Ein Dach in New York City
„Hey, beeil dich. Ich will heute noch weiter kommen."
Cheryl blickte auf das höher gelegene Dach hinter ihr.
„Ja, ich muss mich nur noch kurz vorbereiten. Ich hab lange keinen Sprung über 4 Meter mehr gemacht," erwiderte Steven, „seitdem ich aus dem Krankenhaus raus bin, hab ich es beim Training langsam angehen lassen."
„Ich weiß, hey, wenn du dich nicht traust, wir können auch nen anderen Weg nehmen. Du weißt, was Tessa immer sagt: geh kein unnötiges Risiko ein."
„Ich schaff das schon."
Steven nahm Anlauf und sprang mühelos auf das unter ihm liegende Dach.
„Hat doch wunderbar geklappt."
Cheryl umarmte Steven.
„Großartig, du bist echt wieder der Alte."
Cheryl löste sich von ihm und machte sich auf, weiter über das Dach zu laufen. Sie drehte sich um, als sie einen dumpfen Aufprall hörte. Steven lag regungslos auf dem Dach.
„Steven?" fragte sie vorsichtig und näherte sich ihm wieder. Cheryl erschrak, als sie das Blut und das Einschussloch an seiner rechten Schläfe sah. Sie sah sich suchend um, ob sie etwas entdecken konnte, während sie nach ihrem Handy suchte, als sie den Notruf wählte, bevor auch sie von einem gezielten Schuss in den Kopf getötet wurde.
FBI Hauptquartier, Büro der BAU
„Jungs, ist ja lieb, dass ihr die Kaffeekanne bewacht oder warm haltet, aber kann ich da mal ran?'"
Spencer und Derek sahen Emily erst etwas verwundert an, bevor sie die Kaffeekanne freigaben.
„Danke, das ist ja so süß von euch."
„Kommt ihr bitte sofort in den Konferenzraum?"
JJs Kopf war nur kurz in der Tür aufgetaucht.
„Das klingt nach Ärger."
„Tut es das nicht jedes Mal?" fragte Spencer, als er Derek und Emily folgte.
„Auch wieder wahr."
Sie saßen kaum auf ihren Plätzen, als JJ auch schon Akten austeilte.
„Und was haben wir?"
„8 Tote in New York, alles Kopfschüsse."
„Ein Langdistanzserienkiller?"
„Lässt sich noch nicht ausschließen, die Opferauswahl könnte passen, alle unterschiedlicher ethnischer Herkunft, verschiedene Tatorte zu unterschiedlichen Zeiten."
„Wo sind sie gefunden worden?"
„Alle auf verschiedenen Dächern."
„Dächer? Wie sind sie auf da hochgekommen?"
„Haben unsere Opfer Berufe, bei denen sie auf Dächer müssten?" fragte Emily
„Nein, das nicht, wie ihr sehen könnt, sahen sie auch nicht aus, als wenn sie gerade am arbeiten waren."
„Das ist mehr als merkwürdig. Es muss also eine Verbindung zwischen ihnen geben."
„Allerdings," warf Penelope ein, „ein Haufen Irrer, die sich auf Dächern rumtreiben."
„Die Kollegen aus New York haben etwas herausgefunden, alle 8 Opfer waren Traceure."
„Sie waren was?"
„Sie haben..."
„Es geht um Pakour," unterbrach Spencer, „eine Art Extremsport, der in einem Vorort von Paris entstanden ist, obwohl es zuerst von den Kriegern des Vietcong während des Vietnamkrieges benutzt wurde, es kam erst später nach Frankreich, ein gewisser David Belle gilt als Begründer des Pakour in Frankreich, sein Vater war in Vietnam und hat ihm die Méthode Naturelle beigebracht, d. h. die Kunst der Bewegung durch die Landschaft mit ihren natürlichen Hindernissen, was er Ende der 80er Jahre auf den Pariser Vortort Lisse übertragen hat. Sie nutzen eine Stadt und ihre Gebäude fast als Spielplatz, laut ihrem Begründer geht es darum, eigene Grenzen zu überwinden und immer den kürzesten Weg von A nach B zu nehmen. Und diejenigen, die es machen, nennt man Traceure."
Derek blickte entnervt nach oben.
„Wir haben außerdem festgestellt, dass 4 von ihnen einer bestimmten Gruppe von Traceuren angehören."
„So etwas wie eine Vereinsstruktur?"
„Sozusagen, sie trainieren gemeinsam, nehmen an Wettbewerben teil. Gegründet wurde die Gruppe von einer Tessa Sandrine Molière."
„Molière? Ihre Mutter ist Generalstaatsanwältin in New York," zum ersten Mal meldete sich Hotch in dem Meeting zu Wort.
„Na, wunderbar, das heißt, man wird uns sehr genau auf die Finger schauen," Dereks genervter Tonfall war kaum zu überhören.
„Und die anderen 4?"
„Sie gehören keiner Art Verein oder einer ähnlichen Organisation an," antwortete JJ.
„Wann fliegen wir?"
„In einer Stunde."
Auf dem Flug lasen sie noch in den Akten.
„Es kann nur ein persönliches Motiv gegenüber den Traceuren sein, für einen gewöhnlichen Langdistanzserienkiller sind seine Opfer zu ausgewählt."
„Nur worum geht es ihm? Geht es ihm um den Sport selbst, um die Gruppe, aber warum sind dann drei Opfer nicht in dieser Gruppe gewesen, geht es ihm um die Gründerin?"
„Aber wenn es um die Gründerin dieser Gruppe geht, warum gehören dann 4 Opfer nicht dazu?"
„Gibt es Aussagen darüber, ob sie für eine Anzahl von Sachbeschädigungen oder so etwas verantwortlich sind?"
„Nein, aber es könnte natürlich sein, dass sich jemand durch sie gestört fühlt."
„Auf jeden Fall muss er sie seit längerem beobachtet haben und ihre Trainingsgewohnheiten kennen."
„Es könnte jemand aus ihrem Umfeld sein."
„Hey, ihr Süßen."
Es war Penelope, die sich meldete. Sie sahen auf den Bildschirm.
„Unsere sportlichen Freunde haben eine verdammt professionelle Homepage. Sie wird von Tessa gehostet, dort finden sich Blogs von ihr selbst und anderen Mitgliedern, Videos, Trainingsstrecken, Tips für Anfänger, Bilder, aber alles sehr gut gemacht. Und sie sind verdammt gut, ich hab mir mal ein paar Videos angeschaut."
„Sagtest du gerade eben, dort sind Trainingsstrecken angegeben?" fragte Derek.
„Ja, aber warum?"
„Kannst du überprüfen, ob diese Trainingsstrecken über die Orte führen, an denen unsere Opfer gefunden wurden?"
„Darling, natürlich kann ich das, wenn du das Zauberwort sagst," erwiderte Penelope mit einem Grinsen.
„Du bist die Größte?"
„Nein, falsch, du hast noch 2 Versuche."
„Ich liebe dich?"
„Ähm, nein, zwar nicht schlecht, aber nein..., einen einzigen Versuch hast du noch," antwortete sie und fing an, die Titelmelodie von Jeopardy zu pfeifen.
„Hmm, ist es bitte?"
„Damit, mein Prinz, hast du 100 Punkte, und ich sehe sofort zu, was ich für dich tun kann. Ich melde mich später..."
„Du sagst Garcia, dass du sie liebst?" in Spencers Frage spiegelte sich eindeutig Unglauben wieder.
„Warum nicht?"
„Geht da was zwischen euch...?"
„Wir sollten uns auf den Fall konzentrieren."
Derek vertiefte sich wieder in die Akte, während der Rest sich angrinste.
„Emily und Reid, ihr sucht diese Pakourgruppe auf und sprecht mit Tessa Molière, Derek, du wirst dir die Tatorte ansehen und JJ, wir werden mit den Angehörigen sprechen," legte Hotch die weitere Vorgehensweise fest.
„Okay..."
Emily und Spencer fuhren zu einer ehemaligen Lagerhalle am Hafen.
„Es soll hier sein?"
„Der Adresse nach schon, lass mal schauen."
Als sie das Gebäude betraten, waren beide erst mal erstaunt. Es waren Hindernisse in verschiedenen Höhen aufgebaut, es waren Zwischenböden eingezogen worden, die verschiedene Vorsprünge bildeten.
„Das ist mal beeindruckend. Und?"
„Und was?" fragte Spencer, während er sich suchend umsah.
„Willst du's mal ausprobieren?"
„Was? Bin ich irre? Ich will mir doch nicht alle Knochen brechen, lass uns mal lieber diese Tessa suchen."
Sie sahen sich eine Weile um, bevor Emily eine junge Frau fragte.
„Entschuldige bitte, wir suchen Tessa Sandrine Molière."
„Sie ist da oben. Tessa, hey, komm mal runter, du wirst hier verlangt."
„Kein Problem, ich komm runter."
„Wir können auch..."
„Nein, geht schon."
Mit ein paar gewagten Sprüngen war Tessa bei ihnen.
„Und für wen habe ich jetzt mein Können demonstriert?"
„Miss Tessa Sandrine Molière?"
„Ja, live und in Farbe und Sie?"
Ihr französischer Akzent war nicht zu überhören und machte aus jedem ihrer Sätze ein kleines Kunstwerk.
„SSA Emily Prentiss und Dr. Spencer Reid vom FBI."
„FBI? Haben wir, hat einer von hier...?"
„Miss Molière, das würden wir lieber mit Ihnen unter 4 Augen besprechen."
„Okay, lassen Sie uns rausgehen. Jackie, passt du hier eben auf?"
„Klar."
Tessa ging mit Emily und Spencer nach draußen.
„Es geht um die erschossenen Traceure, oder?"
„Ja, vier der bisherigen acht Opfer waren in Ihrer Gruppe."
„Ich weiß, das hat uns sehr hart getroffen, ich hab ihnen gesagt, dass sie immer nur noch zweit trainieren sollen, aber das hat Cheryl und Steven nichts genützt, nachdem schon..."
„Sind Sie in der letzten Zeit bedroht worden?"
„Nein, nichts, ich kann mir das auch nicht erklären. Wir tun niemandem etwas, wir belästigen keinen, wir beschädigen nichts."
„Gab es schon mal Anzeigen gegen Sie oder gegen jemanden, der hier trainiert?"
„Nein, wissen Sie, es gibt bei uns fest definierte Regeln, was gemacht werden darf und was nicht. Und ich kann Ihnen versichern, dass sich meine Leute daran halten. Pakour ist wie ein Spiel, ein Spiel mit den Grenzen des eigenen Körpers, zu sehen, wie man über verschiedene Hindernissen auch die Blockaden im Kopf überwinden kann, die einem sagen, dass man etwas Bestimmtes nicht kann. Ich verstehe nicht, wie uns so jemand so hassen kann."
„Wir sind dazu da, es herauszufinden."
„Wir brauchen eine Liste all ihrer Mitglieder, wir müssen sie fragen, ob sie sich auf ihren Trainingsstrecken beobachtet gefühlt haben oder ob ihnen sonst etwas aufgefallen ist."
„Klar, kein Problem, wenn ich sonst noch etwas tun kann, dann sagen Sie es mir bitte."
„Wie lange machen Sie das schon?"
Tessa sah Emily an.
„Was meinen Sie? Die Zeit, die ich Pakour schon mache oder wie lange ich hier diese Halle unterhalte?'
„Beides."
„Ich bin jetzt 24, ich hab mit 18 angefangen, damals noch in Frankreich, zwei Jahre später ist meine Mutter nach dem Tod meines Vaters hier in die USA gegangen, und ich bin mit, es gab für mich keinen Grund mehr, in Paris zu bleiben. Ich hab hier dann erst mal alleine trainiert, bis ich ein paar andere Leute kennengelernt habe, die es auch praktizieren und so ist diese Gruppe entstanden."
„Was hält Ihre Mutter davon?"
„Dass ich professionelle Traceurin bin? Dr. Reid, wie würden Sie reagieren, wenn Sie Ihre Tochter auf mehrere teure Internate stecken und dann so etwas dabei herauskommt."
„Das heißt also, dass sie nicht begeistert ist."
„Nein, am liebsten würde sie mich wohl verstoßen, wenn es für ihre Reputation nicht so verdammt peinlich wäre. Sie toleriert es nach außen hin, aber wenn sie mich mal sieht, dann kritisiert sie es ohne Ende, es wäre ihr lieber gewesen, wenn ich in ihre Fußstapfen getreten wäre. Aber es ist mein Leben."
„Wie schnell können wir die Liste haben?"
„Ich kann sie Ihnen sofort ausdrucken."
„Das wäre sehr hilfreich. Eine Frage noch."
„Ja, welche denn?"
„Ich weiß nicht, ob Sie dazu die Zeit haben oder ob es so einfach ist, aber ist es möglich, dass Sie mir einige Techniken zeigen."
Tessa grinste Emily an.
„Sie wollen Pakour lernen?"
„Ja, ich denke, es könnte bei der Verfolgung von Verdächtigen doch hilfreich sein."
„Kein Problem. Sagen Sie einfach bescheid, wenn Sie Zeit dafür haben, dann trainieren wir."
„Alles klar."
„Kommen Sie mit in mein Büro, dann kann ich Ihnen gleich die Liste geben."
„Okay."
„Wollen Sie Kaffee?"
„Oh, sehr gern."
Spencer war sich nicht sicher, ob er es sich eingebildet hatte, aber er meinte gesehen zu haben, dass Tessa einen sehr interessierten Blick auf Emily geworfen hatte, zumal Tessa auch eine sehr attraktive Frau war. Sie sah aus wie eine sportliche Variante von Audrey Hepburn, sehr fragil, aber trainiert.
„Können Sie mir sagen, warum die Polizei so lange nichts gemacht hat?"
„Leider nein, uns wäre es auch lieber, wenn man uns früher gerufen hätte," erwiderte Emily.
„Wir haben es hier wahrscheinlich mit einem zielgerichteten Langdistanzserienkiller zu tun."
„Ah ja, und was können Sie tun, um ihn zu schnappen?"
„Wir erstellen ein Profil von ihm oder ihr."
„Es könnte auch eine Frau sein?"
„Es wäre zwar sehr ungewöhnlich, da rein statistisch gesehen, es nicht sehr viele weibliche Langdistanzserienkiller gibt, aber..."
„Reid, ich glaube kaum, dass Miss Molière eine statische Erhebung über..."
„Nennen Sie mich einfach Tessa. Und das ist gar nicht mal so uninteressant."
„Es ist schon mal ein großer Hinweis, dass es bisher nur Traceure erwischt hat. Tessa, fällt Ihnen etwas ein, was passiert ist, etwas Schlimmes, das bei jemandem einen solchen Hass ausgelöst hat, dass man dazu übergeht, Menschen zu erschießen? Es kann ein Unfall sein, jemand, der aus Ihrer Gruppe hinaus geworfen wurde, ..."
„Im Moment nicht, ich zermartere mir schon seit Wochen den Kopf, wir sind auch die einzige Gruppe von Traceuren hier in New York, zur Zeit ist der große Hype noch das Golfen in der City. Hier, die Liste."
„Vielen Dank."
Emily zückte ihre Visitenkarte.
„Tessa, wenn Ihnen etwas einfällt, das uns helfen könnte, rufen Sie an."
„Das werde ich. Sie finden allein raus?"
„Ja, und wegen dem Training melde ich mich."
Emily und Spencer gingen nach draußen.
„Und was denkst du?" fragte er.
„Worüber?"
„Ob Tessa etwas damit zu tun hat?"
„Ich denke nicht, sie wirkte ernsthaft schockiert, dass Mitglieder ihrer Trainingsgruppe tot sind. Ich hab da nur eine fürchterlich abwegige Idee."
„Immer raus, du kennst mich, mir ist nichts abwegig genug."
Emily warf Spencer einen verwunderten Blick zu.
„Also, raus damit."
„Was ist, wenn Tessas Mutter etwas damit zu tun hat? Tessa hat doch selbst gesagt, dass sie bestimmt nicht davon begeistert wäre. Was ist denn, wenn sie einen Killer engagiert hat, der das alles tut, damit ihre Tochter sich aus dieser Szene zurückzieht..."
Spencer sah Emily verwundert von der Seite an.
„Das ist aber eine verdammt absurde und merkwürdige Idee."
„Ich weiß, aber ich halte es nicht für ausgeschlossen."
„Denkst du wirklich, dass eine Generalstaatsanwältin so weit gehen würde, um ihre Tochter wieder mehr an sich zu binden?"
„Ich weiß es nicht."
„Wir sollten zu den anderen fahren und sehen, was sie bisher rausgefunden haben."
Aber bisher hatte sich noch nichts Weiteres ergeben. Es war klar, dass alle Opfer durch sehr präzise Kopfschüsse getötet worden waren und dass die Fundorte der Leichen auch die Tatorte gewesen waren. Was die Ermittlung in bezug auf die Tatwaffe anging, gab es noch keine Erkenntnisse. Das einzige, was man hatte herausfinden können, war, dass der Unsub Hohlmantelgeschosse benutzt hatte, die beim Aufprall explodiert waren. Die Angehörigen der Opfer konnten sich auch keinen Reim darauf machen, und sie konnten auch keine Hinweise liefern. Emily erzählte von ihrer Idee, sich von Tessa einige Techniken beibringen zu lassen.
„Das wäre zudem eine Chance für uns, dass wir mehr über die Szene rauskriegen."
„Nur sollte dann nicht jemand von uns mit dabei sein?"
„Derek, kann es sein, dass du eher darauf aus bist, junge durchtrainierte Frauen kennen zu lernen als dass du dir Sorgen um mich machst?"
„Wie kommst du denn bloß auf so was?"
„Lass es mich mal so formulieren, weibliche Intuition."
„Ich denke, Emily schafft das schon ganz gut allein, du wirst uns einmal täglich berichten, während wir darauf warten, was Penelopes Recherchen über die hiesige Pakourszene ergeben."
„Nur ist es nicht ziemlich leichtsinnig, da unter anderem Tessa weiß, dass Emily vom FBI ist?"
„Das Risiko müssen wir eingehen, aber außer Tessa und Jackie hat keiner mitbekommen, dass wir vom FBI sind. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen."
„Trotzdem sei vorsichtig und pass auf dich auf."
„Das werde ich."
„Dann sollten wir für heute Schluss machen und ins Hotel fahren."
„Okay. Was haltet ihr davon, wenn wir heute abend essen gehen?"
„Sehr gern."
„Aber bitte nicht asiatisch," warf Spencer ein.
„Warum denn nicht?" erwiderte Emily, „also, ich würde gerne asiatisch essen gehen."
„Tja, dann..., dann wirst du heute abend auf jeden Fall was zu lachen haben."
„Warum?"
„Das wirst du ja sehen."
„Also werde ich mich wohl überraschen lassen müssen."
„Genau das, aber vertrau uns, du wirst deinen Spaß haben."
Am Abend sah Spencer sich wieder damit konfrontiert, asiatisch essen gehen zu müssen. Er hatte die irrationale Hoffnung, dass es diesmal besser laufen würde als letztes Mal, aber das würde sich zeigen müssen. Sie besuchten das gleiche Restaurant wie letztes Mal, mit dem Unterschied, dass Gideon und Elle fehlten, aber das tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Für ein paar Stunden wollten sie den Fall vergessen. Als das Essen kam, machten sich Spencers Hoffnungen zunichte, dieses Mal mit den Stäbchen besser umgehen zu können.
„Genau deswegen wollte unser Kleiner nicht hierher."
„Nun lasst ihn doch, mir ging es nicht anders, als ich die ersten Male mit Stäbchen gegessen habe," nahm Emily Spencer in Schutz. Allen war aufgefallen, dass sie sich endlich wieder besser verstanden und sie sehr warmherzig miteinander umgingen. Insgesamt fühlten sie sich als Team mehr zusammengewachsen als es vorher der Fall gewesen war. Emily nahm Spencer die Stäbchen ab und griff nach seiner rechten Hand.
„Also, einmal ganz langsam, ich leg sie dir in die Hände und zeige dir, wie du sie am besten benutzt, okay?"
Spencer nickte, es war ihm ein wenig peinlich, aber Emily ließ ihm in dem Moment keine Wahl.
„Du bewegst das hintere Stäbchen nur mit dem Ringfinger, genau so, und jetzt versuch mal, was damit zu greifen. Siehst du, das klappt doch wunderbar. Und nun versuch mal allein."
„Es geht tatsächlich."
„Was hast du denn gedacht?"
„Na ja, bisher ..."
„Ich hab auch Starthilfe gebraucht."
„Wie süß, Dr. Spencer Reid entdeckt die große weite Welt, heute die Esstäbchen," frotzelte Derek.
„Hey, Derek, wie war das noch mit deinem Panikanfall im Fahrstuhl?"
„Ich bin nicht ausgeflippt. Und fragt mal Reid, er hat angefangen und im Gegensatz zu ihm hab ich keine Angst im Dunkeln."
„Ich habe keine Angst mehr im Dunkeln," verteidigte sich Spencer.
„Jetzt lasst ihn doch mal," griff Emily ein, „ich hab Angst vor Spinnen."
„Ich auch," stimmte JJ ihr zu und schüttelte sich, „ich kann sie noch nicht mal im Fernsehen ertragen."
„Echt? Das ist aber mal heftig. Das wäre ja mal eine lustige Idee für Halloween."
„Kommt bloß nicht auf die Idee, mir eine Attrappe auf den Schreibtisch zu legen."
„Ach, schade..."
Sie alberten sehr viel an dem Abend herum, bis Hotchs Handy klingelte.
„Das forensische Labor war sehr schnell und gründlich, sie haben durch Vergleichsschüsse herausfinden können, welche Waffe der Unsub benutzt hat. Eine Winchester Magnum, Kaliber 30."
„Die Winchester Magnum, Zielgenauigkeit zwischen 800 Metern und 1 Kilometer, nur von geübten Schützen zu verwenden, da die Waffe einen sehr harten Rückstoß hat, die Waffe wird seit 1963 produziert, wurde lange Zeit nur von Swat Teams und vom Militär verwendet, bis sie auch frei verkäuflich waren und von Privatpersonen sehr oft für die Jagd von Elchen benutzt wurden. Ins Magazin passen bis zu 10 Patronen, und es hat einen sehr kurzen Lauf."
„Reid, wie kann es sein, dass du bei deinem immensen Wissen über Waffen so oft durch die Schießprüfung gefallen bist?"
„Das liegt daran, dass Theorie und Praxis sich sehr von einander unterscheiden."
„Ich lass Garcia die Käufe in den letzten Monaten durchgehen."
Derek nahm sein Handy und war verwundert, dass es so lange dauerte, bis das Gespräch angenommen wurde.
„Die Fee aus dem Land der Träume, wer stört beim Träumen?" Penelope klang sehr verschlafen.
„Hey Dornröschen, dein Prinz ist dran, genug geschlafen."
„Was? Äh, nein, ich hab nicht geschlafen, Zuckerhase."
„Gut, du bist wach. Liebes, ich brauche dich und deine Genialität."
„Wenn du so anfängst, ist es ne verdammt undankbare Aufgabe..."
„Ich mach es auch wieder gut, versprochen."
„Okay, schieß los, womit können ich und meine unendlich weisen Maschinenfreunde dienen?"
„Ich brauche eine Liste über alle Käufer, die in den letzten 6 Monaten eine Winchester Magnum gekauft haben, Kaliber 30 mit Zielfernrohr und Hohlmantelgeschossen als Munition."
„Moment..., oh man, Superman, das sind über 3.000, und fast 80 davon wurden übers Internet gekauft."
„Liebes, ich brauche nur den Staat New York und New Jersey."
„Du Scherzkeks, das sind nur die beiden."
„Die Spur können wir wohl vergessen."
„Ich werde es trotzdem überprüfen, ob mir was auffällt. Wonach soll ich suchen?"
„Schau nach jemandem, der evtl. was mit Gebäuden in der Innenstadt zu tun hat, evtl als Eigentümer, Hausmeister, Security Guard, nach Leuten, die vielleicht in Verbindung mit der Pakourszene stehen, nen Unfall dabei hatten oder jemand, der ihnen nahestand."
„Okay, ich leg mal los. Sag mal, mein Liebster, warum seid ihr noch im Büro?"
„Nein, wir sind gerade essen, nur Hotch hat gerade eben erfahren, welche Waffe der Unsub benutzt hat."
Penelope holte empört Luft.
„Das ist ja nicht zu fassen, ihr lasst es euch gut gehen und ich sitze hier in meinem dunklen Büro und werde wohl noch die halbe Nacht brauchen, um die Daten für euch herauszufinden."
„Pen, Süße, hör mir zu. Ich weiß, dass es viel verlangt ist, aber ich verspreche dir, ich mache es wieder gut."
„Und wie?"
„Alles, was du willst..."
„Hmm, ich will, dass du mich zum Essen ausführst und zwar ganz schick..."
„Nur wir zwei?"
„Nein, wir nehmen Reid als Anstandswauwau mit, natürlich nur wir zwei."
„Okay, welche Richtung?"
„Ist egal, such du was aus, nur wehe, es gefällt einer Göttin wie mir nicht."
„Ich bemühe mich."
„Und du wirst es sehr gut machen, da bin ich sicher, ich hänge mich jetzt an die Liste."
„Danke, Babygirl, du bist die Allergrößte."
„Ich weiß. Over and out."
Als Derek die anderen ansah, grinsten sie und schüttelten den Kopf.
„Was ist? Penelope überprüft die Liste, ob sie was Verdächtiges findet."
„Und dafür musst du dich opfern und ihr ein Date versprechen."
„Für meine Süße nur das Beste."
„So, so..., wenn ihr das Date hattet, wird sie wochenlang nur noch grinsen," kicherte JJ.
„Warten wir's ab."
