Sommerregen

Kapitel 1

Aufgebracht platze Hermine in Snapes Büro, so dass die Tür haltlos gegen die Wand donnerte und zurückprallte.

"Professor! Professor, das kann unmöglich Dumbledores Ernst sein!"

Sie wedelte mit der Nachricht, die ihr beim Mittagessen ein Schüler zugesteckt hatte, vor seiner Nase herum und knallte sie auf den Schreibtisch. Dort saß er seelenruhig auf seinem Stuhl, verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie, die Brauen bis zum Anschlag hochgezogen.

"Haben Sie das gelesen? Sie müssen da dringend was unternehmen!"

Snape legte herablassend den Kopf schief.

"Ich bitte um Verzeihung, Miss Granger, aber ich wüsste nicht, was Sie dazu berechtigt, auf diese Weise hier hereinzuplatzen."

Sie stöhnte auf. Offenbar hatte er es nicht gelesen oder es kümmerte ihn tatsächlich nicht. Dabei war die Nachricht, die sie erhalten hatte, wirklich mehr als beunruhigend.

"Wollen Sie damit sagen, dass Ihnen das gleichgültig ist?", fragte sie den Tränen nahe.

Geknickt sackte sie ihm gegenüber auf dem freien Stuhl vor seinem Schreibtisch zusammen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Es konnte sich bei der ganzen Sache nur um einen schrecklichen Irrtum handeln.

"Sie werden sich unverzüglich zusammennehmen", drang da plötzlich Snapes Stimme zu ihr durch. So abfällig hatte er schon lange nicht mehr geklungen.

"Haben Sie auch nur eine Ahnung davon, wie sinnlos es ist, dass Sie sich hier aufspielen?", setzte er nach, die Stimme zu einem bedrohlichen Flüstern gesenkt. "Der Schulleiter hat entschieden, da ist nichts zu machen."

"Nichts zu machen? Sie sind Lehrer! Sie können sich im Gegensatz zu mir weigern."

"Bedaure, kann ich nicht. Ich habe bereits mein Möglichstes versucht."

"Haben Sie das", entfuhr es ihr wehleidig.

Snape grinste süffisant. "Sie können mir glauben, ich bin wahrlich nicht wild darauf, mit Ihnen diesen Ausflug zu machen ..."

"Sehen Sie? Das ist unmöglich. Dieses Wochenende ist die letzte Gelegenheit für mich, vor den Sommerferien ... es – es geht einfach nicht! Überhaupt ist es ziemlich inakzeptabel, dass Sie und ich ..."

"Klären Sie mich auf, Miss Granger. Was könnte so wichtig sein, dass Sie unserem Schulleiter einen Wunsch ausschlagen wollen?"

"Ron und ich, wir haben eine Verabredung, falls es Sie interessiert", sagte sie spitz. "Wir wollen dieses Wochenende zusammen ausgehen, da wir uns während der Ferien für ein paar Wochen nicht sehen werden."

"Natürlich. Ein überaus wichtiger Grund, um das Wohl der Allgemeinheit zu vernachlässigen. Tut mir leid, wenn wir Ihre Pläne durchkreuzen, aber Sie sind damit nicht allein. Auch ich könnte mir etwas Vergnüglicheres vorstellen, als für Sie den Babysitter zu spielen. Was die Ferien anbelangt, seien Sie unbesorgt, niemand sehnt sich so danach, wie ich es tue."

Hermine starrte ihn mit offenem Mund an.

"Soll das heißen, Sie wollen das wirklich durchziehen?"

"In der Tat."

"Aber kann das nicht noch ein paar Tage warten?"

"Miss Granger, wie Sie selbst eben bemerkt haben, beginnen in wenigen Tagen die Ferien. Wir alle werden sie brauchen, um uns zu regenerieren und zu uns selbst zu finden."

"Aber …"

"Es wird das Einfachste sein, Sie stellen sich vorübergehend krank. Das erspart uns lästige Erklärungen den anderen Lehrkörpern gegenüber. Nur Albus, Ihre Hauslehrerin und ich sind eingeweiht."

"Aber …"

"Nein."

Hermine schnaubte. "Ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass man mich vermissen könnte? Harry und Ron ..."

"Werden selbstverständlich von Ihnen davon erfahren. Wir wissen, wie gern Sie sich miteinander austauschen, Granger. Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Albus hat wie immer an alles gedacht."

Hermine gefiel sein Gehabe gar nicht. Wohl oder übel zeigte Snape kein Einsehen. Im Gegenteil, je mehr sie versuchte, dagegen aufzubegehren, desto mehr traf sie auf Widerstand. Am Ende musste sie einsehen, dass ihr nichts anderes blieb, als sich auf den Weg zu machen und die Koffer zu packen.

"Ich erwarte Sie morgen in der Früh um halb acht in meinem Büro", sagte Snape zynisch. "Kommen Sie nicht zu spät."

Genau dieselbe Diskussion wie die in den Kerkern, wurde noch am gleichen Abend spät in Dumbledores Büro fortgesetzt. Snape machte ein missmutiges Gesicht, als er seinem Vorgesetzten gegenüber saß, wohingegen dieser nicht sonderlich beunruhigt wirkte und sanftmütig lächelte.

"Ich tue das nur zu deinem Besten, Severus. Miss Granger ist überaus qualifiziert, dir zu assistieren. Obendrein stellt sie eine sehr interessante Gesellschaft dar, wenn man sich erst einmal näher mit ihr befasst. Etwas ungestüm vielleicht, aber das wird sich legen. Ihr werdet bestimmt gut miteinander auskommen."

Snape schnaubte. "Haben Sie in letzter Zeit einmal mit ihr gesprochen? Sie ist furchtbar schwer zu ertragen. Neunmalklug, besserwisserisch ..."

"Oh, das habe ich!", verkündete Dumbledore fröhlich und der Tatendrang in seinen strahlend blauen Augen war dabei so ungebrochen wie seit eh und je. "Wir hatten das Vergnügen, erst kürzlich ein paar Worte miteinander zu wechseln. Ihre Argumente können sehr überzeugend sein."

Snape rümpfte missbilligend die Nase. "Sie war hier? Sagen Sie nicht, sie hat die Frechheit besessen, Ihre Arbeit zu stören, Schulleiter."

"Sie war in der Tat bei mir und hat versucht, mich dazu zu bringen, die ganze Sache abzublasen. Zu schade, dass du sie nicht gehört hast. Dieses Mädchen besitzt eine Leidenschaft, von der wir nur träumen können."

Snape rollte mit den Augen. "Das war nicht das, was ich hören wollte. Miss Grangers Leidenschaften interessieren mich nicht im Geringsten."

Dumbledore lächelte vergnügt und streckte die Hand nach Snape aus, um seinen Arm zu tätscheln. "Leider musste ich ihr erklären, dass die Geschäfte rund um Hogwarts vor allem anderen kommen. Wir können nicht auf persönliche Einwände Rücksicht nehmen, wenn so viel auf dem Spiel steht."

"Als ob sie das verstehen würde ...", wand Snape grummelnd ein.

Dumbledore nickte. "Du hast Recht. Sie war sehr enttäuscht. Aber sie ist jung und wird es verkraften."

Snape war da anderer Meinung. Er sah schon deutlich vor sich, wie er dazu gezwungen war, seine Freizeit mit dem aufmüpfigen Gör zu verbringen, das für gewöhnlich nichts Besseres zu tun hatte, als sich irgendwo einzumischen.

"Wie stellen Sie sich das vor, Albus?", murmelte er zwischen seinen eng aufeinanderliegenden Kiefern hervor. "Sollen wir uns unterwegs ein Zimmer teilen?" Sein Kommentar war ein einziger Hohn. "Sie können nicht von mir erwarten, dass ich die Nacht an ihrer Seite verbringe, um sicherzustellen, dass sie sich nicht in Gefahr begibt."

"Ich vertraue darauf, dass ihr eine Lösung finden werdet. Ihr seid intelligent genug, um das allein zu regeln. Wichtig ist nur, dass ihr unterwegs keine Spuren hinterlasst. Wenn nötig, musst du dafür sorgen, dass sich niemand an euch erinnert. Tom darf auf gar keinen Fall erfahren, was wir im Schilde führen."

"Seien Sie unbesorgt, Schulleiter. Sie können wie immer auf mich zählen."

Dumbledore seufzte tief und langanhaltend.

"Das ist der Grund, weshalb ich dich dafür auserwählt habe. Und jetzt sieh zu, dass du ins Bett kommst. Euch steht eine aufregende Reise bevor. Ihr könntet unterwegs auf eine Vielzahl altbekannter Gefahren stoßen oder auch etwas gänzlich Unerwartetes finden."