das wirklich tun? Der Krieg war lange vorbei und hatte viele Opfer gefordert. Unter anderem zerbrach schließlich auch ihre Beziehung zu Ron daran. Seitdem war sie scheinbar unfähig eine längere Bindung einzugehen. Es war der Krieg. Er hatte sie, wie viele andere, verändert. Dabei wünschte sie sich insgeheim eine Familie, aber vor allem Kinder. Und dann kam ihr eine gewagte, trotzige, verrückte Idee. Gestern war ihr dreißigster Geburtstag gewesen und irgendwie gab dieses Ereignis schließlich den Ausschlag.
Eine Freundin hatte sie mal vor einer Ewigkeit gefragt, was sie von einem Partner erwartete. „Klug sollte er sein!", hatte sie geantwortet. „Ein messerscharfer Verstand, gepaart mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Er sollte wissen, was er will und was er vom Leben erwartet. Keine Macht kann ihn von seinem gewählten Pfad abbringen, mag sie auch noch so groß sein!" Damals hatte sie noch nicht an ihn, als einen möglichen Kandidaten gedacht. Diese hirnverbrannte Idee kam ihr erst später. Viel später. Zum Gedenken an all die Opfer die Voldemort gefordert hatte, kamen sie alle Jahre am selben Tag, dem Tag der Entscheidung, zusammen und schwelgten in Erinnerung.
Sein Name, war einer, der immer wieder fiel und häufig genannt wurde. Sie sprach mit unterschiedlichen Menschen und erfuhr, oftmals ungefragt, sehr vieles über ihn. All diese Geschichten zusammen zeichneten ein vollkommen anderes Bild von ihm, als sie es bisher gehabt hatte. Sie kannte ihn nur als zornigen, ungerechten Lehrer, aber scheinbar hatte sie keine Ahnung wie er wirklich war.
Er besaß Leidenschaften, die er keinem zeigte und nur im Verborgenen auslebte. Wie die Liebe zu seinen Büchern, die er hegte und pflegte als wären sie seine Kinder. Außerdem war er ein Mann von Ehre. Obwohl er Harry abgrundtief hasste, er verbarg es nicht einmal, so hatte er dennoch geschworen ihn mit seinem Leben zu schützen und das tat er, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben.
Er war kein Mensch, der mit seinen Taten protzen musste. Bis zu seinem Tod hatte niemand, außer Dumbledore eine Ahnung davon, was er für sie alle wirklich getan hatte. Er war ein Doppelagent gewesen. Er besaß Härte und Stärke, selbst wenn sich die ganze Welt gegen ihn stellte. Jeder war davon felsenfest überzeugt, dass er Vodemort diente, doch er war bis zu seinem letzten Atemzug Dumbledores Mann gewesen. Nur ihm war er treu ergeben gewesen.
Sie liebte ihn nicht. Bewunderung war keine Liebe. Sie sah in ihm nur die Eigenschaften, die sie sich bei ihrem Kind wünschte. Nun vielleicht nicht alle Eigenschaften. Gedankenverloren stand sie vor den Toren Hogwarts. So wie sie aussahen, bevor der Krieg sie zerstört hatte. Sie könnte sich selbst als Kind treffen. Sie war noch Schülerin hier. Es war ihr sechstes Jahr gewesen. Bevor noch die Hölle hier ausbrach. Hermione schob den Zeitumkehrer tief in ihre Tasche. Niemand durfte ihn sehen. Obwohl, es war eine stockdunkle Nacht. Nicht einmal der Mond wagte sein Gesicht zu zeigen. Sie bedeckte ihr Haar mit dem Tarnumhang und war, wenn auch schon zuvor durch die Dunkelheit nicht sichtbar, für alle Augen die zufällig in ihre Richtung sahen nicht vorhanden. Niemand würde sie bemerken, wenn sie auf der Suche nach ihrem Ziel hinab in den Kerker schlich, denn dort war sein Reich.
Zaghaft klopfte sie an seine Tür. Ihr ganzes Vorhaben war zum Scheitern verurteilt, wenn er sie nicht in seine Räume bat. Sie hatte die Kapuze zurückgeschlagen und den Umhang abgenommen. Darunter trug sie ein enges, schwarzes Kleid mit einem kurzen Rock. Das Dekollete war tief ausgeschnitten und brachte die üppigen Rundungen ihrer Brüste gut zur Geltung. Sie hatte sich die Haare hochgesteckt. Nur ein paar vereinzelte Locken umspielten reizvoll ihr Gesicht. Nervös leckte sie sich über die trockenen Lippen.
Sie hatte sie mit einem dezenten, warmen Rotton geschminkt. Etwas Wimperntusche und ein feiner Lidstrich rundeten ihr Make up ab. Nicht zu viel und nicht zu wenig, war ihre Devise. Schön, aber nicht vulgär wollte sie wirken. Hinter seiner Tür regte sich nichts. Vielleicht war er nicht da? Nein, er musste hier sein. Erneut klopfte sie an. Diesmal energischer und wartete.
Die Tür wurde plötzlich mit einer Heftigkeit aufgerissen, die sie zurückweichen ließ. Finster musterte er sie, ohne sie zu erkennen. Zwischen ihrem jetzigen Ich und dem aus ihrer Vergangenheit lagen fast fünfzehn Jahre. Er musterte ihre Erscheinung und zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Scheinbar warf ihr Aussehen Fragen in ihm auf. Fragen auf die er keine Antworten wusste. Jedenfalls keine die ihn befriedigten. Noch nicht. Sie nahm all ihren Mut zusammen, räusperte sich und öffnete den Mund.
„Verzeihen Sie die späte Störung, Professor Snape! Aber ich versichere Ihnen, dass es sich um eine sehr wichtige Angelegenheit, die keine Aufschub duldet, handelt!", sagte sie beschwörend eindringlich. Nun war seine Neugierde endgültig erwacht.
„Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?", fragte er harsch.
„Einen Augenblick Ihrer kostbaren Zeit! Kann ich herein kommen? Es handelt sich um einen etwas delikaten Vorgang, der nicht für aller Augen bestimmt ist!"
Sie hatte ihre Stimme beinahe zu einem Flüstern gesenkt. Dabei sah sie sich verstollen nach allen Seiten um. Einer plötzlichen Ahnung folgend, zog er sie rasch in sein Büro und warf die Tür zu.
„Es geht um Lord Voldemort – schickt er Sie zu mir?" Sie hatte sich nicht geirrt, er besaß einen scharfen Verstand. Aus dem was sie gesagt hatte und den Umständen das es das Jahr 1997 war, kam er für sich den einzig möglichen Schluss.
Zu dieser Zeit gewann Voldemort immer mehr an Macht. Es waren schlimme Zeiten gewesen. Jedenfalls schloss Snape daraus, dass es nur einen Grund für ihr Erscheinen um diese Uhrzeit geben konnte. Voldemort hatte sie zu ihm geschickt. Alles lief bis jetzt noch nach Plan. Sie brauchte nur dafür zu sorgen, dass es auch so blieb.
„Bieten Sie mir nichts zu trinken an?", fragte sie kokett und betrachtete ihn abwartend.
Genervt wandte er sich ab und kehrte bald mit zwei Gläsern Rotwein zurück. Überrascht hob sie die Augenbrauen. Das hätte sie nun wirklich nicht erwartet. Dankend nahm sie ihr Glas entgegen und beobachtete wie er neben ihr irritiert die Luft über die Nase einzog. Während er fort war um den Wein zu holen, hatte sie inzwischen die Zeit genutzt und eine kleine Phiole, die sie mitgebracht hatte, geöffnet um das in ihr enthaltene, einzigartige Aroma entströmen zu lassen.
Amortentia, niemals verfehlte dieser Trank seine Wirkung und niemals hätte Severus Snape gedacht dieser zu erliegen. Sie sah es in seinen Augen, als er zu wirken begann. Plötzlich entstand ein erregendes Leuchten in seinem Blick. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Kurz verspürte sie einen Anflug von Angst. Angst vor ihrer eigenen Courage. Schnell nahm sie einen tiefen Schluck von ihrem Wein um ihre Nerven zu beruhigen und es wirkte. Es war ein sehr starker Wein, den Snape ihr gebracht hatte.
„Sollten wir uns es nicht ein kleines bisschen gemütlicher machen?", schlug sie aufreizend vor und strich mit der Hand über seinen Arm.
Er zuckte zurück, als hätte er sich an ihr verbrannt. Das war eine Wirkung des Trankes. Am Anfang waren sie verwirrt, ehe sie ihm, oder besser er ihr, vollkommen verfiel. Stumm wies er auf das kleine Sofa im Nebenraum. Sein Büro ging über zu seinen privaten Räumen. Sie kam ihrem Ziel langsam näher.
Sie musste etwas von dem Trank in sein Glas bekommen. Spätestens dann würde er ihr gehören, wenn auch nur für eine Nacht. Sie setzte sich dicht neben ihm auf das Sofa und prostete ihm zu. Er trank einen Schluck Wein ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.
Wenn sie es nicht schaffte etwas von dem Elixier unbemerkt in seinen Wein zu bekommen, dann war ihr Plan zum Scheitern verurteilt. Hermione rückte dichter an ihn heran und legte die Hand in der sie die Phiole hielt, hinter seinen Rücken auf die Lehne der Couch. Leicht benommen schüttelte er den Kopf. Oh ja, das Elixier war stark.
„Sie haben mir immer noch nicht den Grund für ihren späten Besuch verraten!"
Er bemühte sich die Kontrolle über sich zu behalten. Ob er bereits ahnte, dass es dafür schon zu spät war? Sie kam noch näher und strich mit ihrem Zeigefinger über seine Lippen. Sein Mund besaß einen sinnlichen Schwung, der aus der Nähe betrachtet förmlich zum Küssen einlud.
Unbewusst neigte sie sich ihm entgegen um sodann hastig zurück zu weichen. Sie musste Acht geben, dass am Ende nicht sie der Wirkung des Tranks erlag. Wie immer trug er seine hochgeschlossene, schwarze Robe. Sein nachtschwarzes Haar hing ihm strähnig ins Gesicht. Doch auch diese vermochten nicht seine große, harkenförmig gebogene Nase zu verbergen.
Er war wahrlich keine Schönheit, aber er war interessant genug um sie zu reizen und er besaß all die Eigenschaft, die sie sich von dem Vater ihres zukünftigen Kindes erwartete und er war bereits tot, bevor ihr Kind zur Welt kam. Ärgerlich zog sich gerade seine Stirn zusammen.
„Ich denke, es ist besser wenn Sie wieder gehen!", schlug er grob vor und rückte von ihr ab.
Mit weiblichen Reizen wusste er scheinbar nichts anzufangen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Das war nicht so gut. Schnell stand sie auf, aber nicht weil sie gehen wollte, wie er vielleicht dachte. Er erhob sich um ihr die Tür zu öffnen. Das war die Gelegenheit auf die sie gewartet hatte. Er ließ sie und sein Glas für einige Sekunden aus den Augen. Der ganze Inhalt der Phiole landete in seinem Wein. Ein Schluck und er gehörte ihr für den Rest der Nacht.
