Diese Geschichte schließt direkt an die Episode "Operation Susie" an


Hagel, Regen, Fetzen von blauem Himmel - all dies wechselte sich an diesem Morgen über London ab. Nicht gerade das ideale Wetter, um jemanden aufzuheitern, schon gar keinen depressiven CI 5-Agenten.

Ray Doyle hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Er saß grübelnd in seiner Sofaecke, seit er seine Wohnung betreten hatte. Immer wieder ging ihm der gestrige Tag durch den Kopf. Diana Molner – sie war noch so jung gewesen! Studentin – welches Fach? Doyle dachte nach, wusste es aber nicht mehr. Er vermutete, es war Biologie. Und nun war sie tot, ohne eine Chance, ihr Leben zu leben. Aber sie hätte noch leben können, wenn.... ! Bei diesem "Wenn" spielten Doyles Gefühle Achterbahn: Frustration, Trauer, Resignation, Wut. Wut vor allem auf George Cowley. Er war der einzige gewesen, der gewusst hatte, wo ihr Versteck war – er hatte sie verraten! Und das nicht zum ersten Mal. Doyle konnte verstehen, warum sein Partner Bodie niemandem vertraute außer vielleicht ihm, Doyle?

Der müde Agent seufzte und blickte sich in seiner Wohnung um - auch hier herrschte Chaos. Der leere Sixpack fiel kaum ins Gewicht, aber teilweise standen noch Kisten herum vom letzten Umzug – und der lag ein halbes Jahr zurück. In der Ecke staubte die Staffelei mit dem angefangenen Gemälde vor sich hin. Wann hatte er es begonnen? Auf jedem freien Platz in der kleinen Wohnung Akten, Berichte über neueste Waffensysteme und und und... kurzum, er hatte für nichts Zeit, nicht brachte er zu Ende. Ständig auf Trab wegen Cowley und der Staatssicherheit – und wozu? Die großen Gangster gingen ihnen eh durch die Lappen – "Diplomatische Immunität", dämliches Wort!

Doyles Blick fiel auf die Uhr. Zeit ins Hauptquartier zu fahren. Er fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Kinn. Sollte er sich noch rasieren... egal, hatte seinen Entschluss gefasst. Und nichts würde ihn davon abbringen.


Bodie sah gleich die Anspannung im Gesicht seines Partners. Dunkle Ringe unter den Augen, die Locken noch wilder als sonst und die unrasierten Stoppeln im Gesicht sprachen von einer unruhigen Nacht.

Doyle wollte schon wortlos an ihm vorbeistürzen, als Bodie ihn aufhielt. "Hey, Freund!"

"Bodie! Vergiss es, ich will nicht mit dir reden!" presste Doyle zwischen den Zähnen hervor. Dann ging er zielstrebig auf die Tür seines Chefs zu.

Unheil ahnend folgte ihm Bodie.

Ohne anzuklopfen stürmte Doyle in das Büro. Cowley blickte auf. Er war von diesem Auftritt nicht sonderlich überrascht, zu gut kannte er dazu seinen Topagenten. Cowley nahm die Lesebrille von der Nase und lehnte sich erwartungsvoll zurück. Er konnte Doyles Wut gut verstehen.

Dieser wurde durch die Ruhe seines Gegenübers noch wütender. Bevor jemand ein Wort sagte, zog Doyle seine Waffe aus dem Schulterhalfter, schnappte seine ID-Card und knallte beides auf Cowleys Schreibtisch.

Bodie betrat in diesem Augenblick das Büro. "Doyle, was tust du da?"

"Ich kündige!" war alles, was Doyle noch brüllen konnte, bevor sich seine Stimme überschlug.

Ein flaues Gefühl breitete sich in Bodies Magen aus. Er wechselte einen Blick mit Cowley. Dieser atmete tief durch. "Doyle, ich hatte gestern keine andere Wahl....."

Bevor er weiterreden konnte, unterbrach ihn der wütende Mann. "Erzählen Sie das jemand anderem, Sir! Das haben Sie schon gestern gesagt! Ich bin es einfach Leid!" Doyle holte tief Luft. "Ständig muss man die Gangster mit Samthandschuhen anfassen, wegen pplitischer Konsequenzen. Und uns fliegen die Kugeln um die Ohren." Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu. "Und Unschuldige sterben dabei! Ich gehe! Und keiner.." Dabei blickte er mit seinen brauen Augen Bodie warnend an, "..wird mich aufhalten!" Doyle drehte sich um und bevor einer der anderen reagieren konnte, hatte er das Büro verlassen.

Bodie sah bestürzt hinterher. Für einen Moment war er nicht fähig, in irgend einer Weise klar zu denken. Nur dunkel drang Cowleys Stimme zu ihm durch. "Das war früher oder später zu erwarten, Bodie." Täuschte sich Bodie oder war da ein trauriger Unterton? Überrascht blickte er Cowley an. Dieser fuhr fort. "Doyles persönliche Ideale und der Job. Es hat mich immer verwundert, wie er das auf einen Nenner brachte."

"Wollen Sie ihn einfach so gehen lassen, Sir?" fragte Bodie.

Cowley seufzte. "Was soll ich machen? Nach dem gestrigen Tag...."

"Vielleicht sollte ich mit ihm reden," schlug Bodie vor.

Sein Chef schüttelte traurig den Kopf. "Ich fürchte, dieses Mal meint er ernst. Wenn Sie an seine Freundschaft und Pflichterfüllung appellieren, machen Sie es nur schlimmer. Es würde nicht lange dauern, dann wäre er wieder an diesem Punkt."

Bodie sah das schweren Herzens ein. Der "Alte" hatte Recht! Ihm fiel ein Satz ein, den er zu Cowley einst gesagt hatte. "Wenn irgendwo eine Bombe explodiert, meint Doyle, er hätte das Schiesspulver erfunden!" Er war damals selbst überrascht gewesen, dass Doyle nach dem Attentat auf sich weiter gearbeitet hatte. Während Doyle im Koma gelegen hatte, hatte Bodie gebetet, dass sein Lebenswille über die Resignation siegen würde. Er hatte – aber zu welchem Preis? War es Egoismus gewesen, dass er Doyle dazu überredet hatte, in den aktiven Dienst zurück zu kehren? Er hatte nicht seinen Partner verlieren wollen, den einzigen Freund, der ihn mit all seinen Fehlern akzeptierte. Diese Erkenntnis traf den sonst so auf sein unnahbares Äußeres bedachten Agenten ins Mark. Es fiel ihm auf, dass er lange Zeit in seinen Gedanken versunken, schweigend in Cowleys Büro gestanden hatte. Der "Alte" hatte ihm die Chance gegeben, seine Gedanken zu ordnen. Bodie sah ihn direkt an. "Wie soll es jetzt weiter gehen?"

Cowley dachte nach. "Ich denke, dass Sie den Bericht von gestern schreiben. Danach können Sie sich frei nehmen!"

Bodie verließ Cowleys Büro. Er ging in das Zimmer, das er bisher mit Doyle geteilt hatte. Schon jetzt überkam ihn eine tiefe Traurigkeit. Da stand noch Doyles Kaffeetasse. All die Kleinigkeiten, Spuren von Doyles Anwesenheit. "Mensch, Partner", murmelte Bodie, hoffentlich überlegst du es dir noch! Du kannst mich doch nicht hier sitzen lassen!"

Cowley war nachdenklich in seinem Büro zurückgeblieben. Er konnte Doyle wirklich nach dem gestrigen Fiasko gut verstehen. Aber es machte ihm zu schaffen, wie Bodie das Ganze verarbeitete und ob wenigstens er bliebe. Zwei Agenten auf einmal zu verlieren, dass konnte sich der CI 5 nicht leisten. Trotz aller Möglichkeiten, aus allen Eliteabteilungen des Landes zu wählen, waren doch immer wieder Stellen im Haus unbesetzt. Männer wie Doyle oder Bodie wuchsen nun mal nicht auf Bäumen.


Doyle war in seine Wohnung zurückgekehrt. Die Fahrt durch die Straßen Londons hatte ihn etwas ruhiger werden lassen. Mit Bedauern stellte er fest, dass er den Escort RS2000 zurück werde geben müssen. Es war schließlich ein Auto, dass ihm vom CI 5 nur zur Verfügung gestellt worden war. Nun gut, er würde wieder auf seinen lieben alten Golf umsteigen. Gegen die Deutschen mochte man sagen, was man wollte, aber Autos bauen konnten sie! Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, warf er die Schlüssel auf die Kommode. Er ging in die Küche und machte sich erst mal einen Kaffee. Einen Schuss Milch, 4 Stück Süßstoff. Bodies leise Stimme schlich sich in seine Gedanken. "Bei so viel Süßstoff würde es doch langen, dir heißes Wasser hin zu stellen. Man schmeckt doch kaum einen Unterschied!" Bodie! Doyle setzte sich auf seinen Sessel. Schwere Gewissensbisse plagten ihn. Sein Partner, er korrigierte sich selbst: sein Ex-Partner fühlte sich bestimmt von ihm verraten. Und er hatte Recht damit – Doyle ließ ihn im Stich!

Der junge Mann zitterte innerlich. Er stand auf und füllte sich nun einen Whisky ein, dann zog er die Schublade auf und holte das Päckchen Zigaretten, das er vor Monaten für alle Fälle dort verstaut hatte, hervor...

Ein paar Stunden später waren die Zigaretten alle, die Whiskyflasche halbleer und Doyle lag verkatert auf der Couch. Mit einer Hand fuhr er sich durch die Locken. Oh Hell, er konnte mal wieder einen Friseur gebrauchen. In seinem Adressbuch suchte er die Nummer von Margaret hervor. Er wählte und Margit meldete sich nach dem zweiten Klingeln. "Hallo, Margit!"

"Oh, Ray! Lange nichts von dir gehört. Ich dachte schon, du hättest einen neuen Friseur." Margaret Stimme klang fröhlich.

"Nein, ich hatte nur wenig Zeit! Hast du mal einen Termin für mich?"

"Klar, du hast Glück! Gerade hat ein Kunde abgesagt. Sagen wir - in einer Stunde?"

Doyle bestätigte den Termin und legte auf. Er sah an sich herunter. Er hatte wohl gerade noch Zeit, zu duschen.


Margaret sah Doyle später trotzdem entsetzt an. "Mann, du hast wirklich einen Schnitt nötig!"

Doyle nickte. "Sag mal, können wir nicht mal was Neues ausprobieren?"

"Schon, woran hast Du gedacht?"

"Überleg dir was. Auf jeden Fall was pflegeleichtes!"

Margaret schluckte. "Aber deine schönen Locken!"

"Keine Widerrede!" bestimmte Doyle.

"Nun gut, vertraust du mir?" Doyle sah sie fragend an, blieb aber stumm. "Dann lass dich überraschen!"

Kurze Zeit später lagen auf dem Boden eine Menge Haare und Doyle bekam einen Schock, als er sich im Spiegel sah. Seine Haarpracht war – weg! Statt dessen war ein cooler Kurzhaarschnitt entstanden. Und Margaret hatte ihn blond gefärbt!

"Wow, so würde mich nicht mal meine eigene Katze erkennen!" Auf den zweiten Blick gewöhnte sich der junge Mann an sein Aussehen.

"Es passt gut zu deinen blauen Augen!" meinte Margaret. Sie war zufrieden mit ihrem Werk. "Das wollte ich schon immer mit dir machen."

Nachdem er bezahlt hatte, trat Doyle auf die Strasse. Wie war das mit alten Zöpfen? Das genaue Sprichwort fiel ihm nicht ein, aber das machte nichts. Es war Zeit, einiges zu ändern – bei seinem Aussehen hatte er begonnen!


Bodie wählte zum wiederholten Mal Doyles Nummer, aber bevor er die letzte Ziffer durchrollen ließ, legte er wieder auf. Zwei Wochen waren vergangen. Cowley hatte ihn mit Arbeit eingedeckt. Einen neuen Partner hatte er nicht bekommen, Cowley wusste, es war noch zu früh. Bei Bedarf wurde ihm Murphy zugeteilt. Dieser war ein angenehmer Kollege. Murphy kannte Bodie gut genug, um nicht an der Geschichte mit Doyles Kündigung zu rühren. Die anderen Agenten hatten sich an Bodies ernstes Verhalten gewöhnt. Er, der gerne mit Witzen und allerhand Schabernack die anderen zum Wahnsinn trieb, arbeitete ruhig und gewissenhaft an seinen Fällen. Auch hatte Cowley keinen Grund, Bodie zurecht zu weisen, was in der Vergangenheit oft geschehen war. Es war, als würde ein programmierter Roboter die Arbeit machen.

Bodie holte seine Jacke aus dem Spind. Er blickte hinüber zum Schreibtisch. Doyles Sachen lagen immer noch so da, wie an dem Tag, als er seine Kündigung bekannt gegeben hatte. Er hatte sich nicht einmal mehr blicken lassen und Bodie verspürte nicht den Drang, die Sachen zusammen zu packen. Er hoffte immer noch, sein Partner würde zurückkommen. Der Escort hatte zwei Tage später, vollgepackt mit den Akten, auf dem Parkdeck gestanden. Ohne einen Kommentar hatte der Umschlag mit Wagenpapieren und Schlüsseln im Nachtbriefkasten des Office gelegen. Also schien es Doyle sehr ernst zu sein. Er hatte das Auto geliebt; es herzugeben, war ihm sicher schwer gefallen. Aber dass Doyle sich nicht bei ihm meldete? Vielleicht wusste er, dass er ihn zum Zurückkehren überreden versuchen würde? Bodie seufzte, er war müde. Seit Stunden hatte er mit Murphy an einem Fall recherchiert. Das einzige, was er noch wollte, war, nach Hause zu fahren, um zu schlafen. Er fühlte sich total ausgepumpt und er wusste, dass dieses Gefühl auch morgen früh noch da sein würde.


Doyles Wohnung sah noch katastrophaler aus als sonst. Die "Times" lag überall herum. Die Seiten mit den Wohnungsanzeigen und Stellenangeboten stapelten sich neben seinem Schreibtisch. Ungespülte Kaffeetassen und überquellende Aschenbecher waren überall verteilt. Jamie, der freche, kleine Kater, machte sich einen Spass daraus, die Zeitungen in Fetzen zu reißen, was ihm ab und zu einen Pantoffelwurf seines Herrschens eintrug.

Doyle saß auf dem Boden und hielt ratlos ein Kabel in der Hand. Von seinen Ersparnissen hatte er sich eine dieser praktischen Reiseschreibmaschinen gekauft. Vielleicht hätte er auch eine Sekretärin kaufen sollen... das mit dem Tippen war noch nie seine Leidenschaft gewesen... dafür gab es beim CI5 so reizende Wesen wie Ruth oder Betty... egal, Vergangenheit. Seufzend spannte er ein weißes Blatt Papier ein, dann legte Doyle los. Jamie legte sich auf die Heizung, der einzige Platz, der noch frei war und sah ihm mit seinen Katzenaugen zu.

Nach etwa zwei Stunden war Doyle mit drei Bewerbungen fertig. So richtig wusste er nicht, was er in die Bewerbungen reinschreiben sollte. Immerhin hatte er mehrere Anzeigen von Sicherheitsdiensten gefunden... aber seine Zeit beim CI5 angeben? Doyle seufzte und nahm sich die Wohnungsanzeigen vor. Es war schon erschreckend, was Vermieter auf dem freien Wohnungsmarkt verlangten. Er las sich die Anzeigen noch einmal durch: 90m², 2 Zimmer, Dusche/WC, Einbauküche 460 Pfund + 150 Pfund Nebenkosten! Das überstieg eindeutig seine finanziellen Mittel. Zumal 2 Monatsmieten als Kaution verlangt wurden. Dann stutzte er und sah sich die nächste Anzeige an... diese hörte sich gut an: Kleines Häuschen, ländliche Lage, 2 Zimmer, Bad, Küche, Stellplatz, 57 m². 330 Pfund Kaltmiete + 50 Pfund Nebenkosten. Er beschloss, das Haus anzusehen. Es lag draußen in Heathrow.


Am Abend hatte Bodie beschlossen, Lisa auszuführen. Er war schon lange nicht mehr mit ihr ausgegangen. Um sie zu versöhnen, bestellte er einen Tisch im "La Gondola". Er wusste, Lisa liebte dieses kleine italienische Restaurant. Nachdem sie vom Kellner an den Tisch geführt worden waren, bestellte Bodie einen exzellenten Rotwein für seine Begleiterin und für sich ein Pint Bier.

Lange Zeit führte Lisa die Konservation alleine, bis es ihr zu bunt wurde. Bodie hatte nur mit dem Nötigsten geantwortet. Es schien, dass er mit seinen Gedanken meilenweit weg war.

"Hey, du hörst mir gar nicht zu", bemerkte Lisa.

Bodie sah sie an. "Ich höre dir zu!"

"Aber du hörst nicht den Inhalt meiner Worte!" Lisas Stimme wurde leise. "Vielleicht solltest du mit mir darüber reden?"

Ein Gefühl von Ärger brandete in Bodie hoch. Mürrisch fragte er. "Und worüber?"

"Zum Beispiel das, was dich beschäftigt?" Lisa wagte einen Vorstoß.

Bodie nahm das Besteckmesser in die Hand und fing an, damit auf den Tisch zu trommeln. "Es beschäftigt mich nichts!"

"Aber Bodie..."

Wutentbrannt sprang Bodie plötzlich auf. Lisa zuckte zusammen. Mit unkontrollierter lauter Stimme raunzte Bodie sie an. "Ihr Weiber könnt auch nur rumzicken! Ich habe einen langen Tag hinter mir. Wenn es dir nicht passt, mit mir einfach nur Essen zu gehen Psychologen-Nummer zu kommen, dann lass es!"

Lisa sah ihn entsetzt an. Ihr wurde peinlich bewusst, dass sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der anderen Gäste standen.

Bodie war in Fahrt und fuhr unbeirrt fort. "Du bist weder mein Beichtvater noch mein Seelenklempner!" Er warf das Messer auf den Tisch. Dann drehte er sich ohne weiteren Kommentar um und stampfte Richtung Ausgang. Der Kellner, der mit ihren Getränken von der Bar kam, konnte gerade noch ausweichen. Lisa sank auf ihrem Stuhl zusammen. Die anderen Gäste sahen sie mitleidig an.

An einem kleinen Tisch in der hinteren Ecke des Restaurants hatte Doyle Bodies Ausbruch mitverfolgt. Er blickte seinem Freund hinterher, ohne Anstalten zu machen, sich zu erkennen zu geben. Es war ihm klar, dass Bodie ihn auf Grund seines veränderten Aussehens nicht erkannt hatte. Bodie war in seinen Zornausbrüchen wie mit Scheuklappen versehen – er sah und hörte nichts, was außerhalb seines Interesses lag. Doyle seufzte. Er knüllte die Servierte zusammen, nahm sein Glas Wein und ging zu Lisas Tisch. Der Kellner blickte Doyle unsicher an, ob er die Getränke noch ausliefern sollte. Doyle nickte ihm aufmunternd zu und der Kellner verzog sich dankbar wieder, nachdem er die Gläser abgestellt hatte.

Als Doyle sich auf den verwaisten Stuhl setzte, blickte Lisa verwundert auf. Tränen schimmerten in ihren Augen. "Was, wer.. ?"

"Keine Angst! Ich bin Ray Doyle. Ich bin ein alter Freund von Bodie und habe den Streit leider mitbekommen." Doyle nahm tröstend Lisas Hand. "Ich glaube, ich kenne den Grund, warum Bodie so wütend ist." Er erzählte Lisa mit knappen Worten, was vor einigen Wochen passiert war und welche Rolle er selbst dabei gespielt hatte. Ihm wurde bewusst, dass es gut tat, mit jemanden darüber zu sprechen.

Lisa indes hörte interessiert zu, ab und an stellte sie eine Frage, damit sie die Zusammenhänge besser verstand. Die Zeit verflog. Später am Abend übernahm Doyle die Rechnung und fuhr Lisa nach Hause. Auf dem Weg in seine eigene Wohnung ließ er den Abend noch einmal Revue passieren. Sein schlechtes Gewissen gegenüber Bodie verstärkte sich, aber ärgerlich versuchte er, es zu unterdrücken.


Am nächsten Morgen fuhr Doyle die Straße nach Westen Richtung Heathrow. Der Vermieter des kleinen Häuschens hatte am Tag zuvor mit ihm einen Termin vereinbart. Die Sonne schien und Doyles Laune war ein bisschen besser als die Tage zuvor. Schnell hatte er die Innenstadt hinter sich gelassen und die Gegend wurde ländlicher. Er fuhr an einigen kleinen Ortschaften vorbei und fand auch schnell die Ausfahrt an der M25. Die Highstreet war klein, nur ein paar Häuser standen hier. Das Haus Nr. 11 war schnuckelig und Teil eines Doppelhauses. Der nächste Nachbar war ca. 20 Meter entfernt und direkt gegenüber hielt jemand ein paar Hühner. Der Vermieter wartete schon auf Doyle. Er zeigte dem jungen Mann das Haus. 2 Zimmer auf zwei Ebenen, eine Einbauküche, Stellplatz und ein kleiner Schuppen. Gut, das Bad hatte hässliche grüne Fliesen, aber das störte Doyle weniger. Dafür hatte es zumindest eine Badewanne. Der nahe gelegene Flughafen störte auch kaum. Doyle glaubte, hier seine Ruhe zu finden. Hier kannte ihn niemand, eventuelle Feinde seiner Vergangenheit würden ihn hier schwerlich finden – ebenso die Freunde, denen er gerade aus dem Weg ging. Schnell wurde er mit dem Vermieter einig.

Auf dem Rückweg fiel ihm auf, dass sein Tank fast leer war. Die nächste Tankstelle ließ nicht lange auf sich warten... er hielt und tankte. Der Besitzer der Tankstelle sah freundlich aus. Er fragte Doyle, ob er vielleicht noch Öl bräuchte. Doyle verneinte und wollte schon wieder gehen, als ihm etwas einfiel.

"Entschuldigung, Sir. Ich ziehe gerade hier in die Nähe. Sie wissen nicht zufällig, ob es hier in der Gegend Arbeit für mich gibt?"

Der ältliche Tankwart setzte ein Lächeln auf. "Nun ja, kennen Sie sich mit Autos aus?"

Doyle erwiderte das Lächeln. "Ja, eigentlich schon."

"Ich suche schon seit Wochen jemanden, der mir hier hilft."

Doyle überlegte laut. "Wie meinen Sie das?"

"6 Tage lang 8 Stunden hier bedienen.Tanken, Abrechnen und ab und zu kleinere Reparaturen in der Werkstatt. Die Bezahlung ist gut, für diese Gegend."

Doyle war interessiert. Er handelte mit dem Tankwart einige Details aus und schon hatte er eine Arbeit. Die nächsten Einkünfte waren gesichert. Doyle fuhr in seine alte Wohnung zurück.


Ein paar Tage später stand der Umzugslastwagen vor der Tür von Doyles alter Behausung. Das Einpacken seiner Habseligkeiten war schnell von Statten gegangen. Ab und an hatte er in letzter Zeit mit Lisa telefoniert, die ihm berichtete, dass Bodie schon am nächsten Tag mit Blumen vor der Tür gestanden hatte, um sich für die Szene im Restaurant zu entschuldigen. Doyle musste grinsen, Bodie und Blumen, dass passte eigentlich gar nicht. Hatte er nicht einst bei seiner Affäre mit Ann einen Vortrag von Bodie zu hören bekommen über das "sentimentale Gemüse"? Aber es tat gut, dass Lisa ihm von Bodie erzählte. So hielt er wenigstens indirekt Kontakt zu seinem Freund. Wenn die Zeit reif war, würde er sich selbst bei ihm melden.

Doyle klingelte bei seiner Nachbarin und gab ihr die Wohnungsschlüssel. Den Transportkäfig mit dem fauchenden Kater darin in der Hand ging er ein letztes Mal die Treppe hinab und trat auf die Straße. Er blickte sich um. Worauf wartete er? Er wusste es selbst nicht. Er bestieg das Führerhaus des LKWs und setzte sich auf den Beifahrersitz, um den Fahrer zu seinem Ziel zu dirigieren.

Kaum war der LKW um die Ecke gebogen, als ein silberfarbener Capri heranfuhr und in die freigewordene Parklücke lenkte. Bodie stieg aus. Auf seinen Armen balancierte er einen Karton. Endlich hatte er den Mut gefasst, Doyles Sachen zusammenzupacken und so seinem Freund entgegen zu kommen. Doch auf sein Klingeln öffnete niemand. Gerade als er wieder gehen wollte, kam Doyles Nachbarin zur Tür heraus. Sie schien gerade einkaufen gehen zu wollen. Sie erkannte den Mann, der so verloren vor dem Haus stand.

"Sie wollen zu Mr. Doyle?"

Bodie wandte sich ihr hoffnungsvoll zu. "Ja, ist er nicht da?"

"Och, das ist Pech, junger Mann. Sie haben ihn nur kurz verpasst! Er ist vor einer halben Stunde ausgezogen!"

Bodie starrte sie entgeistert an. Das konnte nicht wahr sein! Auf seine Frage, ob sie wisse, wohin, verneinte die gute Frau. Ohne ein weiteres Wort schritt Bodie zu seinem Auto zurück. Seine inneren Gefühle waren widersprüchlich: Wut auf Doyle, Wut auf sich selbst, Wut auf Cowley und den Rest der Welt! Sein bester Freund fort – ohne ein Wort, ohne eine Spur! Bodie öffnete die Capritür und knallte den Karton auf den Beifahrersitz. Ein Klirren ließ vermuten, dass bei der rüden Behandlung die Kaffeetasse kaputtgegangen war. Aber Bodie kümmerte es wenig. Er ließ den Motor an und fuhr davon.


Doyle lebte sich in dem kleinen Ort schnell ein. Als er fertig eingerichtet war, freundete er sich mit den Nachbarn an. Auch Jamie fand es paradiesisch. Über eine Katzenklappe, die zu einer kleinen Treppe an der Außenmauer führte, konnte der Kater endlich kommen und gehen, wie es ihm beliebte. Ein alter Freund vom CID aus der Spurensicherung, der zufällig auf einem kleinen Bauernhof nur 2 Ortschaften weiter wohnte, hatte Doyle diese Treppe gebaut. Tagsüber, wenn Doyle an der Tankstelle arbeitete, saß Jamie hoffnungsvoll am Fenster und hielt nach Bella Ausschau. Bella war die Hündin von nebenan, mit der er sich angefreundet hatte, natürlich nicht uneigennützig, Bellas Frauchen verwöhnte den Kater mit Milch und anderen Leckereien.

Die zweijährige Tochter eines Pärchens in Doyles Alter hatte sich in Jamie verliebt und fragte ständig nach ihm. In Tina und Norman hatte Doyle Freunde gefunden, die sein Interesse an irischer Musik teilten. Kurzum, Doyle hatte das idyllische Leben gefunden, das er schon lange gesucht hatte – weit ab von Mord, Totschlag und Blutvergießen.

Die Arbeit an der Tankstelle war einfach. Schon nach kurzer Zeit bemerkte Mr. Benton, dass ihm nichts besseres hätte passieren können, als Doyle einzustellen. Es schien, als würden speziell die jungen Frauen der Gegend sich öfter an der Tankstelle treffen, nur um mit dem gutaussehenden Junggesellen zu quatschen. Doyle lachte nur darüber. Er genoss sichtlich das ruhige Leben. Eine geregelte Arbeitszeit, ein freier Sonntag, Kontakt mit anderen – "normalen" – Menschen und Zeit, sich um seinen Kater zu kümmern und seinen Hobbys nachzugehen. Das Gemälde war endlich fertig und hing in seinem kleinen Wohnzimmer.

An einem sonnigen Samstag Nachmittag hielt ein silbermetallicfarbener BMW, aus der 7er-Reihe, an der Zapfsäule. Doyle bereitete sich gerade auf seinen Feierabend vor und zählte die Umsätze. Dabei pfiff er leise vor sich hin. Ein Mann stieg aus dem BMW, füllte den Tank und betrat den Verkaufsraum.

"Einmal die Nr. Zwei und eine Tageszeitung". verlangte der Mann.

Doyle betätigte die Abrechnungstaste, reichte dem Mann die gewünschte Zeitung und stutzte kurz. Der Mann war ca. 50 Jahre alt, 1,80 groß und dunkelhaarig. Schnell hatte sich Doyle wieder gefangen. "Kann es sonst noch was sein?" fragte er mit ruhigem Ton.

Der Mann verneinte.

"22 Pfund 45 macht es dann!" Doyles Gedanken flogen förmlich. Was sollte er jetzt tun? Der Mann bezahlte und verließ den Raum. Als er davon fuhr, notierte sich Doyle die Autonummer. Der Ex-Agent überlegte scharf. Konnte es wirklich sein? An einem so abgelegenen Platz dem Anführer einer Widerstandsbewegung zu begegnen? So ein Pech konnte aber auch nur er haben! Fieberhaft konzentrierte er sich auf das Briefing vor Monaten. Kurz nachdem verdächtige Päckchen, die sich als Bomben entpuppten, in mehreren Regierungsgebäuden aufgetaucht waren, hatte Cowley seinen Agenten Fotos von Verdächtigen präsentiert. Mehrere Personen waren mit einer Widerstandsgruppe in Verbindung gebracht worden, die für ein "Freies Schottland" kämpfte. Die Aktion war recht erfolgreich verlaufen. Nach der Lokalisation und anschließenden Observation konnten genug Beweise gesammelt werden, dass tatsächlich diese Gruppe hinter der Anschlägen stand. Die Festnahme war keine große Sache gewesen. Aber die 3 höchsten Drahtzieher waren ihnen entkommen. Unter anderem der Mann, der eben in Doyles Tankstelle gestanden hatte. Doyle war sich sicher, das war Micheal Dredd gewesen! Er nahm den Telefonhörer und wählte die altvertraute Nummer.


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