Der sonst so triste Saal im 'Palast' war mit Tannengrün und unzähligen schwebenden Kerzen geschmückt. Ein zweitklassiges Orchester nudelte festliche klassische Weisen herunter. Das Essen war gerade beendet und die 'Familie' versammelte sich zu Füßen des Thrones, den Lord Voldemort extra aus Deutschland hatte kommen lassen. Er hatte das prächtige Sitzmöbel aus dem Nachlass eines berüchtigten Walpurgisritters ersteigern lassen. Dies war seine Sonnenwendgabe an sich selbst.

Draußen war es bitterkalt und der Schnee lag meterhoch. Voldemorts geheimer Palast war selbst im Sommer kalt und unwirtlich, doch an diesem Abend glitzerten Eiskristalle an der Decke, die nicht von einem Zauber kamen. Lucius Malfoy trug einen cremefarbenen Kaschmirmantel mit einen Pelz aus Polarfuchs und eine ebensolche Kappe. Trotzdem war sein Gesicht von der Kälte gerötet.

In einer extra angelegten Manege schlugen frisch gekidnappte Muggel, russische Weltmeisterturnerinnen um genau zu sein, einen Salto nach dem anderen. Sie standen unter Imperius und hatten keine Wahl. Voldemort hasste diese Geschöpfe mit Inbrunst, es kam wohl noch von seiner Zeit im Kinderheim, deshalb waren solche Vorführungen seine Spezialität zum Sonnenwendfest.

"Die Sportskanonen sind schon reichlich müde!" mokierte sich Lucius und wandte sich an seine Kameraden. MacNair lachte polternd. "Sie werden noch müder sein, wenn ich erst mit ihnen fertig bin." erwiderte er und klopfte an sein Hosentürchen. Lucius verzog das Gesicht, was soviel hieß wie "ordinär" und schenkte sich ein Glas Punsch ein. Er drehte sich zu Severus Snape um, der mit bemüht-aufmerksamen Blick auf der anderen Seite stand. Auch er hatte ein Glas Punsch in der Hand, welches er jedoch kaum angerührt hatte. Er trug einen langen schwarzen Mantel, dessen Kragen mit den Federn eines schwarzen Nandu geschmückt war. "Ganz großer Auftritt, Snape." schnarrte Lucius. "Der schwarze magische Nandu ist doch eigentlich nicht als Kleidungsstück erlaubt, oder?" Snape machte sich nicht die Mühe zu antworten. Er hob nur die Augenbrauen und schaute belustigt drein. "Als ob das noch eine Rolle spielt." ergänzte Peter Pettigrew die Scharade. Er nahm sich Punsch und verfeinerte das Getränk mit einem Schuss Feuerwhisky. "Ich nehme die kleine Blonde." setzte er das recht einseitige Gespräch fort. "Der dunkle Lord in seiner unendlichen Güte..." er kam nicht mehr dazu, was denn nun die unendliche Güte sei, denn Voldemort klatschte in die Hände und rief den inneren Kreis zu sich.

"Die Geschenke!" rief der Lord jovial und klatschte wieder. Er führte sich auf wie ein treusorgender guter Onkel zu Weihnachten. 'Wie ein Dumbledore auf Dope!' fuhr es Snape durch den Kopf. Der dunkle Lord schwenkte seinen Zauberstab und ein Päckchen erschien über Lucius' Kopf. "Lucius, mein treuer Diener, nimm es und freue dich daran." Lucius wickelte das Päckchen eifrig aus. Er nahm unter dem bewundernden Gemurmel der Todesser einen prächtigen Pokal heraus. Nach und nach erhielten auch die anderen Todesser ihre Geschenke, bis schließlich...

"Severus, mein Junge!" rief der dunkle Lord, der zu diesem Zeitpunkt schon etwas betrunken schien. "Da! Nimm es und freue dich!". Severus nahm das Päckchen zögernd an und spürte, wie sein Herz zu rasen begann. Er öffnete das glitzernde Geschenkpapier und sah entsetzt hinein. In dem Paket lag eine schwarzverschmorte Hand, die den Ring des Salazar Slytherin trug.

Er schleppte sich mühsam zum Ausguss in der Ecke und erbrach sich mehrmals heftig. Kalter Schweiß rann über seine Schläfen, er schüttelte sich und krümmte sich. Schließlich ließ der Anfall nach. Severus richtete sich schwerfällig auf und suchte nach seinem Zauberstab. "Evanesco!" flüsterte er rauh und beschwor danach ein Glas mit Wasser. Dieser Traum war noch bunter und realistischer gewesen als die vorherigen. Er fror entsetzlich.

Schließlich schleppte er sich zurück in die dunkle Ecke, wo er eine Art Schlafstelle errichtet hatte. Über ihm erschien eine graue sphärische Gestalt.

"Armer Schatz." flüsterte die Gestalt mitleidig und schwebte näher heran. "Ach laß!" knurrte Snape zurück. "Es ist - es ist normal. Jawohl. Normal. Das gibt sich mit der Zeit." Die Gestalt umkreiste ihn. "Ich würde gern mehr für dich tun, Severus." sagte der Geist langsam. "Nur was? Gut, ich kann dich warnen, wenn jemand kommt, nur wie willst du den dunklen Lord drankriegen, wenn du dich hier versteckst. Hier! Ich verstehe nicht. Erkläre es mir, bitte!"

"Regulus." begann Snape und hustete. "Es gibt Dinge, die ich selbst erst noch herausfinden muss. Und dafür brauche ich dich. Bitte, tue einfach das, was ich dir auftrage und überlasse den Rest mir." Der Geist lächelte sein keinen-tag-älter-als-neunzehn Lächeln und verschwand. Severus ließ sich auf die Matratze fallen und seufzte.

Zwei Etagen über dem Keller, in dem Severus und Regulus Blacks Geist hausten, saß Remus Lupin und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Draußen versammelten sich Krähen auf einem alten Apfelbaum. Der Garten von Grimmauldplatz 12 war verwildert und voller Unkraut. Er liebte diesen Ort, streifte er doch in jeder Vollmondnacht dort herum. Der Garten war für feine Nasen ein Bilderbuch voller Abenteuer. Doch jetzt - Remus seufzte laut auf. Seit mehr als drei Monaten hockten sie nun schon in dem alten Haus. Langsam machte sich Lagerkoller breit. Harry Potter wollte unbedingt 'loslegen', was immer damit auch gemeint sein sollte. Die anderen Jugendlichen waren genauso rastlos. Es bedurfte großer Überzeugungskraft, sie von Dummheiten abzuhalten. Sie hatten einfach keinen Respekt mehr und waren nur schwer im Zaum zu halten.

Remus verfluchte in solchen Momenten oft sein freundliches Wesen, das er sich im Laufe der Zeit antrainiert hatte. Er wollte nicht als 'Bestie' bezeichnet werden, deshalb vermied er jeden Streit und war stets zurückhaltend. Das kostete ihn eine Menge Kraft, wie er jetzt reumütig erkannte. Sanftmut war nicht von Nutzen, wenn man einer aufgebrachten, halbhysterischen Hermione Granger gegenüberstand. Die überhebliche Göre fühlte sich als intellektuelle Instanz der kleinen Truppe und führte sich auch so auf. Ein paar gesunde Dämpfer würden ihr gut tun, aber Remus fehlte derzeit die Kraft, sich einzumischen. Dann war da noch Tonks. Remus seufzte noch lauter. Erst war alles gutgegangen und er wäre bereit gewesen zu schwören, dass das die ganz große Liebe war. Dann kam jedoch der Vollmond und mit ihm Moony, der Wolf. Remus nahm einen großen Schluck Feuerwhisky. Es war ihm peinlich. So peinlich, dass er aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen war. Moony hasste Tonks. Eindeutig. Er konnte sie nicht riechen. Und Remus konnte Moony nicht beherrschen. Nicht mit der jämmerlichen Brühe, die Miss Granger als Wolfsbanntrank ausgab. "Scheiße!" flüsterte Remus kläglich. Er stand auf und durchsuchte den Schreibtisch, um sich abzulenken. Er fand ein paar alte Sachen von Regulus Black, Tinte, Pergament, Schokofroschkarten und - ein Fotoalbum.

Derweil vertrieben sich die jugendlichen Helden in spe ihre Zeit mit endlosen Diskussionen über die Lage im Haus und draußen im allgemeinen. Sie unterteilten sich selbst auch in zwei Lager. Die einen glaubten es sei die Ruhe vor dem großen Sturm, weil eigentlich nicht viel passierte, als sei der dunkle Lord verreist. Die anderen, zu denen gehörte auch Neville, waren der Ansicht, dass durchaus etwas passiert, jedoch nicht bis zu ihnen drang, weil das Ohr am Puls des dunklen Lords, mit anderen Worten Snape, fehlte. Das brachte ihnen zwar regelmäßig verbale Prügel der anderen Fraktion ein, aber Neville und Luna nahmen das gelassen hin.

"Sie sollten uns endlich machen lassen." erklärte Hermione gerade in ihrem herablassenden Tonfall. "Schließlich ..." Neville schniefte ungehalten. "Schließlich hat euch in jedem einzelnen Fall entweder Dumbledore selbst, der Phönix oder sogar Snape den Arsch gerettet." ergänzte er. "Mach' dir nix vor, Hermione, deine Brillanz und Harrys Mut in allen Ehren, aber gegen die Todesser brauchts noch eine ganze Menge mehr." Hermione fühlte sich sofort angegriffen. "Wie sollen wir jemals so stark werden?" giftete sie zurück. "Schau dir doch die ganzen Luschen an! Moody, der paranoide, Tonks, die zaghafte, Lupin mit seinem Schmerbauch!". Gerade diese letzten Worte hatte Remus mit aufgeschnappt als er hinunterging und den Kindern das Fotoalbum zeigen wollte. Er blieb wie angewurzelt auf der Treppe stehen und hörte weiter zu.

"Na na na!" rief Harry dazwischen, aber Ron sagte: "Na ja, er wird eben alt und fett..." "Hey!" rief Harry wieder und dann: "Äh, das kommt vom mangelnden Auslauf oder so, schließlich ist er ja ein wildes Tier - zum Teil." Lupin fühlt wie er feuerrot anlief. 'Das denken diese Gören also von mir!' dachte er wütend. Moony begann sich zu regen und knurrte tief in ihm drin.

"Es liegt sicher auch daran, dass er völlig in der Vergangenheit lebt." plapperte Hermione altklug. "Er sollte sich davon lösen, aber ich glaube er braucht dazu eine Therapie." Sie schien irgendein Buch aufzuklappen. "Dr. Schlammerlauf schreibt hier..." Neville kicherte laut. "Wenn ich bemerken darf, er sollte es machen wie Snape, der hat sich rigoros von der Vergangenheit gelöst. Hmm. Er hat noch nicht mal eine Gegenwart, er kann nur noch nach vorne, wenn ich's recht bedenke." warf er in die Runde. Daraufhin herrschte Stille. Eine Weile später erwiderte Ron zaghaft: "Neville, seit wann bist du so ein Snape-Groupie? Das ist doch gar nicht deine Art!" Neville trommelte mit den flachen Händen auf der Tischplatte. "Ich habe nachgedacht. Und abgesehen davon, dass die Tat verwerflich, unmoralisch und abgrundtief böse gewesen ist - war sie doch spektakulär. Ich meine, ich kann verstehen..." Der Rest ging in wütendem Lärm unter. Remus schüttelte den Kopf und ging wieder nach oben. Später - vielleicht.

In seinem Kopf jagten sich ein paar aufgeschnappte Gesprächsfetzen: 'Therapie, Dr. Schlammerlauf, sollte es machen wie Snape.' Remus entschied sich für einen weiteren Feuerwhisky. Dann klappte er das Album auf. Es waren ganz normale Bilder aus dem Alltag eines Hogwarts-Schülers. Regulus beim Quidditch, Regulus im Gewächshaus, Regulus während der Auswahlzeremonie mit dem alten Hut auf dem Kopf. Remus konnte sich ehrlich gesagt kaum an den Jungen erinnern. Kaum hatte der Hut 'Slytherin' gerufen, verschwand Sirius' Bruder aus seinem Leben, irgendwie. Er hatte damals nicht verstanden, weshalb Sirius seinen Bruder plötzlich kaum noch erwähnte und er hatte auch nicht gefragt.

Unten rumorte es derweil weiter. Remus schüttelte den Kopf und blätterte wieder um. Die Kinder auf den Bildern wurden langsam größer und es kamen bewegte Bilder dazu. Remus betrachtete die Gesichter seiner Schulkameraden, die zum großen Teil längst nicht mehr lebten. Evan Rosier zum Beispiel, der auf einem Foto die Kerzen seiner 14. Geburtstagstorte ausblies. Regulus Black selbst, der auf fast jedem Bild zu sehen war, zusammen mit Florence Wilkes und Severus Snape. Ein Bild, auf dem die drei beim Studieren zu sehen waren, erinnerte unweigerlich an das Trio, das unten am Küchentisch saß. Florence hatte auch buschige braune Haare und Regulus' Haar hatte einen rötlichen Schimmer, wobei es natürlich nicht an das flammende Rot eines Weasley-Sprosses heranreichte.

Remus zuckte mit den Schultern. 'So ein Unsinn!' schalt er sich selbst. Die nächste Seite zeigte eine uralte Zeremonie in allen Einzelheiten. Severus, Regulus und Florence knieten in langen weißen Gewändern in einem Raum mit Butzenscheiben. Madame Black und eine andere Frau, die Remus nicht erkannte hatten den Kindern die Köpfe geschoren. Sie wirkten daraufhin wie kleine Vögel, die aus dem Nest gefallen waren. Sie waren nervös, das konnte man selbst auf dem Bild erkennen. Auf dem nächsten Foto stand ein Hexenmeister vor ihnen und tätowierte mit einer silbernen Nadel Runenfolgen auf ihre Kopfhaut. Remus staunte. Er kannte diese Zeremonie vom Hörensagen und hätte gerne gewußt, wie sich die Runen auf das Wohlbefinden tatsächlich auswirkten. "Gute Laune machen sie jedenfalls nicht." brummte er und dachte an Severus Snape. Auf den Fotos wirkte der noch viel dünner als sonst und seine Augen waren riesengroß. Moony brummte interessiert. "Oh nein, Wolf." sagte Remus laut. "Nicht auch noch das!".

Unten wurden Stimmen laut. Tonks war angekommen. Remus nahm das Album unter den Arm und machte sich zum zweiten Mal auf den Weg nach unten. Wieder kam er nur bis zur zweiten Treppe. Und musste wieder mithören, was andere Ordensmitglieder von ihm dachten. "Haarig. Ziemlich Haarig." hörte er Tonks sagen. "Und grausam. Tierisch grausam." Die Aurorenamazone lachte dreckig. "Kinders." ergänzte sie, "Ich brauche jetzt einen Drink. Drinkend sozusagen." Die jugendliche Bande lachte auch. "Okay. Trinken wir auf haarige Biester." erklärte Harry noch immer lachend.

Remus riss der Geduldsfaden. "Dieses Miststück. Von wegen ohremusichliebedich!" flüsterte er in die Dunkelheit. Und dann kam ihm ein verwegener Gedanke. Er würde sich rächen. Noch in dieser Nacht. "Mach es wie Snape." flüsterte er vor sich hin wie ein Mantra. "Macheswiesnape macheswiesnape." sang er leise vor sich hin und Moony tief drinnen knurrte Beifall. Er schlich in die Bibliothek der Blacks und holte sich die entscheidende Literatur. "Muggelbomben und -granaten - ein kurzer Abriss." lautete der Titel des erfolgversprechenden Bandes. Lupin stieg in sein Bett und zog die Vorhänge zu. Er begann konzentriert zu lesen.