Erstes Kapitel
…in dem ein unerwarteter Besuch erscheint
Wie ein Blitz fuhr der Schmerz in seinen Schädel und Severus Snape stöhnte gequält auf. Seit jenem Tag auf dem Turm von Hogwarts peinigten ihn immer wieder rasende Kopfschmerzen. Er wollte sich nicht überlegen, wo ihre Ursache liegen könnte, er wollte überhaupt nicht an diesen verfluchten Tag denken.
Und kaum hatte er das gedacht, schoben sich wieder die Bilder vor sein geistiges Auge.
Der grüne Blitz, der Dumbledore, den alten Narren vom Turm geschleudert hatte.
Das triumphierende Lachen Greybacks und sein vor ekelhafter Freude verzerrtes Gesicht.
Seine Flucht, um Draco in Sicherheit zu bringen.
Und dann Potter.
Einmal mehr Potter, der sich einmischen musste, unerträglich selbstgerecht, wie es schon sein Vater gewesen war.
Potter hatte ihn aufgehalten, hatte ihn beschimpft und trotz Allem hatte der Lehrer in ihm gesiegt und er hatte dem verdammten Balg noch Ratschläge mit auf den Weg gegeben.
Und wofür das Alles? Zur Weißglut getrieben hatte er sich fast vergessen und nur der Hippogreif hatte verhindert, dass er den Jungen schwer verletzten konnte.
Segen und Fluch zugleich, denn die Verletzungen, die ihm das Tier beigebracht hatte, waren tief und verheilten nur schlecht.
Und er hatte Draco verloren, der kopflos geflohen war.
Nun saß er hier in Spinners End und verfluchte den Tag wieder und wieder.
Seine dezenten Nachforschungen über den Verbleib des jungen Malfoy waren bisher ohne Erfolg geblieben, allerdings musste er sich auch sehr bedeckt halten, denn er war nun der meistgesuchte Mann der Zaubererwelt.
Stöhnend schleppte er sich in sein Arbeitszimmer und suchte im Tränkeschrank nach einem bestimmten Elixier. Er fand die Phiole und nahm einen großen Schluck.
Ekel schüttelte ihn, aber er spürte erleichtert, wie sich das Stechen hinter seiner Stirn fast augenblicklich zu einem leichten Pochen milderte.
Er verkorkte die Phiole sorgfältig und nahm sich vor, den Vorrat dieses Trankes beizeiten aufzufüllen.
Langsam ging er in sein Wohnzimmer, um in Ruhe abzuwarten, bis die Schmerzen vollständig abgeklungen waren.
Kaum saß er auf dem alten Ledersofa, als ein lautes Klopfen an der Tür ihn aufschrecken ließ.
Er wartete einen Moment, bis ihm klar wurde, dass Wurmschwanz ja fort gegangen war und er nun selber nachsehen musste, wer etwas von ihm wollte.
Unwillig ging er zur Tür, zögerte kurz, öffnete sie dann aber doch.
Vor ihm stand eine Frau, deren sandfarbenes, schulterlanges Haar ihr halb ins Gesicht hing. Sie war kleiner als er, schmal und wirkte abgerissen. Ihre Kleidung war sauber, aber schäbig und sie sah nicht so aus, als lege sie besonderen Wert auf ihr Äußeres.
Sein Blick blieb auf der schlohweißen Haarsträhne hängen, die seltsam fehl am Platz wirkte.
Ihr Gesicht war ebenmäßig und hätte schön sein können, wenn es nicht so hart gewesen wäre. Ihre Augen waren kalt, als sie ihn musterte.
„Du siehst schrecklich aus, Snape", sagte sie mit einem Hauch gehässigen Triumphs in der Stimme.
Die Stimme.
Jetzt erkannte er sie.
„Was willst Du, Kasparian?"
„Ich freue mich auch, Dich zu sehen, Snape", erwiderte sie mit einem spöttischen Zug um die Mundwinkel.
Er neigte leicht den Kopf, wartete immer noch auf eine Antwort auf seine Frage.
Sie seufzte und mit deutlich hörbarer Müdigkeit sagte sie: „Ich brauche eine Unterkunft. Ich kann im Moment nirgendwo hin und da fiel mir dieser Ort ein."
Er hob die Augenbrauen.
„Woher…"
„Du hast mich mal hierher eingeladen. Es mag ja sein, dass Du Dich weigerst, Dich an bestimmte Dinge zu erinnern, Snape, aber das ändert nichts an den Tatsachen, auch wenn Du es noch so sehr hasst, nicht alles kontrollieren zu können."
Er schwieg, ihre Worte trafen einen schmerzhaften Punkt.
„Also was ist, Snape. Lässt Du mich rein, oder soll ich hier draußen stehen und Aufmerksamkeit erregen?" Spott klang in ihren Worten mit.
Er zögerte kurz, dann trat er zur Seite. Sie ging an ihm vorbei ins Haus, sah sich kurz um und rümpfte die Nase. „Hat sich nicht verändert hier."
„Wenn es Dir nicht gefällt, kannst Du gerne wieder gehen." Er öffnete die Tür erneut, die er gerade hatte schließen wollen.
Sie schnaubte, erwiderte aber nichts, so dass er die Tür schloss.
Beide bewegten sich nicht aus dem Flur heraus, standen da, als warteten sie auf irgendetwas.
„Also nochmals. Warum kommst Du ausgerechnet jetzt hierher, Kasparian?"
„Wie gesagt, ich kann gerade nirgendwo hin und Du schuldest mir was, Snape."
Er hob erneut die Augenbrauen, sagte aber nichts, sondern ging ins Wohnzimmer vor.
Sie folgte ihm schweigend, sah sich in dem Zimmer um und setzte sich ungefragt auf einen der Ledersessel neben dem Sofa.
Snape ging zu einem Schrank, holte eine Flasche Elfenwein und zwei Gläser hervor, schenkte beide voll und stellte sie auf den Tisch vor dem Sofa. Dann nahm er Platz und sah sie fragend an.
Eugenia Kasparian sah sich noch einmal prüfend um, dann griff sie nach einem der Gläser, hob es und sagte voller Hohn: „Auf uns!"
Snape griff nach seinem Glas, hob es und nickte mit spöttisch gekräuselten Lippen.
Sie tranken und schwiegen eine lange Weile.
Jeder von ihnen hing seinen Gedanken und Erinnerungen nach.
Snape dachte an seinen ersten Tag in Hogwarts, die Auswahlprozedur des Hutes. Dort hatte er sie zum ersten Mal gesehen.
Ein kleines Mädchen, schon damals mit einem harten Zug um den Mund.
Als sie aufgerufen wurde, hörte er am Slytherin-Tisch bei den älteren Jungen Gemurmel. Ein großer Junge mit sandfarbenem Haar und einem schönen Gesicht sagte deutlich hörbar: „Eugenia, meine kleine Cousine. Sie kommt sicher zu uns nach Slytherin, sie ist eine echte Kasparian." Stolz schwang in seiner Stimme mit und der kleine Severus fühlte ein zwickendes Gefühl von Neid in seinem Bauch.
Und tatsächlich, der Hut sagte ohne zu Zögern „SLYTHERIN!"
Das Mädchen trottete zum Tisch ihres Cousins, wo sie mit begeistertem Applaus empfangen wurde. Sie setzte sich, ohne irgendeine Reaktion auf die Begrüßung zu zeigen.
Kurz darauf wurde auch Snape dem Haus zugeteilt und er musterte sie weiter.
Irgendwie hatte er das Gefühl in einen Spiegel zu sehen. Nicht, dass sie ihm äußerlich ähnlich war, aber ihre Ausstrahlung erinnerte ihn fatal an sich selber.
Snape verdrängte die Erinnerung und sah Eugenia weiterhin an.
Er hob langsam die Hand und deutete auf die weiße Haarsträhne.
„Was ist passiert? Ich nehme nicht an, dass Du plötzlich auf modischen Schnickschnack stehst."
Sie lachte trocken auf, dann wurde ihr Gesicht wieder zu der undurchdringlichen Maske, doch einen Moment konnte er einen entsetzlichen Schmerz in ihren Augen auftauchen sehen.
„Mir ging es nach der Geburt eine zeitlang nicht sehr gut", sagte sie, ohne ihn anzusehen.
Er verzog ebenfalls keine Mine.
„Du hast also ein Kind."
„Wir, Severus. Wir. Zu einem Kind gehören gemeinhin zwei."
Eine eiskalte Hand griff nach seinen Eingeweiden, als er sie anstarrte.
