TITEL: Wir sind dabei, uns zu verlieren
GENRE: Romanze/Drama
CHARAKTERE: Cuddy, House, Wilson, Rachel
PAIRING: House/Cuddy
RATING: R
SPOILER: nimmt Bezug auf Staffel 6
WÖRTER: 20.400
ZUSAMMENFASSUNG: Ein Jahr später. Wieder ein Tag, wieder 24 Stunden. Das, was sich House und Cuddy damals erkämpft hatten, bröckelt schon seit langer Zeit wieder.
ANMERKUNG: Dies ist die Fortsetzung meiner Geschichte 'Erinnerungen sind nur eine Version der Realität'. Wie schon darin werden die wahren Ereignisse in der Serie nach 'Broken' weitestgehend ignoriert.
"Ich bin dabei, du bist dabei, wir sind dabei, uns zu verlieren." – Clueso
23:00 Uhr
Er lässt sich mit einem Seufzen neben ihr auf der Couch nieder, ganz so als gehöre er hier schon zum Inventar. Kein Blick, kein Wort, von mehr vermag sie nicht einmal zu träumen. Seine Augen konzentrieren sich auf den Fernseher, doch auf seinem Gesicht liegt ein Ausdruck, dessen Wortlaut und Tonfall sie jetzt ganz und gar nicht hören will. Was ist?, fragt er stumm.
Also dreht sie den Spieß einfach um und konfrontiert ihn mit einem Wortlaut und Tonfall, den er jetzt sicher auch nicht hören will. "Du kannst nicht einfach kommen und gehen, wann du willst", sagt sie und sieht ihn eindringlich von der Seite an.
"Ich dachte, das wäre der tiefere Sinn hinter der Tatsache, mir einen Schlüssel zu überlassen", kontert er.
"War es nicht. Du könntest wenigstens anrufen, wenn du spät noch hier her kommst."
"Ich dachte, du würdest mich hier haben wollen", erwidert er ganz und gar ohne Gefühl in der Stimme. Eher kalt und harsch; eine simple Feststellung, nicht viel mehr.
"Ich würde gerne vorher wissen, wenn du vorbei kommst." Ihr Ton bleibt ebenfalls hart, denn was er kann, kann sie schon lange.
"Ich schick dir eine E-Mail beim nächsten Mal", sagt er relativ unbeeindruckt und belässt seine Augen auf den flackernden Bildern. "Willst du das sehen oder kann ich umschalten?", fragt er noch und hat sich die Fernbedienung schon längst einverleibt.
Ohne ein weiteres Wort steht sie auf und geht in die Küche. Sie hört, wie er die Sender wechselt und bei einem lärmenden Actionfilm mit unerträglichem Geballer hängenbleibt, den es, wenn es nach ihr ginge, in ihrem Haus nicht geben würde. Aber hier scheint es schon lange nicht mehr nach ihr zu gehen.
Ziellos geht sie in der Küche umher und füllt sich schließlich ein Glas mit Wasser. Kalt rinnt es ihre Kehle hinunter und kann das Feuer in ihr drinnen trotzdem nicht löschen. Zu vieles war in den letzten Wochen zusammengekommen, zu vieles schiefgelaufen. Es fühlt sich nicht mehr richtig an und dabei hatte es doch besser begonnen, als sie beide es erwartet hatten.
Erst spricht er drei Wochen lang nur das Nötigste mit ihr, vermeidet jede Begegnung im Krankenhaus und verbringt keine einzige Nacht neben ihr. Dann der Versuch sie im Krankenhaus auszuspielen und die persönliche Beziehung, die sie inzwischen miteinander hatten, zu seinem Vorteil zu nutzen. Auch wenn es dabei um einen Patienten ging, kann sie nur schwer darüber hinweg kommen. Vielleicht sogar überhaupt nicht.
Und dann fährt er vor zwei Wochen mit Wilson übers Wochenende nach Boston, ohne ihr auch ein Wort davon zu sagen. Er meldet sich kurz, als er schon längst da ist und wahrscheinlich auch nur, damit sie endlich aufhört, ihn ständig anzurufen, weil sie sich verdammt noch mal Sorgen macht.
Sie denkt nicht das erste Mal über eine Trennung nach, doch im gleichen Zuge fragt sie sich, ob sie überhaupt zusammen sind. Reicht die Tatsache, dass er an einigen Abenden vorbei kommt, sie zusammen auf dem Sofa sitzen und danach im Bett den heißen Atem des jeweils anderen auf der nackten Haut spüren dafür aus, oder ist es mehr, was eine wirkliche Beziehung ausmacht?
Sie kann die Frage nicht beantworten, weil sie dafür zu wenige, tiefgreifende Erfahrungen hat. Und genau das ist ein großer Teil des eigentlichen Problems. Verloren sieht sie zum Fenster hinaus auf die dunkle Straße und fragt sich, wie das alles nur weitergehen soll.
Nach ein paar Minuten geht sie zurück ins warme Wohnzimmer und setzt sich wieder neben ihn. Seine Beine ruhen auf dem kleinen Beistelltisch und er würdigt sie erneut keines Blickes.
"Hast du Bier da?", fragt er beiläufig.
Sie versteht, was er will, aber er wird es nicht bekommen. "Ja, aber wenn du eins willst, dann musst du es dir selbst holen."
"Dann eben nicht."
Sie sitzen nebeneinander, als gäbe es keine Verbindung zwischen ihnen, die über die bloße Existenz hinaus geht. Er starrt weiterhin auf den Fernseher und in ihr stauen sich mehr und mehr die Gefühle. Sie merkt, dass sie versuchen, sich den Weg an die Oberfläche zu bahnen, doch sie wird nicht vor ihm weinen, weil er es als Schwäche sehen wird und das schon immer schamlos ausgenutzt hat.
Also schluckt sie es hinunter und ringt stumm um ihre Fassung. Nach einer Weile sind die Gefühle wieder abgeebbt und sie verfolgt gedankenlos den Film, den er anscheinend so spannend findet.
"Du hast mit dem ganzen Quatsch angefangen", sagt er irgendwann, weil er die Stille zwischen ihnen vielleicht auch nicht mehr ertragen kann.
"Ich wünsche mir nur ein paar simple Dinge", erwidert sie und denkt ganz und gar nicht, dass sie es ist, die damit angefangen hat.
"Dass ich anrufe, bevor ich hier her komme? Das ist doch lächerlich."
"Ist es das?"
"Wenn du mich nicht hier haben willst, dann sag es doch einfach."
"Ich will dich hier haben, aber ich wünsche mir auch, dass du mir ein wenig Aufmerksamkeit schenkst."
Er sieht sie zum ersten Mal an, seit er durch die Tür gekommen ist und sich wie selbstverständlich zwischen die Sofakissen gelümmelt hat. "Was erwartest du? Blumenbouquets? Drei Komplimente pro Stunde?"
"Nein, ein simples 'Hallo, schön dich zu sehen' würde es unglaublicherweise auch schon tun. Ansonsten weiß ich nicht, warum du noch hier bist."
Er stöhnt und lässt den Kopf nach hinten fallen. Viel zu sagen hat er dazu nicht.
0:00 Uhr
Es ist wie so oft. Sie streiten sich, giften sich manchmal stumm, manchmal lautstark an und landen danach im Bett.
Er fährt mit seiner großen Hand, den starken, langen Fingern über die empfindliche Haut unter ihren Brüsten und küsst dabei nicht weniger sensible Stellen an ihrem rechten Schlüsselbein. Sie schließt die Augen und versucht nur noch zu fühlen, doch es funktioniert nicht. Immer und immer wieder drängen sich Gedanken zwischen sie und ihn. Unangenehme Gedanken, angsteinflößende Gedanken, tieftraurige Gedanken.
Die picksenden Härchen auf seinen Beinen, die sich über ihre glatte Haut schieben, erinnern sie an die Tage, die von unzähligen, kleinen Nadelstichen übersät waren. Tage, an denen er sie im Krankenhaus wie ein Fremder passierte und sich davon stahl, wann immer sie ihn dazu zur Rede stellen wollte.
Die Wärme, die sich zwischen ihren Körpern bildet und nicht gleich entkommen kann, erinnert sie an hitzige Diskussionen darüber, was er sich ihr gegenüber im Krankenhaus erlauben kann und was nicht. Diskussionen, die im Nirgendwo endeten und für sie nur den Schluss zuließen, dass irgendwann einer von ihnen gehen müssen wird.
Seine Finger, die inzwischen in ihr Haar gewandert sind und sich dort um ihre Strähnen winden, erinnern sie an die Feuerwerke am 4. Juli, die sie von einem kleinen Hügel etwas außerhalb der Stadt beobachteten. Gedankenverloren strichen seine Fingerspitzen über ihr Haar, während sie die explodierenden Lichter genoss und in sich aufnahm. Es ist die letzte richtig gute Erinnerung, die sie hat.
Stumm fragt er sie nach ihrem Einverständnis, weil auch er wahrscheinlich merkt, dass sie nicht mehr ganz bei der Sache ist. Sie nickt einmal kurz und sucht in seinen Augen nach etwas, dass ihr sagt, alles werde gut, alles brauche nur ein bisschen Zeit und kehre dann zu den besseren Tagen zurück. Sie findet immerhin einen kleinen Schimmer von Zuneigung, der ihr Hoffnung gibt.
Als er in sie eindringt, fühlt sie nicht viel außer der puren Mechanik der Sache. Zwei Körper vereint und doch so weit auseinander. Er scheint dabei mit sich selbst beschäftigt und hat es aufgegeben an sensiblen Stellen Küsse zu verteilen. Sein Atem liegt schwer in ihrem Ohr und wird auch ohne ihr Zutun schnell intensiver.
Auf ihren Armen, die sich an ihm festhalten, hat sich eine kleine Gänsehaut gebildet. Sie weiß nicht, ob es Erregung ist oder die Erinnerung an verlorene Vergangenheit und Zukunft. Ihre filigranen Finger streichen über seinen Rücken und nach ein paar Sekunden, stehen auch die kleinen Härchen seiner Haut aufrecht. Es ringt ihr eine winzige Bewegung des Mundwinkels ab.
Es sind kleine Zeichen, aber sie kann sich nicht sicher sein, ihnen wirklich trauen zu können. Es sind keine großen Gesten, die sie je von ihm erwartet hat, doch dass er sie irgendwann wie ein gebrauchtes und nicht mehr ganz so aufregendes Spielzeug in die Ecke stellt und mehr oder weniger ignoriert, ist nichts, womit sie leben kann. Nicht einmal bei ihm.
Seine Hände ruhen auf der Matratze neben ihr, während die ihren immer noch über seinen Rücken streichen und versuchen, weitere Emotionen hervorzurufen—bei ihm und bei ihr gleichermaßen. Das Gefühl der Muskeln unter ihren Fingerkuppen erinnert sie daran, warum sie überhaupt mit ihm hier ist, es nicht schon lange aufgegeben hat.
Stark und explosiv, sehnig und andersartig, verletzlich. Ganz wie der Rest von ihm. Sie liebt all das an ihm. All das, was ihn so sehr von den anderen unterscheidet, auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht schwierig scheint. Doch der einfache Weg ist ohnehin nicht ihrer. Ihre Finger tasten weiter.
Und trotzdem kommt kein Gefühl auf, das ihr sagt, diesen Moment nicht gehen zu lassen, ihn aufrecht zu erhalten, solange es auch nur geht. Sie hatte dieses Gefühl und es war unglaublich, weil so intensiv und überwältigend. Und es war gleichzeitig auch geprägt von diesem kleinen Quäntchen Angst, denn immer schwingt die Furcht bei ihnen beiden mit, dies alles wieder zu verlieren, weil es so fragil und unsicher ist.
Es macht sie traurig, dass sie versucht und versucht, und trotzdem nichts kommt.
Sie überlegt, ob sie es vortäuschen soll, damit sie in Ruhe eine Träne vergießen kann, die den salzigen Geschmack der Vergangenheit in sich trägt. Sie hat es noch nie bei ihm gemacht und weiß nicht, ob er es merkt, ob es ihn überhaupt interessiert.
Während sie noch darüber nachdenkt, findet er einen Punkt, der jeden weiteren Gedanken überflüssig macht. Ihr Körper verkrampft sich einmal komplett und lässt dann wieder los, lässt den Dingen freien Lauf. Doch wieder ist es nicht viel mehr als eine körperliche Reaktion, die nicht bis zu ihren Gefühlen vorzudringen vermag.
Es ist nicht so, wie es sein sollte. Es ist nicht so, wie es an anderen Tagen war, als er sie mit dem Gefühl zurückließ, dass er es war, den sie für immer wollte, wenn der Schweiß auf ihrer Haut langsam trocknete und er auch danach ganz nah bei ihr blieb.
1:00 Uhr
Seitdem er sich wieder von ihr entfernt hat und seine Wärme von ihrem Körper gewichen ist, liegt sie wach und denkt nach. Die Gedanken drehen sich im Kreis, bis ihr langsam davon schlecht wird.
Jedes Mal rückt er ein Stückchen mehr von ihr weg und sie scheinen sich langsam aber sicher zu verlieren. Sie kann ihn nicht mehr spüren, schon seit Wochen nicht mehr, und sie fragt sich, ob er noch etwas fühlt.
"Wenn du nur noch hier bist, um Geld zu sparen, weil du nach dem Sex mit mir nichts bezahlen musst, dann solltest du jetzt gehen", sagt sie nach einer Weile etwas unbedacht, aber sie fragt sich tatsächlich seit einiger Zeit, ob es vielleicht das ist, was ihn noch hier bei ihr hält.
Gleich nachdem sie den ganzen Satz ausgesprochen hat, kämpft er sich tatsächlich aus den Laken heraus und steht auf. "Das ist mir zu blöd", murmelt er und sucht auf dem Fußboden nach seinen Sachen.
"Also ist es wahr. Ist es das, was ich von der ganzen Sache hier, von uns denken soll?"
"Denk doch, was du willst."
Sie kriecht ebenfalls aus dem Bett und spürt den kalten Boden unter ihren nackten Füßen. "Du machst alles kaputt!", donnert sie ihm entgegen.
"Du machst genauso alles kaputt!", schreit er fast schon außer sich. Ein Ton, den sie so noch nie bei ihm gehört hat, weil es nicht nur Wut, sondern auch Verzweiflung und Bedauern ist, was in diesem Moment zum Ausdruck kommt. "Nicht nur ich bin immer an allem Übel der Welt schuld."
Etwas unkoordiniert rammt er beim Gehen einen kleinen Schrank im Flur und verzieht kurz das Gesicht vor Schmerzen, doch es hält ihn nicht davon ab, weiter zu wüten. "Alles muss bis ins Detail funktionieren, alles muss perfekt sein. Dabei dachte ich, du hättest verstanden, dass ich nun mal alles andere als perfekt bin und es auch nie sein werde."
"Das habe ich", entgegnet sie lautstark und geht hinter ihm her. "Ich dachte aber auch, dass du dich bemühen willst, damit das hier funktionieren kann. Das hat aber bloß ein paar Wochen, vielleicht Monate geklappt und jetzt soll ich immer noch denken, dass ich dir nicht egal bin?"
Er ist inzwischen an der Haustür angekommen und reißt seine Lederjacke von der Garderobe. "Wann verstehst du endlich, dass ich nicht immer hier wäre, wenn du mir egal wärst? Brauchst du wirklich jede verdammte Sekunde Bestätigung?"
Sie bleibt hinter ihm stehen und zieht sich fröstelnd den dünnen Morgenmantel enger um den Körper. "Manchmal ist es schön, das auch ausgesprochen zu hören."
"Dann habe ich es hiermit gesagt, aber das wird jetzt auch egal sein." Er versucht seine Schuhe anzuziehen, doch es klappt im Eifer des Gefechts nicht gleich. Lautstark fluchend schleudert er einen der Turnschuhe durch den kleinen Vorraum und sieht sie dann wütend an.
Sie geht auf ihn zu, weil sie spürt, dass das hier zu sehr aus den Fugen gerät. Er kann unmöglich so nach Hause fahren, weil es fast schon sicher ist, dass er in diesem Gemütszustand Bekanntschaft mit dem Asphalt machen wird. Das ist es nicht, was sie will, auch wenn sie ihn manchmal zur Hölle wünscht.
Vorsichtig berührt sie seinen Arm.
"Lass das!", faucht er und packt dabei unsanft ihr Handgelenk. Dann drückt er sie nach hinten, bis sie mit einem dumpfen Geräusch gegen die Wand hinter sich stößt.
Ihr wird schwindelig von all der Verwirrung, einer plötzlich in ihr aufsteigenden Angst vor ihm und den Schmerzen, die seine starken Finger an ihrem Handgelenk verursachen. Sie will sagen, dass er ihr weh tut, doch ihre Kehle ist wie zugeschnürt.
Dann passiert etwas Komisches. Er sieht sie ein paar Sekunden lang an und beugt sich dann nach unten, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu drücken. Sein Mund kracht fast schon auf ihren hinunter und nach einer Weile öffnet er ihn und versucht, mit seiner Zunge energisch wieder zu ihr zurück zu finden. Seine Finger lösen sich unterdessen von ihrem Handgelenk und finden stattdessen den Weg zu ihrer Hüfte.
Während er sie weiter küsst, zieht er seine Jacke wieder aus. Es dauert einen Moment, bis sie den Schock überwunden hat, der sie gerade noch gelähmt hat, und wieder etwas erwidern kann. Sie schiebt ihn ein Stück von sich weg und in der Tat übt er etwas weniger Druck aus, doch so einfach löst er sich nicht von ihr. Er fängt an, ein wenig verzweifelt zu wirken, so wie er versucht eine Verbindung zwischen ihnen zu erhalten.
"House", sagt sie atemlos, als er schließlich nach Luft schnappen muss.
Mit großen Augen sieht er sie an und senkt dann den Blick. Sie drückt sich von der Wand weg und entkommt der Enge. Ein Weilchen stehen sie nur so da, doch irgendwann zieht sie ihn wieder zu sich hinunter und lässt ihre Münder verschmelzen.
Sie schlafen direkt hier auf dem harten Fußboden miteinander. Es ist heftig, rau, roh. Und trotzdem ist sie irgendwie froh, weil zumindest überhaupt mal wieder irgendein echtes Gefühl involviert ist.
2:00 Uhr
Sie massiert sich ihre stark schmerzende Hand und eine kleine, einsame Träne rinnt ihr über die Wange. Langsam realisiert sie, was da gerade geschehen ist und es lässt sie mit einem überwältigenden Gefühl der Leere zurück. Ein Loch, das sich im Moment so anfühlt, als könne es nie wieder gestopft und erneut mit Leben gefüllt werden.
"Hab ich dir wehgetan?", fragt er vorsichtig. "Tut mir leid."
"Ist okay", antwortet sie leise und ihre Stimme zittert ein wenig.
Er richtet sich auf und macht die kleine Nachttischlampe an. Als er sich wieder zu ihr dreht und in dem plötzlichen Licht heftig blinzelt, stellt sie schnell fest, dass er sie nicht ansehen kann. Seine Augen landen überall, nur nicht dort, wo er ihren traurigen Blick sehen könnte, wo er ihn ertragen müsste.
Behutsam nimmt er ihre Hand und sieht sich den Bluterguss am Gelenk an, der sich schnell ausgebreitet hat und blau durch ihre Haut hindurch schimmert. Er begutachtet ihn und ist dabei ganz der Arzt, den sie ab und zu im Krankenhaus beobachten kann, wenn er sich gerade unbeobachtet fühlt. Erst nach ein paar Sekunden wird sein Gesichtsausdruck wieder anders, irgendwie weicher.
"Das wollte ich nicht", gibt er verhalten zu und belässt seinen Blick auf der Wunde unter der Oberfläche.
"Ich weiß", sagt sie und zieht ihre Hand langsam weg. Er ist ausfallend und rau, verletzend und kränkend, aber er ist niemand, der Frauen misshandelt würde. Sie sieht ihm die Scham darüber an, als er immer noch ihrer Hand hinterer sieht. "Ist nicht so schlimm", beruhigt sie ihn.
"Schlimm genug."
Sie sagt nichts und verbirgt ihre Hand wieder unter der Bettdecke. Er macht das Licht aus und legt sich hin, rückt diesmal sogar näher an sie heran, sodass sie seinen warmen Atem spüren kann.
"Scheiße", murmelt er und verdeckt sein Gesicht mit den Händen. "Tut mir so leid", kommt mit gedämpfter Stimme darunter hervor.
"Es ist wirklich okay. Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast." Sie kann es nicht ertragen, dass er sich jetzt so deswegen quält. Eigentlich will sie das Ganze nur vergessen und weitermachen, es vielleicht lediglich als Anlass nehmen, neu anzufangen, aber nicht unentwegt darüber nachdenken. Ihre Hand erinnert sie schon genug daran.
"Kannst du mir vielleicht eine Schmerztablette holen?", fragt sie und will damit nicht nur ihre Schmerzen lindern, sondern ihn auch dazu bringen, sich nicht weiterhin hinter seiner Wand zu verschanzen.
"Ja", sagt er überraschend schnell und springt auch sogleich aus dem Bett.
Es dauert länger, als es sollte, denn er weiß ganz genau, wo sie ihre Medikamente hat, doch sie lässt ihm die Zeit, die er sicher für sich braucht. Als er wiederkommt, hat er nicht nur eine Tablette, sondern auch ein Glas Wasser dabei.
"Hier", sagt er und setzt sich auf ihrer Seite auf den Rand des Bettes.
"Danke." Sie nimmt die Tablette und spült sie mit einem Schluck Wasser hinunter, während er regungslos auf den Boden starrt. Danach stellt sie das Glas auf dem Nachttisch ab.
"Sieh mich an", fordert sie ihn sachte auf.
Er tut es nicht und sie merkt, dass er vielleicht will, aber es nicht kann. Sein Gesicht ist voller Scham.
"Bitte."
"Nicht, Lisa."
Er hat sie kein einziges Mal beim Vornamen genannt das letzte Jahr und es zeigt ihr daher nur umso mehr, wie leid es ihm gerade tut, wie furchtbar er sich deswegen fühlt. Er sitzt da wie ein Häufchen Elend und sie weiß nicht, wer sich hier gerade um wen kümmern sollte—sie um ihn oder er um sie.
"Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast", wiederholt sie ein weiteres Mal.
"Aber es ist trotzdem passiert. Das macht es nicht besser."
Sie findet schon, dass es einen Unterschied macht, aber sie kann auch verstehen, wie geschockt er gerade über sein eigenes Verhalten ist. Einen Moment lang lässt sie ihn einfach in Ruhe, doch sie weiß nicht, ob es das vielleicht nur noch schlimmer macht für ihn. Schlimmer, weil er sich ausmalt, was sie wirklich denken könnte.
Schließlich steht er auf und nimmt das Glas vom Tisch. "Ich bringe das wieder in die Küche", murmelt er und es sind sicher keine neuentdeckten Qualitäten als Hausmann, die ihn dazu bewegen.
Sie hält ihn fest, aber nur ganz sachte, ganz vorsichtig. "Bleib hier." Sie hat Angst, dass er sonst nicht zurückkommen wird.
Er hält inne und stellt das Glas nach einer Weile wieder ab. Erneut setzt er sich und sucht auf dem Boden nach Halt.
"Kannst du mich in den Arm nehmen?", fragt sie.
Er nickt, auch wenn er nicht gleich näher kommt. Zögerlich rückt er irgendwann zu ihr heran und umschließt sie mit seinen Armen, die in dem Moment nicht verletzen, sondern beschützen. Eine weitere Träne rinnt ihr über die Wange, aber es bleibt bei einer einzigen und einem leisen Schluchzer, der sie begleitet. Nach einer Weile löst er sich von ihr und rückt wieder etwas weg.
Dann sieht er sie an und es ist so intensiv, dass ihr ganzer Körper zu kribbeln beginnt. Sie ist nicht bereit, das hier alles schon aufzugeben.
