Ich hatte das Gefühl angestarrt zu werden. Ich blickte von meinen Kessel auf und schaute direkt in ein schwarzes Paar Augen. Für einen Augenblick war ich wie gebannt, dann senkte ich den Blick schnell wieder. Es war gefährlich einem Severus Snape zu lange in die Augen zu gucken. Ahnte er etwas? Aber nein, woher denn auch? Ich hatte mein Geheimnis immer bestens gehütet. Und das würde auch so bleiben. Dennoch musste ich Acht geben. Ich wusste, dass Snape hervorragend in Legilimentik war. Ich wollte schließlich nichts riskieren.
„Miss Granger!", schnarrte die übergroße Fledermaus plötzlich und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Ist Ihnen bewusst, dass aus Ihrem Kessel schwarzer Rauch aufsteigt?" Ich warf einen Blick auf meinen Kessel und gab ein erschrockenes Geräusch von mir. Snape saß höhnisch lächelnd an seinem Schreibtisch. „Vielleicht sollten Sie den Kessel besser vom Feuer nehmen. Es sei denn, Sie sind der Meinung, dass durch ein Wunder doch noch etwas aus Ihrem Trank wird."
Hektisch griff ich nach dem Henkel des Kessels, verbrannte mir natürlich die Hand und ließ den Kessel fallen. Dessen Inhalt spritzte in mein Gesicht, auf meinen Umhang und auf meine Hände. 'Glanzleistung!', gratulierte ich mir selbst ironisch im Stillen.
Plötzlich wurde Snape schnell. Ehe ich mich versah stand er neben mir und hob seinen Zauberstab. „Ratzeputz!", rief er und entfernte den verschütteten Zaubertrank von mir. Wäre ich nicht so abgelenkt von den Schmerzen in meinem Gesicht und auf meinen Händen gewesen und hätten mich die Blasen, die auf meinen Handrücken erschienen, nicht so fasziniert, wäre mir vielleicht auch nicht entgangen, dass sich eine große, schwarze Gewitterwolke über Snapes Kopf zusammenbraute. „Miss Granger! Sie sind wirklich die Ausgeburt an Unfähigkeit. Gerade von Ihnen hätte ich so einen Patzer nicht erwartet …"
Der Rest seiner Schimpftirade entging mir leider, denn mir wurde schwarz vor Augen.
*~*~*
Severus Snape fluchte innerlich, als die junge Frau plötzlich in sich zusammen sackte. Bevor sie auf den Boden, in die Zaubertrankpfütze, fallen konnte, fing er sie mit einem Schlenkern seines Zauberstabes auf. Drohend sah er den Rest seiner sechsten Klasse an. „Sie werden hier ruhig sitzen bleiben und nichts anrühren, während ich Miss Granger in den Krankenflügel bringen. Haben Sie mich verstanden?", fragte er mit leiser, drohender Stimme. Anstatt jedoch auf eine Antwort zu warten, murmelte er: „Mobilcorpus" und verließ das Klassenzimmer.
Entnervt stieg er die Treppen hoch. Warum ließen sich manche Schüler alleine von seinem Blick so aus der Fassung bringen? Und warum fiel es ihnen so schwer auf seine Anweisungen und Warnungen zu hören? Hatte er nicht gesagt, dass der Trank keinesfalls länger als zwei Minuten kochen lassen durfte, es sei denn, man wollte, dass er giftig und gefährlich wurde? Und das dann ausgerechnet von Hermine Granger! Man sollte doch meinen, dass sie mittlerweile gut genug im Zaubertränke brauen war, um so welche stümperhaften Fehler zu vermeiden. Schließlich war sie die beste Schülerin, die er seit langem unterrichtet hatte und sie besaß ein nicht zu verachtendes Talent im Brauen von Zaubertränken. Aber all das hätte er ihr natürlich nie so gesagt.
Als der Tränkemeister die Krankenstation erreichte, legte er seine Schülerin auf eines der Betten. „Poppy?", rief er.
Wenige Augenblicke tauchte die Heilerin auf und schlug erschrocken die Hände über dem Kopf zusammen. „Bei Merlin, was ist denn mit Miss Granger passiert?", fragte sie.
Snape musterte Hermine eingehend und zuckte zusammen. Es war wirklich kein schöner Anblick. Die Haut in ihrem Gesicht hatte schon direkt nach der Berührung mit dem Zaubertrank Blasen geworfen. Das hatte er also schon im Kerker gesehen. Die Blasen waren jedoch mittlerweile auf Schnatzgröße angeschwollen, einige hatten sich grün-gelblich verfärbt und sahen so aus, als würden sie jeden Moment platzen.
Und dabei hatte Hermine ein Gesicht, dass man eigentlich gerne ansah. Ebenmäßig, mit einer hohen, runden Stirn und einem kleinen Kinn, das sie so energisch vorstreckte, wenn sie in Rage war. Glatte Haut und große, rehbraune Augen. Und ihre Haare, die früher wie ein Wischmob ausgesehen hatten, fielen mittlerweile weich um ihren Kopf.
Snape schüttelte irritiert den Kopf. Was nützte schon ein schönes, ästhetisches Gesicht, wenn nicht genug Geist in ihm steckte um ihn zu schützen? Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass ihm die junge Frau Leid tat. „Wie sieht es aus, Poppy? Bekommst du das wieder hin?"
Als diese kurz von der Untersuchung ihrer Patientin hoch sah und ihm einen überraschten Blick zuwarf, setze er, um sein Mitleid zu überspielen, gleich eine gehässige Bemerkung hinterher. „Ich möchte nur wissen, ob ich meinen Schülern auch in Zukunft an dem Beispiel der Miss Granger demonstrieren kann, was für Folgen es hat, wenn man beim Zaubertrank brauen unaufmerksam ist."
Poppy schüttelte abwesend den Kopf. „Ich fürchte, dass ich dich da enttäuschen muss, Severus. Mit der richtigen Behandlung wird man davon in zwei oder drei Tagen nichts mehr sehen."
Sie verschwand kurz in den Nebenraum und kam mit einer Flasche, einer ziemlich großen Nadel und einem Verband wieder. „Das Mädchen hat Glück, dass es ohnmächtig geworden ist. Ich muss nämlich die Blasen öffnen und die Flüssigkeit ablaufen lassen. Das ist ziemlich schmerzhaft. Aber ich nehme an, dass dich das ohnehin nicht sonderlich interessiert."
Snape überlegte gerade, ob er jemals von einem Zaubertrank gehört oder gelesen hatte, der solche Blasen auf die Haut zauberte und ob es wohl ein Heilmittel gab. Deshalb hatte er Poppy gar nicht richtig zugehört. „Ja, das kann sein …", murmelte er abwesend.
Der forschende Blick der Heilerin brachte ihn zurück in die Gegenwart. „Was ist denn?", schnauzte er sie an. Irgendwie fühlte er sich ertappt.
„Fühlst du dich wohl, Severus? Du wirkst so … abwesend. Vielleicht eine Grippe. Die geht momentan durchs Schloss. Am besten kommst du später nochmal …"
Doch der Angesprochene unterbrach sie. „Danke, aber nein danke." Der angewiderte Unterton in seiner Stimme machte nur allzu deutlich, dass er alles, aber gewiss keine Dankbarkeit empfand. „Ich braue mir selbst einen Grippetrank, wenn ich ihn brauchen sollte. Und nun entschuldige mich, meine Klasse wartet auf mich." Sprachs und verließ den Krankensaal mit wehendem Umhang. Ganz bewusst ohne einen Blick auf das belegte Krankenbett zu werfen.
