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Disclaimer: Alle Charaktere mit den dazugehörigen Rechten gehören J.K. Rowling, mir immer noch der Spaß am Weiterdenken...
Kurze Inhaltsangabe: "Gedankenspiel" ist die Fortsetzung meiner bisherigen Geschichten, und da ich mit "Die Entscheidung" am Ende von HBP angekommen war, folgt nun ein Blick in die ungewisse Zukunft Harry Potters und seiner Suche nach den Horcruxen, so wie ich sie mir vorstelle und wünsche. Die Gedanken sind frei...Wem also die ersten Geschichten gefallen haben, dem wünsche ich viel Spaß beim Weiterlesen. Falona
Gedankenspiel
1. Kapitel
Der dunkelhaarige Mann erwachte aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Für einen kurzen Moment hielt er die Augen noch geschlossen, doch dann zwang er sich, sie zu öffnen. Er schob eine lange schwarze Haarsträhne aus seinem Gesicht, richtete sich langsam auf und betrachtete sich. Seine sonst so sauberen Hände waren mit Erde verschmiert und sein Umhang war eingerissen und verschmutzt, er zeigte viele Spuren der übereilten Flucht aus dem Schloss. Angewidert wandte er sich ab. Sein Blick wanderte weiter und durchstreifte die alte Wandererhütte, in der er Zuflucht gesucht hatte. Durch das kleine Fenster konnte er Hogwarts in der Ferne erkennen. Die Strahlen der aufgehenden Morgensonne erleuchteten das imposante Gebäude, so dass es in rotgoldenen Farbtönen zu erglühen schien. Es glich einem Gemälde von überwältigender Schönheit. Er schloss die Augen, um dem plötzlich aufschießenden Schmerz standzuhalten. All das existierte nicht mehr. Es waren nur noch Mauern, von Jahrtausende altem Kitt zusammengehaltene Steine, nicht mehr als eine makellose Ruine. Wo vorgestern noch reges Schulleben geherrscht hatte, regierte nun das Schweigen des Todes. Der ermordete Schulleiter ruhte in einem weißen Marmorgrab, alle Schüler waren in ihre Elternhäuser zurückgekehrt, auch das Kollegium war größtenteils diesem Ort des Grauens entflohen. Nur die Geister des Schlosses waren geblieben und schwebten unbeirrt durch die kalten Hallen und Gänge. Was ihm wie manchem anderen zur Heimat geworden war, war nun zerstört. Das letzte Bollwerk des Lebens und der Hoffnung war gefallen, der Böse hatte gesiegt. Als Schuldiger würde der in die Geschichte der Zaubererwelt eingehen, dem der Direktor Albus Dumbledore bedingungslos vertraut hatte, der undurchsichtige Zauberer, der wie sonst kaum einer der schwarzen Magie zugetan war, der Verräter und Mörder Severus Snape, er selbst.
„Guten Morgen, das ist eine wundervolle Aussicht, nicht wahr? Ich habe sie immer genossen, natürlich nur in den Ferien, wenn ich mir einen kleinen Morgenspaziergang gestattet habe", sagte eine bekannte Stimme. Das augenzwinkernde Lächeln war im Klang der Worte erkennbar. Eine angenehme leise Melodie untermalte den Gruß. „Severus, ich muss dir noch einmal sagen, dass ich über deine Treue sehr froh bin. Du hast mir mehr vertraut als dir selbst. Du hast dir Gewalt angetan und meinen Wunsch erfüllt. Damit hast du mir und uns allen mehr Möglichkeiten gegeben, als ich zu hoffen gewagt habe. Sei nun nicht mehr traurig."
„Albus."
Der dunkle Zauberer öffnete die Augen. Er konnte seinen Freund nicht sehen, aber spürte die Freude, die dessen Anwesenheit mit sich brachte. Es war also wirklich wahr. Der Phönix war zu ihm gekommen und bei ihm geblieben. Er hatte sich mit ihm verbunden wie der Schulleiter es gewollt hatte. Mit Fawkes war Severus Snape von einem neuen Kosmos der Magie erfüllt worden. Er konnte mit den früheren Besitzern des Vogels kommunizieren. Alle stellten ihm ihre Fähigkeiten zur Verfügung, insbesondere der Letzte von ihnen, Albus Dumbledore. Der erfahrene dunkle Zauberer fühlte sich wie ein Erstklässler. Er würde viel lernen müssen, um seine neuen Kräfte richtig zu gebrauchen.
„Ich würde dir vorschlagen, dich zuerst ein wenig frisch zu machen. Dann überlegen wir was wir als nächstes anstellen, einverstanden?"
So gut gelaunt hatte Severus Snape seinen Freund lange nicht mehr erlebt. Er wunderte sich über das Lächeln, das seine harten Gesichtszüge eroberte. Als nächstes würde Dumbledore ihm mitteilen, wo er seine Zitronenbonbons versteckt hielt.
„Wenn du nun ebenfalls deine Vorliebe für saure Drops entdeckst, gerne!"
„Was ist das denn jetzt? Kannst du alle meine Gedanken mitdenken?"
„Entschuldige, ja, das kann ich, natürlich nur, wenn du es willst."
Diese Vorstellung verschlug dem Zauberer die Sprache. Nie hatte er seine Gedanken mit jemandem geteilt. Er war immer alleine gewesen. Die Einsamkeit hatte ihn geschützt, sie hatte ihn vor falschen Freunden, vor Neugier, Dummheit und Boshaftigkeit bewahrt. Sie hatte ihm Freiheit verschafft. Auch mit Albus Dumbledore hatte er selten über sich selbst gesprochen. Sie hatten sich ohne große Worte verstanden, Worte verursachten zu viele Missverständnisse. Aber er vertraute seinem Freund, er hatte ihm gesagt, dass sein Leben in seiner Hand liegen würde. Und daran hatte sich nichts geändert.
„Ich habe nichts dagegen."
„Ich danke dir. Nun nimm deinen Zauberstab und bring deine Kleidung wieder in Ordnung. Es wird dir dann besser gehen."
Nach einigen kleinen Beschwörungen sah der Tränkemeister wieder aus wie gewohnt. Tiefschwarze Haare fielen auf seine Schultern, ein langer dunkler Mantel umspielte seine Beine und schließlich erglühte auch in seinen Augen wieder das Feuer, das so manchen Schüler und Kollegen das Fürchten gelehrt hatte. Er war wieder er selbst.
„Albus, wo ist Fawkes? Ich spüre seine Magie, ich höre seinen Gesang, du bist da, aber ich sehe den Vogel nicht."
„Er ist ein eigenständiges Geschöpf. Er ist mit dir verbunden und er wird sofort erscheinen, wenn du ihn benötigst oder auch nur wünschst. Aber er lebt sein eigenes Leben. Wahrscheinlich sucht er sich gerade sein Frühstück. Er war die ganze Nacht bei dir und ist nach seinem Flammentod wieder zu der Größe eines stattlichen Jungphönixes herangewachsen."
„Ich sollte mich darum kümmern, wie ich ebenfalls überleben kann. Ich gehe davon aus, dass jeder Zauberer, der mich nicht direkt tötet, mich den Auroren des Ministeriums ausliefert. Von Todessern sind milde Gaben für Bedürftige nicht zu erwarten. Ich muss mich selbst versorgen. Ich habe in letzter Minute eine vorbereitete Flasche mit Vielsafttrank eingesteckt, zusätzlich einige Haare von Professor Flitwick, der mich vor den Todessern im Schloss warnte und Hilfe erhoffte. Leider musste ich ihn dafür kurzfristig außer Gefecht setzen."
„Er wird es überlebt haben. Behalte vorläufig beides und bedenke aber, dass dir nun andere Mittel zur Verfügung stehen. Du musst selbst gehen, suche einen Weg, du wirst es können."
Severus Snape schloss die Augen und konzentrierte sich. Er hörte die Melodie des Phönixes. In seiner Vorstellung begann sich das Gesicht eines alten würdigen Zauberers abzuzeichnen, der ihn durchdringend ansah. Dann nickte der Unbekannte mit dem Kopf und in Severus Gedanken bildeten sich die Worte „ex oculis". Er kam sich vor wie Harry Potter mit dem Zaubertränkebuch, das die vielen unbekannten Beschwörungen enthalten hatte. Nun war es an ihm, Neues auszuprobieren. Sein Forschergeist wurde geweckt und unverzüglich formulierte er selbst die Worte in seinen Gedanken. Ein prickelndes Gefühl durchströmte seinen Körper und er konnte seine Hände nicht mehr erkennen, seine Arme verschwanden, gleichzeitig seine Beine und kurz darauf sah er sich selbst nicht mehr.
„Albus!"
„Ach, ja. Diesen Unsichtbarkeitszauber habe ich selbst auch oft angewandt. Ich habe ihm viele Informationen zu verdanken, an die ich mit meiner kompletten Erscheinung nie gelangt wäre. Das hat mein Selbstbewusstsein bei keiner Gelegenheit besonders gestärkt. Aber der Zauber kann dir in der Tat jetzt sehr nützlich sein. Kein magisches oder nichtmagisches Wesen mit Ausnahme von Fawkes kann dich nun wahrnehmen, dass heißt sehen und auch hören. Allerdings kannst du dich so auch keinem verständlich machen, du kannst nur beobachten. Aber du kannst dich fortbewegen, du kannst sogar apparieren. Der Umkehrzauber lautet „ante oculos", du bist im Handumdrehen wieder vollständig sichtbar. Das Prickeln im Armen und Beinen ist unangenehm, aber man gewöhnt sich daran."
„Das eröffnet mir in der Tat neue komfortable Möglichkeiten. Ich könnte in meinem eigenen Haus wohnen mit meinen Büchern und meinem Labor, dort fühle ich mich wohler als in Behausungen wie dieser Hütte."
„Ich denke auch, dass du das solltest, und zwar gut sichtbar. Du hast nun mehr Macht als jeder lebende Zauberer, du brauchst vor nichts und niemandem Angst zu haben. Ja, du hast mich richtig verstanden, auch nicht vor Lord Voldemort. Er braucht das allerdings nicht zu wissen."
„Ich könnte den Versiegelungsfluch um mein Haus legen, den die Todesser bei deiner Gefangennahme verwendet haben. Nur wer ein Dunkles Mal trägt, kann ihn durchbrechen. Das würde mir diverse Besuche der Ministeriumsauroren ersparen. Die Diener Lord Voldemorts kann ich leicht in Schach halten." Ein zufriedener Gesichtsausdruck erschien in den Zügen des dunklen Zauberers. „Doch hilf mir noch bei einem weiteren Gedanken. Wo soll Fawkes wohnen? Ich hätte ihn gerne bei mir, doch ich fürchte, dass dein Phönix in meiner Wohnung gewisse Leute zum Nachdenken anregen und mich verdächtig erscheinen lassen würde."
„Kein Mensch weiß von den Eigenschaften dieses Vogels. Er ist deine Trophäe des Sieges über Dumbledore. Du hast ihn gefangen. Er ist ein Symbol deiner Macht und wird dir Respekt verschaffen. Auch der Lord wird nicht versuchen, ihn dir zu nehmen. Fawkes ist ihm widerwärtig, er wäre eine ständige Erinnerung an mich und seine Schwäche, sich vor mir gefürchtet zu haben."
Severus Snape schaute einen Moment lang unbeweglich durch das kleine Fenster auf das alte Schloss. Dann trat er vor die Tür. Er wusste um seine gefährliche Aufgabe. Er musste mit Hilfe von Fawkes Magie in die Gedanken Lord Voldemorts eindringen, wenn dieser seinen Zauberstab benutzte. Nur er konnte die Suche nach den Horcruxen fortführen. Noch ein Mal nahm er den Anblick der sonnenbeschienenen alten Türme und Mauern in sich auf, dann verschwand er in einem unsichtbaren Wirbel.
