Rettung

Ein roter Mond erhellte das karge, felsige Hochplateau, inmitten von braunschwarzen, zackigen Bergmassiven. Drei Zelte standen im Schutz eines Hanges. Rauch strömte aus dem Größten hervor und von innen waren leise Stimmen zu hören.

„Der Sherpa hatte recht. Das Lager befindet sich direkt hinter dieser Bergkette."; sagte eine tiefe, bärenhafte Stimme gerade.

Sie gehörte Adrian Rauensteig, dem Leiter der Operation, dessen Mitglieder in Felle gewickelt, im Wohnraum des verzauberten Zeltes um einen gusseisernen Ofen saßen, war ein großer, muskulöser Deutscher, Mitte 40 mit langen strähnigen Haaren, braunen Hundeaugen und einem bauschigen Bart, der ihm bis zur Brust ging. Alles an ihm strahlte Kraft und Ruhe aus. Den weißen Fellmantel enger an sich ziehend musterte er seine Truppe einige Augenblicke, dann fuhr er fort.

„ Also gehen wir es noch einmal durch. Francois, Aptapu und ich apparieren vor den Haupteingang. Aptapu bricht die Schutzzauber, während Francois und ich die Wächter erledigen, bevor sie Alarm schlagen können."

Er schaute zu einem hageren glatzköpfigen Franzosen und einer Schwarzafrikanerin, mit langen filzigen Rasterlocken, in denen weiße Flügelknochen steckten. Beide nickten zum Zeichen, dass sie verstanden hatten.

„Ist der Zauber gebrochen, werden sie es merken. Das lässt sich nicht vermeiden. Howard und Toby, ihr appariert dann sofort in die Menge und blendet sie. Das muss schnell gehen. Der Feind darf gar nicht merken, was passiert."

Ein Mann Mitte dreißig, mit schon ergrauten Haar und schwarzgrauem Schnurrbart, sowie ein nervöser junger Mann Anfang zwanzig, mit halblanger brauner Mähne, der recht blass um die Nase wirkte, nickten.

„Gut. Das ist dann deine Chance Ginny. Du musst unbedingt mit dem Umhang nahe genug an Xang Fu heran kommen, um ihn entwaffnen zu können. Zerstören seinen Stab am besten, in jedem Fall aber lenke ihn solange ab, bis wir uns zu euch durchgekämpft haben. Vergiss aber nicht, ein Duell kannst du nicht gewinnen."

Eine junge Frau Mitte zwanzig, rothaarig, mit dichten Sommersprossen, gegenüber von Adrian, nickte grimmig.

„Denk daran, er darf nicht entwischen.", sagte er noch.

„Das vergesse ich mit Sicherheit nicht.", antwortete sie mit einem düsteren Lächeln.

Die Nacht war voran geschritten. Der Mond stand nun am höchsten Punkt seiner Laufbahn. Ginny blickte unter dem Tarnumhang verborgen in die Schlucht hinunter. Der Sherpa, als einer der Geheimniswahrer, hatte den Fideliuszauber längst gebrochen und nur das mächtige Bannschild des Schwarzmagiers selbst hielten sie noch davon ab, sich hinein zu schleichen. Das Schild verhinderte jegliches Eindringen von außen und konnte nur an einer Stelle, am Eingang zur Schlucht, gebrochen werden. Dort warteten die vier Wächter in grauschwarzen Pelzroben, die ihr Einsatzleiter angekündigt hatte.

Von unten konnten man Trommeln hören und eine seltsame Flöte, die dumpf und hohl in die Berge schallte. Ein gigantisches Feuer brannte hinter einem steinernen Altar in der Mitte eines Platzes, der von mehreren Hütten umgeben war. Mindestens 30 Menschen tummelten sich dort unten und sangen den Ton der Flöte nach, als wären sie in Trance. Was genau sie taten, war von hier oben nicht zu erkennen. Ginny schaute auf ihre Uhr, ein Geschenk ihre Vaters. Noch eine Minute, dann würde Adrian zuschlagen. Sie atmete tief durch und meinte, wie so oft in den letzten Wochen, den Duft seines letzten Besitzers wahrzunehmen. Energisch verdrängte sie die Gedanken, die sich in ihren Verstand stahlen. Ablenkung konnte sie jetzt auf keinen Fell hing so viel von ihr ab.

Plötzlich gab es einen Knall und Adrian materialisierte sicham Eingang zur Schlucht. Sein Stab schnellte nach vorne und zwei der Wächter wurden mit brutaler Kraft an die Felswand geschleudert, noch ehe sie überhaupt begriffen, was vor sich ging. Die beiden Anderen wollten ihrer Zauberstäbe zücken, doch in diesem Moment erschien Francois direkt vor ihnen. Ein Murmeln genügte. Rechts und links aus den Wänden kamen Steinhände geschossen, die die Wächter an den Hälsen packten und in die Luft hoben. Röchelnd und zappelnd hingen sie da, nicht fähig sich noch zu wehren, zu fest war der Griff des Berges. Ginny schauderte. Dieser Franzose war wirklich mehr als unheimlich. Nun erschien Aptapu direkt vor dem in der Luft flirrenden Schild und drückte ihren Zauberstab dagegen.

Es dauerte fast eine halbe Minute, dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall, gefolgt von einem langen, nicht enden wollen Heulen, dass dem eines Wolfes gleich kam. Die Menge am Feuer schrak auf. Es gab Geschrei, Zauberstäbe wurden gezogen. Plötzlich apparierten Howard und Toby mitten in den größten Pulk, der sich zum Ausgang gewandt hatte, schrien aus voller Kehle:„ Exaeco" und ein weißes Licht erfüllte die Schlucht.

Vom Schauspiel gebannt hätte Ginny fast vergessen, selbst einzuschreiten. Sie apparierte hinunter zum Lagerfeuer, genau in dem Moment, als der groß gewachsene Chinese mit weisen Haar und geflochtenem Bart, gehüllt in einen grünen Kimono, auf dessen Rücken ein schwarzer Drache prangte, vom Lichtblitz unbeeindruckt seinen Zauberstab hob und auf Howard richtete.

„ Avada Ke..."

„Expelliarmus" schrie Ginny, und die Hand Xang Fus wurde zur Seite gerissen, lies den Stab aber nicht los.

Sofort wirbelte er herum, um den Angreifer auszumachen, doch konnte er Ginny unter dem Tarnumhang nicht sehen. Irritiert blickte er in die Richtung, aus der die Attacke gekommen war. Ginny hatte längst ihre Position verändert. Lautlos schleuderte sie einen Klammerfluch auf den Schwarzmagier, der instinktiv mit dem eigenen Stab parierte und einen Todesfluch in ihre Richtung schickte. Im letzten Moment warf sie sich zur Seite.

„Zeig dich Feigling" zischte der Schwarzmagier aufgebracht. Währenddessen waren Adrian und seine Begleiter vorgerückt und gesellten sich zu Howard und Toby ins Getümmel.

Die Feinde waren in der Überzahl, aber völlig desorientiert. Mit diesem Angriff hatten sie offensichtlich nicht gerechnet. Ein Schwarzmagier nach dem anderen fiel oder apparierte zur Flucht. Xang Fu fletschte die Zähne, schleuderte einen Flammenstrahl in die Menge, der vier seiner Gefolgsleute sowie Aptapu traf, die schreiend zu Boden sank, und parierte mit ungeheurer Geschwindigkeit eine weitere Attacke Ginnys.

„Pulverulentus" schrie er gehässig. Das Lagerfeuer explodierte und spie Rußflocken aus, als wäre es ein Vulkan.

Mit Schrecken erkannte Ginny, dass sich der Ruß auf den Mantel legte und sie für Xang Fu sichtbar machte.

„Hab ich dich." schrie er freudig und schleuderte sie mit einem Wink seines Stabes ins turmhohe Feuer.

Im letzten Moment warf sie den Tarnmantel von sich und schrie „Aquatus". Die Schicht aus Wasser, die sich über ihre Haut legte, rettete sie, als sie durch die Flammen stürzte. Eilig rollte sie sich aus dem Feuer, bevor der Zauber verflog. Doch kaum war sie hinaus, blickte sie auf die Spitze eines schwarzen Zauberstabes mit weißen Drachenmustern.

„Welch süßer kleiner Kobold ist mir da ins Netz gegangen." gluckste Xang Fu. „Curucio"

Ein brennender Schmerz erfüllte ihren Körper. Sie konnte nicht anders, als aus voller Kehle zu schreien. Sie wusste nicht wie lang es ging. Das Einzige was sie noch wahrnahm, waren die Schmerzen und das Lachen des Feindes.

Dann hörte der Fluch abrupt auf. Xang Fu schrie, doch Ginny war nicht in der Lage aufzublicken. Minuten vergingen, dann legte sich eine Hand auf ihre Schulter.

„Es ist vorbei Ginny, aber er ist uns entwischt."

Langsam öffnete sie die Augen. Adrian kniete neben ihr, eine frische Brandwunde auf Stirn und Wange. Der buschige Bart war zur Hälfte verkohlt. Fast hätte sie lachen müssen, wären die Schmerzen nicht so fürchterlich gewesen.

„Entwischt... aber...", keuchte sie.

„Keine Sorge. Wir haben andere Gefangene."

„Wo?"

„Ruh dich erst einmal aus. Du warst sehr mutig, Kleine."

Energisch streifte Ginny Adrians Hand fort und setzte sich auf.

„Ausruhen kann ich, wenn wir ihn gefunden haben.", sagte sie, dann stand sie unter Schmerzen auf.

Das Lager war ein Schlachtfeld. Überall lagen Körper herum, einige Hütten brannten und zehn Meter vor dem steinernen Altar lag Aptapu regungslos im Staub. Howard und Toby knieten über ihr. Ihre düsteren Blicke sagten Ginny alles, was sie wissen musste. Francois war gerade dabei einen Gefangen zu verhören. Ginny eilte zu ihm. Wütend und entschlossen stürzte sie sich auf den Feind und drückte ihm die Kehle zu. Noch im Klammerfluch des Franzosen konnte sich der Mann nicht wehren. Er war ein schmaler, dürrer Inder mit kurzem Haar und panischen Augen.

„Wo ist er? Wo ist der Gefangene?", zischte ihn die Ginny an.

Er schrie in einer fremden Sprache und auch wenn Ginny ihn nicht verstand war klar, dass er Todesangst hatte.

„Comprehendere", murmelte sie und richtete ihren Zauberstab auf sich selbst.

„Tut mir nichts. Ich haben nichts getan. Tut mir nichts. Ich flehe euch an.", schrie der Inder nun für Ginny verständlich. Sie richtete den Sprachzauber nun auf ihn und fragte dann noch einmal.

„Wo ist der Gefangene? Sag es und wir töten dich nicht!"

Der Inder schaute sie mit großen Augen an, als versuche er zu begreifen, was sie wollte. Dann haspelte er eilig:

„In einer Höhle, zwei Kilometer südlich. Ein Stein ist davor."

Ginny lies los und rannte gen Süden.

„ Hey!", schrie Adrian hinter ihr her „Wir wissen nicht, ob da Wächter sind oder ob Xang Fu dort hin geflüchtet ist!" Aber sie hörte ihn nicht mehr.

Bei der Höhle war alles still. Sie schien unbewacht. Ungeduldig schleuderte sie den großen Felsen vor der Höhle mit einem Zauber zur Seite und ging klopfenden Herzens hinein. Es war dunkel und stickig.

„Lumos"

Hellblaues Licht erfüllte den Raum, der leer schien bis auf ein paar Lumpen in einer Ecke und einer Wasserschale daneben. Plötzlich bewegten sich die Lumpen. Eine magere Gestalt mit zerzauster Mähne, dichtem, ungepflegtem Bart und einer verbogenen runden Brille auf der zerschundenen Nase hob den Kopf.

„Schicken sie jetzt schon Frauen, um mich zu foltern?", fragte eine krächzende Stimme.

„Harry?", hauchte Ginny atemlos.

Der Gefangene grunzte verwundert und stierte ihr entgegen. Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht, als er erkannte, wer dort vor ihm stand

„Du hast mich gefunden."

Zwei hastige Schritte, dann sank er erschöpft und kraftlos in ihre Arme.