Welcome to the Asylum
Kapitel 1
Demyx rannte. Er rannte so schnell ihn seine nackten Füße trugen über den langen Gang. Vorbei an weißen Decken, weißen Wänden, weißen Fußböden. Immer weiter, immer schneller, bis er endlich an der Tür ankam, die er zu erreichen erstrebte. Doch als sie endlich in greifbare Nähe, schien das Grauen kein Ende finden zu wollen. Die Tür öffnete sich nicht, so sehr er auch an ihr rüttelte. Er rüttelte, und rüttelte, während er die Klinke immer wieder hinunter drückte. 'Sie muss sich doch öffnen', schoss es ihm durch den Kopf. 'Sie muss einfach.' Seine Gedanken machten den blonden Jungen nur noch panischer.
Immer wieder ermahnte er sich, nicht über seine Schulter zu gucken. Er durfte dem Grauen, das ihn verfolgte, nicht in die Augen sehen. So drückte er panisch immer wieder die Klinke und hoffte inständig, dass die Tür sich doch noch öffnete. Von den Schritten, die sich ihm näherten, wurde er nur noch aufgelöster. Es kam näher. Es kam immer näher, und wollte ihn holen, da war er sich sicher. Wenn ihm doch nur-
„Aber, aber, Demyx. Was machst du denn da? Willst du meine Tür zerstören?", ermahnte ihn die dunkle Stimme seines Therapeuten, welcher soeben den Gang betreten hatte. Er war nicht besonders groß, eine lange Narbe zierte seine linke Wange und sein rechtes Auge war trüb. Es war offensichtlich, dass er auf diesem schon vor langer Zeit erblindet war.
Beinahe, als hätte er sich verbrannt, ließ Demyx die Klinke los und drehte sich schnell auf dem Absatz um, um seinem Therapeuten in die Augen zu blicken.
„Dr. Xigbar! Endlich!", erreichte den Älteren die erleichterte Stimme seines Patienten. Er seufzte ergeben und ging auf die Tür zu, die wenige Augenblicke vorher noch so grausam malträtiert worden war. Wortlos schloss er die Tür auf und ließ den blonden Jungen hineintreten. Eigentlich war dieser erst am nächsten Tag wieder dran, aber Xigbar wusste, dass er ihn nicht einfach so stehen lassen konnte. Wenn Demyx schon vor seinem Besprechungszimmer auftauchte, musste auch etwas vorgefallen sein.
Drinnen angekommen richtete Xigbar seinen Kittel und nahm hinter dem Schreibtisch Platz, während er Demyx andeutete, davor Platz zu nehmen.
„Wo drückt denn der Schuh?", fragte er ironisch, wohl-wissend, dass Demyx niemals Schuhe trug. Seit dem Tag, an dem er in diese Klinik gekommen war. Ebenso, wie er niemals Socken trug. Er als Therapeut hatte schon so oft versucht herauszufinden, wieso dies so war. Doch niemals hatte er eine Antwort darauf bekommen.
„S-Sie war wieder da!", riss ihn die panische Stimme des Blonden aus seinen Gedanken. Wer „sie" war? Das wusste Xigbar auch nicht so genau. „Sie" hatte keinen Namen und auch keine Kleidung. „Sie" war, laut Demyx' Aussage, so etwas wie ein Zombie. Und „sie" verfolgte den Blonden.
Und all das war etwas, was totaler Schwachsinn war. Anfangs hatte Xigbar dem Kleineren ja noch geglaubt. Immerhin glaubte er zuerst immer an das Gute im Menschen. Aber nachdem diese Frau auch in der Anstalt sein sollte, hatte er Zweifel bekommen und sich von ihrem Hausmeister die Überwachungsvideos geholt. Und dort war natürlich alles zu sehen, nur keine Frau, die aussah wie ein Zombie.
„Natürlich", entgegnete der Therapeut geduldig. „Wo war sie dieses Mal?" Und er hätte die Antwort aussprechen können, bevor Demyx sie gab.
„In meinem Schrank! Und dann ist sie unter mein Bett gekrabbelt und dann hat sie mich ins Bein gebissen!" Um seine Worte zu bestärken, hob Demyx sein Bein und zog seine Hose etwas hoch, um eine kleine, aber klaffende Wunde zu zeigen. Sie blutete fürchterlich. Warum war ihm das nicht eher aufgefallen?
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du dir nicht wehtun sollst?", ermahnte der Ältere, welcher dem Jüngeren natürlich kein Wort glaubte. Wie auch? Es gab keine Monster. Demyx' Augen wurden größer und füllten sich mit Tränen:
„Aber ich war das nicht! Das war SIE!" Ergeben nickte Xigbar und erhob sich aus seinem Stuhl.
„Du musst zum Arzt", seufzte er und deutete Demyx an, sich ebenfalls zu erheben, was dieser auch tat. „Du glaubst mir doch?", hakte dieser hoffnungsvoll nach, und Xigbar nickte bloß. Er glaubte ihm zwar kein Wort, aber er wusste, dass er keine Ruhe bekommen würde, bis er sagte, dass er ihm zustimmte. Er vermerkte auf seinem Zettel noch kurz, dass er Larxene andeuten sollte, Demyx' Medikamentendosis zu erhöhen, dann verließ er mit ihm zusammen sein Behandlungszimmer.
Das Zimmer von Vexen, dem Arzt des Hauses, lag auf demselben Gang, etwas weiter runter. Xigbar wartete vor seiner Tür, bis Demyx auch wirklich zu dem Krankenzimmer gegangen war und dieses betreten hatte. Mit dem Jungen war nicht zu Spaßen. Immer und überall schien er diese Frau zu sehen, und fügte sich selbst schreckliche Wunden zu. Wunden, die angeblich von ihr verursacht wurden. Doch da war keine Frau. Da war nur er. Er, der seine Fingernägel tief in sein Fleisch bohrte und ganze Stücke von diesem heraus riss. Er, wie er sich die Haut zerkratzte oder sich selbst in den Arm biss. Und egal was Xigbar auch versuchte, er hörte nicht auf, außer, er bekam genügend Medikamente. Doch die alte Dosis schien bereits zu niedrig geworden zu sein. Nun, ihn sollte es nicht mehr kümmern. Er war nun Vexen's Patient. Mit diesem Gedanken betrat er sein Zimmer erneut, um sich auf seinen eigentlichen Patienten vorzubereiten.
Einige Meter weiter betrat Demyx das Krankenzimmer des Arztes, Dr. Vexen. Ein älterer Mann mit langem, blondem, glattem Haar. Seine Wangen waren eingefallen und er war dünn, beinahe noch dünner als Demyx selbst.
„Ah, Demyx", wurde er von der kalten Stimme begrüßt, die ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Er mochte diesen Mann nicht. Immer, wenn er herkam, hatte er hinterher noch mehr Schmerzen.
„Ich.. sie war wieder da.. sie hat mich gebissen.. Dr. Xigbar hat gesagt, ich soll hierher kommen", stotterte der Junge. Er wurde immer so unheimlich nervös, wenn er zu Dr. Vexen kam.
Vexen war schon lange Arzt in dieser Klinik. Er war einer der Mitgründer gewesen. Er und Xemnas, der Leiter der Psychiatrie, waren bereits Freunde gewesen, bevor er Medizin studiert hatte. Ihnen war gemeinsam die Idee gekommen und bald schon hatte sich auch Xigbar mit ihnen zusammen getan. Doch dies war keine Klinik für jeden. Nur die Patienten, die wirklich als unheilbar galten, kamen zu ihnen in das 'Oblivion Asylum'. Und Demyx war eindeutig einer von denen, die von allen anderen nicht geheilt werden konnten.
Der Ältere nickte ergeben und deutete auf seine Liege, auf welche Demyx etwas verängstigt zuging, bevor er sich auf sie legte. Rasch zog er sein Hosenbein etwas nach oben. Vexen trat an ihn heran und untersuchte die Wunde nur mit den Augen. Betrachtete sie genau und nickte, bevor er Demyx' Hand zu sich zog und diese genau betrachtete. Und wie erwartet, fand er unter dessen Fingernägeln Reste von Blut und Haut. Er war es wieder einmal selbst gewesen. Natürlich, es war offensichtlich, dass er es selbst gewesen war.
„Demyx", kam es mehr als genervt von dem Arzt, „Zum allerletzten Mal. Du sollst das nicht tun. Was habe ich dir beigebracht?" Seine Stimme triefte vor Kälte und etwas, dass man wohl als angewidert bezeichnen konnte. Etwas, dass den Patienten erzittern ließ.
„Es.. ich war das nicht!", beharrte Demyx auf seiner Meinung. Er war davon überzeugt, dass es diese Frau wirklich gab. Natürlich war er das.
„Du warst das nicht.. natürlich." Während Xigbar immer versuchte, den Blonden in dem Glauben zu lassen, dass er ihm seine Geschichten glaubte, machte Vexen kein Geheimnis daraus, dass er das Gerede des Jungen für unwahr hielt. Er glaubte ihm kein Wort, immerhin kannte er die Fakten. Kannte die Videos, und sah das Blut unter seinen Fingernägeln und an seinen Händen. Und wenn Vexen eine Sache hasste, mehr hasste als alles andere, dann waren es Lügen. Vor allem, wenn er es war, der angelogen wurde.
„Wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich nicht anlügen sollst?", zischte er gefährlich, bevor er sich von der Liege entfernte und zu einem seiner Schränke ging. Dem Jungen musste man noch Benehmen beibringen. Musste ihm zeigen, dass man niemanden einfach so anlog, erst recht nicht ihn.
„Ich.. lüge.. nicht", beharrte Demyx auf seiner Meinung, wenn auch sichtlich unsicher. Und als er seinen Blick abwandte, von Vexen, sah er sie. Die Frau, wie sie unter der Liege hervor lugte und ihn anstarrte, bevor ihr Arm hervorschoss und seinen packte. Ihm über den Unterarm kratzte und ihm etwas von seiner Haut abriss. Er schrie schmerzerfüllt, was Vexen dazu brachte, sich zu ihm zu drehen.
Dieser sah selbstverständlich etwas ganz anderes, als Demyx es sah. Und was er sah, war eindeutig die Realität: Der Junge saß dort, auf seiner Liege, und kratzte sich die Haut von seinem Arm. „Demyx!", ermahnte er ihn laut und ging sofort zu ihm hinüber. Und keine Minute später fand sich Demyx an die Liege gefesselt wieder. Festgeschnallt durch einen Lederriemen über seine Brust, sowie Riemen um seine Hände und Füße.
„Das muss aufhören!", verlor der Arzt endgültig die Geduld.
Er ging zurück zu seinem Schrank und suchte kurz nach etwas, das er auch bald darauf fand: Eine Zange. Eine Zange, die all das Übel um Demyx endlich beenden würde. Mit dem Werkzeug in der Hand ging er zurück zu dem Tisch, schloss seinen Kittel vollständig und griff kurzerhand nach einem Mundschutz und einer Brille, welche er sich beide aufsetzt. Ebenso zog er sich Gummihandschuhe an, weiße, wie man sie nur selten fand. Doch der Arzt bestand darauf, dass sie weiß waren. Alles in seinem Behandlungszimmer war weiß.
Mit der Geduld am Ende ließ er sich auf seinem Stuhl, welcher direkt neben der Liege stand, nieder und griff nach Demyx' rechter Hand. Er löste sie aus dem Gurt, umfasste sie aber eben so fest.
„W-Was haben sie vor?", erkundigte sich Demyx mit angstgetränkter Stimme. Doch Vexen fixierte ihn nur kurz mit einem kalten Blick und wandte sich dann wieder der Hand zu. Geschickt setzte er die Zange an den Nagel des Daumens und während er die Worte
„Ich bereite dem ein Ende" sprach, riss er den Nagel mit einem Ruck heraus. Etwas, dass dem Jungen die Tränen in die Augen trieb und ihn schmerzerfüllt schreien ließ.
„NEIN!", durchzuckte die Stimme des Jüngeren den Raum.. doch brachte dies den Arzt nicht davon ab, den Nagel seelenruhig in eine Schüssel fallen zu lassen und sich dann dem nächsten zuzuwenden. Erneut setzte er die Zange an, diesmal an dem Nagel des Zeigefingers.. und riss auch diesen heraus. Das Blut, das dabei von den Fingern des Patienten tropfte, beachtete er nicht. Er würde ihm später ein Pflaster draufkleben, und damit wäre die Sache dann gegessen.
Demyx zitterte, zuckte und schrie. Die Schmerzen, die nach und nach jeden seiner Finger erfüllten, waren viel stärker als jene, die er an seinem Arm oder seinem Bein hatte. Sie durchzogen seine schlanken Finger und seine Hände. Es war schrecklich, so schrecklich, und es wurde immer mehr. Wehren konnte er sich nicht. Wie auch? Seine linke Hand war noch angekettet, und seine rechte von Vexen's festem Griff umklammert. So weinte er nur bitterlich, und schrie immer wieder, wenn sich die Zange an einem seiner Nägel zu schaffen machte. Und es dauerte nicht lang, bis seine rechte Hand kein einziger Nagel mehr zierte. Nur blutende, leere Stellen an den Spitzen seiner Finger blieben zurück.
Zufrieden betrachtete Vexen sein Werk. So würde sich der Junge sicher nichts mehr antun.. vorausgesetzt, er tat dasselbe auch mit seiner linken Hand. Ohne die Wunden weiter zu beachten, kettete er die Hand wieder an die Liege, bevor er mit seinem mit Rollen untersetzten Stuhl einmal um den Tisch herumfuhr und sich auch an der linken Hand zu schaffen machte. Er löste den Riemen, setzte die Zange an.. und riss. Riss den Nagel des Daumens ab, den des Zeigefingers.. und die der anderen Finger. Ignorierte die Schreie und das bitterliche Betteln, dass der Patient von sich gab. Er war gut darin, etwas zu ignorieren. Vor allem, wenn es Schmerzensschreie waren.
Erst, als auch der letzte Nagel den Weg in sein Schüsselchen gefunden hatte, erhob sich der Arzt. Er machte sich nicht die Mühe, die Hand erneut anzuketten.. würde er den Jungen doch eh bald wieder gehen lassen. Seine Aufgabe für heute war nämlich in seinen Augen getan.
„Fertig", wies er beinahe freundlich darauf hin, dass er seine Arbeit erledigt hatte, während er seine Schüssel über dem Mülleimer leerte, seine Handschuhe auszog und entsorgte, und sich dann auch der Brille und des Mundschutzes entledigte.
Demyx zog seine Hand panisch zu seinem Gesicht und betrachtete sie ängstlich. Kein Nagel zierte mehr seine schlanken Finger. Blut rann diese hinab, über seine Hand, langsam seinen Arm hinunter. Und er wusste, dass seine andere Hand nicht besser aussehen würde. Wie sollte er sich denn jetzt gegen die Frau wehren? Noch mehr Panik stieg in ihm auf. Er hatte doch nur seine Nägel. Er.. Seine Augen füllten sich mit Tränen, welche sich ebenso ihren Weg über seine Wangen suchten wie die zuvor. Das durfte nicht sein. Während sich seine Gedanken nur um die Frau drehten, bemerkte er gar nicht, wie die Riemen um seine Brust, sowie Füße und rechte Hand gelöst wurden.
„Du kannst gehen", erlaubte ihm Vexen, wobei es mehr eine Aufforderung war, endlich aufzustehen und zu verschwinden.
Vexen war zufrieden, so schnell würde die blonde Nervensäge nicht wiederkommen. Er hatte ihm Angst gemacht, und gleichzeitig neue Wunden verhindert.. wenn das kein Erfolg war. Er betrachtete genau, wie Demyx verängstigt von der Liege aufstand und sich mit seinen blutigen Händen die Tränen aus dem Gesicht wischte. Etwas, dass sein Gesicht nur noch mehr vollschmierte, denn nun waren nicht nur Tränenreste, sondern auch Blut auf seinen Wangen verteilt. Er nickte noch unsicher, bevor er das Zimmer zügig verließ. Und das letzte, was Vexen hörte, was das schnelle Patschen nackter Füße auf dem Gang, welches langsam immer leiser wurde.
Demyx rannte. Er rannte so schnell ihn seine nackten Füße trugen über den langen Gang. Vorbei an weißen Decken, weißen Wänden, weißen Fußböden. Doch dieses Mal rannte er nicht vor der Frau weg, sondern vor dem Arzt. Vor Dr. Vexen. Vorbei an Zexion, einem weiteren Patienten, der gerade auf dem Weg zu seiner Therapiesitzung war und nur verängstigt zur Seite sprang, als Demyx ihn beinahe rammte. Etwas, dass Demyx nicht weiter kümmerte. Er wollte nur noch weg.
