Prolog
If you were dead or still alive,
I don't care.
Apocalptica – I don't care
Das erste Mal sieht er den Engel aus der Ferne, die Gedanken in Aufruhr, der Geist verworren und unzusammenhängend. Nur ein kurzer Moment und der Engel teleportiert sich fort, ein Glimmen seiner Gnade zurücklassend. Niemand außer ihm nimmt den Engel zur Kenntnis. Es kann nicht sein, was nicht sein darf und so ist es ein Leichtes, die Signatur des Engels zu maskieren und die Monster von ihm fern zu halten. Der Engel ist sein.
Das zweite Mal sieht er den Engel, wie er umzingelt von Leviathanen ein Leuchtfeuer der Gnade entfacht und sie zu Staub zermalmt. Der Engel wandelt auf einem dunklen Pfad der Verzweiflung, nur einen Schritt vom Wahnsinn entfernt. Er folgt dem Engel schneller als es die Monster können.
Das dritte Mal sieht er den Engel an einem Fluss. Allein, den schmalen Grat eines stabilen Geistes nahezu hinter sich gelassen. Es ist die Ankunft eines Menschen, die den Engel rettet. Eines Menschen, der ihm vertraut vorkommt, das vage Gefühl von Gefahr mit sich bringend. Wäre er nicht so abgelenkt von dem Engel gewesen, er hätte den Menschen bereits eher entdeckt, ebenso den Vampir in seiner Begleitung.
Ein Monster, ein Engel und ein Mensch zusammen im Fegefeuer. Es klingt wie der Anfang eines schlechten Witzes und genau danach sieht es für den Trickster auch aus.
Der Trickster beobachtet die Gruppe aus der Ferne. Wann immer er sich ihnen nähert, steigt diese unbestimmte Übelkeit in ihm auf, gepaart mit einem diffusen Angstgefühl. Er kennt diesen Menschen und er kennt den Engel – beide bedeuten Ärger und Gefahr, soviel weiß er. Vernünftigerweise sollte er sich von ihnen fernhalten und auf ihren Tod warten.
Und genau deshalb folgt er ihnen so nah wie möglich, bis die Welt sich um ihn herum verdreht.
O.O.O
Der Trickster schwang den Ast in einem eleganten Bogen und zertrümmerte den Schädel des Gestaltwandlers. Einer nieder, blieben vier. Mit einem Fingerschnippen und einem Stupser in das Unterbewusstsein störte er die Konzentration des nächsten und beobachtete amüsiert, wie sich nach und nach alle Körperteile unabhängig voneinander verwandelten.
„Ich hoffe für dich, dass 'wie die Nase eines Mannes, so auch sein...' nicht auf dich zutrifft, Kleiner", spottete der Trickster, als die Gesichtszüge des Gestaltwandlers sich wellenförmig veränderten. „Sonst wäre es fast schon gnädig, dich zu töten." Der Trickster ließ die Arterien des verwirrten Gestaltwandlers schrumpfen. Er stieg über das zitternde, um Kontrolle kämpfende Monster am Boden, packte den Ast fester und wandte sich den letzten drei zu.
Der Größte der Angreifer überragte den Trickster um zwei Köpfe und verließ sich auf reine Muskelkraft. Mit einem Fingerschnippen verknotete der Trickster seine Schnürsenkel und ließ ihn in die Klinge des nächsten Gestaltwandlers taumeln.
Der Ast fand den Kopf des verwirrt auf seine im Körper des Artgenossen vergrabene Klinge starrenden Gestaltwandlers. Blieb noch einer.
Der Trickster erwartete, dass dieser sich zur Flucht wandte – die Monster im Fegefeuer waren eins gegen eins Kämpfen im Allgemeinen eher abgeneigt und inzwischen sollte auch im Kopf dieses beschränkten Gestaltwandlers angekommen sein, dass der Trickster etwas über seiner Gehaltsklasse lag.
Umso erstaunter war er über das Blut in seiner Hand. „Du hast auf mich eingestochen", teilte er dem Gestaltwandler überrascht mit und zog die improvisierte Klinge aus Obsidian und Knochen aus seinem Arm. „Das war nicht nett."
Mit einem Fingerschnippen ließ er einen riesigen Höhlenbären vor dem Gestaltwandler und einen Schokoriegel in seiner eigenen Hand erscheinen. Genüsslich biss er in die Süßigkeit und betrachtete das blutige Werk des Bären. Ein goldenes Leuchten, und die Wunde an seinem Arm war verheilt.
O.O.O
Der Trickster kehrt zurück. Er empfindet Zeit als verwirrend. Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft... Alles ist eins, geht ineinander über, fließt, wirbelt. Er ist seit Ewigkeiten im Fegefeuer, er ist seit gestern hier. Er weiß es nicht. Erinnerungen fühlen sich real an, blenden in die Gegenwart, lassen ihn Zeit verlieren. Tage in seinem Kopf, Sekunden in der unwirklichen Realität des Fegefeuers.
Er weiß, so sollte es nicht sein, und doch ist es schon immer so gewesen. Er weiß nicht, was Traum, was Wirklichkeit ist, wann der Traum Wirklichkeit war und die Wirklichkeit Traum sein wird. Manchmal träumt er, er wäre jemand anderes. Manchmal weiß er, er ist jemand anderes.
Aber hier und jetzt ist er der Trickster.
Also akzeptiert er die Nicht-Erinnerungen, die sich mit den seinen vermischen und reist weiter, dem Menschen, dem Monster und dem Engel hinterher. Er fragt sich kurz, ob auch sie Schwierigkeiten mit der Reihenfolge von Leben, Tod und wieder Leben haben. Eigentlich jedoch interessiert es ihn nicht.
Die Tüte mit gezuckerten Gummitieren dagegen schon.
