Gedankenverloren starrte Rodolphus Lestrange aus dem winzigen Fenster seiner Zelle auf das Meer hinaus. Die Wellen peitschten gegen die Gesteinsküste der Insel und ein eisiger Wind pfiff durch das alte Gemäuer. Der Himmel war verhangen mit grauen Wolkenbergen, die sich bedrohlich zu einem Gewitter auftürmten. Ein Sturm zog auf, hier draußen, weit abgeschieden von der Welt, nichts Ungewöhnliches.
Ein Jahr war mittlerweile vergangen, seit der Krieg endgültig verloren und der Dunkle Lord vernichtet worden war. Ein Jahr, in dem Rodolphus tagein und tagaus nur auf seiner spärlichen Pritsche dagesessen und zum Fenster hinausgestarrt hatte. Er nahm es zur Kenntnis, wenn man ihm das Essen brachte, aber meist ließ er es unberührt liegen. Er hatte seinen Hunger und seinen Appetit schon vor langer Zeit verloren. Er bewegte sich kaum, das sinnlose Hin- und Hergehen auf den paar wenigen Quadratmetern seiner Zelle ödete ihn an.
Sein linker Arm lag reglos neben ihm oder hing nur schlaff an seinem Körper herunter, so als wäre er kein Teil mehr von ihm. Das Dunkle Mal war fast vollständig verschwunden und zu einer Narbe auf seiner Haut geworden. Lang vorbei waren die Zeiten, in denen der Schmerz durch seinen Unterarm ihm neues Leben eingehaucht hatte, weil er an die Seite seines Meisters gerufen wurde, um für ihn zu kämpfen. Sein einziger Lebenssinn war der Dienst für den Dunklen Lord gewesen. Und nun war sein Leben zerstört.
Die Dementoren waren nicht länger die Wachen in Askaban und die Gefangenen erhielten unter dem neuen Ministerium eine deutlich bessere Behandlung, doch Rodolphus war es egal. Es hätte alles beim Alten sein können, es hätte auch ganz anders sein können, er kümmerte sich nicht mehr darum. Er fristete nur sein Dasein, darauf wartend, dass die Qual eines Tages hoffentlich ein Ende nehmen möge. Es gab für ihn ohnehin nichts mehr zu tun. Vor allem gab es keine Aussicht mehr auf eine bessere Zukunft oder Hoffnung. Das war vorbei. Der Dunkle Lord würde nie wieder zurückkehren und es würde diesmal niemanden geben, der ihn und Bellatrix aus Askaban befreien könnte.
Bellatrix…
Rodolphus hatte seine Frau seit knapp einem Jahr nicht mehr gesehen, seit dem Tag ihrer Gerichtsverhandlung und ihrer Einlieferung nach Askaban. Sie hatte ihn nicht angesehen, hatte nicht mit ihm gesprochen. Sie waren nur stumm auseinandergegangen, ohne ein Wort zu verlieren. Er hatte nur die Gewissheit, dass sie am Leben war und irgendwo in einer anderen Zelle saß, denn wäre ihr etwas zugestoßen, hätte man ihn längst darüber informiert.
Er empfand wenig wenn er an sie dachte, nicht erstaunlich, angesichts der Tatsache, dass die beiden schon seit sehr langer Zeit kaum noch irgendetwas verband. Ihre einzige Gemeinsamkeit war ihr Dienst für den Dunklen Lord gewesen. Er hatte sie immer als Partnerin geschätzt, doch hatten sie nie eine liebevolle Beziehung oder Ehe geführt. Rodolphus wusste heute nicht, was er denken sollte. Mit Sicherheit dachte Bellatrix in ihrer Zelle nicht an ihn, sondern an den Dunklen Lord, den sie so leidenschaftlich vergöttert hatte. Für ihren Mann würde sie niemals einen Gedanken verschwenden.
Er wusste nicht, was er deswegen fühlen sollte. Bellatrix war ihm nicht egal, er hatte sogar Angst um sie gehabt, als Molly Weasley sie in der Schlacht schwer verletzt hatte. Er hatte für einen Moment befürchtet, sie würde nicht überleben. Was war er ohne Bellatrix? Die lange Zeit, in der sie verheiratet gewesen waren und Seite an Seite für die gleiche Sache gekämpft hatten, hatte sie ohne Zweifel zusammengeschweißt. Wenn er sie verloren hätte, wäre vermutlich ein Teil von ihm mit ihr gegangen. Sie war immerhin seine Frau und er empfand mehr für sie, als für irgendjemanden, doch was genau, darüber war er sich nicht klar. Er wollte nicht so weit gehen und sagen, dass er ihre Gesellschaft vermisste.
Er wurde durch eine Bewegung aus seinen Gedanken gerissen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass jemand an die Gitter seiner Zelle trat. Es war keine Essenszeit und der Wärter hatte erst vor geraumer Zeit seine Runde gemacht und Besuch bekam er nicht. Dieses doch ungewöhnliche Vorkommnis, ließ ihn für einen Moment aus seiner Starre erwachen und den Kopf in Richtung des Gitters wenden.
Ein junger Mann stand dort, vermutlich ein Auror, daneben jemand vom Ministerium. Rodolphus kannte ihn nicht, er sah nur einen Ausweis an seinem Umhang.
„Mr. Lestrange", sagte der unbekannte Mann. „Wir möchten Sie bitten, uns zu begleiten."
Es dauerte, bis die Bedeutung dieser Worte zu ihm durchgedrungen war.
„Was? Wie bitte? Was soll das? Lassen Sie mich zufrieden."
„Wir werden nicht viel Ihrer Zeit in Anspruch nehmen, wir werden nur ein kurzes Gespräch mit Ihnen führen. Es ist wichtig, also kommen Sie bitte."
Die Gitter wurden aufgeschlossen und der Auror trat mit erhobenem Zauberstab herein. Rodolphus kannte die Prozedur bereits zur Genüge. Ihm wurden Handschellen und Fußfesseln angelegt, damit er nicht fliehen oder jemanden verletzen konnte.
„Wo gehen wir hin?", fragte er, als man ihn aus der Zelle und den Gang entlang führte.
„Nur in das Büro des Aufsehers dieses Stockwerks", erklärte der Ministeriumsbeamte.
Sie verließen den Gefangenentrakt durch eine schwere Tür und gelangten über eine Treppe in einen Gang, in dem sich zahlreiche Büros befanden. Rodolphus erhaschte hier und da einen Blick in die Zimmer, wo Angestellte Verwaltungsarbeit erledigten. Er erkannte, dass einige Akten von Gefangenen bearbeiteten.
Sie steuerten auf einen Raum am Ende des Ganges zu. Der Ministeriumsangestellte klopfte und sie wurden daraufhin von einer männlichen Stimme hereingebeten.
Innen flankierten zwei Auroren als Wächter die Tür. Hinter einem mächtigen Schreibtisch saß ein Mann mittleren Alters, der gerade in die Akte eines Gefangenen vertieft war. An seinem Umhang trug er ebenfalls einen Ausweis des Ministeriums, soweit Rodolphus erkennen konnte aus der Abteilung für magische Strafverfolgung. Zu seiner Verwunderung musste Rodolphus feststellen, dass der Mann seine und die Akte seiner Frau vor sich liegen hatte.
Als die Personen eintraten, schlug er die Mappe zu und sah auf.
„Mr. Lestrange, bitte nehmen Sie Platz", sagte er freundlich und deutete auf die beiden Stühle, die vor dem Schreibtisch aufgestellt worden waren. Der andere Mann und der Auror verließen den Raum sogleich wieder, erschienen aber kurz darauf wieder, diesmal mit einer weiteren Person.
Als Rodolphus sich interessiert umsah, um zu sehen, wer noch kam, stockte ihm halb der Atem. Bellatrix wurde hereingeführt und neben ihn auf den anderen Stuhl gesetzt. Damit hatte Rodolphus am wenigstens gerechnet, ausgerechnet seine Frau wiederzusehen. Es traf ihn völlig unvorbereitet.
Bellatrix schien es genauso zu gehen. Sie warf ihm nur einen kurzen Blick zu, aber tat sonst nichts zum Zeichen, dass der Anblick ihres Mannes irgendetwas in ihr bewegte.
Rodolphus war entsetzt darüber, wie sie aussah. Ihre Haare waren dünn und struppig und hatten einen leichten Grauschimmer angenommen. Sie war blass, ihre Wangen eingefallen. Sie war dünn geworden, regelrecht abgemagert und in ihren Augen lag kein Leben mehr. Die Gefängniskleidung hing wie ein viel zu großer Sack an ihr. Steif und teilnahmslos saß sie neben ihm auf dem Stuhl. Sie war in jeder Hinsicht eine gebrochene Frau.
Er musste tief Luftholen, um ihren Anblick ertragen zu können. Es erschreckte ihn, was aus seiner Frau geworden war. Bellatrix Lestrange war nur noch ein Schatten ihrer selbst.
„Bella… Hey…", sagte er leise.
Sie musterte ihn kurz. „Rodolphus… Lange nicht… gesehen…" Ihre Stimme klang wie ein Reibeisen. Wahrscheinlich hatte sie sie eine Ewigkeit nicht benutzt. Rodolphus sah in ihre dunkelbraunen Augen, in denen einst so viel Leidenschaft geglüht hatte und die jetzt so leer waren. Beinahe hätte er die Leute um sich herum vergessen, bis ihn die Stimme des Ministeriumsbeamten aus seinen Gedanken riss.
„Danke, Sie können dann gehen", sagte er zu seinem Kollegen, der daraufhin nickte und den Raum verließ. Die beiden Auroren blieben zur Sicherheit da. „Nachdem Sie beide jetzt hier sind, können wir beginnen. Wenn ich mich kurz vorstellen darf, mein Name ist…"
„Warum sind wir hier?", unterbrach Rodolphus den Mann und Unmut schwang in seiner Stimme mit. „Was will das Ministerium von uns?"
Der Mann wirkte für einen Moment irritiert, dass er so harsch unterbrochen worden war, fing sich aber schnell wieder.
„Wie dem auch sei", fuhr er fort. „Ich komme aus der Abteilung für magische Strafverfolgung, wie Ihnen wahrscheinlich schon aufgefallen sein dürfte. Der Minister hat mich nach Askaban geschickt, um mit Ihnen zu sprechen."
„Und was soll es zu sprechen geben?", fragte Bellatrix aggressiv. „Ich glaube nicht, dass wir Ihnen irgendetwas zu sagen hätten."
„Das wird sich zeigen", sagte der Mann und lächelte, was Rodolphus ziemlich auf die Palme brachte. Es gelüstete ihn nach seinem Zauberstab. Wär er nicht gefesselt gewesen, hätte man ihn zurückhalten müssen, nicht auf den Mann loszugehen.
„Das Ministerium hat sehr lange über diesen Schritt nachgedacht. Es gab lange und ausführliche interne Besprechungen und Abstimmungen und schließlich hat der Minister seine Zustimmung gegeben", erklärte der Ministeriumsangestellte sachlich. „Ich werde gleich ohne Umschweife zur Sache kommen. Das Ministerium bietet Ihnen die Freiheit an."
Der Mann machte eine Pause und sah abwechselnd von Bellatrix zu Rodolphus. Diese starrten ihn nur beide ungläubig an.
„Wir bieten Ihnen, das heißt den inhaftierten Todessern, die Möglichkeit an, an einem Resozialisierungsprogramm teilzunehmen", erklärte der Mann. „Dies soll dazu dienen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Sie haben die Chance, wieder frei zu kommen, auf Bewährung um genau zu sagen, natürlich unter gewissen Auflagen. Haben Sie Interesse daran?"
Rodolphus hatte dem Mann kaum richtig zugehört, denn es interessiert ihn ohnehin nicht.
„Mr. Lestrange? Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?"
Rodolphus sah auf und begegnete dem Blick des Mannes. „Ich habe kein Interesse daran", sagte er kraftlos.
„Wirklich nicht? Das wäre eine einmalige Gelegenheit. Einige ihrer… ehemaligen Kollegen haben bereits zugesagt. Ihr Bruder im Übrigen auch."
Bei Erwähnung seines Bruders horchte Rodolphus auf. Er hatte Rabastan lange nicht gesehen und hatte sich gefragt, was aus ihm geworden war. Sein Bruder hatte ihm und seiner Schwägerin in seiner Treue zum Dunklen Lord in Nichts nachgestanden. Und nun sollte sich sein Bruder auf einen Deal mit dem Ministerium eingelassen haben?
„Was soll das für ein Programm sein?", fragte er ungehalten.
„Das Resozialisierungsprogramm enthält verschiedene Maßnahmen", erklärte der Ministeriumsangestellte. „Sie werden eine Wohnung in London beziehen und einen Bewährungshelfer an die Seite gestellt bekommen. Sie haben beim Ministerium regelmäßig Meldung darüber zu machen, wohin sie gehen und mit wem sie verkehren. Es gibt auch regelmäßig Treffen, in denen sie lernen werden, in der Gesellschaft zurechtzukommen. Darüber hinaus dürfen sie wenigstens zwei Jahre keinen Zauberstab mit sich führen."
Rodolphus spürte, wie Bellatrix neben ihm einmal tief durchatmete. Der Gedanke daran, keinen Zauberstab zu tragen, ließ Zorn in ihr hochkochen. Rodolphus wusste nicht, was schlimmer war, nicht zaubern zu können, oder die anderen genannten Dinge über sich ergehen zu lassen. Außerdem fragte er sich ernsthaft, ob der Ministeriumsbeamte mit der gemeinsamen Wohnung einen Scherz gemacht hatte. Bellatrix und er hatten sich die letzten fast 30 Jahre ihrer Ehe kaum etwas zu sagen gehabt und waren sich nicht selten aus dem Weg gegangen. In den letzten Jahren des Krieges hatte sich Bellatrix immer mehr dem Dunklen Lord zugewandt, sodass die Ehepartner nichts mehr miteinander zu tun gehabt hatten. Konnte man das, was sie hatten, überhaupt noch als Ehe bezeichnen? Rodolphus musste innerlich grinsen. Er und Bellatrix konnten gar nicht zusammenleben. Sie waren sich fremd und sie mochte ihn nicht. Ihr wirklicher Geliebter war ein anderer, war tot.
„Sind Sie soweit bei mir?"
Rodolphus seufzte, dann räusperte er sich bevor er sprach: „Das ist ganz schön… viel." Mehr viel ihm im Moment nicht ein.
„Ich weiß, aber ich rate Ihnen dringend, darüber nachzudenken. Sie sind zu lebenslanger Haft in Askaban verurteilt. Durch das Programm geben wir Ihnen eine zweite Chance, schlagen Sie das nicht leichtfertig aus, sondern denken Sie wirklich gut darüber nach und treffen Sie Ihre Entscheidung bewusst und wohlüberlegt."
„Was ist, wenn wir uns weigern? Wenn wir nicht mitmachen wollen?", fragte Bellatrix.
„Es zwingt Sie niemand, aber seien Sie versichert, dass es ein einmaliges Angebot ist", sagte der Beamte. „Sollten Sie es wirklich ausschlagen, dann werden Sie bis zum Rest Ihres Lebens hier drin sitzen. Fragen Sie sich, ob Sie das möchten. Wir geben Ihnen eine Woche Bedenkzeit, ist das in Ordnung für Sie?"
Rodolphus überlegte. Das Angebot klang tatsächlich verlockend. Der Gedanke, in Freiheit zu sein, ließ ihn für einen Moment die entwürdigenden Auflagen, die er erfüllen musste, vergessen, und er sah sich bereits als freier Mann draußen. Doch dann meldeten sich sein Stolz und sein Ehrgefühl. Er, einer der treuesten Anhänger des Dunklen Lord, würde sich niemals die Blöße geben. Nicht vor dem Ministerium und erst Recht nicht vor der Gesellschaft draußen, die von Schlammblütern beschmutzt wurde. Er hatte keinen Anlass, sich bei irgendjemandem anzubiedern. Lieber wollte er hier in Askaban verrotten. Er konnte es nicht glauben, dass sein Bruder sich dafür hergegeben haben sollte.
„Eine Woche. In Ordnung?"
„Ja", sagte Rodolphus wie mechanisch.
„Dass Sie es überhaupt wagen, uns danach zu fragen", zischte Bellatrix wütend. „Niemals werde ich das tun, niemals!"
„Das habe ich zur Kenntnis genommen, doch möchte ich Sie sehr bitten, sich alles Gesagte bis nächste Woche doch noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Wir werden Ihnen am kommenden Sonntag auch die Gelegenheit geben, gemeinsam darüber zu entscheiden, was Sie tun werden."
„Und was soll das bringen?", fragte Bellatrix angriffslustig.
„Die Frage bringt mich gleich zum letzten Punkt. Da wäre nämlich noch etwas, das ich beinahe vergessen hätte."
Was konnte noch kommen, fragte sich Rodolphus.
„Sie beide sind verheiratet. Daraus ergibt sich die einzige Bedingung, die sie beide gemeinsam betrifft."
Bellatrix und Rodolphus tauschten einen kurzen Blick miteinander.
„Wir verlangen, dass Sie beide sich zusätzlich einer Eheberatung unterziehen."
Für einen Moment herrschte Stille.
„Was zum… Einer Was bitte?!", fauchte Bellatrix entnervt.
„Einer Eheberatung, ganz recht. Sie werden einmal wöchentlich eine Stunde bei einer Heilerin nehmen, die Therapien für Paare anbietet."
„Na großartig", murmelte Rodolphus.
Zwei Auroren betraten das Büro.
„Wir werden Sie jetzt zurück in Ihre Zellen bringen", erklärte der Ministeriumsbeamte. „Denken Sie über unser Angebot nach. Sie haben eine Woche Zeit."
Der Tag der Entscheidung rückte näher. Hatte Rodolphus am Anfang noch gesagt, er würde sich niemals auf so ein Angebot einlassen, kamen ihm im Laufe der Woche doch immer mehr Zweifel. Der Gedanke, in Freiheit kommen zu können, hatte sich in seinem Kopf festgefressen und ließ ihn nicht mehr los.
Er wanderte in seiner Zelle auf und ab und ging die ganze Sache durch. Wenn er den Vorschlag des Ministeriumsangestellten richtig verstanden hatte, dann ging das Programm wenigstens zwei Jahre, das war eine lange Zeit, aber dennoch überschaubar. In den Treffen oder gegenüber dem Bewährungshelfer war es leicht, einen Wandel vorzuschützen. Solange sie unter Beobachtung des Ministeriums standen, konnten sie sich so verhalten, wie man es von ihnen erwartete, bis sie wieder frei waren. Wenn sie in dieser Zeit keinen Zauberstab tragen durften, war das ein Ärgernis, aber für die Freiheit wollte Rodolphus einiges in Kauf nehmen, selbst das.
Sein eigener Sinneswandel erschreckte ihn. Wie tief war er gesunken, dass er sich auf ein derart schmutziges Spiel einlassen würde? Vermutlich trug eine leise, aber stetig lauterwerdende Stimme in seinem Kopf dazu bei, die ihm immer wieder dasselbe sagte: dass er sich vor nichts und niemandem mehr rechtfertigen musste, dass er kein Märtyrer mehr sein musste. Und dass er für niemanden mehr den Helden spielen musste.
Der Dunkle Lord war endgültig vernichtet und in dieser Richtung gab es für Rodolphus nichts mehr. Wenn er dem noch nachhing, würde er nur noch mehr kostbare Zeit seines Lebens unnütz vergeuden. Die restliche Zeit seines Lebens im Gefängnis für nichts verschenken…
Wenn er seinen Stolz, seine Todesser- und Reinblutehre mal beiseiteschob und die Sache objektiv betrachtete, musste er zu dem Schluss kommen, dass er das nicht wollte. Er wollte frei sein. Also stand insgeheim seine Entscheidung schon fest.
Doch dann fiel ihm die Sache mit der Eheberatung wieder ein.
Er und Bellatrix müssten die regelmäßigen Beratungsstunden über sich ergehen lassen. Das war zugegeben das, was ihn am meisten verärgerte. Selbst die Tatsache keinen Zauberstab tragen zu dürfen, wog weniger schwer, als die Aussicht, mit seiner Frau jede Woche über ihre nichtvorhandene eheliche Beziehung sprechen zu müssen.
Er stand gerade in der Mitte seiner Zelle, als er plötzlich stutzte. Rodolphus hatte seine Entscheidung getroffen, aber er hatte ja keine Ahnung, wie Bellatrix dazu stand. Dabei hatte er sie gerade wie selbstverständlich in seine Überlegungen einbezogen, so als stünde schon fest, dass sie beide gemeinsam an dem Resozialisierungsprogramm teilnehmen würden.
Ein drückender Knoten formte sich in seinem Magen. Er würde vielleicht zustimmen, aber es bestanden doch Zweifel daran, dass sich Bellatrix auf den Deal einlassen würde. Lieber würde sie sterben, als das Ansehen ihres geliebten Lords im Nachhinein zu beschmutzen und sich beim Ministerium die Blöße zu geben.
Das bedeutete, dass er in Freiheit kommen, sie aber in Askaban bleiben würde. Das hieß, er wäre von seiner Frau getrennt, könnte sie wahrscheinlich nur selten besuchen, wenn überhaupt. Das erste Mal, seit der Schulzeit wären die beiden damit wirklich getrennt. Seit Hogwarts waren sie immer zusammen gewesen, hatten alles gemeinsam bestritten, nie hatte jemand auf eigene Faust gehandelt.
Rodolphus konnte sich gar nicht vorstellen, wie ein Leben ohne Bellatrix aussehen könnte. Was er sich allerdings gut bildlich ausmalen konnte, war ihre Reaktion auf seine Entscheidung.
„Was willst du tun?! Du mieser Verräter!", fauchte Bellatrix aufgebracht.
Es war der Sonntag gekommen, der Tag, vor dem Rodolphus am meisten Angst gehabt hatte. Man hatte ihn und Bellatrix zusammen in eine Zelle gebracht, damit sie sich gemeinsam über den Vorschlag des Ministeriums besprechen konnten. Wie zu erwarten, reagierte Bellatrix nicht mit Wohlwollen auf Rodolphus´ Entschluss, an dem Programm teilzunehmen.
Sie fluchte und keifte und rannte wie eine wildgewordene Furie in der Zelle auf und ab.
„Niemals, niemals werde ich mich darauf einlassen! Du enttäuschst mich! Wie tief bist du gesunken, Rodolphus?!", fragte sie wütend.
Rodolphus war um Worte verlegen. Was sollte er auch sagen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte er ihr zugestimmt, doch Dinge änderten sich.
„Du hast doch gehört, was der Mann gesagt hat. Rabastan und ein paar andere sind bereits drin."
„Es ist mir völlig egal, was die anderen oder dein verdammter Bruder machen!", entgegnete sie wutentbrannt. „Ihr seid ein Haufen Verräter und Versager! Ihr habt keinen Stolz! Wie könnt ihr es wagen, den Dunklen Lord zu verraten?! Wie kannst du es wagen, Rodolphus?! Du bist ein… ein Versager, eine Enttäuschung!"
Rodolphus war es durchaus gewöhnt, dass sie ihn beschimpfte, doch diesmal traf es ihn härter als in der Vergangenheit. Er trat auf sie zu und wollte sie an der Schulter fassen, doch sie entwand sich seinem Griff und stieß ihn von sich. Es war beängstigend wie knochig sie geworden war.
„Lass mich! Fass mich nicht an! Geh doch, wenn du unbedingt willst, aber lass mich!", giftete sie ihn an.
„Bella… Überleg doch bitte nochmal. Das ist ein… ein gutes Angebot. Wir können rauskommen! Hast du das eigentlich verstanden?", fragte er sanft.
„Es interessiert mich nicht, was es ist. Ich will es nicht! Was würde der Dunkle Lord von mir denken?" Den letzten Satz murmelte sie mehr zu sich selbst. Rodolphus glaubte, ein verräterisches Glitzern in ihren Augen sehen zu können.
„Bella, er Dunkle Lord ist tot. Er kann nichts mehr sagen und es ist ihm egal. OK? Verstehst du das, Bella?"
„Hör auf!", schrie sie und jetzt hatte sie Tränen in den Augen. „Was ist aus dir geworden?! Es gab mal Zeiten, da hättest du anders geredet! Da hättest du mich unterstützt! Jetzt bist du nur noch eine Marionette von denen! Haben die dir eine Gehirnwäsche verpasst, dass du nach ihrer Pfeife tanzt?!"
„Bella, nein, ich versichere dir, dass… Bella, wir können hier raus, verstehst du nicht? Hast du mal darüber nachgedacht, was das bedeutet? Wir könnten wieder in unser altes Haus! Wir wären frei! Wir könnten wieder tun, was wir wollen! Wir müssten nicht mehr in Askaban sitzen für den Rest unseres Leben!"
„Hast du denen zugehört, Rodolphus?! Wir müssen wie schmutzige Muggel ohne Zauberstab leben! Und dann dürfen wir denen was vorheucheln, wie wir uns geändert hätten! Ich spucke darauf! Und was soll dieser Unsinn mit der Eheberatung?!"
„Bella, das Programm geht zwei Jahre, vielleicht auch etwas länger", sagte Rodolphus, aber seine Hoffnung, er könne Bellatrix überzeugen, sank von Minute zu Minute. „Das ist nicht lange, wir können das schaffen. Wir spielen ihnen ein bisschen was vor und dann ist es vorbei und wir sind frei! Dann können wir irgendwohin gehen… Nur wir beide."
Sie schnaubte. „Was soll werden, Rodolphus? Der Dunkle Lord ist weg! Verstehst du? Was sollen wir beide?! Es gibt keine Hoffnung mehr…" Ihre Stimme versagte.
„Bella, ich werde denen morgen sagen, dass ich an dem Programm teilnehmen werde", sagte Rodolphus entschieden. „Ich… habe meine Entscheidung getroffen. Ich möchte, dass du mich begleitest. Ich möchte nicht, dass du hier allein bleibst. Die anderen haben auch…"
„Es interessiert mich nicht, was du tust oder was irgendein anderer macht! Ihr seid alle Verräter", sie bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick, so als ekle sie sich vor ihm. „Ich kann nicht fassen, dass du so redest. Verschwinde bloß und lass mich zufrieden!"
„Bella, ich bitte dich, denk nochmal darüber nach", flehte Rodolphus. „Ich will dich nicht hier allein zurücklassen. Ich weiß, das passt dir nicht, aber… Es… der Dunkle Lord ist… nicht mehr hier und… in dieser Richtung gibt es nichts mehr für uns. Wir müssen… nach vorne sehen und diese Chance sollten wir nicht verstreichen lassen. Die bieten uns die Freiheit an."
„Ich bin nicht auf Almosen von denen angewiesen", sagte sie, verschränkte die Arme und drehte ihm den Rücken zu.
Rodolphus unterdrückte sein Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen.
„Wenn das deine Entscheidung ist, dann… muss ich das respektieren", sagte er schweren Herzens. „Ich hätte nur gedacht, dass… du vielleicht vernünftiger bist. Wir haben noch bis übermorgen Zeit, uns zu entscheiden. Vielleicht… denkst du ja nochmal darüber nach. Sonst… ist das wohl ein Lebwohl."
Ihr Kopf zuckte kurz in seine Richtung.
„Dann werde ich gehen, dann werden wir uns… nicht mehr wiedersehen. Auch wenn wir… nicht viel hatten, du bist immerhin meine Frau und ich hätte mir gewünscht, dass… wir das gemeinsam machen… Aber es soll wohl so sein."
Er gab dem Auroren draußen ein Zeichen, dass ihr Gespräch beendet war. Rodolphus warf Bellatrix einen letzten Blick zu, dann wurde er zurück in seine Zelle gebracht.
Der Tag der Entscheidung war gekommen. Rodolphus teilte dem Ministerium seinen Wunsch, an dem Resozialisierungsprogramm teilzunehmen, erst mündlich mit, dann musste er ein Dokument unterzeichnen. Er packte die paar wenigen Sachen, die er besaß, zusammen und wurde aus seiner Zelle gebracht.
Draußen warteten bereits die Boote, die ihn zum Festland bringen würden. Von da aus würde es weiter nach London gehen, erst ins Zaubereiministerium, wo er den Bewährungshelfer treffen und der formelle Teil erledigt werden würde, und dann in sein neues Zuhause.
Er unterschrieb die Entlassungspapiere, dann führten ihn die Auroren in die Eingangshalle. Was er dort sah, überraschte ihn aber.
Bellatrix wartete dort.
