Autor: Velence
Titel: Ausbruch
Inhalt: Dean ist am Boden zerstört, als er erfährt, dass er das erste Siegel gebrochen hat. Er sagt sich von Sam los und versinkt in seiner Depression, bis Castiel ihm mitteilt, dass er vom Himmel fallen und wie Anna als Mensch wiedergeboren werden wird.
Spoiler: On the Head of a Pin / Teuflischer Engel (4x16)
Altersfreigabe: ab 16 Jahren
Teil: 1/?
Disclaimer: Alle in dieser Story verwendeten Charaktere und Grundkonzepte sind Eigentum der jeweiligen Rechteinhaber. Sie werden einzig und allein zu Unterhaltungszwecken genutzt. Eine Copyright-Verletzung ist weder beabsichtigt noch impliziert.
Hauptcharakter(e)/Paar(e): Dean/Castiel
Er hatte den Impala genommen und war gegangen.
Dean hatte sich verabschiedet von der Welt der Jäger. Für Sam hatte er eine Nachricht auf dem Nachttisch seines Motelbettes hinterlassen. Er hatte nicht auf seine Rückkehr gewartet. Nur gelogen, als Sam ihm fragte, was los sei. Die Lüge ging ihm einfach über die Lippen, weil es egal war.
Körperlich ging es mit ihm bergauf, auch wenn die Wunden, die ihm von Alastair zugefügt worden waren, noch nicht alle verheilt waren. Die geistigen würden gar nicht erst verheilen, vielleicht oberflächlich besser aussehen, mit einer hübschen Fassade. Alastair hatte ihn gebrochen, wieder einmal, oder einfach nur die verschorfte Wunde aufgerissen. Einen Unterschied gab es nicht.
Wie auf Autopilot fuhr er ziellos durch die Gegend. Süden schien ihm eine gute Richtung, hauptsache wärmer als das trübe Wetter hier. Wenn er nachdachte, würde ihm vielleicht ein Ziel einfallen, aber er wollte nicht nachdenken. Dean hatte einmal angehalten, um sich etwas zu trinken und essen zu holen.
Irgendwann rief Sam an. Dean warf einen kurzen Blick auf das Display und drückte ihn weg. Nachdem es Sam ein paar Mal versucht hatte, stellte er sein Handy ab.
Er stoppte vor einem Motel 6, parkte seinen Wagen auf der Rückseite, nahm sich ein Zimmer und legte sich schlafen.
Mitten in der Nacht schreckte Dean auf. Er saß aufrecht in seinem Bett und atmete heftig ein und aus. Ein Alptraum. Ein verdammter Alptraum. Er rieb sich über das Gesicht. Sein Mund war trocken.
Das Zimmer war grau in grau. Er hatte vergessen, den Vorhang zuzuziehen. Im fahlen Licht tapste Dean zum Fenster, schloss den Vorhang und setzte sich auf die Bettkante. Er nahm einen großen Schluck Jack Daniels und legte sich hin. Der Alkohol brannte angenehm. Sein Körper fühlte sich so schwer an, dass er schnell einschlief.
Dean schlief fast zwei Tage durch. Zwischenzeitlich trank, aß oder pinkelte er.
Nach einigen Tagen hatte Sam ihn aufgespürt. Er war einmal über den Parkplatz gefahren und hatte Deans Impala gesehen.
Sam hämmerte an der Tür. Er drehte am Türknauf. Sie war nicht verschlossen. Sam stürmte in das Zimmer. „Dean! Dean, was tust du hier? Du bist ohne ein Wort abgehauen", fuhr er ihn an.
Dean blinzelte, rieb sich die Augen und setzte sich langsam im Bett auf. Er lehnte sich gegen die Rückenlehne des Bettes. „Hast du meinen Brief nicht gelesen?"
„Natürlich habe ich das. Ich verstehe nicht-"
„Ich habe fertig." Dean kratzte sich unbeteiligt am Hals. Er hatte ein mattes Grinsen auf den Lippen.
„Ich habe fertig?", echote Sam und deutete ein Kopfschütteln an. Er sah ihn völlig ungläubig an.
„Genau das habe ich gesagt."
Sein Bruder breitete die Hände aus. „Du kannst nicht einfach aufhören, ein Jäger zu sein. Ein Engel hat dich aus der Hölle geholt, um die Apokalypse zu verhindern. Sie werden dich nicht so einfach ziehen lassen. Ich werde dich nicht einfach so ziehen lassen!"
„Was interessiert mich das Ende der Welt? Ich wurde durch eine brünette Dämonenschlampe ersetzt. Und Sam? Ich weiß nicht, durch wen er ersetzt wurde. Vielleicht führt das Dämonenblut zu Persönlichkeitsveränderungen, was weiß ich schon. Ich bin nicht stark genug, hast du gesagt. Ich bringe es nicht. Ja, du hast recht, ich bin nicht stark genug. Keine Spielchen, keine Lügen, ich kann nicht mehr." Dean sagte alles ohne Gift und Leidenschaft in seiner Stimme.
„Diese Dinge, ich habe sie unter Einfluss der Sirene gesagt. Wir haben Sachen gesagt, die wir nicht ernst gemeint haben."
„Spar dir deine Phrasen für jemanden, der dir glaubt." Dean nahm sich die Flasche vom Nachttisch. Er drehte den Deckel langsam ab und trank ungeniert daraus.
„Und das ist deine Lösung?" Sam schnaubte.
„Kennst du den Song von den Toten Hosen? Egal." Dean winkte ab. „Ich habe es satt, Freunde zu beerdigen. Ich habe es satt, ein Kampf zu kämpfen, der schon verloren ist." Dean dachte an Pamelas Beerdigung. Er hatte sich abgestumpft gefühlt, unfähig zu weinen, nicht dass er gerne in der Öffentlichkeit weinte, aber er war matt, fertig, nicht traurig.
„Willst du die Apokalypse?"
„Du willst Lilith' Kopf, nichts weiter. Das erinnert mich an Dad, auf den du doch immer herabgesehen hast wegen seiner Rachegelüste. Warum jagst du sie noch mal?"
„Jetzt werde ich infrage gestellt?", posaunte Sam.
„Sam, das Maß ist voll, wenn ich dich nicht kennen würde, würde ich dich jagen. Ich weiß nicht mehr, wer oder was du genau bist." Er ließ seine Hände auf seine Bettdecke fallen. „Aber das ist mir auch herzlich egal. Ich habe aufgegeben. Ist das nicht deutlich?
Sam knurrte etwas. „Du willst also hier bleiben?", fragte er schroff.
„Hier. Woanders."
„Melde dich wieder, wenn du zu Verstand gekommen bist.", grummelte Sam. Er betrachtete seinen Bruder, als wäre dieser ein Rätsel für ihn. „Mach wenigstens dein Handy an."
Mit diesen Worten ließ er seinen Bruder zurück. Die Tür blieb offen stehen. Dean musste sich bewegen, um sie zu schließen. Dean hatte mehr erwartet, mehr von Sam, aber eigentlich bestätigte sein Auftritt, was er über Sam dachte. Der Sam, den er kannte, war fort.
Er tat Sam den Gefallen und machte sein Handy an. Er hatte etliche Anrufe verpasst. Es waren hauptsächlich Nachrichten von seinem Bruder auf der Mailbox, die zwei von Bobby hörte er sich und löschte dann alle. Er konnte ihm nicht helfen.
Dean fuhr weiter und suchte sich ein neues Motel, damit nicht Bobby oder Sam noch einmal vor seiner Tür standen. Bei einer Fastfood-Kette kaufte er sich etwas zu Essen. Sein Appetit war eher mager. Er vermied es, Radio zu hören oder Zeitung zu lesen. Im TV schaltete er um, sobald er irgendwo Nachrichten erwischte. Er wollte nicht wissen, wie es um die Welt stand.
Alastair steckte in jeder von Deans Gehirnwindungen. Seine Träume waren farbenprächtiger als seine Tage und Nächte. Dean hatte genug durchgemacht, jetzt war er fertig. Es war ein Wunder, dass es nicht früher passiert war. Er schaffte es nicht, aus seiner depressiven Stimmung auszubrechen. Er kämpfte nicht einmal. Er hatte es satt, zu kämpfen.
Es war, als versuchte Dean, sich mit Schlaf in eine andere Welt zu flüchten, bis ihn Alastair in seinen Träumen wieder in die ernüchternde Realität scheuchte.
Dean hatte völlig das Gefühl für Zeit verloren. Zeitweise glaubte er, dass Castiel im Zimmer war, aber sobald er richtig wach war und sich umschaute, war niemand da. Er war allein.
Es war am frühen Nachmittag, als er aufstand und ins Bad schlurfte. Über das Waschbecken gebeugt spritzte Dean sich kaltes Wasser ins Gesicht. Danach inspizierte er sein Gesicht im Spiegel. Der lilafarbene Bluterguss um sein rechtes Auge war kaum noch zu erkennen, dafür heilte der Schnitzer auf seinem Nasenrücken langsam wie eine Schnecke. Mit einem Finger berührte er die sich bildende Narbe.
Zumindest hatte er keine Schmerzen mehr.
Mit den Händen stützte er sich auf dem Waschbecken ab und zeigte seinem Spiegelbild ein Grinsen, das an den Joker anstatt eines Disney-Films erinnerte. Sein übermäßiger Alkoholkonsum zeigte sich allmählich auch äußerlich. Er sah verbraucht aus trotz der mit Schlaf verbrachten Stunden. Deans Herz schnürte sich zusammen, als er daran dachte, was er in der Hölle getan hatte. Sein eigener Anblick machte ihm Angst und widerte ihn gleichzeitig an. Zu was er fähig gewesen war. Fast erwartete er, schwarze Augen in seinem Spiegelbild sehen zu müssen.
Dean nahm sich das Handtuch und trocknete sein Gesicht kurz ab.
„Fuck, Cas!", fauchte Dean. Im Spiegel sah er Castiel hinter sich stehen. „Du musst dir das unbedingt abgewöhnen, sonst mache ich mir eines Tages in die Hose!"
„Verzeihung", erwiderte der Engel ernst.
Immer noch müde latschte Dean zurück ins Zimmer. Castiel folgte ihm. Er ging zum Fenster und schob die Gardine ein wenig zur Seite, um Tageslicht hereinzulassen. Das Licht blendete Dean im ersten Moment. Er hielt eine Hand vors Gesicht.
„Cas."
Der Engel ließ die Gardine fallen und drehte sich um. In seinem Trenchcoat sah er aus wie immer.
Dean war sich mit einem Mal sicher, dass ihn sein Gefühl nicht getrogen hatte. Castiel war schon einmal hier gewesen, ohne sich zu erkennen gegeben zu haben. So ton- und bewegungslos wie Castiel da stand, meinte er für einen kurzen Augenblick einer Fantasie erlegen zu sein.
„Ich habe dich früher erwartet", sagte Dean schließlich. Er schlenderte die letzten Schritte zu seinem Bett und setzte sich im Schneidersitz hin. Mit einer Hand griff er nach der Flasche auf dem Nachttisch. Er lehnte sie gegen seine nackten Beine, trank jedoch nichts. „Zähl schon deine Parolen auf. Ich bin Schuld an dem Desaster, der Apokalypse. Ich habe das erste Siegel gebrochen. Komm schon."
Castiel richtete seine Aufmerksamkeit auf ihn. „Du bist nicht Schuld daran. Das ist dein Schicksal."
„Ich hasse Schicksal."
Castiel kam zum Fußende des Bettes. „Ich muss mit dir reden."
Dean schüttelte abwehrend den Kopf. „Das ist übel."
„Ich..." Er erinnerte sich, was er zu Anna gesagt hatte. Er zog Ungehorsam in Betracht. Nein, er war schon einen Schritt weiter. „Ich habe mit Anna geredet. Ich habe Zweifel. Man zweifelt nicht an Gott."
„Du glaubst nicht mehr an die Mission? Heißt das... Was bedeutet das?", fragte Dean ernsthaft überrascht.
„Ich könnte aus dem Himmel verstoßen werden." Der sonst so sicher wirkende Castiel schien plötzlich beunruhigt.
„Verstoßen?", echote Dean.
„Sie werden mich töten. Oder Schlimmeres. In Zeiten wie diesen ist es Hochverrat."
„Guantánamo hinter Himmelspforte 66? Aber... du bist der Oberstreber. Penibler als Uri – war."
„Ich wollte, dass du es weißt", antwortete Castiel jetzt wieder selbstbewusster.
„Kannst du nicht etwas tun? Die können dich doch nicht einfach umbringen!"
„Ich bin ein Engel. Wenn ich nicht tue, was Gott will, bin ich kein Engel." Castiel ging zum Tisch und setzte sich auf einen Stuhl. Er strich seinen Mantel über dem Knie gedankenverloren glatt. „Ich war froh, dass wir die Stadt an Halloween nicht zerstören mussten. Wenn das mein Auftrag gewesen wäre, hätte ich die Stadt mit Uriels Zutun zerstört."
„Nicht bevor wir nicht alles versucht hätten...", widersprach Dean.
„Ja..."
„Kennst du ‚Lost in Translation'? Kannst du ein Geheimnis bewahren? Ich versuche einen Gefängnisausbruch zu organisieren. Wir müssen zuerst aus der Bar, dem Hotel, der Stadt und dann dem Land? Bist du dabei oder nicht?", zitierte Dean den Film. Cas' Augenbrauen gingen leicht fragend nach oben. „Okay, der Film war langweilig, aber Scarlett ist heiß."
„Ich verstehe nicht."
„Du könntest abhauen, dich verstecken."
„Sie werden mich finden. Überall."
„Sag mir nicht, du hast keine Tricks auf Lager." Dean schnippte mit den Finger. „Du hast mich in die Vergangenheit geschickt. Du kannst dich beamen. Komm schon, Cas..."
Castiel stand auf. „Ein Engel wird immer einen anderen Engel finden können."
„Also was tun?" Dean blickte auf seine Flasche Alkohol. Als er aufsah, war der Engel – wie nicht anders zu erwarten – verschwunden. „Cas!", brüllte Dean. Missmutig grummelte er: „Der an Ihnen angerufene Engel ist zurzeit nicht erreichbar."
In der folgenden Nacht träumte Dean von Graceland.
„Einfach genial. Sieh dir den Cadillac an. Nicht meine Farbe, aber geil. Oder den Thunderbird!" Dean schaute sich begeistert Elvis' Autosammlung in einem Nebengebäude an. Er wandte sich zu seinem Begleiter zu seiner rechten. „Ich träume."
„Ich wollte allein mit dir sprechen. Sie belauschen uns womöglich", antwortete Castiel.
Dean zog eine Augenbraue hoch. „So viel zu allein. Soll ich an etwas Schmutziges zur Ablenkung denken?"
„Meine Vorgesetzten beobachten meine Beziehung zu dir mit Skepsis", ignorierte Castiel Deans Kommentar völlig. „Uriel hat gesagt, ich hätte eine Schwäche für dich."
„Alte Petze..."
„Es ist wahr. Ich höre dir zu. Ich lerne von dir, von deinen Sichtweisen. Du bist mutig, du lässt dich nicht einschüchtern und versuchst Menschen mit allen Mitteln zu retten. Ich beginne... Gefühle zu erfahren. Die Menschen, Gottes Kreation, sind mir wichtig. Aber meine Gefühle lassen mich an Gott und seinen Plänen zweifeln." Castiel machte einen verunsicherten Eindruck.
Dean betrachtete ihn grübelnd.
„Ich habe dich und Anna beobachtet." Der Engel kräuselte die Nase, als gefiele ihm der Gedanke nicht. „Sie hat dich dazu gebracht, über die Hölle zu reden. Anna hat dir vergeben. Ich habe gesehen, wie ihr..."
„...Sex auf der Rückbank hattet? Stalker!", warf Dean ein.
„...wie ihr euch geküsst habt. Anna war wirklich ein Mensch. Sie versteht Gottes Werk. Ich will wissen, wie es ist, menschlich zu sein."
Castiel sah ihm in die Augen. Dean hatte das Gefühl, als könnte der Engel direkt in sein Herz blicken. Aber nach seinem Geständnis war er sich sicher, dass er Castiel ebenso unter die Haut ging wie der ihm.
„Ich habe mich entschlossen, meine Gnade aufzugeben. Ich will vom Himmel fallen und ein Mensch werden", sagte Castiel entschlossen.
„Cas."
„Noch weiß es niemand."
„Aber werden sie dich nicht finden?", fragte Dean besorgt.
„Sie haben Anna nicht verfolgt, bis ihr bewusst wurde, welche Macht sie besaß", antwortete der Engel. „Ich bin gekommen, um Ade zu sagen."
„Wunderbar. Wenn's richtig spaßig wird, verlässt Cas die Bühne."
„Ich treffe meine eigene Entscheidung, bevor man sie mir abnimmt", antwortete Cas. Er machte den Eindruck, als sei er fest entschlossen.
Dean schloss die geringe Distanz zwischen ihnen und umarmte Castiel wie er sonst nur Sam umarmt hatte, mit Armen um den schmächtigen Körper, ihn dicht an sich drückend. Für einen Moment fragte sich er, ob eine geträumte Umarmung genauso echt war wie eine in der Realität. Nur Sekunden später legte der Engel seine Hände auf Deans Rücken und erwiderte die Geste. Für seine erste Umarmung machte er alles richtig.
