Hoffnungen werden aus der Asche geboren
Disclaimer: I do not own the Noble Dead Saga and only write fanfictions because I really like the books by Barb and J.C. Hendee.
Früh am Abend saß Magiere ihrem Partner, dem Halbelfen Leesil, gegenüber an einem der wenigen Tische im Erdgeschoss ihrer Taverne „Zum Seelöwen".
Leesil hatte seine Arme auf dem Tisch überkreuzt und ließ seinen Kopf mit einem erschöpften Ächzen darauf sinken. Ihre Ellbogen auf die raue Oberfläche des Tisches stützend ließ Magiere ihr Gesicht zwischen den Händen ruhen und musterte ihren Kameraden schweigend aus großen, dunkelbraunen Augen.
Es war für sie alle ein langer Tag voll harter Arbeit gewesen, so auch für Caleb, den alten Verwalter ihres Zuhauses, der schon zusammen mit seiner Ehefrau Beth-rae und ihrer Enkelin Rose in dem alten Gebäude gelebt hatte, als Leesil und sie vor ungefähr zweieinhalb Monden in Miiska angekommen waren.
In diesem Moment waren Caleb und die fünfjährige Rose oben und Magiere vermutete, dass sie bereits schliefen. Sie hoffte es. Sie hatten sich die Ruhe genauso verdient wie alle anderen ihrer Helfer.
Magiere war immer noch ein wenig überwältigt von der bedingungslosen Hilfsbereitschaft so vieler Stadtbewohner, die all ihre Kraft in den Wiederaufbau der Taverne steckten.
Besonders Karlin, ihr Freund und der Bäcker der Stadt, Loni, der Elf, der die „Samtrose" führte, Darien, der neue Konstabler von Miiska, aber auch Leute, die Magiere nicht einmal wirklich kannte und die ihr und Leesil dankbar waren, halfen jeden Tag bis zur Dämmerung beim Schleppen von Brettern und Steinen und bei all den anderen Dingen, die erledigt werden mussten, um Magieres Traum in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Es hatte ungefähr zwei Monde gedauert, aber jetzt waren sie fast fertig.
Der alte „Seelöwe" war von einem Trio von Edlen Toten niedergebrannt worden, die unbemerkt in der kleinen Stadt gelebt hatten. Nach einigen harten Kämpfen war es ihr und Leesil schließlich mit der Hilfe der Einwohner gelungen zwei von ihnen zu vernichten. Einer der Vampire war entkommen.
Aber das war Magiere im Moment egal. Alles was sie wollte, war den beinahe vollständig neu aufgebauten „Seelöwen" zusammen mit Leesil zu führen und ein friedliches Leben in ihrem selbst ausgewählten Zuhause zu führen. Leesil hatte wegen seiner schweren Verletzungen, die er sich in den Kämpfen zugezogen hatte, nicht von an Anfang an beim Bau helfen können. Laufen war ein unüberwindbares Hindernis für ihren Partner gewesen und das bloße Stehen hatte ihm starke Schmerzen bereitet. Einige Rippen waren gebrochen gewesen und mehrere andere Wunden hatten seine Körper ziemlich verunstaltet.
Jetzt, einige Monde später, hatte er beinahe wieder seinen alten Gesundheitszustand erreicht, dank Magieres, zugegebenermaßen, übertriebenen Pflege und Aufmerksamkeit.
Sie hatte alles getan, was getan werden musste, damit er sich erholte. Sie hatte ihn gefüttert, da er nicht aufrecht hatte sitzen können, ihn ausgezogen und gewaschen und seine Wunden so gut wie möglich versorgt. Sie hatte sogar versucht für ihn zu kochen, was unglücklicherweise mit einer verbrannten und ungenießbaren Pampe geendet hatte, die er nie zu Gesicht bekommen hatte, da sie nicht gewollt hatte, dass er mit einer Lebensmittelvergiftung im Bett liegen musste. Außerdem war Magiere ihre Unfähigkeit, einen einfachen Linseneintopf zu kochen, ein wenig peinlich gewesen.
Widerstrebend hatte der Halbelf ihre Fürsorge maulend und jammernd und mit einem stets genervtem Ausdruck auf dem Gesicht über sich ergehen lassen, ganz besonders am Anfang. Aber mit der Zeit hatte er den Eindruck gemacht, sich daran gewöhnt und ihre Betreuung sogar genossen zu haben. Sein Protest hatte gänzlich aufgehört, von leisen und halbherzigen Äußerungen wie etwa „Ich fühle mich wie ein Kleinkind, um das sich ständig jemand kümmern muss" oder „Du behandelst mich wie einen Invaliden" mal abgesehen.
Sobald er konnte, hatte Leesil begonnen, zusammen mit den anderen an ihrem neuen Zuhause zu arbeiten. Ihr Gefährte hatte nicht auf Magieres besorgten und gleichzeitig verärgerten Widerspruch gehört. Letztendlich war all ihr Nörgeln vergebens gewesen. Es hatte diesen Dickkopf nicht davon abgehalten zu tun was er wollte.
So viele Menschen waren während der Kämpfe gegen die Edlen Toten schwer verletzt, wenn nicht sogar getötet worden und Magiere fühlte sich schuldig – zu Recht. Ihr Freund Brenden und Beth-rae zum Beispiel. Vielleicht war das der Grund dafür, dass Caleb sich so eifrig mit dem Wiederaufbau beschäftigte – zur Ablenkung, um nicht über den plötzlichen Tod seiner Ehefrau denken zu müssen. Er und seine Enkelin taten ihr aufrichtig leid und sie vermutete, dass Beth-raes Verlust ihm verständlicherweise immer noch zu schaffen machte, obwohl er nie Anzeichen von Trauer zeigte.
Jetzt da der Bau der Taverne beinahe vollendet war, fand Magiere Zeit über solche Dinge nachzudenken. Sie war beim Wiederaufbau ihres Zuhauses keine große Hilfe, da sie die meisten der verwendeten, schweren Materialien nicht tragen konnte, aber sie unterstützte Aria und Lila immer dabei, den Arbeitern zu helfen, indem sie ihnen Essen brachte oder über die Baupläne wachte.
Die Stimmung auf der Baustelle und im „Seelöwen" selbst war unbeschwert und entspannt. Es gab keine ernsthaften Streitereien und die Helfer bildeten ein gute Truppe. Insgesamt war Magiere erleichtert und versuchte, alle schmerzlichen Gedanken zu verdrängen.
Leesil stand langsam auf, um in Richtung Küche zu trotten. Dann hielt er plötzlich inne und drehte sich zu ihr um.
„Ich fühle mich, als ob ich gleich verhungern würde!", sagte er, während er eine Hand auf seinen Bauch legte. „Bist du auch hungrig? Soll ich dir eine Portion Fischsuppe mitbringen?"
Magiere hatte bereits am Mittag gegessen, als er immer noch mit den anderen Helfern in der Sonne geschwitzt hatte, also lehnte sie dankend ab. Leesil zuckte die Schultern und verschwand durch den Vorhang in die Küche.
Leesils Betreuung hatte die beiden einander näher gebracht. Teilweise natürlich aufgrund der körperlichen Nähe, die diese wohl oder übel mit sich brachte, aber das konnte nicht alles sein. Magiere fand widerstrebend mehr und mehr Interesse an Leesil als Person. Sie war sich bezüglich der Gefühle des Halbelfen nicht sicher, aber er schien ihr ihr gegenüber auch nicht abgeneigt zu sein, obgleich er sie weiterhin häufig neckte.
Sie wollte sich ihm weiter annähern, traute sich aber nicht. Dafür gab es zweierlei Gründe.
Erstens war da einfach die Tatsache, dass sie Angst davor hatte zurückgewiesen zu werden, eine Angst die vermutlich alle Frauen hatten, die...verliebt waren? War sie in diesen sturen, waghalsigen, verspielten und manchmal unreifen Halbelfen, der nicht davor zurückschreckte seinen Charme zu nutzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen, verliebt? Das war nur eine Seite von ihm. Er konnte auch ernst sein, wenn er wollte, und war zeitweise sogar ziemlich gerissen und berechnend. Sie musste alle Seiten von ihm kennenlernen und das wollte sie auch. Sie war zumindest höchst interessiert an ihm, auch wenn sie es sich selbst nicht wirklich eingestehen wollte.
Der andere Grund war schwerwiegender und beim Gedanken daran drehte sich Magiere der Magen um. Nachdem Leesil sie, tödlich verwundet und Unmengen an Blut verlierend, mit Brendens Hilfe aus dem Schlupfwinkel der Vampire gerettet hatte, hatte er den Rat des seltsamen Mannes, Welstiel, befolgt und ihr sein Blut zu Trinken gegeben. Wie sie später erfahren hatte, hatte er sich beinahe ohne zu zögern das Handgelenk aufgeschlitzt und getan, wie es ihm gesagt worden war. Sie selbst konnte sich nicht mehr daran erinnern was passiert war, bevor sie auf einem Bett in Brendens Haus liegend aufgewacht war, Leesil über ihr grätschend, sein aufgeschlitztes Handgelenk zwischen ihre Zähne pressend und sein ungewohnt blasses und müdes Gesicht unmittelbar vor ihrem eigenen.
Sie erinnerte sich an an die behutsamen Berührungen seiner Finger an ihrem Hinterkopf, als er ihren Kopf nur ein klein wenig angehoben hatte, um es einfacher für ihn zu machen, sie sein Blut trinken zu lassen und an seinen warmen, aber schwachen Atem auf ihrem Gesicht, als seine Stirn ihre eigene berührt hatte.
Magiere schauderte vor Abscheu vor sich selbst, als sie sich die Wärme seiner Haut zwischen ihren Zähnen und den Geschmack seines Bluts in ihrem Mund ins Gedächtnis rief.
Seines Bluts. Des Bluts der einzigen Person in ihrem Leben, die ihr wirklich etwas bedeutete und der sie bedingungslos vertraute. Das Blut der Person, die sie ihren besten Freund und Partner nennen würde.
Sie hatte ihn fast getötet und er hätte sie es tun lassen. Das war das Schlimmste an dem Ganzen. Er konnte immer noch nicht die Gefahr sehen, die von ihr ausging, und behauptete, dass er nicht in ihren Armen gestorben wäre. Sie wusste es besser.
Magiere seufzte kaum hörbar. Sie musste sich von ihm fernhalten, um seinetwillen, da er nicht zu verstehen schien, dass sie jederzeit in der Lage war ihn zu töten, wenn sie die Kontrolle über sich verlor und ihre Dhampir-Natur in ihr aufstieg. Es kam ihr vor, als ob er es einfach nicht verstehen wollte und diese Tatsache schlichtweg ignorierte.
Dennoch war sie nicht stark genug, um von ihm und der Hoffnung, ihn besser kennen zu lernen, gänzlich abzulassen. Sie konnte eine enge Freundin sein, oder etwa nicht? Das würde ihn nicht umbringen oder zumindest hoffte sie das. Ihm Fragen ohne sichtbare oder eindeutige Absichten zu stellen war erlaubt, da es niemandem verletzte, außer sie, in dem Fall, dass sie ihm durch sie so nahe kam, dass es weh tat, sich zurückhalten zu müssen. Sie konnte es nicht riskieren, einen Schritt zu weit zu gehen.
Magiere hoffte, dass es für den Fall, dass es jemals soweit kommen würde, nur eine weitere Frage der Selbstbeherrschung sein würde. Sie war geübt darin, ihre Gefühle zu verstecken, hatte sie doch in ihrer Kindheit auch stark sein müssen. Sie hatte sie in ihrem Heimatland Dröwinka in einem Dorf verbracht hatte, indem sie für das gehasst worden war, was sie war.
Sie musste das einfach nur im Gedächtnis behalten und alles würde gut werden. Sie hatte eine Menge Fragen, sowohl tiefgründige, als auch belanglose. Vielleicht war es ratsam, mit Letzteren anzufangen.
Leesil kehrte aus der Küche zurück, eine Schüssel in der einen, einen Löffel in der anderen Hand. Mit einem zufriedenem Seufzen ließ er sich wieder auf seinem Platz Magiere gegenüber nieder. Sofort begann er zu essen, als ob Magiere nicht einmal anwesend wäre. Magiere nutzte den Moment und starrte ihn an, eine eigenwillige Strähne ihres langen, offenen Haares aus dem Gesicht streichend.
Im Gegensatz zu seinem weißblonden Haar, das ihm über den Schultern hing, war seine Haut von einem goldenen Braunton. Das alles zusammen mit seinen länglichen, nicht ganz spitzen Ohren und mandelförmigen, leicht schräg stehenden, bernsteinfarbenen Augen, ein wenig größer als die eines Menschen, unter hohen, fedrigen Augenbrauen, kam von seiner einer halbelfischen Herkunft. Sein schmales Gesicht mit seinem kantigen, immer bartlosen Kinn und den langsam aber sicher verblassenden Narben auf der rechten Seite seines Halses und seines Kiefers war für sie vertraut und gutaussehend. Ihr Blick wanderte über sein Gesicht, während seine halbelfischen Augen auf die Schüssel voll mit Fischsuppe gerichtet blieben. Seine Haut war so glatt...Sie fragte sich, wie alt er wohl war. Leesils ganzes Erscheinungsbild war geschmeidig und zeitweise irgendwie anmutig. Sein Alter würde eine gute Frage zu Beginn sein.
„Kann ich dich was fragen?", fragte Magiere zögernd.
„Klar", sagte Leesil, den Mund immer noch voll kleiner Fischstückchen, während er aufblickte. „Worum geht's?"
Magiere hob eine Augenbraue und blickte Leesil finster an. Hatte sie ihn tatsächlich für ein anmutiges Wesen gehalten?
„Du hast keine Manieren."
„Das war keine Frage", entgegnete Leesil und fuhr damit fort, seine Suppe zu schlürfen. Dann hielt er inne, sah nochmals zu ihr auf und schluckte. Plötzlich begann er mit weit aufgerissenen Augen zu husten, als er sich an seiner Suppe verschluckte. Während er sich mit einer Faust auf die Brust schlug, die immer noch ein wenig empfindlich von den gebrochenen Rippen war, wurden seine Augen noch größer, als Schmerz ihn zu durchzucken schien.
„Valhachkasej'â!", stieß er ärgerlich hervor, als er nicht mehr husten musste. „Diese verdammte Verletzung!"
Zuerst war Magiere besorgt und wollte ihn bemitleiden, aber es schien nicht allzu schlimm zu sein. Stattdessen sah sie ihn weiterhin finster an und grinste dann ein wenig.
„Geschieht dir recht."
Leesil warf ihr einen Blick zu.
„Ich wäre fast vor deinen Augen erstickt, aber was soll's." Er seufzte. „Wie lautet deine Frage?", fragte er sie, als er sich, diesmal vorsichtiger und gesitteter, wieder daran machte, seine Suppe weiterzuessen.
„Wie alt bist du?", fragte Magiere geradeaus.
Leesil hörte ein weiteres Mal auf zu essen und starrte sie an. Dann breitete sich ein schelmisches Lächeln auf seinem dünnlippigen Mund aus.
„Weshalb willst du das so plötzlich wissen? Es hat in all den Jahren keine Rolle gespielt, oder?"
Magieres schwaches Grinsen verschwand und machte Platz für ihren altbekannten, vernichtenden Blick.
„Vielleicht ist es dir noch nicht in den Sinn gekommen, aber ich will dich das nicht erst seit gestern fragen! Ich wollte es schon wissen, als wir noch durch Strawinien gereist sind, aber ich habe nie eine Gelegenheit gefunden, dich danach zu fragen. Außerdem habe ich als deine Partnerin das Recht, es zu erfahren, da du ja mein Alter auch kennst!"
„Ich habe dich nie darum angebettelt, mir dein Alter zu verraten."
„Ich habe es dir trotzdem gesagt, weil ich finde, dass du es wissen solltest. Als eine grundlegende Information sozusagen. Aus diesem Grund will ich dein Alter jetzt auch wissen – als grundlegende Information. Und außerdem bettle ich genauso wenig."
„Schon gut, reg dich ab, du Drachen", sagte Leesil, das verschmitzte Lächeln immer noch auf den Lippen. „Rate."
„Ich soll dein Alter erraten?"
„Ich schätze, das ist es, was 'rate" bedeutet, ja."
Magiere warf nochmals einen flüchtigen Blick auf ihn. Der Halbelf fing wieder an, seine Fischsuppe zu löffeln.
„In Ordnung, … vielleicht …"
Leesil sah nicht auf.
„Ich vermute mal...20?", fragte sie unsicher.
Leesil spuckte den Mund voll Suppe aus, den er gerade hatte hinunterschlucken wollen, als er sie anblickte.
„Waaas?"
„Du widerliches, ekliges Halbblut!"
Magieres Hemd zierte ein riesiger Fleck von Fischsuppe. Es tropfte ebenfalls von ihren bleichen Händen und Armen und sie verzog ihr Gesicht zu einer ärgerlichen Grimasse.
„Sieh dir an, was du getan hast!", blaffte sie, während sie ihre Arme und Hände an den Stellen ihres Hemds abwischte, die trocken geblieben waren.
„Tut mir leid, aber ...", erwiderte Leesil, „... es ist zum Teil auch deine Schuld."
„Wie bitte?"
Magieres Stimme wurde lauter. Das Hemd würde trocknen, aber es würde sicherlich nach Fisch stinken.
„Na hör mal, du wolltest mich veralbern. Ich meine, das kann doch nicht dein Ernst sein. Du kannst mich nicht tatsächlich für 20 halten!"
„Ich wollte dich nicht veralbern!", schrie Magiere beinahe und zwang sich dann, ihre Stimme zu dämpfen und nicht an ihr Hemd zu denken. „Ich hab das ernst gemeint."
„Wirklich?", fragte Leesil, während er sie ungläubig anstarrte.
„Ja!", entgegnete Magiere scharf. „Also bist du nicht 20 Jahre alt?"
„Mitnichten. Völlig daneben." Er schien sich zu amüsieren, als er sich wieder seiner Suppe zuwandte. „Rate weiter."
„Nein, du verrätst es mir jetzt!"
„Auf keinen Fall", widersprach er lächelnd.
„Ich werde nicht weiter raten."
„Oh, dann wirst du es niemals erfahren.", erwiderte er mit einem Schulterzucken. „Wie schade."
„Na schön! Du bist also älter als 20?"
Leesil schluckte einen Löffel Suppe herunter, bevor er ihr antwortete. „Allerdings."
„Dann... vielleicht 23?"
Er schmunzelte. „Nicht wirklich."
Seine ständig wechselnden Gesichtsausdrücke, von dem jeder einzelne einen anderen Grad von Belustigung zum Ausdruck brachte, verärgerten sie.
„Bist du älter oder jünger als ich? Älter oder jünger als 26?", herrschte sie ihn an.
Leesil schien ihren Ärger nicht zu bemerken. „Älter", erwiderte er bloß.
Magiere seufzte. Sie hatte genug von seinem Spielchen.
„Nun gut, ich denke du bist … 28. Meine letzte Schätzung. Du kannst unmöglich älter sein. Ich dachte, du wärst so alt wie ich oder jünger."
„Wie schmeichelhaft", ließ er mit einem unschuldigen Lächeln verlauten. „Knapp daneben ist auch vorbei."
„Kann nicht sein", knurrte Magiere.
„Sei nicht beleidigt", gab er grinsend zurück. „Es ist nicht meine Schuld, wenn du falsch rätst."
„Ich bin nicht beleidigt!", seufzte Magiere frustriert.
Leesil hatte seine Suppe endlich so gut wie ausgelöffelt. Er nahm die Schüssel in seine schmalen Hände, setzte ihren Rand an seine Lippen und schluckte. Danach stellte er die Schüssel wieder auf dem Tisch ab und sah sie an.
„Du hast da etwas in deinem Mundwinkel.", wies Magiere ihn hin. Ein Stückchen Fisch oder etwas in der Art hing dort. Sie hob ihre rechte Hand zu ihrem eigenen rechten Mundwinkel, um es ihm zu zeigen.
Selbstvergessen rieb er mit dem linken Zeigefinger an seinem linken Mundwinkel herum, blickte dann seinen Finger und anschließend sie an.
„Ist es weg?"
Magiere hob die Augenbrauen, verdrehte ihre Augen und langte schweigend über den Tisch, um seine rechte, braune Hand mit ihrer blassen zu ergreifen. Sie hob sie zu dem Fischstückchen und rubbelte, bis es entfernt war.
„Jetzt ist es weg.", teilte sie ihm mit und ließ seine Hand los, während sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte.
„Danke", murmelte er. Der Halbelf sah ein wenig verblüfft aus, oder zumindest wirkte er so auf Magiere, und sie fragte sich warum.
„Also, bitte ...", begann Magiere und betonte das letzte Wort, „ ... sag mir einfach, wie alt du bist. Ich habe keine Lust mehr, dein kleines Spiel zu spielen."
Leesil sah ihr in die Augen und blinzelte.
„Na gut", verkündete er schließlich. „Ich bin 31 Jahre alt." Er grinste, vermutlich in freudiger Erwartung auf ihre Reaktion. „Fünf Jahre älter als du."
Magieres Augen wurden ein bisschen größer, aber sie versuchte, ihre Überraschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Dann betrachtete sie ihn näher und ihre Augen wurden schmal.
„Das hätte ich niemals gedacht. Du siehst jung aus für dein Alter."
„Danke vielmals."
Immer noch mit einem breiten Grinsen im Gesicht stand er auf, hob seine leere Schüssel und den Löffel auf und näherte sich dem Vorhang, der zur Küche führte. Magiere drehte sich um und sah ihm nach. Als er schon auf halbem Wege durch den Vorhang war, rief sie aus.
„Warte!"
Leesils weißblondes Haar leuchtete im schummrigen Raum des „Seelöwen", als er seinen Kopf durch aus dem Türrahmen steckte. Erst jetzt bemerkte Magiere, dass sie schon eine ganze Weile hier gesessen hatten. Die Sonne war bereits untergegangen. Sie würde später die Kerzen anzünden müssen.
„Was gibt's?", fragte Leesil verwirrt.
„Warum?"
„'Warum'? Was 'warum'?". Er runzelte die Stirn.
„Warum siehst du so jung für dein Alter aus?", fragte Magiere.
„Oh, das meinst du." Er zuckte die Schultern. „Halbelf, erinnerst du dich? Schätze, vollblütige Elfen sehen hinsichtlich ihres Alters noch um eine Ecke jünger aus. Bei meiner Mutter war es so."
Er blickte traurig zu Boden, die Stirn in Falten gelegt, als ob er etwas falsches gesagt hätte. „Ich habe es geerbt", sagte er schließlich, als er ihr in die Augen sah.
„Verstehe. Ich habe mich nur gewundert."
Leesil nickte ihr kurz zu, trat zurück in die Küche und damit außer Sicht.
Magiere starrte auf den noch leicht hin und her schwingenden Vorhang. Sie hatte ihn nicht an seine, scheinbar, dunkle Vergangenheit oder zumindest eine Vergangenheit, über die er nicht nachdenken wollte, erinnern wollen. Im Schmerz zu bescheren war das Letzte, was sie wollte, aber sie war neugierig gewesen und war es in Hinblick auf seine Vergangenheit immer noch. Eines Tages würde er ihr vielleicht freiwillig davon erzählen. Sie wünschte sich das verzweifelt, denn sie wollte ihn verstehen und ihm, wenn möglich, helfen … irgendwie. Sie hoffte, dass er nicht niedergeschlagen sein würde, jetzt, da sie ihn versehentlich dazu gezwungen hatte über seine Familie und Vergangenheit zu sprechen.
Sie schloss kurz ihre Augen und fuhr sich mit einer Hand durch ihr langes, schwarzes Haar. In dem dämmrigen Raum war kein Hauch von dem üblichen blutroten Schimmer darin erkennbar.
Einen Moment später kam Leesil hinter dem Vorhang hervor.
„Ich bin satt", sagt er mit einem Rülpsen oder einem Gähnen. Magiere konnte nicht wirklich ausmachen, was es war. Höchstwahrscheinlich beides.
„Manchmal bist du wirklich ein Schwein" Sie runzelte die Stirn, innerlich darüber erleichtert, dass er nicht bedrückt zu sein schien.
„Hm … ja. Aber nur manchmal", entgegnete er mit einem unschuldigen Lächeln. Dann gähnte er nochmals.
„Ziemlich oft sogar", beharrte Magiere. „Du solltest schlafen gehen. Es war ein langer Tag."
„Gute Idee. Ich bin todmüde. Was ist mit dir?"
„Seltsamerweise scheinst du nicht müde gewesen zu sein, während du gegessen hast." Sie lächelte schwach. „Ich bin in der Tat müde, aber ich schätze nicht so sehr wie du. Du hast hart gearbeitet und ich … tja, ich nicht. Zumindest nicht so sehr."
„Das ist wahr. Ich fühle mich, als könnte ich an Ort und Stelle einschlafen." Leesil hielt sich die Hand vor den Mund, als er wieder gähnte.
Magiere fühlte auch ein Gähnen in ihrer Kehle aufsteigen, versuchte aber, es zu unterdrücken. Sie war nicht sehr erfolgreich.
„Du bist ansteckend", tadelte sie ihn mit einem Stirnrunzeln. „Geh ins Bett, bevor ich dich vom Boden auflesen muss, wozu ich vermutlich überhaupt nicht in der Lage bin. Das heißt ich müsste dich dann hier auf dem Boden liegen lassen."
„Das würdest du nicht tun, oder?", säuselte er, als er sie, so gut es eben ging, während die Müdigkeit langsam die Oberhand gewann, mit einem Hundeblick ansah.
„Vielleicht schon", warnte sie ihn. „Ich würde es nicht riskieren. Hinauf mit dir, du fauler Halbelf!" Leesil versuchte traurig zu schauen, scheiterte aber und lächelte leicht. Er ging an ihr vorbei zur Treppe auf der anderen Seite des Raumes. Nachdem er ein paar Stufen genommen und die Treppe halbwegs hinter sich gebracht hatte, blieb er stehen und blickte zu ihr hinab, sich mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht über das Treppengeländer lehnend. Magiere sah hinauf in seine bernsteinfarbenen Augen und aus seinem Grinsen wurde ein warmes Lächeln.
„Nun, ich würde dich jederzeit die Treppe hoch tragen und ins Bett bringen", sagte er sanft. „Gute Nacht. Schlaf gut."
Mit diesen Worten verschwand er aus ihrer Sicht. Magiere saß immer noch auf dem Stuhl, ihr Gesicht dorthin gewendet, wo er noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte. Ihr Herz schlug ein bisschen zu schnell in ihrer Brust, als sie schließlich leise antwortete.
„Gute Nacht."
Sie stand nicht sofort auf. Stattdessen senkte sie ihren Kopf ein wenig und starrte in die Dunkelheit des Zimmers. Was war das gewesen? Er hatte nie zuvor so mit ihr gesprochen, nicht in so einem Ton. So … ernst, aber zärtlich. Und was war mit ihrem Herzen los? Alleine hier im Dunkeln glitten ihre Gedanken kurz zu dem, was sie sich selbst früher an diesem Abend bezüglich der Kontrolle ihrer Gefühle geschworen hatte. Jetzt, da sie ganz für sich war, konnte sie ihre Gefühle nicht länger verstecken.
Vorsichtig legte sie eine Hand auf ihr Herz, in dem Versuch es davon abzuhalten so schnell zu schlagen. Natürlich brachte es rein gar nichts und sie war froh darüber. Langsam wanderten ihre Mundwinkel Stück für Stück nach oben. Sie konnte nicht anders. Schlussendlich saß sie dort in völliger Dunkelheit und strahlte über das ganze Gesicht.
Magiere wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis sie schließlich langsam von ihrem hölzernen Stuhl aufstand und buchstäblich die Treppe hinauf schwebte. Als sie das erste Stockwerk erreicht hatte, fiel ihr Blick auf die erste Tür zu ihrer Linken. Leesils Zimmer. Kein Ton war zu hören und Magiere lächelte immer noch still in sich hinein. Sie ging den Flur herunter bis zur Tür, die zu dem Raum führte, der neben Leesils lag - ihr eigenes Zimmer. Sie öffnete sie und schloss sie sanft hinter sich, nachdem sie eingetreten war.
Irgendwie schaffte sie es, sich auszuziehen und sie ließ das schmutzige Hemd, das nach Fisch stank, achtlos zu Boden fallen. Danach schlüpfte sie in ein altes weites, cremefarbenes Hemd, dass ihr bis zu den Knien reichte. In ihrem gemütlichen Bett liegend und die Decke über ihren bleichen Körper gezogen, lächelte sie immer noch und obwohl es wegen dem geöffneten Fenster kühl in ihrem Zimmer war, fror sie überhaupt nicht.
So lag sie dort für eine Weile und konnte nicht einschlafen. In dem Moment, als die Müdigkeit letztendlich beinahe Überhand gewann, bahnte sich ein beruhigender Gedanke den Weg in ihr Bewusstsein. Nur fünf Jahre. Das war überhaupt kein großer Altersunterschied. Und selbst wenn es so gewesen wäre … es wäre ihr egal gewesen. Am Ende würde alles klappen. Sie musste nur vorsichtig sein. Dies war ihr letzter Gedanke, begleitet von dem Bild von Leesils lächelnden Gesicht in ihren Gedanken, bevor sie in einen tiefen, friedlichen Schlaf fiel.
