Mein Name ist Sida und ich möchte Euch heute erzählen, wie ich Eragon Drachenreiter kennen lernte. Es ist keine lange Geschichte, aber ich brauche doch etwas Zeit, um sie zu erzählen. Und ohne Murtagh wäre der Drachenreiter nie in mein Leben getreten. Nicht, dass es mir egal gewesen wäre, dass endlich wieder ein Drache einen Reiter auserwählt hatte, ich hatte nur einfach mit meinen eigenen Geschäften genug zu tun.

Auf einer der vielen Brücken in Teirm hörte ich das erste Mal von Eragon. Murtagh war von dem Drachenreiter regelrecht besessen. Seit er Gerüchte über ihn gehört hatte, verfolgte er seine Spur, um sich ihm anzuschließen. Hier in der Hafenstadt hatte er ihn nun endlich entdeckt. Und mit ihm einen ganzen Haufen Urgals. Und wer Murtagh kennt, der weiß, dass er keinen Kampf scheut.

Ich hatte mich ein paar Tage zuvor in Teirm niedergelassen und spürte sofort Murtaghs Gegenwart. Dieses Gefühl ist mir so vertraut wie meine Hände und Füße, es gehört einfach zu mir und ihm geht es genauso. Wir standen uns als Kinder sehr nah. Was aus dieser Nähe geworden ist, weiß ich nicht. Und Murtagh geht auf dieses Thema gar nicht erst ein.

Als ich ihn spürte, machte ich mich sofort auf die Suche und fand ihn eingekreist von vier riesigen Urgals. Früher habe ich ihm oft bei seinen Übungs-Kämpfen zugesehen und war überrascht, wie einfach es bei ihm aussah, wenn er mit zwei oder drei Gegnern gleichzeitig kämpfte. Auch heute noch scheint er eine regelrechte Euphorie zu empfinden, wenn er sein Schwert schwingt. Seine Augen strahlen und seine Bewegungen sind so fließend, als wüsste er immer ganz genau, aus welcher Richtung der nächste Schwertstreich kommt. Auf dieser Brücke vollführte er mit den vier Urgals eine wahre Choreografie. Er sprang auf sie zu, dann wieder einen Schritt zurück, duckte sich unter Schwertern hinweg und hatte in kürzester Zeit zwei seiner Gegner erledigt. Was er jedoch nicht sah waren zwei weitere, die sich hinter ihm anschlichen. Als ich meinen Blick noch ein wenig weiter streifen ließ, konnte ich auf einer etwas weiter entfernten Brücke einen anderen Kampf entdecken. Die beiden neuen Urgals mussten von dort kommen. Murtagh konnte sie nicht sehen, also ließ ich mich von dem Dach rutschen, von dem aus ich dem Kampf zugesehen hatte und schlich mich über eine andere Brücke hinter die Kämpfenden. Hätte Murtagh mich gesehen, hätte er mit Sicherheit versucht, mich wieder fortzuschicken, das machte er immer wieder, aber das beeindruckte mich schon lange nicht mehr. Kurz bevor die Urgals die Kämpfenden erreichten, und Murtagh hatte jetzt nur noch einen einzigen Gegner vor sich, sprang ich vor, schnitt dem einen die Kehle auf und bevor der andere Urgal auf mich los gehen konnte oder sonst jemand mich bemerkte, ließ ich mich auf die Knie fallen, drehte mich einmal um mich selbst, hieb dem Urgal dabei die Füße weg, sprang wieder auf und stieß ihm mein Schwert in die Brust.

„Wo kommst du denn plötzlich her?", hörte ich Murtaghs Stimme hinter mir, noch während ich mein Schwert aus dem toten Körper zog.

Langsam drehte ich mich um, zog mir die Kapuze vom Kopf und sah Murtagh fest an. Ich hatte mir in seiner Gegenwart einen Blick angewöhnt, der ihm zeigen sollte, dass ich auf mich selber aufpassen konnte. Das war ein leidiges Thema zwischen uns.

Ich winkte mit einer Hand in Richtung des Daches, auf dem ich vorher gesessen hatte.

„Anscheinend bin ich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort," sagte ich dazu und grinste schelmisch. „Um dir einmal mehr das Leben zu retten."

Noch ein leidiges Thema zwischen uns. Es stimmte, dass ich ihm jetzt schon mehrere Male in ähnlichen Situationen aus der Patsche geholfen hatte. Er reagierte darauf wie immer. Murtagh ließ seinen Anderthalbhänder in der Scheide verschwinden und ignorierte meinen letzten Satz. Ich grinste noch ein wenig breiter.

„Was verschlägt dich nach Teirm?"

„Geschäfte," antwortete ich kurz und verstaute meine eigenen Waffen. Dann ging ich auf ihn zu. „Und dich?"

„Ich folge dem neuen Drachenreiter." Dabei funkelten seine Augen. Ich kannte diesen Blick bei ihm gut. Als wir noch Kinder waren, erzählte er mir immer wieder die Geschichten von den Drachenreitern und hatte dabei jedes Mal genau diesen Ausdruck in den Augen gehabt. Er hatte schon damals fest an die Legenden geglaubt, dass die Drachenreiter eines Tages zurückkehren würden. Ich hatte diese Geschichten geliebt. Aber vermutlich hätte Murtagh mir jede beliebige Geschichte erzählen können, ich hätte sie alle geliebt. Er war ein wunderbarer Geschichtenerzähler und hatte ein Talent, das was er erzählte, in so blumige Worte zu kleiden, dass man die Bilder dazu vor Augen sah, während er erzählte.

„Kann ich mitkommen?"

Schon wieder ein leidiges Thema. Ich habe noch nie gezählt, wie viele es davon zwischen uns gibt, aber es scheinen eine Menge zu sein. Seit Murtagh die kleine Stadt, in der wir gemeinsam aufgewachsen waren, verlassen hat, versuchte ich ihn schon dazu zu bringen, mich auf seine Reisen mitzunehmen. Er hatte jedes Mal abgelehnt. Aber ich war schon immer hartnäckig gewesen.

Er sah mich nur an. Ich mochte es, wie er mich ansah. Ich mochte seine braunen Augen, die mir zart über die Haut blinzelten. Ich mochte aber nicht den Ausdruck dahinter.

„Warum solltest du mitkommen wollen? Ich will versuchen, mich ihm anzuschließen."

„Wie willst du dich ihm anschließen, wenn er doch einen Drachen hat, auf dem er fliegen kann?"

„Auch ein Drachenreiter muss einmal landen. Außerdem ist er zu Pferde unterwegs. Vermutlich ist sein Drachen noch zu jung, um geflogen zu werden."

Wieder dieses Funkeln. Ich glaubte ihm seine Worte ohne Bedenken.

„Ich nehme an, dass er auf dem Weg zu den Varden ist," fuhr er fort und blickte dabei versonnen über das Wasser.

„Du willst zu den Varden?", fragte ich.

„Ich werde ihn dort hin bringen, ja." Jetzt sah er wieder mich an. „Sagtest du nicht immer, dass die Varden nur ein Haufen von feigen Drückebergern seien, die sich in ihren Bergen verstecken?"

Das habe ich tatsächlich immer gesagt und auch so gemeint.

„Warum also solltest du mitkommen wollen?"

„Ich kämpfe wenigstens für das, woran ich glaube," entgegnete ich etwas trotzig. Er hatte mich an einer wunden Stelle erwischt. Ich wollte mit ihm reisen, aber ich hatte nicht viel für die Varden übrig.

„Woran du glaubst?", Murtagh lachte etwas höhnisch auf, wofür ich ihm am liebsten sofort einen Dolch in den Fuß gerammt hätte. „Du glaubst doch an gar nichts."

„Ich kämpfe auch gegen den König, genau wie du, Murtagh, vergiss das nicht!" Ich hatte die Zähne zusammen gebissen. „Dass ich auch noch mit anderen Aufträgen meine Brötchen verdiene kannst du mir nicht vorwerfen."

„Ich werfe dir nichts vor," sein Blick wurde wieder weicher. „Aber wenn der Reiter die Varden erreicht, werden sie sich dem König stellen. Er ist unser aller Hoffnung! Und ich will dabei sein, wenn Galbatorix für seine Untaten bezahlt." Bei seinen letzten Worten verkrampfte er die Hände.

„Das würde ich auch zu gerne sehen," sagte ich und trat einen Schritt näher auf ihn zu. Sofort entspannten sich seine Hände wieder. „Aber du weißt doch gar nicht, ob dein Reiter überhaupt mit den Varden kämpfen wird."

„Das wird er. Das muss er!"

„Er wird dabei Hilfe brauchen können."

„Die werde ich ihm geben, wenn er sie denn braucht."

„Es kann nicht schaden, wenn er doppelte Hilfe bekommt."

Ich zwinkerte ihm frech zu und warf mir die Haare in den Nacken. Die Perlen darin klimperten.

„Nein, Sida, ich werde dich nicht mitnehmen."

Ich hatte mit dieser Antwort gerechnet. Es hätte mich sehr erstaunt, wenn sie anders ausgefallen wäre. Trotzdem spürte ich die Enttäuschung mir den Nacken runter kriechen.

„Warum willst du mich nicht in deiner Nähe haben?"

Wie oft ich ihm diese Frage gestellt hatte, kann ich nicht sagen. Und wie oft ich die Antwort darauf gehört hatte, genauso wenig.

„Ich reise immer alleine."

„Dann lass mich dir wenigstens etwas mit auf den Weg geben."

Damit drehte ich mich um, zog mir die Kapuze von meinem Mantel wieder ins Gesicht und ging los. Ich wusste, dass Murtagh mir folgte. In der Hütte, die ich bewohnte, schloss ich die Tür hinter ihm ab und ging auf eine Tasche zu, die ich unter Stroh verborgen hatte. Den kunstvoll verzierten Dolch, den ich daraus hervor zog, hielt ich ihm hin.

„Den hab ich erst gestern in die Hände bekommen."

„Du meinst, den hast du erst gestern jemandem geklaut." Er nahm ihn trotzdem und begutachtete ihn.

„Solange du alleine reisen willst, muss ich dir keine Auskunft darüber geben, wie ich mein Geld verdiene."

Sein Blick verriet mir, dass er es ohnehin wusste. Doch es lag keine Verachtung darin, sondern … ich kann es nicht sagen. Sein Blick machte mich schon immer nervös.

„Nimm ihn einfach mit. Ich weiß, dass du einen großen Verschleiß an Dolchen hast. Du kannst ihn brauchen."

Noch einmal sah er mich so an, dass sich die Härchen in meinem Nacken um die Stehplätze stritten, dann streckte er seine freie Hand aus. Ich nahm sie und schüttelte sie.

„Wir sehen uns, Sida." Dann steckte er den Dolch ein und ging zur Tür.

Ja, wir sahen uns immer wieder. Irgendwann, irgendwo würde er wieder in eine Situation geraten, in der er meine Hilfe gebrauchen konnte.

Kurz bevor er die Tür aufschloss und öffnete, langte er noch einmal in seinen Rucksack und zog ein kleines Bündel hervor. Er legte es auf einen Hocker an der Tür, nickte mir über die Schulter hinweg zu und verschwand durch die Tür.

Ich musste ein paar Mal durchatmen, bevor ich das Bündel auspackte. Es war ein frisches Brot aus gesalzenem Teig. Er wusste, dass ich trotz meiner Aufträge nie genug Geld hatte, um mir frische Lebensmittel zu kaufen. In gewisser Weise rettete er mir so gleichfalls das Leben.