Midsummer Day's Dreams:
Sommerfest im Irrenhaus
Teil 1
Dr. Sarah Gerade-Nicht-Mehr-Granger schlug die Wagentür zu. Das Klicken der Generalverriegelung hatte etwas Endgültiges. Seufzend wandte sie sich dem Gebäude zu. Was für ein herrlicher Tag! Sonnenschein, ein leichter Wind, ein paar weiße Wölkchen vor strahlend blauem Himmel. Während sie über den kiesbestreuten Parkplatz zu dem hohen Zaun ging, der das Gelände umgab, fragte sie sich flüchtig, ob sie in ihrem grauen Kostüm nicht total overdressed war. Vermutlich würde sie nachher mit einem Pappteller in der Hand an einem Gartentisch sitzen, dessen Beine zu einem guten Drittel in den weichen Boden einer ehemaligen Kuhweide eingesunken waren, und am Grill würde ein Pfleger mit gelangweilter Miene die Würstchen wenden, während –
Aber hallo – wer war denn das?
Ihr Blick war auf das schäbige kleine Auto gefallen, das nicht weit von ihr auf dem Parkplatz angehalten hatte. Oder besser gesagt: auf den Mann, der sich gerade aus der Karre herauswickelte. Er war groß und langbeinig und hatte feuerrotes Haar, im Nacken zu einem Zopf gebunden, und eben jetzt reckte er sich mit einem Aufstöhnen, das sie bis hierher hören konnte. Na gut. Sie ging ein wenig langsamer. Sie war wieder solo. Seit zwei Wochen offiziell. Da konnte sie jedenfalls einen genaueren Blick riskieren. Und wenn sie auch von hier aus sehen konnte, dass dieser Mann mit den schmalen Hüften und dem knackigen Hintern noch nicht aus den Zwanzigern heraus war – also mit Sicherheit mehr als fünfzehn Jahre jünger als sie selbst war – ein Blick war ja wohl erlaubt. Oder auch zwei. Mit Torte, Pizza und Sahnesaucen machte sie das auch so. Ansehen war erlaubt. Naschen nicht.
Sie seufzte noch einmal und durchschritt das geöffnete schmiedeeiserne Tor. Hatten die eigentlich keine Angst, dass ihnen die Patienten entkamen? Sie war schon viele Male hier gewesen – na ja, mindestens ein- bis zweimal jährlich in den vergangenen acht Jahren – und hatte es noch nie erlebt, dass das Tor einfach offen stand. Stirnrunzelnd machte sie sich in Gedanken eine Notiz. Sie würde das nachher bei Dr. Lestrange ansprechen.
oooOOOooo
Über die Treppenstufen vor dem Haupthaus kam wild kläffend ein kleiner schwarzer Hund herbeigerannt. Das war auch so etwas, das sie hasste. Sie blieb stehen und sah dem kleinen Ungeheuer skeptisch entgegen.
"Blackie!", schrie jemand wütend hinter ihm her, und im selben Moment erschien vor der Glastür eines Seiteneingangs, durch das der Köter gerade entwischt war, ein dürrer kleiner Mann. "Blackie, verdammt noch mal! Bleib stehen! Halt!"
Blackie hatte sie schon erreicht, blieb einen Meter vor ihr stehen und waffte sie wütend an.
Hinter ihr lachte jemand, ein warmes, dunkles Lachen. Sie drehte sich um und sah in das sommersprossige Gesicht des Langen mit dem roten Zopf. Er hatte ein verknautschtes Jackett über sein nicht minder verknittertes weißes Hemd gezogen und trug weiße Sneaker zu einer dunkelbraunen Hose – aber mein Gott, wen interessierte das schon, angesichts dieser leuchtenden Lebendigkeit, die von ihm ausstrahlte?
"Hallo mein Kleiner!", rief er dem Hund zu, und der hörte tatsächlich mit dem Gebell auf und kam schwanzwedelnd zu dem Mann, der sich zu ihm beugte und ihm kräftig das schwarze Fell klopfte.
Sarah war nicht imstande, den Blick von ihm abzuwenden.
"Hallo!", grüßte er freundlich und sah zu ihr auf. "Der tut nichts. Bellt nur gern die Leute an."
"Oh – Sie sind öfter hier? Arbeiten Sie hier in der Klinik?" Kann es sein, dass ich den bisher übersehen habe?
"Nee", antwortete der Lange, während er aufstand. "Meine Schwester ist hier Physiotherapeutin. Aber heut sind wir hier, um meinen Bruder zu besuchen. Wollten das Fest auf keinen Fall verpassen."
Wir?
Und da sah sie die kleine, dicke Frau, die eben jetzt herankeuchte. Schaudernd umfasste Sarahs Blick das groß geblümte Sommerkleid, die zu engen Schuhe, die Handtasche von Anno dazumal und die Schweißtropfen unter dem Ansatz des rotbraunen, schlecht geschnittenen Haars.
"Bill!", rief sie. "Warte doch mal! Erst schleifst du mich nach hier, und dann kannst du nicht mal warten, bis ich aus dem Auto gestiegen bin!"
"Molly Weasley, meine Mutter", stellte der mit Bill Angesprochene die Frau vor. "Und ich bin Bill. Besuchen Sie auch jemanden?"
Sarah nickte. "Ja – meine Tochter. Ich bin Sarah – äh – Granger." Verdammt. Nicht mehr Granger! Aber es rutschte ihr immer noch heraus. Die Macht von neunzehn Jahren Gewohnheit.
"He – Granger – Moment mal, ist das nicht Hermys Nachname? Sind Sie die Mutter von Hermy?"
Sarahs Blick verschloss sich noch ein bisschen mehr. "Hermione. Ja."
"Sorry. Wusste nicht mal, was ihr kompletter Vorname ist. Ron spricht immer nur von Hermy."
"Ron?" Klar, das musste dieser Rothaarige, Schlaksige sein. Der konnte sprechen?
In diesem Moment erreichte sie der dürre Mann, der dem Hund nachgelaufen war.
"Dieser Köter", murmelte er verbissen, während er sich nach dem Hund bückte, der immer noch erwartungsvoll neben Bill stand. "Ich würd' den in einen Zwinger stecken. Taugt zu nichts. Nicht Wachhund. Nicht Jagdhund. Nicht Hütehund. Nur 'ne dämliche Promenadenmischung. Und die Bälger schlagen sich drum, ihn auszuführen. Verderben ihn endgültig."
Sarah war unwillkürlich zurückgewichen. Den merkwürdigen, unangenehmen Hausmeister kannte sie von früheren Besuchen. Er sprach, soweit es sich vermeiden ließ, nie direkt zu jemandem. Murmelte nur unablässig vor sich hin.
"Tag, Mr Filch", grüßte Bill unbefangen. "Schöner Tag heute, was? Toll für ein Fest."
"Jetzt halt schon still, blödes Vieh." Filch legte dem Hund ungeschickt eine Leine an.
"Tja, ich werde dann mal zum Haus rübergehen. Ich habe noch einen Termin bei Dr. Lestrange, bevor das Fest beginnt", sagte Sarah ein wenig hastig.
Bill hob grüßend die Hand, und Sarah entging nicht der missbilligende Blick seiner Mutter, der ihren Rock streifte.
"Vielleicht sehen wir uns später ja noch!", sagte der Sohn mit diesem Lächeln, das ihr einen kleinen Schauer über den Rücken jagte.
oooOOOooo
Eine Stunde vorher.
Dr. Snape erwachte, wie er seit sechs Wochen jeden Morgen erwachte: mit einem Niesanfall, der ihn praktisch aus dem Bett schleuderte. Niesend taumelte er zum Waschbecken und tastete nach seinem Spray.
"Verflucht", keuchte er. "Ich hasse den Frühling –" Niesen – Niesen "- und diesen verdammten Sommer –"
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die auf dem schmalen Bord über dem Waschbecken lag, und hastete dann zum Fenster. Das riss er auf, Heuschnupfen und Atemnot zum Trotz, und fing auch prompt wieder an zu niesen. Aber egal. Es war kurz vor sieben, und wie jeden Morgen um diese Zeit joggte sie auch heute diese angeberische Allee unten entlang.
Graue Jogginghose, rosa T-Shirt ohne Ärmel. Roter Zopf, der über den Rücken tanzte.
Mit geröteten, tränenden Augen sah er ihr nach, bis sie um die Ecke in den Feldweg einbog. Währenddessen nieste er dreimal und warf dann das Fenster mit einem entnervten Schnauben zu.
Dann ging er zum Kleiderschrank hinüber und entnahm ihm mit einem angewiderten Blick eine noch in Plastikfolie eingeschweißte dunkelgrüne Krawatte mit feinen silbernen Streifen.
Während er sie mit ungeduldigen Bewegungen aus der Folie riss und dann mehr schlecht als recht um seinen nackten Hals band, begegnete er im Spiegel seinem finsteren Blick.
"Past cure I am, now reason is past care!", murmelte er zynisch. "Verdammte Scheiße. Shakespeare hab ich immer noch besser drauf als diesen Mist hier!"
oooOOOooo
Sarah ging die Treppe zum Haupteingang des Gebäudekomplexes hinauf, der immer noch mehr wie das alte Landgut aussah, das er einmal gewesen war. Damit machten die hier auch Werbung. Heilung inmitten der Natur, oder so ähnlich hieß es in der Broschüre. Es gab sogar noch Pferde und andere Tiere hier.
Da, neben dem Portal war sie, die kleine Tafel, die den wahren Zweck dieses Gebäudes ganz dezent in goldenen Lettern auf schwarzem Holz verkündete: Man betrat hier die Joanne K. Slithering-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Drinnen kam sie an der offen stehenden Tür zum Sekretariat vorbei.
"Nein, Dobbs! Ich sagte bereits, dass die Rohkostplatten auf jeden Fall bis heute Mittag zu kühlen sind!", erklang eben die energische Stimme der Sekretärin von drinnen.
Sarah sah sie an ihrem Schreibtisch stehen und mit genervter Miene ins Telefon sprechen. Sie winkte ihr zu, als sie Sarah vorbeigehen sah. Sarah winkte zurück. Minerva McGonagall war ihr immer als die angenehmste und kompetenteste Person in dieser ganzen Einrichtung erschienen.
"Hören Sie, es ist mir egal, was Mr. Kreach dazu sagt!", hörte Sarah sie noch sagen. "Der Küchenchef sind Sie, Dobbs! Man erwartet von Ihnen, dass Sie sich durchsetzen!"
Sarah ging weiter den Flur entlang und erreichte eine geschmackvoll eingerichtete Warteregion vor dem Ärztezimmer im Hauptgebäude, die wie alle derartigen Orte, die sie bisher kennengelernt hatte, in feminin zarten Blau- und Grüntönen eingerichtet war. Das sollte wohl beruhigend wirken auf die verwirrten Seelen, die hier auf ihre nächste Therapiesitzung warten mussten. Die Gemälde, die hier hingen, waren allerdings nicht die verschwommenen Vogel- und Blumenaquarelle, wie man sie von anderen psychiatrischen Einrichtungen her kannte (und die meistens irgendwie an weibliche Genitalien erinnerten). Nein, in den Gemälden der Slithering-Klinik kam der besondere Charakter dieser Einrichtung zum Ausdruck.
Als Sarah hereinkam, saß dort schon eine dreiköpfige Familie, an die sie sich von einem früheren Besuch her vage zu erinnern glaubte. Die magere Frau, die mit nervösen Schritten vor der mit gerahmten Bildern behängten Wand auf und ab ging, blickte immer wieder zur Tür des Sprechzimmers.
Auf den Besuchersesseln – die hatten tatsächlich richtige Sessel hier, mit leuchtend kobaltblauem Microvelours bezogen – saßen ein fetter Mann, der kaum seinen Hintern darauf untergebracht bekam, und ein schwergliedriger, ziemlich gut aussehender blonder Junge, dessen blaue Augen angestrengt ein Comic-Heft studierten.
"Verdammt, Petunia, wie lang soll das denn noch dauern?", platzte der Fette jetzt heraus. "Wir hatten einen Termin um acht – jetzt ist es gleich halb neun! Dafür sind wir um halb sechs losgefahren! Immer diese Schlamperei bei den Ärzten. So was könnte ich mir in der Firma nicht erlauben! Da wär' der Kunde aber längst auf und davon!"
"Pst, ich bitte dich, Vernon!", zischte die mit Petunia Angeredete. "Was soll das denn? Wir sind doch heute sowieso den ganzen Tag hier, da musst du dich doch nicht –"
"Ja, ja, das kommt noch dazu! Sommerfest im Irrenhaus – so ein Quatsch!"
"Vernon –"
"Dudley verpasst deshalb ein wichtiges Training, ist dir das klar?"
"Vernon – das haben wir doch längst ausdiskutiert, oder? Einmal im Jahr könnt ihr Harry auch mal besuchen! Wenn wir schon zu seinem Geburtstag nicht da sind –"
"Sentimentaler Blödsinn – der Junge kriegt das doch sowieso nicht mit – der interessiert sich doch überhaupt nicht für uns!"
Sarahs Eintreten sorgte für eine Unterbrechung der Debatte, weil der Fette ihre Beine anstarren musste und gleichzeitiges Reden und Hinsehen seinen Intellekt offenbar überforderte. Sarah lächelte unverbindlich in die Runde und setzte sich auf einen Sessel am geöffneten Fenster. Und zog ihren Rock diskret über die Knie.
Die magere Frau blickte sie ratlos an. In diesem Moment wurden Stimmen auf dem Gang laut, und Sekunden später kamen zwei weißbekittelte Personen in Sicht, die in ein eifriges Gespräch vertieft waren.
"Wenn ich es dir doch sage – davon ist kein Wort wahr!", rief der Jüngere gerade. Er war vielleicht Mitte Zwanzig, und seine Ähnlichkeit mit dem Mann neben ihm war so auffällig, dass sie nur Vater und Sohn sein konnten.
"Das kann ich nur hoffen", erwiderte der Ältere kalt. Er hatte langes silberblondes Haar, das ihm weit über den Rücken fiel, und graue Augen, die so kalt waren wie ein Januarmorgen. "Wolfe steht kurz vor seiner Entlassung. Ich möchte nichts hören, was ihn mit dir in Verbindung bringt, nichts, verstanden?"
"Herrgott, denkst du, mir ist meine Karriere egal?", fuhr der Jüngere auf.
In diesem Moment wurde beiden bewusst, dass in der Warteregion Besucher saßen – und nicht benebelte Patienten wie sonst – und sie verstummten abrupt.
"Oh, Dr. Malfoy! Wie gut, dass ich Sie sehe!", ging da die magere Frau schüchtern, aber entschlossen auf den Arzt los. "Können Sie uns sagen, wo Dr. Lestrange bleibt? Wir – wir hatten für acht Uhr einen Termin –"
Dr Malfoy hielt für einen Moment inne und warf ihr einen abweisenden Blick zu. "Sie wird wohl unten im Labor aufgehalten worden sein. Ich bin sicher, sie wird gleich erscheinen", sagte er dann, schon im Weitergehen. Sein Sohn hatte exakt denselben Ausdruck im Gesicht, das aber noch leicht gerötet wirkte von einer offensichtlich heftigen Diskussion.
"Vielen Dank", sagte Petunia demütig.
Sarah konnte es kaum mit ansehen. Die hatten hier schon ein paar komische Typen angestellt. Bei manchen drängten sich die diversen Klischees über Psychiater geradezu auf. Dieser Malfoy war der Oberarzt der Klinik und ein ziemlich unangenehmer Typ, fand sie. Sie selbst hatte glücklicherweise meistens mit Dr. Lestrange zu tun, die die Leiterin der Abteilung war, in der Hermione untergebracht war. Dr. Lestrange hatte zumindest den Vorzug, eine Frau zu sein.
Ihre Augen begegneten für einen Moment denen Petunias, und sie tauschten einen verständnisvollen Blick. Dadurch ermutigt, kam die magere Frau zögerlich auf sie zu.
"Sind wir uns nicht bei einem früheren Besuch schon begegnet?", fragte sie. "Sind Sie nicht die Mutter von Harrys – nun, äh – Freundin Hermione?"
"Ganz recht, Sarah Granger!", stellte Sarah sich vor. Wenigstens sagte sie nicht Hermy!
"Ich bin Petunia Dursley, die Tante von Harry Potter. Ich war ja immer so froh, dass Harry hier wenigstens ein bisschen Anschluss gefunden hat! Und Ihre Tochter – was für ein tragisches Schicksal – ich meine, sie ist ja so intelligent, nicht wahr?"
In diesem Moment klingelte Sarahs Handy, und dankbar, dass sie nicht antworten musste, zog sie es mit einem entschuldigenden Blick zu Petunia Dursley aus der Innentasche ihres Blazers.
oooOOOooo
Sie kamen zu zweit die Stufen vom Untergeschoss hinauf.
"So, ich muss jetzt wieder Eltern betreuen. Sprechstunde. Ach, und Sev", sagte die hochgewachsene, dunkelhaarige Frau mit einem spöttischen Funkeln in den Augen, "denken Sie dran, dass hier heute Publikumsverkehr herrscht? Hm?"
Der mit Sev Angesprochene war der mit Heuschnupfen geschlagene Dr. Snape: Ein knochiger Mann von mittlerer Größe, der nach ihr die letzte Stufe hinaufkam. Sein fahlhäutiges Gesicht war scharf geschnitten und verdüstert und von ungepflegtem schwarzem Haar umgeben, das ihm bis auf die Schultern fiel. Der weiße Kittel, den er trug, wirkte wie eine Kostümierung, und so schien er ihn auch zu empfinden.
"Was soll das nun wieder heißen?", fragte er giftig. "Trag ich etwa keinen Kittel? Sogar eine Krawatte –"
"Eben. Genau, Sev", unterbrach sie ihn mit trügerischer Sanftheit. "Aber dann sollten Sie sie auch richtig binden! Sehn Sie mal in den Spiegel – zur Not hilft Ihnen Minerva sicher!"
"Hören Sie endlich auf, mich Sev zu nennen, Bea!", knurrte er und riss entnervt an der dunkelgrünen Krawatte herum, die schief und absurd über dem Kragen seines Kittels hervorsah.
Sie war schon mit großen Schritten weitergeeilt, in Richtung Warteregion. Mit einem Kichern rief sie über die Schulter zurück: "Minerva, Sev! Wenn Sie Glück haben, sitzt sie noch im Sekretariat! Sonst finden Sie sie sicher irgendwo zwischen Küche und Festwiese!"
"Was Sie nicht sagen", sagte er und wollte eben in die entgegengesetzte Richtung gehen, als dort am Ende des Ganges jemand die Tür öffnete und mit beschwingten Schritten auf ihn zukam. Da wandte er sich hastig um und ging mit angestrengt gleichgültiger Miene langsam in die Richtung, in die seine Kollegin eben verschwunden war.
"Hallo! Hallo, Dr. Snape!", rief es hinter ihm fröhlich. "Warten Sie doch! Guten Morgen!"
Jetzt hatte ihn die junge Frau in eng anliegenden Joggingklamotten eingeholt und lächelte ihn unbefangen an, während sich sein blasses Gesicht langsam, aber unaufhaltsam mit einer ungesunden Röte überzog. "Ist das nicht ein tolles Wetter heute? Denken Sie nur mal an das Sommerfest letztes Jahr! Wissen Sie noch? Das halbe Buffet ist weggeflogen!"
Er versuchte nicht auf die kleinen Schweißtröpfchen zu starren, die den großzügigen Ausschnitt ihrer Brust bedeckten, welchen das Top freigab.
"Noch hat das Fest ja nicht mal angefangen", sagte er mit angestrengtem Missmut.
Die rothaarige Frau neben ihm lachte. "Ach was! Sie sind wirklich ein Miesmacher! Die Sonne scheint, keine Wolke zu sehen – nee, das wird heute ein tolles Fest. Gut so, denn die Leute haben 'ne Menge Arbeit reingesteckt. Und dann die Ausstellung von Remus' Bildern – haben Sie die schon gesehen?"
"Nein", kam die Antwort in einem Ton, der keinen Zweifel darüber ließ, was er von diesen Bildern hielt.
"He, wissen Sie, dass Sie Ihre Krawatte falsch gebunden haben?"
"Nein – ja – also –"
"Bleiben Sie doch mal stehen! Stillhalten! Ich mach das schon", sagte sie und hielt den widerstrebenden Arzt quasi am Kragen fest. "Hab 'ne Menge Übung darin, bei sechs Brüdern, wissen Sie. Bill hab ich das mindestens hundertmal gezeigt, der ist nämlich Bankangestellter, und da musste das einfach sitzen."
Das kam in einem Ton, in dem die ganze Bewunderung für den großen Bruder und dessen beachtliche Karriere lag. Während sie konzentriert auf seine Krawatte starrte, die sie mit geübten Griffen neu band, errötete der Arzt immer tiefer und wusste offenbar nicht, wohin mit seinen Blicken. Oder mit sich selbst. Jetzt bloß nicht niesen!
"So, das sieht besser aus. Stimmt es eigentlich", fuhr sie in ganz verändertem, bedauerndem Ton fort, "stimmt es, dass Remus geht?"
