My first Friend
Kinana würde ewiglich Cobras erster Freund bleiben. Nichts würde diese Tatsache ändern, auch wenn er jetzt viel tiefere Gefühle für sie empfand als Freundschaft. Nachdenklich betrachtete der Dragonslayer Kinanas Hände, die seine eigenen festhielten. Er getraute sich nicht die Lilahaarige anzusehen, sicherlich starrte sie ihn abwartend und voller Neugierde an.
Seit Monaten waren sie nun ein Paar. Immer wenn sie zusammen sein konnten (mit Crime Sorciere passierte dies leider nicht so oft), fühlte sich Cobra glücklich wie schon lange nicht mehr. Doch obwohl Kinana nichts sagte, so hörte er immer wieder, wie sie liebend gern von ihrer gemeinsamen Vergangenheit erfahren würde. Zwar machte sie grosse Fortschritte in ihrem Schlangen-Take-Over und die anderen ehemaligen von Oracion Seis hatten die Lilahaarige noch recht schnell als gute Freundin aufgenommen. Doch sie hatte immer noch nicht ihre Erinnerungen zurückgewonnen.
Vielleicht war es besser so, denn wenn sie erfahren würde wie viele Menschen sie getötet hatte, wenn auch um ihn zu retten, würde Kinana schreckliche Schuldgefühle bekommen. Allerdings litt sie daran sich nicht an ihre Vergangenheit erinnern zu können, ausser seiner Stimme und diesem Versprechen mit der Sternschnuppe – für das Cobra sich schon noch ein bisschen schämte, weil es einfach zu kitschig war und sicher nicht nach ihm klang.
Jedenfalls hatte er ihr gesagt, dass er ihr etwas über ihre gemeinsame Vergangenheit erzählen wollte. Vielleicht hätte er es nicht so spontan vorschlagen sollen, denn nun waren Kinanas Gedanken nicht zu bremsen. Sie stellte sich so viele Szenarien vor, eine unwahrscheinlicher als die andere. Cobra hätte fast geschmunzelt, wäre die Wahrheit nicht so dramatisch gewesen.
„Ich denke, du solltest vor allem wissen, wie wir uns zum ersten Mal kennen gelernt haben", murmelte Cobra schliesslich. Dies schien ihm die beste Idee zu sein. Schliesslich musste Kinana ja wissen, wie und wann sie sich zum ersten Mal getroffen haben. Kinana starrte ihn abwartend an und fragte schüchtern: „Wie ist es dann genau passiert, Erik?"
„Du kennst doch die Geschichte vom Tower of Heaven?", kam die Gegenfrage. Kinana nickte. Sie hatte schon einiges davon gehört, von Erza und den ehemaligen Mitglieder von Oracion Seis. Schliesslich bestand die Möglichkeit, dass auch sie dort Sklavin gewesen war.
„Dann hör mir gut zu", sagte der Giftdragonslayer schliesslich und begann zu reden.
Eriks Brust schmerzte immer noch schrecklich, als diese Diener von Zeref ihn aus dem Laboratorium warfen und ein anderes Kind mitzerrten, um weiss Gott welche Experimente an ihm auszuprobieren. Erik wusste nicht, was sie mit ihm versucht hatten. Diese Bastarde hatten einfach sein Brust aufgeschlitzt und irgendeine Kugel reingetan, die rot leuchtete. Danach hatten sie die Wunde wieder zugenäht und verbunden. Sie hatten den kleinen Jungen nicht mal in Schlaf versetzt, somit er alle Schmerzen miterleben musste. Erik hasste diese Bastarde, er hasste alles, was ihm seine Kindheit noch mehr verschwinden liess.
„Das sieht schlimm aus. Brauchst du Hilfe?"
Überrascht hob Erik den Kopf und entdeckte ein kleines, lilahaariges Mädchen, dass schon ein wenig jünger als er zu sein schien. Auch sie war eine Sklavin. Eine von jenen Kindern, die man für das Experimentenlabor des Towers verdammt hatte. Sie war wirklich süss...
„Alles okay, ich wurde nur aufgeschlitzt und zugenäht", brummte Erik sarkastisch und lehnte sich gegen die Wand. Er kam ja aus Desierto. In diesem Wüstenland lernte man schon von klein auf jegliche Schmerzen und Folter auszuhalten, noch bevor man lernte zu laufen.
Das kleine Mädchen setzte sich neben ihm, so nah sogar, dass Cobra ein klein wenig rosarot wurde unter seiner gebräunten Haut. Sie war so klein und zierlich, dass die Experimente sie sicher umbringen würden. Instinktiv legte er einen Arm beschützend um ihre Schulter. Die Sklaven mussten immer zusammenhalten, selbst wenn sie sich einander nicht kannten.
„Ich habe immer Angst die nächste zu sein", murmelte das kleine Mädchen. „Die Schreie sind immer schrecklich und einige kommen nicht lebend wieder zu uns. Wahrscheinlich wird der Tod mich auch erwarten. Ich komme nämlich aus Joya, dort sind wir nie an Schmerzen gewohnt, vielleicht wurde ich dort etwas verweichlicht."
„Ich komme aus Desierto. Dort lernt man Schmerzen auszuhalten bevor man laufen kann", antwortete Erik mitleidig. Er wusste zwar nicht wo Joya lag, doch sicher schien das Leben dort einfacher zu sein als in Desierto. „Keine Angst, vielleicht übersehen sie dich. Oder sie machen etwas ganz einfaches mit dir. Wenn jemand stirbt regen sie sich immer furchtbar auf."
Es war nicht ein wirklicher Trost, doch er wollte sie nicht anlügen. Trotzdem strahlte sie ihn dankbar an. Erik zuckte erschrocken zusammen und bekam leicht rote Wangen. Er hatte noch niemand in diesem Turm so lächeln gesehen. Traurig, schadenfreudig, schwach, das schon. Aber sicher niemals strahlend. Irgendwie hatte er das Gefühl die Zukunft in Person vor sich zu sehen. Das lilahaarige Mädchen hauchte gerührt: „Du bist so nett, das ist sonst keiner hier. Kannst du bitte, bitte bei mir bleiben?"
„Wie du willst", murmelte Erik, doch auch er lächelte. Er wollte auch an ihrer Seite bleiben, sei es nur um dieses Lächeln zu sehen und um ihre süsse, unschuldige Stimme zu hören.
„Und falls wir getrennt werden?", fragte sie trotz allem noch besorgt. Erik grinste sie leicht an und sagte: „Dann werde ich auf einer Sternschnuppe reiten um dich wieder zu finden."
Verdammt, war er stolz so einen Satz gesagt zu haben. Das klang irgendwie heldenhaft. Das Mädchen drückte sich als Dank gegen ihn und er genoss diese warme Nähe, die er in diesem verdammten Turm sicher nicht noch einmal spüren würde.
Leider wurde das kleine Mädchen von ihm weggerissen und ins Labor gebracht. Erschrocken und voller Angst sah sie ihn an. Erik war genau so besorgt wie sie, doch er schaffte es sie anzulächeln und ihr noch zu sagen: „Vergiss die Sternschnuppe nicht!"
„Werde ich nicht", schrie das lilahaarige Mädchen, bevor die Tür wieder ins Schloss fiel. Erik stand alleine zurück, doch trotz allem ein wenig glücklich, einen Moment des Glücks neben diesem Mädchen gefunden zu haben.
„Und ich weiss nicht einmal wie sie heisst..."
„Als die Tür schliesslich wieder geöffnet wurde, haben die Diener Zerefs eine kleine violette Babyschlange in den Gang geworfen. Ich habe dich nicht sofort erkannt, erst als du zielstrebig auf mich zugekrochen kamst. Einerseits war ich glücklich, dass du nicht gestorben bist. Andererseits war ich allerdings traurig, dass du kein Mensch mehr warst. Schon damals liebte ich deine Stimme und ich war todunglücklich sie nie mehr zu hören. Daher mein Gebet. Ich wusste nur, dass du aus Joya kommst, nicht mal deinen Namen wusste ich. Also nannte ich dich Cubelios, weil mir dieser Name perfekt für eine Schlange schien. Wir waren immer unzertrennlich gewesen, bis zur Niederlage gegen die Allianz."
Als Cobra die Geschichte fertig erzählt hatte, lehnte er sich auf das Sofa der Lilahaarigen zurück. Der Teil mit dem Versprechen erschien ihm nun natürlich nicht mehr so heldenhaft wie damals. Doch er erinnerte sich gerne an diese Begegnung. Nicht nur weil es eines der seltenen Erinnerungen vom Tower of Heaven war, die auch glücklich war, sondern weil er damals Kinana zum allerersten Mal kennen gelernt hatte. Wenn er betrachtete, wie diese einfache Begegnung zwischen zwei Kinder sich über Freundschaft zu einer tiefen Liebe entfacht hatte, wurde er sofort ein wenig nostalgisch.
Kinana an seiner Seite blieb ruhig. Wahrscheinlich war sie traurig, dass sie sich nicht daran erinnern konnte. Doch er beschloss nicht ihre Gedanken zu hören. Sie würde ihm schon sagen, was sie von seiner Erzählung halten würde.
„Eigentlich haben wir uns schon gekannt... bevor ich in einer Schlange verwandelt wurde", flüsterte Kinana schliesslich, während sie seine Hand fest in ihre presste und sich gegen ihn kuschelte.
„Zumindest für ein paar Minuten", antwortete Cobra. „Sie sind meine schönste Zeit im Tower of Heaven gewesen. Zwar habe ich dich meistens als Schlange gekannt, doch in meiner schönsten Erinnerung an der Zeit vor der Trennung bist du eindeutig noch ein Mensch gewesen."
Kinana antwortete nichts. Sie freute sich einfach, dass sie ihm ein solches wohliges Gefühl geben konnte, vor allem in dieser dunklen Zeit. Während Cobra sie schliesslich sanft küsste schwor sie sich, ihm solche Gefühle weiterhin zu geben.
