AN TAGEN WIE DIESEN

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(Ya)ne ponimayu = (Ich) verstehe nicht
Ya ne govoryu po-russki. = Ich spreche kein Russisch.
Nemetskiy = Deutscher
Smertʹ ot zamerzaniya = Tod durch Erfrieren.
Vy ponimayete = Du verstehst mich.

Seine Hände waren über seinem Kopf zusammengebunden und er kämpfte gegen die Fesseln an. Die kalte, sibirische Luft leckte an seinem nackten Körper, biss in seine bloße Haut.
Der Hunger quälte ihn und sein Hals stach vor Trockenheit.

Es war nicht einmal mehr eine Demütigung. Es war ein grausamer Gedanke. Er war einmal stolz gewesen. Gut.

Er hatte Fehler gemacht. Er hatte große Fehler gemacht – und er wusste, dass er sie bis zum Ende seines Lebens bereuen würde.

Ihm kam der bittere Gedanke, dass dies nicht allzu lang sein musste.

Aber trotz all seiner Fehler – hatte er immer seinen stolz gehabt. Die meisten Menschen seiner Zeit hätten sich von ihm abgewandt, hätten sie seine Geheimnisse gekannt. Aber er war stolz gewesen, solange er in den Spiegel hatte blicken können.

Nun war ihm der Stolz aus der Seele gerissen worden. Und er wusste es. Er wusste es, weil er hier stand – mit nackten Oberkörper und zitternden Händen vor dutzenden Augenpaaren, die verschwammen…und er empfand nichts. Nur Leere. Wer keine Demütigung kennt, der hat auch seinen Stolz verloren.

Ludwig fühlte sich nur noch erbärmlich.

Er konnte spüren, wie die Umgebung um ihn herum verschwamm. Seine Sicht wurde zu eine flimmernden Masse eintöniger Farben. Er konnte die Stimmen der anderen Gefangenen hören, die das Spektakel beobachteten. Er presste seine Auge zusammen, so fest, wie es nur ging und riss sie dann wieder auf – in verzweifelter Hoffnung, klarer zu sehen…doch es half nichts.

Kalter Wind fuhr um die Holzbaracken und heulte stöhnend auf. Ludwig konnte hören und spüren wie seine eigenen Zähne zusammenschlugen.
Eine russische Stimme sagte etwas, er stand vor ihm…aber er konnte ihn nicht verstehen.

Aber er wusste, wer lauernd hinter ihm. Er brauchte den violetten Schimmer nicht in den blasen Augen zu sehen, um zu spüren, wie sich diese Blicke in seine Haut brannten.

Die Stimme wurde lauter.
„Ich verstehe dich nicht." Sagte Ludwig leise. Seine Stimme war brüchig von Durst und beim Sprechen sprangen seine rauen Lippen auf. „Ich verstehe nicht, was du sagst…"
Die russische Stimme wurde wieder leiser, fließender…sanfter. Wie die Brandung wurden sie lauter und leiser. Aber Ludwig war sich sicher, dass er das Böse in ihr hören konnte. Als würde Gift an einer Klinge glänzen. Und tatsächlich beschwor sein ausgehungerter Verstand das Bild in seinem Kopf hervor.

„Ne ponimayu." Ludwig versuchte es richtig zu betonen. Und vielleicht hatte er es geschafft. Er fror und versuchte an Felicianos warmen Körper zu denken. An sanfte Hände auf seiner Haut. Schlanke Finger, die über sein Gesicht fuhren und in seinem Haar verschwanden.

Er versuchte an die funkelnden braunen Augen zu denken und an Sonnenlicht, dass in rotbraunen Haaren schimmerte. „Ya ne ponimayu." Wiederholte er fester.
Vielleicht hatte er es geschafft, denn er hörte ein leises Lachen. Es war nah…so nah. Er war so nah, wie der Feliciano in seiner Vorstellung.

Aber es war kein warmes Bild. Ivan war eiskalt. Er schien umgeben von einem seelenlosen Hauch.

Ya ne govoryu po-russki."
Das Lachen kam näher und wurde immer leiser. Plötzlich konnte Ludwig warmen Atem auf seiner eiskalten Haut spüren und er riss die Augen auf.
Er starrte hinab in eine violette Tiefe, in gefräßigen Wahnsinn.
Ivan legte den Kopf schief. Ludwig hielt seinem Blick so gut wie möglich stand.
Der Lagerwächter murmelte etwas in schnellem Russisch, dass er nicht ausmachen konnte, doch dann wechselte er zu einem brüchigen Deutsch.
„Ich Nemetskiy hier lasse? Smertʹ ot zamerzaniya. Nemetskiy wird sterbe. Hunger. Kalt. Wird sterbe. Sterbe wie Sonnenblume. Du – wird sterbe. Du nicht sehen wieder, wen du liebe. Du wird sterbe. Oder – du wird gehorche. Nemetskiy sage: Ya ne ponimayete. Aber ich sage: Vy ponimayete!" Er deutete mit den Finger auf sich, dann auf Ludwig. „Du verstehen."

I.I.

„Kannst du nicht aufpassen?" fragte der wütende Italien ärgerlich, und schob Feliciano grob zur Seite. Auf dem alten, dreckigen Küchenfußboden lag nun ein zerbrochener Teller. „Die Dinger kannst du wegwerfen, wenn sie einmal zerbrochen sind." Mit einem Seufzen blickte Feliciano sich in der kleinen Küche um, ein Agent auf der Suche nach dem Feind. Der gegnerische Agent, in der Presse nur bekannt als „der Besen", versteckte sich wie nur er es konnte, doch Feliciano entdeckte seine hagere Gestalt und seine wirre Frisur, als er hinter dem Schrank hervorlugte.

„Da ist das Ding ja…" Stellte er fest, und schlug die Hände zusammen. „Ich mach das schon, Lovino." Versicherte er seinem Bruder.
„Ist gut…aber sei verdammt noch mal bloß vorsichtig. Wenn du dich an den Scherben schneidest, wirst du nur wieder jammern." Meinte sein älterer Zwillingsbruder, und wischte sich eine dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor er weiter das Geschirr scheuerte, das Feliciano abtrocknen sollte. „Du bist so schrecklich tollpatschig. Ich hab keine Lust mehr für dich den Ärger einzustecken." Murrte er.
Letztes sagte er zwar mit einem verärgerten Ton, aber Feliciano versuchte die Stichelei zu überhören.

Lovino ließ es sich eben nie nehmen ließ, die Leute auf ihre Fehler hinzuweisen. Was das anbelangte unterschieden ihn nur die unkontrollierten Beleidigungen von…Ludwig. Feliciano wünschte sich, er hätte sich nicht erlaubt, an Ludwig zu denken. Aber er hatte es. Ein Fehler. Es versetzte seinem Herzen einen kleinen Stich. Es war eine lange Zeit vergangen, seit er seine erste große Liebe zum letzten Mal in den Armen gehalten hatte…und auch damals viel zu kurz. Und trotzdem wachte er noch in manchen Nächten auf und glaubte, ihm läge der Geruch nach Wald und Rasierwasser in der Nase, der Ludwig immer umgeben hatte. Für die meisten würde es wehleidig klingen – aber Feliciano dachte jeden Tag an ihn. Manchmal, wenn er einen Schopf blassblondes Haar in der Ferne leuchten sah, fuhr sein Kopf herum und er blickte ihm nach, bis zu dem Moment, in dem er sicher war, dass es nicht Ludwig war.

Und dann brach sein Herz aufs Neue.

Es war der einzige Schatten auf seinem Leben.

Feliciano schüttelte den Gedanken ab.

Die Küche, in der sie standen war nicht sehr groß, und nicht sehr geräumig, allerdings hatte sie „Persönlichkeit", wie Lovino es nannte, wenn er nicht wütend war. Wenn er wütend war, nannte er es etwas weit Schlimmeres. So schlimm, dass Feliciano versuchte, es sich nicht zu merken. Und er war eben immer wütend. Er beobachtete, wie Feliciano den Besen aus seinem Versteck nahm, und ihn kopfüber zwang den Dreck aufzuwischen.

„Das liegt nur an diesem beschissenen Löhnen hier. Den ganzen Tag versklave ich mich für diese Fresssäcke, schleppe ihnen den Fraß auf den Teller, lächle sie an und kann es mir nicht mal leisten eine Mittagspause zu machen, damit wir hier die verdammte Miete zahlen können."

„Du hast noch nie einen Kunden angelächelt." Erinnerte Feliciano ihn und warf die Scherben nacheinander in den Mülleimer. Er sprach nicht einmal an, dass Lovino jeden Tag eine ausgedehnte Mittagspause machte. Lovino sprach weiter, schimpfte über dieses und jenes, beschwerte sich, lästerte. Er plapperte immer ohne Punkt, Komma, Pause oder Unterbrechung. Er war ein strikter Unterschied zu ihrem Großvater, einem stillen Mann, der stets in einer eigenen Welt zu leben schien, und nichts sagte, bis es nötig wurde. Feliciano und Lovino redeten beide gerne – nur fehlte Feliciano dabei viel von Lovinos Boshaftigkeit.

„Also habe ich dem Arsch gesagt: Raus hier! Und dann war er weg. Und was soll es denn, Feliciano? Hm? Du gehst ins Bett, räumst das alles Morgen weiter weg, aber jetzt stehe ich hier doch wieder, habe schon das Obst für morgen geschnippelt, und wasche und trockne Scheißgeschirr ab. Mist ist das."
Feliciano tat so, als hätte er nicht zugehört – hatte er auch nicht, sondern wischte weiter mit dem Besen den sauberen Boden ab. Er wusste nur, dass er selbst es war, der das Obst geschnippelt hatte und er trocknete ab.

„Lovino!" kam eine ärgerliche Stimme durch den Raum, und der Besen kam in Felicianos kleinen Händen zum Stillstand. Roma hatte den Raum betreten, und es hieß „Stillgestanden." Der große, hochgewachsene Mann mit dem inzwischen leicht verschlissenen Anzug und dem Zug von Autorität in seinem Gesicht lehnte im Türrahmen. „Kann ich dich noch einmal bitten, deine Zunge zu zügeln, wenn dein Bruder mit dir in einem Raum ist?" fragte der ehemalige General, und obwohl sich Feliciano sicher war, dass es eine rhetorische Frage war, ging Großmeister Freischuss sofort in den Gegenangriff über, lud nach für das verteidigende Plädoyer.
„Ich hab nichts gesagt, was ich nicht immer sage."
„Das macht es nur noch schlimmer.
„Lass gut sein, Grandpa." Meldete sich der letzte Gast aus dem Gastraum vom Stammtisch. Und der einzige, der in ein italienischem Restaurant stets nur sein Bier trank. Gilbert. Dauergast und Bruder des Mannes, den Feliciano jeden Tag und jede Nacht vermisste. Der Albino war die ständige, tägliche Erinnerung an Gilbert – genau wie Roderich. Ludwigs Familie war ihnen stets so nah – und doch war das Mitglied, dass Feliciano am meisten liebte am weitesten enfernt.

Gilbert verbracht seine Freizeit inzwischen stets hier – im Restaurant oder oben bei Roderich und Feliciano war überzeugt, dass er hier war, weil er Ludwig genauso vermisste, wie Feliciano… Aber dennoch schien er stets vergnügter zu sein als Feliciano – oder auch nur betrunkener.
In seiner Freizeit lernte Gilbert inzwischen an ihrem Stammtisch Englisch als wäre es seine Pflicht das Verbot seiner Kindheit in NS-Deutschland zu umgehen. Zurzeit war „awesome" sein liebstes Wort für alles.

Über Romas Gesicht kroch ein verständnisloser Zug, als er die Stimme aus dem Gastraum hörte.
„Der ist schon wieder da?" fragte er.
„Verdammter Kraut." Zischte Lovino.
„Er kommt jeden Tag." Erklärte Feliciano. „Er vermisst seinen Bruder. Vielleicht hilft es ihm, wenn er in der Nähe von Roderich ist." Und…Feliciano war und blieb die letzte Verbindung, die zu Ludwig noch existierte.
Roma schüttelte den Kopf.
„Macht Schluss für heute. Und schmeißt mir diesen Idioten raus."
Roma drehte sich auf dem Absatz um und verschwand wieder.
Lovino ließ die Teller in das Waschbecken fallen und warf das Tuch über die rechte Schulter.
„Dann werden wir den Kartoffelfresser doch mal wieder los."

Feliciano spürte die rauen Lippen an seinem Hals, die zu seinem Schlüsselbein herabwanderten. Seine Hände griffen in den Stoff des Lakens und er konnte sich selbst seufzen hören. Er lag dicht gedrängt an Ludwigs warmen Körper und konnte seinen rasselnden Atem hören. Es war ein gutes Gefühl, sich nach den langen Monaten wiederzusehen. Und auch wenn sie die Türen und die Fenster verschließen mussten…es war berauschend wieder den Mann berühren zu können, den er liebte.
„Feliciano…"Brachte Ludwig hervor und Feliciano schauderte wohlig, als er seinen Namen in dieser tiefen Stimme hörte.
„Feliciano…"
„Ludwig.´"
„FELICIANO!" Die Stimme klang plötzlich flehend. „BITTE, FELICIANO!"
Erschrocken fuhr Feliciano aus seinem Traum hoch und fand sich wieder…in seinem heutigen Zimmer. In seinem Bett. Allein. Allein in einer Welt und Zeit ohne Ludwig. Lovino war über Nacht zu einem Freund gegangen…einem jungen Spanier, den Feliciano noch nicht getroffen hatte, aber der anscheinend versuchte, Tomaten anzubauen und sie in München auf dem Markt zu verkaufen. Feliciano hatte heute einen Teller zerbrochen. Gilbert war später noch betrunken über einen Stuhl gefallen…kleinliche Probleme. Das hier war das Hier und Jetzt – das echte Leben.

Ludwig war nur noch ein Traum.
Es klapperte.
„FELICIANO!"
Feliciano fuhr hoch. Das konnte nicht sein…
Noch ein Klappern.

„Feliciano!" Die Stimme klang flehender…aber für den jungen Italiener gab es keinen Zweifel mehr. Er sprang vom Bett auf und sah sich zum Fenster um.
Etwas schlug klappernd gegen die Scheibe und fiel gleich wieder herunter.

„BITTE!"
Feliciano lief zum Fenster um und sah herunter. Ihm blieb beinahe das Herz stehen. Seine Augen schienen ihn zu belügen. Das Licht der Straßenlaterne fiel auf eine Gestalt die unter seinem Fenster stand…eine unverkennbare Gestalt.

Da unten stand…

Er.

Da stand er, als wäre es nichts…als wäre es kein Wunder…kein unfassbares, unglaubliches…Wunder.

Blondes Haar, das im Mondlicht schimmerte. Ein blasses Gesicht aus dem zwei funkelnde, blaue Augen zu ihm aufsahen. Feliciano wurde schwindelig, doch plötzlich schien es, als wäre etwas in ihm eingerastet. Sein Herz, dass eben noch einen Sprung augesetzt hatte, polterte nun gegen seine Brust und Feliciano spürte etwas wie eine glückliche Panik…eine ekstatische Hysterie, die er nicht in Worte hätte fassen können, hätte ihn jemals jemand gefragt.

Es war ein intensives Gefühl…

„LUDWIG!" Rief er zurück. „LUDWIG!"
Ohne auf einen Befehl zu warten griff Felicianos Hand nach dem Griff des Fensters und zog…Er rüttelte mehrmals daran, bis er daran dachte, ihn umzudrehen und das Fenster zu öffnen. Er riss ihn auf und die kalte Nachtluft drang ihm entgegen, aber er konnte sie nicht spüren. Er konnte nur den Mann sehen, den er liebte, und den er für so lange Zeit tot geglaubt hatte. Er erkannte ihn sofort…die aufrechte Haltung, die glatt zurückgekämmten Haare. Plötzlich fühlte er sich, als…als wäre er schwerelos…

Er war dünner geworden. Schatten untermalten sein abgemagertes Gesicht und er trug einen zu großen Mantel, dessen Ärmel beinahe über seine Hände reichte. Er hatte sich verändert…aber er war immer noch unverkennbar…Ludwig.

In der rechten hielt er einen Stein, den er wahrscheinlich als nächstes gegen das Fenster geworfen hätte.
„Ludwig!" Zum ersten Mal seit Jahren brachte ihm dieser Name keinen Schmerz…aber doch spürte er Tränen in seinen Augen. „Ludwig!" rief er lauter hinab.
„Feliciano." Die Nacht trug den Namen kaum hinauf.

„W-Warte…war-warte… I-Warte…i-ch…ich mach dir auf!" Rief er und die Stimme versagte ihm mehrmals. Seine Augen brannte mit Tränen. „Komm an die Tür! DIE TÜR!"
Er deutete nach links, wo der Eingang des Restaurants war und Ludwig nickte eilig.

Sie sahen sich beide für einen Augenblick an. Feliciano wollte sich nicht abwenden…nicht, nach all den Jahren, die er ohne diesen Mann verbracht hatte. Nicht, nach all den Jahren, die ihm sein Gesicht gefehlt hatte, seine Berührung. Diese warmen Lippen auf seinen. Und Ludwig sah ihn nicht weniger sehnsuchtsvoll an…bevor er atemlos nickte und sich abwandte. In schnellen Schritten verschwand die geliebte Gestalt aus dem schmalen Sichtfeld des Fensters. Plötzlich blieb Felicianos Herz beinahe stehen. Auf einmal war er sich sicher, dass er Ludwig wieder verloren hatte…dass er geträumt hatte…er musste ihn sofort hereinholen…ihn in die Arme schließen…nur um sicher zu sein, dass es ihn wirklich gab. Plötzlich war er beinahe überzeugt, dass er, wenn er nun die Tür öffnen würde…nur auf eine leere Straße hinabsehen würde...

Feliciano stürzte vom Fenster weg und lief durch sein dunkles Zimmer zur Tür. Er stolperte beinahe über etwas, was auf dem Boden lag, aber jetzt musste er beinahe lachen bei dem Gedanken, wie er früher sein Zimmer aufgeräumt hatte, für Ludwig.
Feliciano rüttelte mehrmals an der Zimmertür, bevor er es schaffte, sie zu öffnen. Er stolperte vorwärts, stolperte durch die Tür und hastete die Flur hinunter zur Treppe. Es war ihm egal, ob er die Nachtruhe seines Großvaters störte. Er rannte die Treppe herunter, fiel mehrmals beinahe über Stufen, sprang die letzten hinunter und in die Küche hinein. Er nahm den Schlüssel von der Arbeitsfläche, den sein Bruder wieder nicht aufgehängt hatte. Durch die Küche in den Gastraum. Er sprang über die Theke – mit Geschwindigkeit und Behändigkeit, die er an sich selbst nie zuvor gekannt hatte.

Seine Füße schlugen laut auf den Holzboden, er stieß mehrmals gegen Stühle. Er rannte zur geschlossenen Doppeltür und fingerte mehrmals mit dem Schlüssel im Schloss, bevor er ihn endlich in den dünnen Schlitz des Schlosses stecken konnte. Er schaffte es die Klinke herunterzudrücken und die Tür aufzureißen.
Er öffnete ihn und kalte Luft kam ihm entgegen, umwirbelte ihn…und da unten…drei Stufen unter ihm…

…stand Ludwig.

Feliciano wagte zum ersten Mal im Leben nicht einmal Luft zu holen.

Plötzlich hatte er Angst, er könnte diese wundersame Erscheinung verlieren, wenn er nur Luft holte. Hatte er jemals Zweifel gehabt, dass Ludwig die Liebe seines Lebens war, waren sie nun verloren.

Mondlicht untermalte Ludwigs Züge. Er war älter geworden in den letzten zwölf Jahren. Natürlich war er das. Die Jahre hatten seinem Gesicht Kanten geschenkt, obwohl er die Dreißig noch einige Jahre nicht erreichen konnte…Gott…warum hatte er sich nie seinen Geburtstag merken können? Wieso…

Es lag etwas in dem sehnsuchtsvollen Blick dieser blaue Augen, mit dem er Feliciano betrachtete, die Augen weit offen aber doch furchtsam, als könnte er keine Schritt nach vorne machen, keinen Schritt zu Feliciano.
Seine Lippen öffneten sich.
„Feliciano…" Er hauchte er und die Liebe und der Schmerz, die in dieser Stimme lag ließ die Jahre der Trennung dahinschmelzen.

Feliciano lief auf ihn zu, die Stufen hinunter und warf seine Arme um Ludwig. Sein Körper war angespannt und nun schien es wirklich zu sein. Er konnte die Kanten und Knochen spüren, die sich durch den Mantel gegen seinen eigenen Körper drückten. Aber er spürte zum ersten Mal seit Jahren die Wärme, die von Ludwig ausging. Das hier war wirklich. Das war Ludwig in Fleisch und Blut. Es war

Plötzlich spürte er ein Zittern in dem Körper, den er an sich drückte. Er drückte seinen Körper näher an Ludwigs und plötzlich…kaum spürbar…legte sich eine Hand um seine Schultern und zog ihn näher an sich.
Feliciano hob dem Kopf und bemerkte, dass Ludwig ihn betrachtete mit einem Blick, in dem soviel Sehnsucht lag, dass es in Felicianos Brust schmerzte.
„Ludwig…" Der Körper des Mannes zitterte immer noch in Felicianos Umarmung und als Ludwig sein Kopf ein wenig zu ihm drehte fing das Mondlicht eine weiche Träne auf seiner Wange, die dort hinabrann.
Feliciano stellte sich auf die Zehenspitzen…wie früher, wie damals…wie in nicht guten Zeiten, aber in Zeiten, die besser waren als all die Jahre, in denen sie getrennt gewesen waren.
Es dauerte einen Moment, bis er erkannte, was Feliciano wollte. Er senkte seinen Kopf kam näher. Ludwig Lippen legten sich auf Felicianos. Sie waren rau und ihre Berührung war schwach, aber als Feliciano den Kuss zu erwidern begann, gewann er an Selbstvertrauen und Feliciano konnte spüren, wie seine Zunge sich gegen seine Lippen drückte. Feliciano öffnete seinen Mund ein wenig weiter, um ihm Einlass zu gewähren. Er konnte spüren, wie seine Zunge in seinen Mund glitt…und wie Ludwig in ihm versank. Sehnsucht, Qual, Trauer, Verzweifelung…all das floss in diesen Kuss…
Er konnte nicht mehr sagen, wie lange der Kuss dauerte, aber als sie sich endlich wieder lösten...konnte er spüren, welche Qual er durchgemacht hatten…er hatte gelitten, wie Feliciano gelitten hatte. Und vielleicht noch mehr.
„Du…bist wieder da…" Brachte er heraus. „Ich habe auf dich gewartet."