Fangen wir mit dem Rechtlichen an: Narnia, alle damit verbundenen Ideen und originalen Charaktere gehören nicht mir. Ich schreibe die Geschichte nur zu meinem Vergnügen und verdienen kein Geld damit.
Zum Verständnis: Ich habe die Bücher nicht gelesen (wird aber derzeit nachgeholt) und beziehe mein Wissen deshalb vorwiegend aus den Verfilmungen (1989/90 und 2000er) sowie ein paar Zusatzinfos aus dem Internet.
Kapitel 1: Von fliegenden Fischen und unerwarteten Gästen
Es war alles so schnell gegangen, dass sie einige Augenblicke brauchten, um zu begreifen, was sich verändert hatte. Desorientiert sah sich Peter um und stellte fest, dass er in bester Gesellschaft war. Rechts neben ihm standen Susan und Lucy und waren offenbar noch nicht so recht zu sich gekommen. Zu seiner Rechten entdeckte er Edmund, der ein wenig schneller reagiert hatte und sich bereits mit einer Mischung aus Verwunderung und Faszination umsah. Und dort auf dem Boden erkannte er eine Person, die ihm ebenso bekannt vor kam: Eustace, den einstmals nervenden Cousin. Er wirkte, als hätte er sich wochenlang um jede Form des Waschen gedrückt und anschließend ein ausführliches Staubbad genommen. Bei ihm war ein Mädchen, das nicht besser aussah. Peter vermutete – ausgehend von den Beschreibungen und der puren Wahrscheinlichkeit – dass sie Jill war.
Die Frage lautete nun: Wo befanden sie sich? Es war im Grunde nichts Außergewöhnliches passiert. Er hatte einfach nur aus dem Haus gehen wollen, die Tür geöffnet ... und plötzlich hier gestanden.
„Ich weiß wo wir sind", entfuhr es Lucy, während sie Eustace auf die Beine half. Ein fröhliches Funkeln trat in ihre Augen und ihr Lächeln strahlte über das ganze Gesicht. Natürlich wusste sie es. Wie viele Möglichkeiten gab es da schon? An welchen Ort waren sie bisher je auf so geheimnisvolle Weise befördert worden? Im Moment befanden sie sich in einem Gebäude, das von hohen, ausladenden Fenstern geziert wurde. Durch sie fiel die gleißende Sonne hinein und hinterließ filigrane Lichtspiele auf dem Boden. Wenn es einem gelang, gegen das blendende Licht anzukommen, konnte man einen Blick auf das Meer werfen – so weit das Auge reichte. Die Aussicht war herrlich und weckte ein Gefühl der Freiheit und Lebendigkeit in Peter, das er schon lange vermisst hatte.
„Cair Paravel", stimmten Peter und Susan ihrer kleinen Schwester gleichzeitig zu.
„Schön, dass wir das geklärt haben", brummte Eustace und hievte sich mühevoll auf die Beine um anschließend Jill beim Aufstehen behilflich zu sein. „Jetzt bleibt nur noch die Frage: Wann sind wir?"
Daraufhin trat wieder Schweigen ein. Es war Cair Paravel, das alte Schloss, das die Geschwister während ihrer Herrschaftszeit bewohnt hatten. Und doch war es auch anders. Wehmütig dachte Peter daran, dass ihre alte Heimat zerstört worden war. Man hatte sie wieder aufgebaut, das wusste er. Doch es war nicht das Gleiche.
„Wer weiß", stellte Peter unbehaglich fest.
„Das ist doch völlig egal", kam es von Lucy. „Hauptsache wir sind hier. Ich habe es gehofft aber eigentlich nicht mehr daran geglaubt."
Obwohl sie inzwischen einige Jahre älter war, schien sie in diesem Moment wieder ein wenig zu dem Kind zu werden, das durch den Wandschrank nach Narnia und damit in das größte Abenteuer ihres Lebens gestolpert war.
„Aber warum?", fand Susan schließlich ihre Sprache wieder.
Darauf ergab sich wie gewohnt keine schnelle Antwort. Stattdessen wurde Peters Blick auf jemanden gelenkt, der in einem der Fenster des langen Korridors saß. Verwundert blinzelte er. Dieser seltsame Kerl saß dort tatsächlich mit einer Angel in der Hand. Das Meer lag viel zu weit unter ihnen und von ihnen entfernt, um angeln zu können.
Plötzlich kam jemand in einer solchen Geschwindigkeit durch den Gang gestürmt, dass die sechs ohnehin verwirrten Menschen ihm kaum mit den Blicken folgen konnten. Er stoppte nur wenige Schritte von ihnen entfernt und drehte sich verwirrt blinzelnd zu den ungeladenen Gästen um. Es handelte sich um einen übermäßig geschäftig wirkenden Faun, der aussah, als hätte er seit Tagen nichts getan, als hektisch durch Gänge zu laufen – vor allem nicht schlafen. Seine Augen weiteten sich erschrocken, als er die Menschen entdeckte.
„Oh weh, Gäste", entfuhr es ihm. „Darauf sind wir nicht vorbereitet."
Kaum hatte er ausgesprochen, drehte er sich wieder um und verschwand durch eine Tür, die laut krachend hinter ihm zufiel. Fassungslose Blick folgten ihm und Peter fragte sich kurz, ob er wohl beim Verlassen des Hauses gestolpert und gefallen war und es sich hierbei um ein Produkt aus seiner Fantasie, einem angeschlagenen Kopf und der folgenden Bewusstlosigkeit handelte.
„Scheint so, als hätte es uns nicht nach Narnia verschlagen sondern ins Irrenhaus", stellte Eustace mit unüberhörbarem Sarkasmus fest. Mehrere empörte Blicke trafen ihn gleichzeitig, führten aber offenbar weder zu einem schlechten Gewissen noch zu einer Meinungsänderung.
„Es gibt sicher eine absolut logische Erklärung dafür", meinte Susan verunsichert.
Edmund setzte zu einer Erwiderung an, kam jedoch nicht weit, als zwei weitere Personen durch den Gang auf sie zu kamen, aus dem der Faun gestürzt war. Sie diskutierten energisch aber nicht lautstark und beendeten das Gespräch erst, als ihre Blicke auf die sechs Menschen fielen. Nun ließen sich die beiden genauer betrachten. Es handelte es um eine Frau – vielleicht Mitte zwanzig – und einen älteren Mann, beide mit dunklen Haaren und braunen Augen, wobei die der Frau ein wenig heller und satter im Farbton wirkten. Sie war deutlich kleiner und zierlicher als ihr Begleiter. Auf den ersten Blick empfand Peter ihre gleichmäßigen Gesichtszüge als nicht überragend schön aber angenehmen und passend. Sie trug ein Kleid von scheinbar guter Qualität und satten Farben, das jedoch nicht allzu sehr mit teuren Verzierungen protzen wollte. Die langen Haare waren zu einem einfachen aber ordentlich geflochtenen Zopf gebunden. Trotz dieser gepflegten Erscheinung wirkte sie erschöpft und missgelaunt. Ihr Begleiter schien ihr einerseits ähnlich zu sehen, andererseits auch nicht. Einen Moment dachte Peter darüber nach, ob sie womöglich verwandt waren. Der Mann hatte kleine Augen mit einem aufmerksamen, fast stechenden Blick. Er war groß und muskulös und offenbar körperliche Anstrengung gewohnt. Obwohl er weder Rüstung noch eine Art Uniform trug, hielt ihn Peter für einen Soldaten. Seine Kleidung schien ebenfalls von guter Qualität zu sein, war jedoch ein wenig praktischer ausgelegt.
„Und ihr seid?", fragte die Frau mit einer Mischung aus Misstrauen und Verstimmung. Offenbar hatte man die Sechs nicht erwartet und schon gar nicht gerufen. Warum waren sie also hier und das obwohl ihnen gesagt worden war, dass es keinen Weg zurück gab?
„Meine Name ist Peter..."
Weiter kam er nicht, denn der ungläubige Blick der Frau brachte ihn zum Schweigen. Ihr Begleiter zog die Augenbrauen hoch und schien Zweifel zu haben, meldete sich aber nicht zu Wort.
„Hochkönig Peter?"
Der Angesprochene nickte nur und wollte noch einmal dazu ansetzen, seine Vorstellung zu vervollständigen. Doch erneut kam er nicht dazu.
„Das hat gerade noch gefehlt" Leise seufzend schloss die Frau kurz die Augen und atmete ein paar mal tief durch. Ihr Begleiter oder vielleicht auch Wächter wirkte nach wie vor misstrauisch, nun aber auch ein wenig unentschlossen. Vermutlich hatte er sich noch nicht entschieden, ob er begeistert sein sollte oder nicht.
„Wir wurden schon netter begrüßt", beschwerte sich Eustace. „Teilweise sogar von unseren Feinden."
„Aber nur von denen, auf deren Speisekarte wir standen", merkte Jill an.
Die Bemerkung wurde von dem stämmigen Mann mit einem missgünstigen Kopfschütteln bedacht. Sein Sinn für Humor schien ein wenig zu wünschen übrig zu lassen, womöglich aber auch nur auf Grund der absurden Situation.
„Verzeiht mir. Ich wollte nicht unhöflich sein. Nur ist es so, dass bisher jedes Mal, wenn Ihr in Narnia aufgetaucht seid, Schwierigkeiten gefolgt sind. Und wir können noch mehr davon zur Zeit nicht brauchen."
Ein wenig schmeichelhaftes aber eindeutig entschuldigendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Peter schloss aus dieser Beobachtung, dass sie bisher nur die oberflächliche Erscheinung des Problems – welches auch immer das war – gesehen hatten.
„Bisher sind wir immer gekommen, weil Narnia bedroht wurde, nicht umgekehrt", wand Edmund sofort ein. Eine solche Unterstellung ließ er natürlich nicht auf sich sitzen, auch wenn seine Selbstbeherrschung in den letzten Jahren stetig gewachsen war. Allerdings argwöhnte Peter, dass er die Bemerkung falsch verstanden hatte.
„Ich bin sicher, so war das nicht gemeint", ging er also dazwischen und erntete ein dankbares Nicken von der sichtbar überspannten Frau. „Wir möchten mit demjenigen sprechen, der hier die Verantwortung trägt. Dem König."
Er war sich alles andere als sicher, dass es überhaupt einen gab. Womöglich waren noch einmal Jahrhunderte oder gar Jahrtausende in Narnia vergangen und wieder hatte sich alles geändert.
„Wir haben keinen, seit sich mein Vater vor einem Jahr von seinen Pflichten zurückgezogen hat. Ihr werdet also mit mir Vorlieb nehmen müssen. Meine Name ist Aletheia und bei mir" Sie deutete mit einer kurzen Handbewegung auf ihren Begleiter. „ist Kapitän Eliphias."
Der etwas mürrisch wirkenden Kapitän hatte seine Aufmerksamkeit inzwischen dem Mann geschenkt, der im Fenster saß. Unwillkürlich wandten sich alle Anwesenden dem seltsamen Angler zu.
„Leute gibt's", meinte Eustace.
Aletheia verzog ein gequältes Gesicht. „Entschuldigt mich bitte einen Moment."
Vorsichtig näherte sie sich dem Mann, lehnte sich ein Stück aus dem Fenster und stützte sich am Fensterrahmen ab, sodass er sie sehen konnte. Kurz darauf drehte sich der Mann zu ihr um und betrachtete sie mit einem verträumten Blick.
„Wenn Ihr die Frage gestattet: Was tut Ihr da, Lord Kaltus?", fragte Aletheia ruhig aber bestimmt.
„Fischen", antwortete der Mann mit einer Ernsthaftigkeit, die einem in dieser Situation unmöglich vorkam. Er schien nicht das geringste Gefühl für die Absurdität seiner Handlung zu haben.
„Das sehe ich. Aber es ist kein Wasser da. Zumindest nicht in Eurer Reichweite."
Kaltus warf einen forschenden Blick nach unten und schien bemessen zu wollen, wie weit das Meer entfernt war. Zu weit, das musste jedem vernünftigen Menschen klar sein.
„Das spielt gar keine Rolle. Ich fange fliegende Fische."
„Fliegende … Fische", wiederholte Aletheia ungläubig. Sie schwieg einen Moment und schien zu überlegen, ob es sich überhaupt lohnte, mehr zu sagen. „So weit mir bekannt ist, gibt es in dieser Gegend keine fliegenden Fische."
„Eben deswegen", entgegnete der Lord, als hätte man ihm eine unvergleichlich dumme Frage gestellt. „Wenn sie merken, dass jemand sie fangen will, kommen sie. Und wir sind um eine große Sehenswürdigkeit reicher."
Aletheia und Eliphias tauschten vielsagende Blicke aus, während die sechs Menschen noch immer nicht so recht wussten woran sie geraten waren. Sicher, hin und wieder geschahen seltsame Dinge in Narnia. Aber dermaßen seltsam?
„Der ist doch nicht ganz klar im Kopf", murmelte Eustace.
„Aber vielleicht hat er ja recht", widersprach Jill. „In Narnia ist schließlich fast alles möglich."
„Ja, fast", meinte Edmund und schüttelte verständnislos den Kopf.
„Unter diesen Umständen schlage ich vor, dass Ihr Euch in Eure Gemächer begebt und eine Abhandlung über dieses äußerst faszinierende Thema verfasst. Schließlich sollten sich auch andere auf diese … Veränderung angemessen vorbereiten können", brachte Aletheia unter deutlicher Überwindung hervor. Noch einmal verfiel der Lord in Schweigen und betrachtete die Welt außerhalb des Schlosses.
„Das ist eine gute Idee", befand er schließlich. Achtlos ließ er seine Angel fallen und beugte sich schließlich vor, als wollte er hinterher springen. Aletheia packte ihn an beiden Schultern und zog ihn zurück, sodass beide unterhalb des Fensters auf den Boden fielen.
„Ich denke Ihr solltet den Weg durch das Schloss nehmen. Wir wollen doch … die fliegenden Fische nicht verschrecken."
Diese Argument schien Kaltus schlüssig zu sein. Er erhob sich und schlurfte gleich darauf durch den Gang davon. Inzwischen war Eliphias zu seiner Königin geeilt und bot ihr seine Hilfe beim Aufstehen an.
„Ich hatte mich gerade mich gefragt, ob dieser Tag noch schlimmer werden könnte", stellte Aletheia trocken fest und ließ sich auf die Beine helfen. Nachdem sie ihr Kleid geordnet und glattgestrichen und ein paar eigensinnige Haarsträhnen zurechtgewiesen hatte, wandte sie sich wieder den sechs verwunderten Besuchern zu.
„Das ist nicht der Empfang, der den Königen und Königinnen des goldenen Zeitalters gebührt, doch im Moment ist die Situation schwierig und wir waren auf derart wichtigen Besuch nicht vorbereitet", erklärte sie und kehrte zusammen mit Eliphias zu den unerwarteten Gästen zurück.
Dass die Situation schwierig war, war unschwer zu erkennen. Egal wie viel Seltsames in Narnia schon geschehen war, das war abnormal.
„Das ist unser geringstes Problem", beschwichtigte Susan. „Wir sind genauso überrascht, hier zu sein. Wichtiger ist, was hier vorgeht und wer uns gerufen hat."
„Ich kann keine von beiden Fragen beantworten", entgegnete Aletheia bedauernd. „Zumindest nicht mit Sicherheit. So weit ich weiß hat Euch niemand gerufen." Sie sah sich auf dem Gang um, als müsste sie sichergehen, dass niemand das Gespräch belauscht hatte. Womöglich war es auch so. Wenn es schon so weit gekommen war, dass die Leute in Narnia versuchten, nicht vorhandene fliegende Fische aus der Luft zu angeln, dann konnten auch die Wände Ohren haben. „Lasst uns das an einem Ort besprechen, an dem wir ungestört sind."
Sie deutete mit der Hand auf den Gang, aus dem Eliphias und sie gekommen waren. Einen Moment zögerte Peter noch. Er war nicht wirklich misstrauisch, fühlte sich aber auch nicht in der Lage, die Situation treffend einzuschätzen. Schließlich war Lucy die Erste, die der Einladung folgte. Mit einem kurzen Lächeln stellte Peter für sich fest, dass es wohl Dinge gab, die sich nie ändern würden. Dann schloss er sich seiner Schwester an. Was auch immer hier vorging, sie mussten dem Problem schleunigst auf den Grund gehen, bevor es wirklich Leben kostete.
