Kapitel 1
Der Wald war dunkel, alles lag ruhig und man hörte nur die Schritte des Mädchens auf dem feuchten Boden. Es war kühl und das Mädchen zitterte. Doch das tat sie nicht, weil ihr kalt war: Sie hatte Angst.
„Ginny! Nein, geh nicht weiter!", schrie der Jungen mit den schwarzen Haaren, doch das rothaarige Mädchen schien ihn nicht zu hören. Sie lief geradewegs weiter in den Verbotenen Wald. Harry war verzweifelt. Er wusste nicht wieso, aber Ginny durfte auf keinen Fall weiter gehen! Er hatte ein Gefühl, er konnte es nicht beschreiben, doch dann ging ihn ein Gedanke durch den Kopf: Sie würde sterben, wenn sie weiter ging.
Das konnte Harry nicht zu lassen! So viele Menschen waren schon für ihn gestorben, jetzt nicht auch noch SIE!
Er fing an zu rennen, noch ehe er den Entschluss dazu gefasst hatte und noch bevor er realisierte, dass er rannte, hatte er Ginny erreicht. „Geh nicht weiter! Bitte, Ginny! Bleib stehen!", rief er, aber wieder reagierte sie nicht. Sie ging einfach weiter, als wäre sie Wind pfiff durch die abgestorbenen Äste der Bäume und das nasse Laub raschelte. Es war eine unheimliche Atmosphäre. Eine Spannung legte sich auf Harry, die er schon so oft gespürt hatte: Angst um einen geliebten Menschen. Dieses Gefühl ließ ihn zittern.
Harry konnte diesen Anblick nicht mehr ertragen. Er konnte nicht ertragen zu sehen, wie sie zu IHM ging! ER, der sie umbringen würde!
Harry versuchte sie am Arm festzuhalten, doch das konnte er nicht. Seine Hand glitt einfach durch sie hindurch, als wäre er ein Geist. Harry starrte auf seine Hand, er konnte nicht begreifen, was vor sich ging. Er fiel in Panik. Was sollte er tun? Ginny reagierte nicht auf ihn.
Dann erreichte Ginny die Lichtung. ER wartete schon auf sie. Harry lief ihr hinterher und konnte nichts weiter tun, als zuzusehen, wie Ginny sich IHM entgegenstellte.
Dann passierte es, ER schrie die Worte aus, die Ginny den Tod bringen würden: „Avada Kedavra!". Ein grünen Lichtblitz, und Ginny's lebloser Körper schlug auf dem Boden auf..
Harry Potter stand auf dem Astronomieturm. Er blickte in die Ferne, über den schwarzen See und den Verbotenen Wald, dessen hinterste Grenze er nicht sehen konnte. Er schien grenzenlos zu sein..
Ja grenzenlos, dass sollte seine Freude sein. Er sollte grenzenlose Freude verspüren, schließlich hatte er vor weniger als einer Woche IHN besiegt. Er, Dessen-Name-nicht- genannt-werden-darf, der Dunkle Lord, Voldemort, Tom Riddle. Er hatte so viele Namen getragen, man hatte in Angst vor ihm gelebt, man hatte Kriege gefochten. Jetzt war er tot. Harry Potter hatte die Menschheit, nein die Welt, von ihm befreit.
Aber warum fühlte er sich trotzdem so elend? Nachdenklich schaute Harry in die Weite.
Lag es an den Zerstörungen, die ihn umgaben, ausgelöst durch den schweren Kampf? Oder lag es an den Familien, die getrennt und zerstört wurden, nur weil er, Harry Potter, von Voldemort gejagt worden war? Oder lag es an denen, die ihr Leben für ihn geopfert hatten, wie Tonks, Lupin, Fred, Dumbledore und sogar Snape?
Sicherlich waren auch diese alles Gründe dafür, doch der Hauptgrund, so wurde Harry klar, war, dass er behandelt wurde wie ein Held. Nicht er hatte die Schlacht geschlagen, nicht er hatte Hogwarts beschützt, ja er hatte den finalen Kampf gegen Voldemort geführt, aber hatte er deswegen den Ruhm verdient, er der ihm zuteil wurde? Er wurde als Retter der Welt dargestellt, er „der große Harry Potter"! Doch er hatte diesen Kampf nicht allein geführt! Hatte nicht jeder einzelne großen Mut und Aufopferung gezeigt, Stärke und Willen?
Fakt war, Harry wollte das alles nicht. Er wollte die Ruhe genießen und nicht jedem Erklären müssen, was genau geschehen war. Er wollte helfen Hogwarts wieder aufzubauen. Sein Zuhause!
Absolute Ruhe herrschte im Schloss und auf den Ländereien. Wie hätte es auch anders sein können, schließlich war gerade erst der Sonnenaufgang vorrüber. Die meisten Schüler waren in ihre Heimat zurückgekehrt, aber manche blieben, um bei den Arbeiten um Hogwarts zu helfen. So waren zum Beispiel Seamus Finnigan und Sean Thomas, Parvati, Ginny und natürlich Ron und Hermine noch da. Die Arbeiten an der Schule gingen aber nur schleppend voran. Lehrer und Schüler, sowie Angehörige der Schüler, der Toten und des Orden das Phönix, halfen so viel sie konnten, aber man sah, dass in Hogwarts mehr Schaden angerichtet worden war, als zuerst vermutet.
Im Krankenflügel lag nur noch Lavender Brown, alle anderen wurden ins St. Mungos gebracht. Lavender's Zustand hatte sich schon stark verbessert, nachdem sie von dem Werwolf Grayback gebissen worden war. Madam Pomfrey sagte, dass Lavender sich schnell erholen würde, doch es sei nicht auszuschließen, dass sie zu einem Werwolf geworden war.
Es war eine angenehme Stille und Harry ließ sich gerne in Gedanken fallen, obwohl er wusste, dass es zur Zeit besser wäre, dies nicht zu tun.
Er dachte viel darüber nach, was in den letzten drei Jahren passiert war. Wer gestorben war, was er alles verloren hatte.
Seine Gedanken wanderten weiter und dann erinnerte er sich an den Traum von letzter Nacht. Deswegen war er überhaupt erst hierher gekommen! Er wollte einen klaren Kopf bekommen und in Ruhe über die Bedeutung des Traumes nachdenken. Doch hatte er überhaupt eine Bedeutung oder war das nur ein Hirngespinnst, verursacht durch die Anstrengung und den Stress der letzten Tage?
In den letzten Minuten hatte er oft darüber nachgedacht. Ja, Ginny bedeutete ihm nach wie vor sehr viel und ja, möglicherweise liebte er sie noch, aber das war jetzt egal. Sie hatte mehr als deutlich gesagt, dass Harry's Chance vorbei war. Diese Worte nagten noch an ihm.
Immer wieder bekam er zu hören, er hätte sich besser um sie kümmern müssen. Aber verstand sie denn nicht, dass Harry sie damit noch mehr in Gefahr gebracht hätte? Er hätte nicht so mit ihr umgehen dürfen, hatte Bill einmal dazu gemeint. Das Verhältnis zwischen den Weasley's und Harry war nach wie vor gleich. Molly und Arthur sahen ihn als Sohn an und für die Anderen war er eine Art Bruder.
Nur mit Ginny war das so eine Sache. Seitdem sie Harry ihre Meinung gesagt hatte, gingen die Beiden sich aus dem Weg.
Ron äußerte sich nie dazu und die Anderen hielten es wohl auch für besser das Thema zu vermeiden. Die Einzige, mit der er über Ginny reden konnte, war Hermine.
Harry's Haare wehten leicht im Wind, als eine Brise seine Schultern traf und sich eine schmale Hand auf seine Schulter legte. Er musste nicht hinsehen, um zu wissen wer es war. Also sagte er, weiterhin auf die Ländereien starrend: „Hermine, was machst du hier?". Das angesprochene Mädchen mit den braunen Haaren drängte sich noch ein Stück näher an Harry's Seite. Es tat ihm so gut, wenn sie da war. Sie gab ihm Kraft. Das hatte sie schon immer!
Die Beiden waren nie mehr als beste Freunde und keiner von beiden konnte sich mehr vorstellen, aber das Verhältnis zwischen ihnen war schon immer sehr eng. Sie konnten einfach über alles reden.
Noch eine Weile genoss Hermine den Windhauch, der leicht über ihr Gesicht und durch ihre Harre strich, bevor sie Harry ansah und sagte: „Ich habe dich gesucht. Ron sagte, dass du heute morgen nicht im Schlafsaal gewesen wärst und beim Frühstück warst du auch nicht! Sogar Seamus hat nach dir gefragt!". Harry's Kopf fuhr herum. „Ich hab das Frühstück verpasst?", fragte er fassungslos. Er hatte über seinen Grübeleien total die Zeit vergessen.
„Ja! Aber das ist erstmal egal. Wir können sich später noch etwas zu essen für dich bekommen!", meinte Hermine und folgte Harry's Blick zum schwarzen See. Nebel hing in leichten Wolken darüber und der Wind ließ den Nebel herumwirbeln.
„Was ist los, Harry? Ich weiß, dass etwas nicht stimmt!", fragte Hermine. Sie machte sich langsam Sorgen um Harry. Er war in den letzten Tagen schon so oft für einige Stunden verschwunden, dann wieder aufgetaucht und hatte niemandem etwas darüber erzählt, wo er gewesen war.
„Hermine,.. es ist nichts..", sagte er, wenig überzeugend. Wieder streifte sein Blich von Hermine weg und zum See. Diese drehte sich nun ganz zu ihrem besten Freund: „Es ist wegen Ginny, nicht wahr?". Harry nickte stumm. „Das tut mir so Leid..", sagte Hermine und legte einen Arm um Harry.
Als dieser nicht antwortete, sprach Hermine weiter: „Wenn ihr für einander bestimmt seit, werdet ihr das auch überstehen. Aber erstmal komm. Ron und die Anderen warten sicher schon auf uns!".
Mit diesen Worten verließen die Beiden den Astronomieturm.
Das Dunkel der Nacht umgab den Neuankömmling, der in einen langen, schwarzen Kapuzenmantel gehüllt war. Mit langsamen Schritten näherte er sich der alten Hütte. Der Mann, der mit leerem Blick hinter ihm hertrottete, gab keinen Laut von sich. Das Einzige, was man von ihm vernahm, waren die leisen Schritte auf dem Kiesweg und der keuchende Atem. Sie sprachen kein Wort.
Die Tür der Hütte öffnete sich wie von Zauberhand und der Mann trat in das verfallene Haus. Mit einem Wink seines Zauberstabes schaffte er Licht und man konnte die dicke Staubschicht und die Spinnenweben in den Ecken des Zimmers erkennen. Nur auf dem Boden des Raumes, waren Fußabdrücke zu erkennen, ansonsten wies kein Zeichen auf irgendeine Anwesenheit von anderen Personen hin. Der Mann im schwarzen Gewand schritt vorwärts, geradewegs durch den Raum zur nächsten Tür. Unter dem Türschlitz konnte man Licht erkennen. Der zweite Mann folgte ihm stumm, als er die Tür öffnete und eintrat. An dem langen Tisch waren 6 Plätze besetzt. Alle 6 Gestalten trugen einen ähnlichen Mantel, wie der Mann, der gerade eingetreten war. Die leisen Gespräche verstummten schlagartig bei seinem Erscheinen.
„Steht er unter dem Imperius?", fragte eine der Gestalten und zeigte auf den zweiten Mann, der eingetreten war. „Ja, ich erledige meine Aufgaben, im Gegensatz zu dir, Morrison!", ertönte die kräftige Stimme des Neuankömmlings.
