Surprise, surprise

Nothing should surprise us nowadays, except happy marriages.

Oscar Wilde

Ein lautes Klingeln riss Hermione aus dem Schlaf.

Sie streckte die Hände in einer unwillkürlichen Bewegung zu ihrem Nachttisch aus, um den vermeintlichen Übeltäter auszuschalten, erwischte statt eines Weckers jedoch ihr Wasserglas und stieß es hinunter. Sie stöhnte auf und ließ sich wieder zurück in die Kissen fallen, während sie ihre nasse Hand am Betttuch abwischte.

Das fängt ja schonmal gut an, dachte sie resigniert.

Es kam immer wieder vor, dass sie morgens völlig desorientiert versuchte, den Wecker auszustellen - das Problem dabei war, dass das Klingeln von einem Weckzauber erzeugt wurde. Doch Hermione hatte sich in ihren ersten 11 Lebensjahren so an einen handfesten Wecker gewöhnt, dass sich ihr Unterbewusstsein des häufigeren verselbstständigte und scheinbar immer noch nicht endgültig in der Zaubererwelt angekommen war.

Sie kniff die dunklen Augen nocheinmal fest zusammen, als könnte sie sie vor der bitteren Wahrheit verschließen, dass sie jetzt aufstehen musste. Sie hatte eigentlich keine Lust, sich jetzt schon für das Frühstück in der Großen Halle fertig zu machen. Es war Samstag, sie hatten heute keinen Unterricht und sämtliche Hausaufgaben hatte sie natürlich schon gestern erledigt.

Aber Harry und Ron wollten heute nach Hogsmeade, um die letzten Weihnachtseinkäufe zu tätigen - wohl eher die ersten, dachte Hermione und musste schmunzeln, während sie mühsam aus dem hölzernen Himmelbett kletterte - und sie hatte versprochen, mitzukommen. Als Beraterin, denn Ginny wollte nicht schon wieder gute Miene zum bösen Spiel machen, wie im letzten Jahr, als Harry ihr ein Besenpolitur-Set geschenkt hatte. Klar, sie liebte Fliegen, aber als Liebesbeweis hatte sie sich doch etwas Romantischeres gewünscht als ein bisschen Seifenlauge, um Schlammspritzer von ihrem Sauberwisch 7 zu entfernen.

Hermione verstand das. Naja, genaugenommen konnte sie sich nur vorstellen, wie es sein könnte, es zu verstehen - sie hatte nie einen Freund gehabt. Natürlich war da die Knutscherei mit Viktor Krum gewesen, aber erstens wohnte er viel zu weit weg und zweitens kam für Hermione nur ein Junge in Frage, der ihre Leidenschaft für Bücher und Lernen nicht nur verstand, sondern bestenfalls auch noch teilte. Natürlich wäre ein nettes Aussehen auch nicht zu verachten, dachte Hermione seufzend und schüttelte den Kopf, um das Bild eines hübschen Mannes aus ihrem Kopf zu verbannen, der auf einem großen Sofa lag und ganz sinnlich in einem Buch blätterte. Ich bin wohl wirklich nicht ganz auf der Höhe heute. Was für ein seltsamer Morgen. Ihre Gedanken kehrten wieder zurück zu Ginny und Harry und dem Geschenke-Problem.

Sie ging also diesmal mit ihren beiden besten Freunden los, um sicherzustellen, dass Harry etwas wirklich Schönes für Ginny besorgte. Dass es dazu leider nicht kommen würde und Ginny mit einer Reisig-Zange vorlieb würde nehmen müssen, wusste sie jetzt noch nicht.

Hermione schlüpfte aus der angenehmen Wärme ihres Bettes und erschauerte sofort. Sie hüpfte mehr ins Bad als dass sie ging und konnte vor dem Verriegeln der Tür gerade noch einen Blick auf ihre Zimmergenossin Lavender Brown werfen, die gähnend vor ihrem Bett kniete und scheinbar nach irgendetwas suchte. Dies wurde prompt durch einen Schrei bestätigt, als Lavender das Objekt ihrer Begierde gefunden hatte: "Ha! Ich hab's doch gewusst. Irgendjemand versteckt meine Unterwäsche immer unter dem Bett." Hermione schloss grinsend die Tür. So unnormal war der Morgen wohl doch nicht.

Nachdem sie heiß geduscht hatte, zog sie sich rasch eine dunkle Hose und einen weißen Pulli an. Sie schaute kurz in den Spiegel, um zu überprüfen, dass nichts fehlte - erst vor kurzem hatte sie vor lauter Lernstress vergessen, ihre Schlafanzughose auszuziehen und war von einem hochroten Ron gefragt worden, das jetzt so modern sei in der Muggelwelt.

Heute hatte sie nichts vergessen, und trotzdem stockte Hermione der Atem. Ach nein, das darf doch nicht wahr sein. Ich habe ihr doch gesagt, dass sie aufpassen soll, damit sie unsere Anziehsachen nicht verwechselt. Sie trug eindeutig den Pullover ihrer Mutter, gut zu erkennen an dem V-Ausschnitt. Er war wahrscheinlich bei den frisch gebügelten Sachen gewesen, die ihre Mutter ihr stets mitgab, wenn sie nach den Ferien wieder nach Hogwarts zurückkehrte.

Mrs Granger war eine sehr modebewusste und ambitionierte Frau, doch Hermione hatte wohl nur letztere Eigenschaft von ihr geerbt. Sie besaß keine ausgeschnittenen Oberteile, sie fühlte sich unwohl darin und außerdem wollte sie, dass sie aufgrund ihres Charakters und ihrer Intelligenz gemocht wurde, nicht weil irgendwelche vorpubertären Jungzauberer auf Hexen mit weiten Ausschnitten standen. Ganz im Gegensatz zu Lavender und Parvati. Die hätten allerdings auch Schwierigkeiten, mit etwas anderem als ihrem Aussehen zu punkten. Doch schon schalt sich Hermione in Gedanken selbst - das war ungerecht, sie kannte die beiden nicht einmal richtig. Hermione hatte einen starken Sinn für Gerechtigkeit, und der ließ sich solche Lästereien seitens ihres Verstandes nicht gefallen.

Sie drehte sich vor dem Spiegel hin- und her begutachtete sich kritisch. Naja, so schlimm ist es nicht. Ich denke, das wird Ron verkraften, ohne mich zu fragen, ob ich nicht ein Kleidungsstück vergessen habe.

Hermione zog sich ein dünnes, graues Baumwoll-Cape über (innerhalb der Steingemäuer von Hogwarts kam es im Winter auch schonmal zu Frost, da lediglich auf der Großen Halle und den Klassenzimmern Wärmezauber lagen), zurrte ihre Stiefel fest und machte sich auf den Weg zum Frühstück.

Unterwegs kam sie an einigen der vergitterten Fenstern vorbei. Es versprach ein herrlicher Tag zu werden. Das Gelände war von einer weißen Schneeschicht überzogen und die Eiskristalle brachen sich glitzernd in den ersten Sonnenstrahlen, die die Ländereien küssten. Hermione seufzte verträumt. Sollte sie wohl doch ihre romantische Ader entdeckt haben? Sie grinste in sich hinein. Das war es, was Hogwarts zu ihrem Zuhause machte. Dieses unbeschreibliche Gefühl, genau dort zu sein, wo sie hingehörte.

Plötzlich hörte sie ein helles, weibliches Lachen hinter sich. Sie drehte sich um, konnte aber niemanden entdecken. Da stolperte ein Mädchen hinter einem Wandvorhang hervor - Hermione erkannte Pansy Parkinson, ein blasses Mädchen mit kinnlangen, pechschwarzen Haaren. Sie zog an etwas hinter dem Vorhang, was sich wenig später als Arm entpuppte - und es war nicht irgendein Arm, sondern der von Draco Malfoy.

Hermione forschte in ihrem Gedächntis nach einer Infomation, denn da war irgendetwas, was sie an diesem Bild verwirrte. Einen Moment später hellte sich ihr Blick auf. Denn soweit Hermine wusste, waren Malfoy und Parkinson kein Paar - was machen sie dann gemeinsam hinter einem Wandvorhang? - sondern beste Freunde. Das war eins der wenigen Dinge, über die sie mit Ron und Harry wohl nie würde reden können. Slytherins habe keine echte Freunde, die kennen sowas garnicht. Basta. Und woher willst du das überhaupt wissen, he? Ertönte Rons imaginere Stimme in ihrem Kopf.

Doch sie wusste es tatsächlich. Seit der vierten Klasse saß sie in Arithmantik neben Blaise Zabini, einem Vorzeigeslytherin und erstaunlicherweise wirklich netten, intelligenten und gutaussehenden Jungen. Sie schüttelte den Kopf, sie hatte eigentlich nur nett und intelligent denken wollen. Sie war für ihren Geschmack heute Morgen entschieden zu hormongesteuert. Rons imaginäre Stimme schnalzte missbilligend mit der Zunge. Hör auf damit, Ron. Ich weiß doch ganz genau, dass du heimlich Dahne Greengrass hinterherschaust. Das wurde von Ron mit einem Schnauben quittiert. Auf jeden Fall erfuhr sie durch Zabini eine Menge Dinge über slytherin'sches Denken, welches erstaunlicherweise dem der Gryffindors nicht so unähnlich war, wie alle dachten.

Von ihm wusste sie, das Malfoy und Pansy seit ihrem ersten Date in der 3. Klasse Freunde waren - damals hatte er sie gefragt, um die anderen Slytherins zu beeindrucken. Mit der Liebe hatte es bei beiden nicht geklappt, wohl aber hatten sie sich auf Anhieb so gut verstanden, dass sich eine Freundschaft entwickelt hatte. Sagte zumindest Zabini.

Mittlerweile hatte Parkinson es geschafft, Malfoy mitzuziehen und die beiden alberten auf dem Gang herum, während Hermine einfach nur dastand und den Blick nicht abwenden konnte.

"Draco, lass das!" kicherte Pansy, als er sie in die Seite knuffte. "Das war echt knapp. Wären wir nicht zufällig durch den Geheimgang hinter dem Teppich gefallen, hätte uns Filchs Monsterkatze wahrscheinlich schon längst erwischt und wir würden jetzt mit dem Kopf nach unten an Handschellen in Filchs Büro hängen." Aha, dachte Hermione. Wohl doch keine heimliche Knutscherei.

Seine Mundwinkel zuckten, als er den ernsten Gesichtsausdruck sah, mit dem sie ihre Worte verkündete und er konnte nicht anders, als haltlos in Gelächter auszubrechen. Seine weißblonden Haare fielen ihm in die Augen und ließen ihn wild aussehen.

"Nana, Pans, höre ich da etwa eine gewisse Begeisterung für Fesselspielchen heraus?" säuselte er mit gesenktem Blick und sah sie verführerisch an. Hermione stockte der Atem, und als sie seinen Blick sah, schnaufte sie leise und zittrig. Sie sah an sich hinunter und bemerkte eine leichte Gänsehaut auf ihrem Arm. Verstört wandte sie sich wieder dem Geplänkel ihrer beiden Erzfeinde zu, die sie nicht wahrzunehmen schienen, da sie schräg hinter einer großen, steinernen Säule stand.

Pansy ging auf Dracos Flirterei nicht ein.

Stattdessen schlug sie ihm auf den Arm, schob die Unterlippe vor und blickte gespielt arrogant nach oben. "Draco, ich darf doch sehr bitten. Du interpretierst meine Aussage völlig falsch. Ich habe mir lediglich Sorgen gemacht, dass deine feine, adelige Haut von den gewiss viel zu engen Handschellen Schäden davon tragen könnte." Sie schielte ihn aus halb geschlossenen Augen an und sah, wie seine linke Augenbrauen in beträchtliche Höhen wanderte. Hermiones Augenbrauen indessen wanderten noch ein Stückchen höher als die des jungen Malfoy, denn es war beinahe unglaublich, wie gewählt und intelligent Pansy Parkinson sich gerade ausgedrückt hatte. Sie war immer davon überzeugt gewesen, dass Pansys Verstand nur dazu in der Lage war, Gemeinheiten gegen nicht-Reinblüter hervorzubringen.

Aufeinmal zeichnete sich auf den beiden blassen Gesichtern der Slytherins ein Grinsen ab. Er verneigte sich vor ihr und sagte "Vielen Dank für eure Anteilnahme, euer Hoheit". Sie schüttelte grinsend den Kopf, ließ ein "Kein Problem, du Verrückter" verlauten und lachend und tratschend gingen sie in die entgegengesetzte Richtung von Hermione. Es war offensichtlich, dass sie ihre ärgste Gryffindor-Feindin nicht bemerkt hatten.

Hermione stand immer noch einfach nur da. Würde sie das, was sie gerade erlebt hatte, ihren Freunden erzählen, wäre ihr ein zweiwöcher Aufenthalt im St. Mungo's wohl sicher. Sie schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn, so wie sie es immer tat, wenn sie ein Problem nicht auf Anhieb lösen konnte. Ihre Augen hatten es gesehen, doch ihr Verstand konnte es nicht begreifen. Malfoy und Parkinson eben, wie sie sich aufgeführt hatten, das hätten ohne weiteres auch Harry und sie sein können. Vielleicht ohne die sexuellen Anspielungen, aber dennoch, diese entspannte Vertrautheit hätte sie den beiden Slytherins nicht zugetraut. Niemals.

Sie beschloss, sich später Gedanken über ihre eigenartige Entdeckung zu machen - Draco Malfoy und Pansy Parkinson hatten scheinbar Humor und verhielten sich wie ganz normale Menschen, wenn sie sich unbeobachtet fühlten - und ging mit starr auf den Boden gerichtetem Blick weiter. Ich habe einen anstrengenden Shopping-Tag vor mir, und mit diesem Gedanken verscheuchte sie Malfoy und Parkinson aus ihrem Kopf.


So, das war das erste Kapitel und ich hoffe, euer Eindruck ist nicht allzu schlecht. Ich freue mich trotzdem tierisch über Reviews, damit ich weiß, was ich verbessern kann und was so bleiben soll ;-)

Hoffentlich bis zum nächsten Mal,