Kapitel 1
Es war ein sonniger Morgen, als Janes Telefon klingelte und ihn aus dem Bett scheuchte. Zwanzig Minuten später traf er am Tatort ein, einer weiten Erdbeerplantage außerhalb von Sacramento.
Die Polizisten, die sich um die Leiche drängelten, schauten kurz auf, als er eintraf und er grüßte sie.
„Was ist passiert?", fragte Jane beiläufig und Van Pelt gab ihn die Sicht auf das Opfer frei.
Es handelte sich um eine Frau, vielleicht Anfang zwanzig. Ihre langen, blonden Haare waren auf der Erde ausgebreitet und ihre Augen waren geschlossen. Das blasse Gesicht ließ sie auf eine eigenartige Weise friedlich aussehen.
„Es ist kein Vergewaltigungsmord. Sie ist noch angezogen", erklärte Cho und tütete gerade ein Beweisstück ein und beschriftete es.
Die Frau war noch komplett bekleidet, blaue Chucks, Jeans und eine braune, leichte Bluse.
Lisbon kam zurück, nachdem sie mit einem Streifenpolizisten geredet hatte: „Wir haben das passende Auto zu ihrem Schlüssel gefunden. Es steht einen halben Kilometer von hier am Straßenrand."
„Der Doktor sagte, sie wurde nicht hier ermordet", fügte Rigsby bei.
„Im Auto befinden sich Blutspuren", erklärte Lisbon und schaute sich die hübsche, junge Frau an.
„Ist die Stichwunde am Hals die Todesursache?", fragte Jane und zeigte auf den Ursprung des Blutes.
„Vermutlich", antwortete Van Pelt, aber Jane hatte sich bereits an den Boss gewandt: „Wurde sie auf dem Fahrersitz ermordet?"
„Es sieht so aus."
„War die Scheibe offen?"
„Ja."
„Dann hat sie das Opfer gekannt."
„Und jetzt noch mal für Normalsterbliche, Jane", stöhnte Lisbon mit verdrehten Augen.
„Sie fährt morgens die Landstraße entlang. Wegen irgendeinem Grund blieb sie stehen und kurbelt die Scheibe runter. Würde sie den Mörder nicht kennen, hätte sie die Scheibe oben gelassen, bis die Person näher kam. Aber sie hat die Person gekannt, und dieser hat das Messer genommen und ihr in den Hals gerammt." Jane zeigte den Mordvorgang an seinem eigenen Hals.
„Na schön. Ich verstehe die Logik zwar noch nicht ganz, aber wir betrachten die Familie etwas genauer. Haben wir denn schon einen Namen?"
Rigsby beugte sich zu der Frau hinunter und legte ihren Zeigefinger auf das Touchscreen seines Handys. Die Suche lief und fünf Sekunden später präsentierte er das Ergebnis: „Ihr Name ist Javiera Fernandez Sanchez, 25 Jahre alt, arbeitet als Referendarin in der Sacramento Elementary School."
„Wieso ist sie in der Datenbank erfasst?", fragte Cho.
„Vor einem Jahr hat sie ihren Freund wegen Körperverletzung angeklagt. Sie hatte sich mit einem Baseballschläger gewehrt und es musste geklärt werden, ob es sich um Notwehr handelte", las Rigsby vor.
„Gut. Cho, Rigsby. Suchen sie ihre Verwandte und fahren sie zu ihr", entschied Lisbon, doch Jane erhob Einspruch: „Äh, kann ich mitfahren?"
„Okay, Rigsby, nehmen sie Jane mit", seufzte Lisbon und hoffte, dass sich der Berater benehmen würde.

„Hallo", stotterte Rigsby, als ihnen ein kleines Mädchen von höchstens sechs Jahren die Tür öffnete. „Ist deine Mutter oder dein Vater da?" Er biss sich zugleich auf die Zunge und hoffte, dass das fünfundzwanzigjährige Opfer nicht die Mutter des Kindes war. Doch dieses nickte nur und verschwand im Haus. Kurze Zeit später kam ein Mann mittleren Alters, vierundfünfzig, in den Flur und seine Miene verschlechterte sich schlagartig.
„Was ist passiert fragte er?"
„Dürfen wir bitte reinkommen?", fragte Rigsby freundlich und mitfühlend. Er dachte daran, wenn seinem eigenen Sohn etwas zustoßen würde und schob diesen Gedanken ganz schnell beiseite.
„Aber natürlich", antwortete der Mann aufgebracht und der Agent und der Berater betraten das Haus und wurden von dem kleinen Mädchen ins Wohnzimmer geführt.
Dort drehte sich ein Junge um, Jane schätzte ihn auf 16. Er war groß für sein Alter, hatte lila Ringe unter den Augen, die unnatürlich rot geschwollen waren. Er hat zerzaustes, lockiges, blondes Haar, heller als Jane.
„Mike, nimm deine Schwester mit nach oben und spiele mit ihr", sagte der Familienvater. Als die Tür geschlossen war, setzten sich die drei hin. Jane musterte den Gegenüber, er schien älter, hatte kurze, braune Haare, einen ungepflegten Bart, trug eine weite Jeans und ein großes, graues Sweatshirt.
„Was ist passiert?", fragte er betroffen.
„Javiera…", fing Rigsby an und der Mann nickte. „Ihre Tochter?" Er nickte erneut.
„Sie wurde diesen Morgen tot aufgefunden, außerhalb von Sacramento. Sie wurde heute früh erstochen…Wissen sie, warum sie so früh draußen war?"
„Sie arbeitet samstags als freiwillige Helferin in einem Waisenheim. Das liegt außerhalb und sie fährt morgens immer schon um vier Uhr los."
„Sie wohnt nicht mehr hier…"
„Nein, sie ist bereits mit achtzehn ausgezogen, hatte ein Stipendium und studiert. Ich habe den Kontakt mit ihr verloren, aber sie scheint sich wohl noch um Mike und Mariquita."
Rigsby nickte und notierte sich einige Punkte in seinem Notizbuch.
„Ähm, wo sind…?", fragte Jane und Rigsby musste innerlich lächeln. Dem Berater wurde es zu langweilig und er ging mal wieder auf Entdeckungstour.
„Im Flur rechts", war die Antwort, doch er war schon längst draußen. Jane schloss die Tür hinter sich, schaute sich um und ging dann langsam die Treppe rauf. Er sah, wie Mariquita aus der halboffenen Tür schielte und betrat ihr Zimmer. Es war klein und stillos eingerichtet, es gab keine Bilder, nur einen Schreibtisch, einen Schrank und ein Bett.
„Hallo…du bist Mariquita, oder?", fragte Jane freundlich und beugte sich zu dem kleinen, schüchternen Mädchen hinunter.
Sie nickte und setzte sich auf ihre Schreibtischstuhl, Jane auf das Bett. „Dein Bruder Mike ist in seinem Zimmer?" Sie nickte erneut. „Kannst du mir etwas über deine Schwester Javiera erzählen?"
„Sie hat sich nicht gut mit Daddy verstanden."
„Die beiden hatten also Streit?"
„Mike hat mir das erzählt."
„Okay…dann werde ich wohl mit deinem Bruder darüber reden…" Jane stand auf und ging zu ihr herüber. Da bemerkte er ein paar Blätter auf dem Tisch. „Hast du das gezeichnet?", fragte er. „Ja." „Das ist schön. Du solltest noch mehr davon zeichnen. Bist du das?" „Mit Mike und Javiera…", antwortete das Mädchen auf die Strichmännchen und Jane war froh, dass sie noch nicht so ganz verstand, was vor sich ging.
Er verließ ihr Zimmer wieder und klopfte an der Tür daneben an und trat ein. Der 16-jährige schaute auf und nahm die Kopfhörer ab.
„Hey", sagte Jane und setzte sich auf den Stuhl. Dieses Zimmer war genauso sparsam eingerichtet.
„Hey…es geht um Javiera, nicht wahr?", fragte er mit dunkler Stimme und wischte sich trockene Tränen von der Wange.
„Sie wurde heute Morgen ermordet aufgefunden", informierte Jane.
„Wie wurde sie ermordet?"
„Erstochen…irgendeine Ahnung wer es sein könnte?"
„Dad."
„Sicher? Wie kommst du da drauf?"
„Die haben sich vor einer Woche wieder gestritten."
„Erzähl mal", forderte Jane und schlug seine Beine übereinander.
„Javiera hat sich nie gut mit Mum und Das verstanden. Als sie 18 war und Mum erneut schwanger wurde, ist sie abgehauen. Seit ein paar Jahren treffen wir uns wieder regelmäßig."
„Ich verstehe…wo ist deine Mutter?"
„Arbeiten. Sie kommt spät nach Hause."
„Und wo hast du dein Zeug versteckt?"
„Was, Alter?", fragte der Junge empört.
„Na komm schon. Was nimmst du, Schnee, K…"
„Nur ein bisschen Cannabis, ja?"
Jane lächelte über seinem Triumph.
„Ist ja nicht so, als ob mein Vater nicht auch was nehmen würde…", murmelte der Sohn beleidigt.
„Er trinkt, nicht wahr?... Meinst du, er könnte deine Schwester ermordet haben?"
Jetzt schaute er betroffen. „Was, nein? Obwohl, wenn er zugekifft war, weiß nicht", er zuckte mit den Schultern.
„Jane!", hörten sie Rigsby rufen.
„Ich muss gehen", sagte Jane und stand auf. „Noch eine Frage: Deine Schwester hat es geschafft, hier rauszukommen, nicht wahr?"
„Sie hat sich für uns geschämt und war froh, als sie endlich weg war."
Jane nickte und verschwand aus der Tür.

Jane und Rigsby betraten das CBI Gebäude und fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Als Rigsby ausstieg, murmelte Jane: „Ich komme gleich nach" und bevor der Agent etwas erwidern konnten, hatten die Türen sich wieder geschlossen und Jane drückte den Knopf für den Keller.
Dort befanden sich die Haftzellen für Insassen, die angeklagt festgehalten werden mussten, oder sich aufgrund von Verhören im CBI befanden, dennoch durfte niemand länger als 48 Stunden dort verbringen und die Person, die heute Abend entlassen und danach zu einer anderen Hafteinheit für längere Zeit bis zu einer Verhandlung gebracht wurde, wollte Jane unbedingt vorher noch besuchen. Er betrat den stickigen Keller und nickte dem Wärter zu.
Jane betrat den langen Flur und schloss die Tür hinter sich. Die Person lag auf der kahlen Bank und blickte an die Decke. Als sie bemerkte, dass jemand gekommen war, um sie zu besuchen, setzte sie sich aufrecht hin.
„Patrick", flüsterte sie und lächelte. „Du wolltest mich also noch mal besuchen kommen. Wie nett von dir."
„Es wäre einfacher, wenn du reden würdest", antwortete er trocken.
„Worüber denn reden?"
„Das weißt du genau", antwortete er und wedelte mit dem Schlüssel, den er gerade eben dem Wärter unauffällig abgenommen hatte. Sie lächelte. Er trat vor und schloss langsam die Tür auf. „Komm her", flüsterte er.
Sie zögerte und ihre Augenbrauen schoben sich zusammen. „Du hast ein falsches Bild von Red John, Patrick. Er wollte mit dir befreundet sein, verstehst du das denn nicht?", fragte sie leichtgläubig.
„Das glaubst du wirklich, oder?"
„Aber warum denn nicht, Patrick? Er ist so nett und ihr passt–" Doch Jane hielt ihr den Finger auf den Mund und sie verstummte.
„Kannst du mir zeigen, wie ich Red John finde?"
Sie lächelte, wie zu einem kleinen Kind, welches gerade etwas unglaublich Dummes gefragt hat. „Patrick. Er findet dich. Er weiß, wann es Zeit ist, mit dir in Verbindung zu treten."
„Lorelei", flüsterte Jane und schaute sie an. Sie blickte tief in seine hübschen Augen und beugte sich nach vorne. „Warum hast du mich hier raus gelassen?", fragte sie verwirrt.
„Draußen steht ein Wachmann. Freu dich nicht zu früh", murmelte er, doch bevor er sich versah, hatte sie bereits ihre Lippen auf seine gelegt. Sie fasste seine Schulter, doch die andere Hand verbarg sie hinter ihrem Rücken. Ihre Finger umklammerten fest den kalten Gegenstand und in dem Moment, wo sich ihre Lippen lösten, holte sie aus und schlug ihn damit auf den Kopf. Er sagt gerade zusammen und fiel zur Seite.
„Tut mir Leid, Jane. Aber du bist noch nicht bereit für Red John", sagte sie schadenfroh und mit großen Schritten spazierte sie aus dem Flur.

Als Jane wieder zu sich kam, hörte er einzelne Stimmen. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er sie Cho, Rigsby, Van Pelt und Lisbon zuordnen konnte. Er schlug die Augen auf und erblickte eine wohlbekannte Decke. Er war im CBI, auf seiner Lieblingscouch und drehte sich in Richtung Geflüster.
„Er ist wach", flüsterte Van Pelt und alle drehten sich zu ihm.
„Jane!", keifte Lisbon da auch schon los.
„Was ist passiert?", stöhnte er einfach nur und setzte sich auf. „Ich hab Kopfschmerzen."
„Das ist auch nicht verwunderlich. Lorelei hat sie mit einer Eisenstange aus der Haftzelle geschlagen", erklärte Rigsby und die vier kamen näher.
„Lorelei ist geflohen, Jane. Könnten sie mir das bitte erklären?", bellte der Boss.
„Ich habe sie gehen lassen", erklärte er und Lisbon formte diese Wörter ungläubig mit ihrem Mund. „Sie wird mich zu Red John führen!"
„Nein, das wird sie nicht. Sie wird sich allerhöchstens in Mexiko absetzen und wir werden nie wieder von ihr hören. Sie war unser einziger Hinweis!"
„Sie hätte eh nicht geredet."
„Vor drei Wochen haben sie noch ganz anders gesprochen, Jane!"
„Das war vor drei Wochen", stöhnte er und ließ sich zurück auf die Couch fallen.
„Jane! Wie soll ich das unserem neuen Boss erklären?", wütete Lisbon. Die anderen Agents schauten sich wortlos an und versuchten nicht zu lächeln. In letzter Zeit schaffte Jane es immer wieder, Lisbon auf die Palme zu bringen und es liefen bereits Wetten, wo und wann die beiden en nächsten Streit anfingen. Cho nickte von Rigsby auf Van Pelt und grimmig schob er ihr einen Zehn-Dollar-Schein unter, denn sie grinsend annahm. „Im Flur, übermorgen", flüsterte Rigsby ihr ins Ohr und keiner mehr hörte mehr zu, was Lisbon dem Berater sonst noch alles vorwarf.
„Entschuldigung, Lisbon. Könnten sie die letzten fünf Minuten noch mal wiederholen, ich habe nicht zugehört?", fragte Jane freundlich und lächelte sie an.
„Jane!", schrie Lisbon aus voller Lunge und starrte ihn an.
„Agent Lisbon", kam plötzlich eine Stimme von hinten und alle drehten sich überrascht um. Selbst Jane hatte Agent Darcy nicht kommen sehen, da Lisbon ihm im Weg gestanden hatte.
„Könnte ich sie bitte für einen Moment sprechen?", fragte die FBI-Agentin und Lisbon nickte verblüfft. Bevor sie ging, wandte sie sich noch einmal an Jane und bellte: „Darüber sprechen wir noch", woraufhin er nur lächelte und wieder auf die Couch fiel, um ein Nachtmittagsschläfchen zu halten.